Archive | August 2014

Berlinische Leben – “Der letzte Abend der Revolution” / Ein Hügel voller Narren Kapitel Drei / von Marcus Kluge / Rückblende: 1972

1972, also neun Jahre bevor ich Roberto in Schöneberg wiedertraf, lernte dieser den Schauspieler Alex Legrand kennen. Da die erstaunliche Freundschaft zu dem Mimen eine wichtige Rolle in unserer Geschichte spielt, muss ich von diesem Kennenlernen berichten. Damit untrennbar verbunden ist jedoch auch ein Gegenstand, der in der Rückblende in das Jahr 1972 ebenfalls unverzichtbar ist, nämlich die “Leica”. Das Wort “Leica” war für mich bis zum Jahr 1972 lediglich ein russischer Hundename und wurde “Laika” geschrieben. Es erinnerte mich stets an die Hündin, die genau wie ich, 1954 geboren wurde, und die am 3. November 1957 im Erdorbit starb. Ihr früher Tod überraschte die Wissenschaftler, ihre Rückkehr zur Erde war zwar nicht vorgesehen und doch hatte man nicht damit gerechnet, dass sie schon nach wenigen Stunden im All, wahrscheinlich wegen Hitze und Stress, sterben würde. Ihr für mich sinnloser Tod hatte mich schon als kleines Kind empört und gegen die Naturwissenschaften eingenommen. Als mir aber 1972, in der Wannsee-Villa des Schauspielers Legrand, Roberto einen alten Foto-Apparat zeigte, lernte ich, das “Leica” auch der Name dieser schönen Kameras ist, die als wahre Wunderwerke der deutschen Feinmechanik gelten und von denen nicht wenige gesuchte und wertvolle Sammlerstücke sind. Bleibt die Frage, wer ist Alex Legrand und wie lernte Roberto ihn kennen, so gut kennen, dass Roberto mich in Legrands herrschaftlicher Wannsee-Villa empfangen konnte?

Alex Legrand war in den 1950er Jahren der Traum-Schwiegersohn aller Schwiegermütter und ein Traummann für romantische junge Mädchen. Geboren wurde er in Berlin 1922 als Emil Alexander Czirrschenga. Er brauchte keinen Agenten, um zu wissen, dass er unter diesem Namen keinen Erfolg als Schauspieler haben würde. Er spielte nach dem Krieg in Düsseldorf unter dem Namen Alexander Schenga Theater, doch als er sein erstes Filmangebot bekam, er spielte einen Adeligen in einem Heimatfilm, dachte er sich den Künstlernamen Alex Legrand aus. In kurzer Zeit machte er mehrere Berg- und Tal-Heimatfilme und wurde zum Star im deutschsprachigen Raum. Für einige Jahre versuchte er in Hollywood sein Glück, bekam aber nur kleine Nebenrollen. Als ihm aus Deutschland die Hauptrolle in einem Abenteuerstreifen angeboten wurde, fackelte er nicht lange und kehrte zurück. “Die Liebenden von Jaipur” wurde ein sensationeller Erfolg. Es folgten fast ein halbes Dutzend ähnliche asiatische Abenteuer und Liebesschnulzen. Er war der gefragteste Junggeselle des deutschen Jet Set, nur wechslende Flirts mit Stars und Sternchen verhinderten, das man ihm eine Schwäche fürs eigene Geschlecht andichtete. Doch keine dieser Affairen hatte Bestand. Das änderte sich erst 1965, als er die freche junge Komödie “Baby Berlin” drehte. Die weibliche Haupt- und Titelrolle spielte die 25 Jahre jüngere Gaby Sommer. Legrand verliebte sich, sie wurden noch während des Drehs ein Paar und gleich danach reisten sie nach Las Vegas und heirateten dort spontan. “Alex und Baby Sommer” wurden für ein Jahr zum Lieblingspaar der deutschen Boulevardpresse. Dann legte sich die Aufregung, Legrand legte eine schöpferische Pause ein und Baby Sommer bekam nur Rollen in seichten Komödien angeboten, die sie aus Prinzip ablehnte. Legrand hatte seine Gagen klug investiert und sie konnten sich die Auszeit leisten. 1970 hatte Paul Hubschmid dann keine Lust mehr den Professor Higgins in “My Fair Lady” zu spielen, nach fast 1000 Vorstellungen hatte Hubschmid die Rolle satt. Alex Legrand bekam das Angebot ihn zu ersetzen. Baby Sommer spielte die Eliza Doolittle und Legrand hatte sich wieder einmal neu erfunden. Das Paar gab das Musical in der Komödie am Kurfürstendamm en suite, fast die ganze Spielzeit 1970/71.

