Familienportrait- “Bilder vom Knipskastenonkel” / Fotos aus den “Goldenen Zwanzigern”

Obwohl es gerade in Deutschland nach dem verlorenen Weltkrieg viele Probleme wie Arbeitslosigkeit und Inflation gab, hat sich der Begriff “Goldene Zwanziger” als Pendant zum englischen “Roaring Twenties” eingebürgert. Tatsächlich gab es in der ersten deutschen Republik ein völlig neues Lebensgefühl. Die Frauen schauen selbstbewusst in die Kamera. Der Krieg, durch den sie sich auch Männerberufen bewährt haben, und die Republik haben ihr Rollenverständnis verändert.
“In Berlin manifestierte sich das Lebensgefühl der Jungen an der Gedächtniskirche und Kurfürstendamm im Westen der Stadt. Dort entstanden am Ende der Stummfilmzeit die neuen Großkinos Marmorhaus, Capitol und Ufa-Palast – noch mit siebzigköpfigem Symphonieorchester in braunen Samtjacken – und machten den ‘Floh-Kinos’ Konkurrenz. Das gesetzte Alter spazierte Unter den Linden, wo Klappstühle für fünf Pfennig aus der Allee eine Kurpromenade machten, so zum Beispiel Gerhart Hauptmann, der häufig im Hotel Adlon wohnte, oder Gustav Stresemann, der versonnen bei Spaziergängen mit seinem Stock im Sand grub. Der Straßenzug zwischen Nollendorfplatz und Olivaer Platz hingegen war Berliner Laufsteg für einen neuen Schick: Mit Erika und Klaus Mann ein Tanz auf dem Vulkan. Max Reinhardt baute seine beiden eleganten Theater am Kurfürstendamm, eingerahmt von Tribüne und Renaissance-Theater.” WiKi
In den 1920er Jahren war die Amateur-Fotografie noch eine Sache für die gehobenen Kreise. Einfache Leute ließen sich von ambulanten Fotografen ablichten, die in Parks und auf großen Plätzen ihre Kundschaft fanden. In Berlin nannte man sie auch “Knipskastenonkels”. Ursprünglich war ein “Knipskasten” die zigarrenkistengroße Apparatur in den Straßenbahnen, mit denen man seinen Fahrschein entwertete. Beim Ausstanzen der Pappstreifen gab es ein Geräusch, das ähnlich war wie das beim Auslösen eines Fotoapparats. Fürs fotografieren bürgerte sich also schnell das lautmalerische Wort “knipsen” ein. Folglich wurde aus der Kamera auch ein “Knipskasten”.
Wenn man etwas mehr ausgeben wollte, ging man in ein Foto-Atelier. Dort ließ man gleich mehrere Kinder oder die ganze Familie ablichten, um Geld zu sparen. Erst als meine Großtante Lotte den Polizei-Offizier Paul Springer heiratete, kam ein Foto-Amateur in die Familie. Onkel Paul war sehr engagiert und seitdem konnte man auf professionelle Fotografen verzichten. Doch merkt man den Bildern an, dass sie noch nicht perfekt sind. Lange Belichtungszeiten führen zu Unschärfen und die Abzüge sind ziemlich körnig. Erst in den 1930er Jahren hatte Onkel eine Ausrüstung, die praktisch professionelle Ergebnisse ermöglichte. Ich hätte gern gesehen, was er in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg fotografiert hätte, aber Paul Springer nahm sich am 1. Mai 1946 das Leben, indem er sich unter die Heidekrautbahn legte.
Seine Geschichte kann man hier nachlesen:
http://wp.me/p3UMZB-3W
Atelier-Foto 1921
Neben Fotos aus meinen Familienalben habe ich Bilder der Familie meines Freundes Rainer Jacob verwendet.