Legrand hatte ein Hobby, er fotografierte und zwar recht ordentlich. 1965 hatte es sogar einmal eine Ausstellung seiner Bilder gegeben, aber Legrand hatte Angst nur wegen seines Ruhms Erfolg zu haben, deshalb blieb es bei dieser einen. Außerdem sammelte er historische Foto-Apparate, besonders die Produkte der Firma Leitz hatten es ihm angetan.
Im Sommer 1972 spielte er eine Schmuckrolle in einer TV-Serie, die an die außerordentlich beliebten Karl May-Filme anknüpfte. “Kara Ben Nemsi Effendi” wurde im diesem Sommer nicht in Jugoslawien, wie die Spielfime, sondern im tschechoslowakischen Teil der Karpaten gedreht. Man hatte ihm einen Charakter ins Skript geschrieben, der beim großen Sachsen fehlte. Viele Prominente Schauspieler sollten den Erfolg der Serie sichern, die mit weniger Budget als die filme auskommen musste. Didi Hallervorden, Lina Carstens, Ferdy Mayne und Günther Lamprecht gehörten zum Ensemble. Heinz Schubert Verkörperung des Hadschi Halef Omar wurde zum großen Erfolg des Pantoffelkinos und Legrand freute sich dabei zu sein. Legrand hatte sich zusätzlich noch Zeit genommen, das malerische Gebirge zu bereisen. Auf dem Rückweg, während eines Aufenthalts in Pressburg, fand er bei einem Trödler eine Leica. Der Besitzer wusste zwar das der Name Leica Geld bedeutete, trotzdem war der Preis eher ein Trinkgeld für den Mimen. Die Leica ähnelte seiner M3 aus dem Jahre 1935, und Legrand freute sich über den Fund, obwohl der Verschluss nicht funktionierte. Wieder in Berlin probte man für eine weitere Spielzeit “My Fair Lady”, doch diesmal wollte man nach 6 Wochen auf Tournee gehen und den Herbst und den halben Winter mit der Inszenierung reisen.

Dienstag, 15. August 1972. Eigentlich war um 10 Uhr eine Probe angesetzt, doch Baby hatte einen Kater und kam nicht aus dem Bett. Solche Eskapaden leistete sie sich ab und zu, allerdings nur während der Proben. Legrand war mit dem Regisseur frühstücken gewesen und überlegte, was er mit der freien Zeit anfangen könnte, als ihm die Leica einfiel. Er hatte sie in seiner Garderobe, weil er sie schätzen lassen wollte. Nur hatte er Vorbehalte zu einem der großen Foto-Geschäfte zu gehen, er fürchtete übers Ohr gehauen zu werden. Er schlenderte los, die Kamera in einer Fototasche. Der Zufall wollte es, dass er bei Robertos Vater in Pfalzburger Starße landete. Hermann Oderberger hatte ein winziges Foto-Geschäft, es trug sich kaum selbst. Wenn Robertos Mutter nicht als Krankenschwester gearbeitet hätte, wären sie verhungert. Aber Herr Oderberger hing an seinem Geschäft und seine Frau wusste, dass es ihn glücklich machte. Die ganze Wohnung war klein, doch störte sich niemand in der Familie daran, der Vater vermittelte seinen Kindern, dass es wichtigere werte als geld und Besitztümer im Leben gab. Über dem Verkaufsraum befand sich eine Art Hängeboden, auf dem ein Bett stand und der das eigene, kleine Reich von Roberto bildete. Oft lag er auf seinem Bett, träumte vor sich hin, las oder verfolgte die Gespräche, die sein Vater mit seinen Kunden führte. So war es auch heute der Fall.

Legrand präsentierte Herrn Oderberger sein Fundstück und Oderberger wurde von einer andächtigen Stille erfüllt. “Konnte es sein, das er hier nicht nur den heiligen Gral aller Leica-Sammler in der Hand hielt, sondern die eine Leica, die er so gut kannte wie die sprichwörtliche eigene Westentasche?” Diesen Gedanken sprach er natürlich nicht aus, er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte und ob der Kunde überhaupt ein Wissender war, was Leicas anging.
Oderberg besah sich die Kamera, die, wie alle Schraub-Leicas, ein schlankes Gehäuse mit abgerundeten Seitenflächen hatte. Ein Blick in den Messsucher bestätigte seine Vermutung, tatsächlich wurde die Entfernungsmessung mittig eingespiegelt. Er hielt also tatsächlich eine Leica M IV in der Hand, von der es nur ein einziges Exemplar im Besitz von Leitz geben sollte, das nicht nur unverkäuflich, sondern auch unbezahlbar sein sollte. Man munkelte, es sei für einen sechs- oder sieben-stelligen Betrag versichert. Es hatte zwar etwa zwei Dutzend Prototypen gegeben, damals 1936, aber außer der einen, war den Leicafreunden keine weitere bekannt. Aber wie gewöhnlich unter Sammlern, nichts Genaues wusste man nicht, und wenn jemand mehr wusste, behielt er es für sich.
Nun war die Frage, ob es auch die Leica M IV war, an die er sich so gut erinnern konnte? Er schraubte das Objektiv ab, was bei Schraubleicas eine etwas umständliche Angelegenheit ist, längst nicht so praktisch wie ein Bajonettverschluss, den erst spätere Leicas hatten. Und tatsächlich im Gehäuse der Kamera fand er das von ihm selbst eingravierte H.O. Es war “seine” Leica M VI, sie hatte nicht nur den Krieg überlebt, sie hatte vier Jahrzehnte, nachdem sie “beschlagnahmt” wurde, den Weg zurück zu ihm gefunden. Eine Geschichte, die so unwahrscheinlich war, das nur das Leben sie schreiben konnte. Hermann Oderberger musste sich am Verkaufstisch festhalten, ihm war schwindlig und er hörte ein Rauschen in seinen Ohren. Vor seinen Augen sah Herr Oderberger Bilder aus jenem Jahr 1942, von der Sowjet-Union Ausstellung, von den Freunden in der Ghetto-Gruppe, vom Verhör-Keller und schließlich vom Lager.
“Der Verschluss ist kaputt, meinen sie sie können sie reparieren?”, hörte Oderberger seinen Kunden fragen. Er riss sich zusammen, unbedingt müsse der Mann die Leica bei ihm lassen, er bräuchte Zeit nachzudenken, wie er sich verhalten sollte: “Das glaube ich doch, diese M III sind ja quasi unverwüstlich. Ich werde es mir in den nächsten Tagen ankucken. Kommen sie doch nächste Woche wieder rein.” Spontan hatte Herr Oderberger entschieden nichts über die Besonderheit der Kamera zu sagen. Roberto, der oben in seinem Hängeboden-Stübchen, alles mitgehört hatte, entschied sich etwas spontanes zu tun.

Wann ist mir eigentlich bewusst geworden, das die Revolte der späten 1960er Jahre endgültig zuende war und die historische Gelegenheit zu einer neuen Chance in meiner Lebenszeit nicht kommen würde? Es musste wohl der Abend des 15. Mai 1972 gewesen sein, an dem ich mit Roberto im Audi Max der TU, ein Konzert von MC5 besuchte, der berühmten Band aus Detroit, die später zu Recht als Wegbereiter des Punk bezeichnet wurde. Ein denkwürdiges Konzert, den obwohl die 68er Revolte eigentlich gescheitert war, kam an diesem Abend noch einmal das Gefühl von Revolution und Auflehnung in das provinzielle, verschlafene West-Berlin der 1970er Jahre. Vier Tage vorher hatte die RAF das alte IG-Farben-Haus in Frankfurt am Main in die Luft gesprengt. Das 5. US-Korps, das dort stationiert war, beklagte einen Toten und 13 Verletzte. Ein “Kommando Schelm” bekennt sich zum Attentat. Das Ziel war geschickt gewählt, natürlich wussten wir von den Verstrickungen der IG-Farben in die Naziverbrechen, vom Zyklon B, mit dem die Gaskammern in Auschwitz betrieben wurden, genauso wie von den C-Waffen der US-Army wussten, die in Vietnam zum Einsatz kam. Wir hatten zwar begriffen, das der Krieg, den die RAF jetzt führte, falsch war und nur zu mehr Repression führen würde, doch klammheimlich hatten wir wohl doch Sympathien. “Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.” Dass sich der Name auf Petra Schelm bezog, wurde von den Medien verschwiegen. Man wollte keine Märtyrerin schaffen. Petra Schelm war 1971 das erste RAF-Mitglied, dass von der Polizei getötet wurde. Ich erfuhr den Zusammenhang erst Monate später von einem Flugblatt.

Unsere langen Haare und ausgefransten Jeans waren provozierend für die “Schultheiss-Fraktion”, wie ich die Berliner Spießbürger nannte, aber Roberto setzte dem die Krone auf, indem er einen alten Bademantel seines Vaters trug. Heute hört sich das unspektakulär an, aber damals waren die Wertvorstellungen der Bürger was Kleidung anging noch recht rigide. Zu dieser Zeit war es beispeilsweise eine sichere Sache, in der Kneipe zu wetten, man ließe sich eine Glatze schneiden. Damit konnte man immer 100 Mark oder mehr einstreichen, so stigmatisierend war es für einen gesunden jungen Mann mit einem Kahlkopf auf die Straße zu gehen. Roberto wurde auf dem Weg von der Pfalzburger zur Hardenbergstraße laufend angepöbelt. Mehr als einmal mussten wir laufen, um einem Kneipenmob zu entgehen. Wir fühlten uns als Rebellen und waren bester Laune.
MC5 war damals schon eine Legende und wir brannten darauf sie zu erleben. In der »Motor-City« Detroit bildeten weiße Jugendliche eine »White Panther Party«. Musikalisch wurden diese Jugendlichen von MC 5 angestachelt. Die Band forderte auf zur völligen Befreiung von allen hergebrachten Zwängen: Kick out the jams, motherfuckers! Die MC5-Musik fand auch ihren Weg nach Berlin. Auf Demos wurden MC5-Scheiben von Lautsprecherwagen gespielt. Da hatten wir sie zum ersten Mal gehört.
Der Eintritt im Audi Max der TU kostete 2 Mark Solibeitrag für die Rote Hilfe, die sich um die politischen Gefangenen kümmerte. Als Vorgruppe spielten Ton, Steine, Scherben, die wir kannten, die uns aber nicht interessierten. Der “Blues”, also die aufrührerische psychedelische Rockmusik, die wir suchten und verehrten, kam nicht aus Berlin. Sie kam aus England oder den USA. MC5 spielten diesen “Blues” mit einer beispiellosen aggressiven Energie. Sie hantierten mit Gewehren herum, und Tyler der Sänger wurde scheinbar von Heckenschützen auf der Bühne exekutiert. Zwischendurch informierten politische Gruppen über ihre Arbeit. MC5 spielten “Motor-City Is Burning” von John Lee Hooker, der eigentlich mit dem Lied den Niedergang von Detroit anprangern wollte. Bei MC5 wird daraus die Aufforderung zum Widerstand. An diesem Abend war noch einmal, zum letzten Mal, die Revolution greifbar. Für einen Augenblick dachten wir, jetzt käme die Erhebung wirklich, sie hatte sich nur etwas verspätet, nun würden wir doch siegen und die bürgerlichen Regierungen und ihre bescheuerten Wähler wegfegen. Es war naiv, es war völlig falsch, aber für einen Moment fühlte es sich so an. Zum Ende wurde das Publikum aufgefordert, schwarz mit der BVG zur Lützowstraße 5 zu fahren und dieses Haus zu besetzen. Etwa 500 Konzertbesucher folgten dem Aufruf und besetzten das Haus.

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Roberto und ich waren bei dieser Besetzung nicht dabei, Roberto hatte schon während des Konzertes Bauchschmerzen gehabt, aber danach wurden sie unerträglich, zudem war ihm schwindlig und er sah totenblass aus. Ich brachte ihn ins Krankenhaus, ich wartete, aber die Schwestern weigerten sich mir irgendetwas zu sagen, weil ich ja kein Verwandter war. Erst als Robertos Mutter kam, die ich angerufen hatte, erfuhr ich Roberto hatte einen Darmverschluss. Er war soweit fortgeschritten, dass sofort operiert werden musste, eigentlich hätte er schon seit Tagen unerträgliche Schmerzen haben müssen, wunderten sich die Ärzte. Ein paar Tage später rief mich Robertos Mutter an, er hatte die OP gut überstanden. Eigentlich hätte ich ihn besuchen sollen, aber, wieso auch immer, tat ich es nicht. Doch er rief mich an, als er wieder zu Hause war. Wir sprachen über das Ende unserer Schulkarriere und was wir mit unserem Leben machen wollten. Roberto war nachdenklich: “Jetzt nach dem MC5 Konzert wäre ich fast gestorben. Ich war selber Schuld, ich hatte mehrere Tage Opium gegessen, viel zu viel, und das hat den Darm lahmgelegt. Durch die Droge habe den Schmerz nicht bemerkt, bis es fast zu spät war. Danach habe beschlossen, ich muss irgendwas aus meinem Leben machen, die Drogen allein bringens nicht, du musst auch ein Ziel haben.”
“Wahrscheinlich hast du Recht!”, antwortete ich ihm, “aber ich hänge völlig in der Luft. Eigentlich wollte ich studieren, einen anderen Plan gab es nie. Als die Schweine mich dann vom Gymnasium geschmissen haben, konnte ich das vergessen. Ich will mich einfach nicht mit diesem Scheiß-System einlassen, ich kann nicht wie ein Schultheiss-Prolo malochen gehen. Ich halte schon die Kollegen nicht aus. Selbst Buchhändler kann ich ohne Abi nicht werden” Ich beendete das Gespräch recht schnell und verlor Roberto eine Zeitlang aus den Augen.
Anfang des Jahres war mir zum ersten Mal in meinem Leben bewusst geworden, dass auch ich so etwas wie Sehnsucht in mir trug. Sehnsucht nach echtem Leben, was immer das war, Sehnsucht nach echter Liebe und auch Sehnsucht nach einer guten Arbeit, etwas worin ich gut wäre und wo man mich bräuchte. Ich konnte sogar sagen wann das Gefühl zum ersten Mal in mir aufstieg. Es war am 2. Februar 1972 gewesen, ich merkte mir fast immer die Daten der Tage, an denen wichtiges passiert war. An diesem Tag lief “Rocker” der Film von Klaus Lemke im Fernsehen und plötzlich fühlte ich was. Als der Abspann lief, unterlegt mit Van Morrisons Stimme, die “It’s All Over Now, Baby Blue” sang, löste sich ein Kloß im meinem Hals, mir war traurig und fröhlich gleichzeitig zumute und eine Sehnsucht stieg in mir auf, eine Sehnsucht, fast wie eine Gier und plötzlich wusste ich, das mein Leben doch nicht so sinnlos und traurig war, wie ich es normalerweise empfand.

“Leave your stepping stones behind
There’s something that calls for you
Forget the debt you left that will not follow you.”

“Your lover who has just walked through the door
Has taken all his blankets from the floor
The carpet too is foldin’ over you
And it’s all over now baby blue.”

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Im Spätsommer 1972 besorgte mir meine Mutter einen Job in einer Buchhandlung, obwohl ich kein Buchhändler war, wollten sie mich als Aushilfe beschäftigen, allerdings nur 16 Stunden in der Woche, im Einzelfall auch mehr. Eine Wohnung konnte ich nicht davon bezahlen, es war mir peinlich noch bei meiner Mutter zu wohnen. Trotz des Jobs erinnerte mich die Wohnsituation regelmäßig an die ungeklärte Frage, was ich mit meiner Zukunft machen sollte, denn so ein Job war ja keine Dauerlösung.

Dienstag, 15. August 1972. Alex Legrand war schon auf der Uhlandstraße, als er jemand hinter sich rufen hörte. Ein großer junger Mann lief hinter ihm her und wedelte mit den Armen: “Herr Legrand, Herr Legrand!” Amüsiert blieb Legrand stehen und wartete was der aufgeregte Junge wollte.
Roberto kämpfte noch mit seinem Atem: “Können sie mir vielleicht ein Autogramm geben?” Legrand konnte. Er zog eine seiner Fotografien aus dem Jackett, die er für diesen Zweck stets bei sich trug: “Für wenn soll es denn sein?”
“Ich heiße Roberto, ich bin der Sohn von Herren Oderberger vom Foto-Geschäft, aber Roberto reicht.”
Legrand schmunzelte, irgendwie gefiel ihm dieser schlacksige Junge. Er reichte ihm das Bild und Roberto erklärte: “Wissen sie, ich interessiere mich fürs Theater. Sie spielen doch am Kudamm, oder?”
“Ja, in der Komödie, “My Fair Lady”. Am 24. ist Premiere, jetzt proben wir.”
“Meinen sie, ich könnte mir mal das Theater ansehen, auch hinter den Kulissen und so?”
Legrand schaute Roberto an, er dachte nicht lange nach, fast spontan entschied er: “Warum nicht? Hast du Zeit? Dann machen wir mal ne kleine Führung.”
Roberto war begeistert, er freute sich wie ein kleines Kind und Legrand spielte die Rolle des Fremdenführers: “Vor 90 Jahren war der Kudamm ja noch ein Reitweg!”, legte er los, ” Da wird hier, wo heute das Kudamm-Karree steht, eine Villa gebaut und bald gibt es auch Kultur an diesem Ort. Max Liebermann, der Maler und seine Kollegen von der berliner Sezession, zeigen hier Bilder, 1907 wird dann bereits ein kleines Theater eingeweiht. Aber erst 1921 baut ein Architekt, Kaufmann hieß er, ein richtiges Theater. Du musst dir vorstellen, nachdem 1920 Berlin Dörfer wie Wilmersdorf und Charlottenburg eingemeindete, wurde Berlin zur drittgrößten Stadt der Welt. Kannst du dir das vorstellen?” Roberto schüttelte den Kopf, wieso haben sie ihm in der Schule nichts davon erzählt? Das wäre interessant gewesen. Sie betreten das Kudamm-Karree von hinten, das erst im letzten Jahr eröffnet wurde. Inzwischen haben die den Bühneneingang erreicht, Legrand grüßt den Pförtner: “Tach, Herr Schulz, das ist ein junger Theater-Enthusiast, Roberto war es, oder?”
“Ja, Roberto!”
Legrand zeigte ihm erst das Foyer und den Zuschauerraum, dann betraten sie die Bühne. Legrand wieß auf Kulissen, Beleuchter-Brücken, Drehbühne und die kleine Muschel hin, in der jeden Abend die Souffleuse den Schauspielern hilft, wen sie “hängen”.
“Kommt denn das öfter vor?”, will Roberto wissen.
“Ja, natürlich. Meine Frau hat ständig Hänger!”, bemerkt Legrand etwas uncharmant. Es kriselt gerade etwas in der nun sechs Jahre alten Ehe, das “verflixte siebente Jahr”.
Wieso sind das eigentlich immer Frauen, die Souffleusen, könnte das nicht auch ain Mann machen?”
“Nein, Männerstimmen sind tiefer, das bedeutet, ihre Wellen sind länger und erreichen leicht den Zuschauersaal. Frauenstimmen sind ideal, auch durch bauliche Ausrichtung des Souffleur-Kastens sind sie für das Publikum fast unhörbar. Im Musiktheater, also bei der Oper zum Beispiel wird ständig souffliert, weil sie die Sänger so viel mehr zu merken haben und es häufig nur drei Proben gibt.”
Legrand zeigt Roberto was Gassen sind und wie jede Gasse ihre eigenen Hub-Projekte hat, mit denen man Kulissen herunterlassen kann. Er erklärt was Gassenlicht bedeutet und wie es den Schauspieler dreidimensional erscheinen lässt. Roberto ist begeistert, hier würde er gern arbeiten.
Nachdem sie auch “backstage” waren und die Bühnentechnik angeguckt haben, beendet Legrand die Führung. Er hat Hunger und er lädt den jungen Mann zu einem mittäglichen Imbiss im schickem Restaurant “Kopenhagen” ein. Noch lange wirkt dieser schöne Tag bei Roberto nach und er wünscht sich nichts sehnlicher, als das das Theater bei ihm anruft und ihm tatsächlich einen Job als Bühnenhelfer anbietet. Das wäre dann ein noch schönerer Tag.

wird fortgesetzt –

IMG_20140824_0001Die Illustration hat Rainer Jacob gezeichnet. (Zum Vergrößern auf das Bild klicken)

“Hony soit qui mal y pense.”, “Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.”, ist die Devise des englischen Hosenbandordens und erscheint auf dem Wappen des Vereinigten Königsreichs.

RAF-Kommando “Schelm”: Erst Monate danach las ich in einem Flugblatt, dass sich das Kommando “Petra Schelm” nannte, nach dem ersten RAF-Mitglied, das durch Polizeischüsse getötet wurde. Das Opfer wurde zehn Minuten lang liegen gelassen, erst danach wurde Hilfe geleistet. Zunächst wurde sie für Ulrike Meinhof gehalten, erst ein paar Stunden später korrigierte man entsprechende Falschmeldungen. Danach gab es eine Diskussion über die Qualität der Schusswaffenausbildung bei der Polizei.

http://de.wikipedia.org/wiki/Petra_Schelm

Leica:
http://de.wikipedia.org/wiki/Leica_Camera

“It’s All Over Now, Baby Blue”, wurde 1965 von Bob Dylan geschrieben, hier wird allerdings die Fassung der Band “Them” zitiert, der Van Morrison seine unverwechselbare Stimme lieh. Viele andere Bands haben das Lied gecovert, unter anderem:

Hole
Matthew Sweet & Susanna Hoffs
Nena
Roger Chapman
Joan Baez
The Animals
The 13th Floor Elevators
The Chocolate Watchband
Joni Mitchell
Manfred Mann’s Earth Band
Marianne Faithfull
The Byrds
Grateful Dead
Falco
Bryan Ferry
Bad Religion

Berlinische Räume – „Im Quartier von Quasimodo“ / von H.P. Daniels / Berlin 1972

Sie wollten mal nach den Kneipen schauen. Die Lage erkunden. Abgefahrene Studentenkneipen gibt’s doch hier wie Sand am Meer. Sie wollten mal schauen.
“Am besten wir fahren ins Zentrum”, sagte Rikki. “Bahnhof Zoo, die Gegend, Gedächtniskirche, Kudamm, da finden wir bestimmt jede Menge guter Kneipen.”
Rikki hatte einen Plan. Mit dem Bus ein paar Stationen bis Hermannplatz.
Schlaff sagte: “Herrmannsplatz”.
“Mann, Schlaff, Mann, wie oft soll ich’s dir noch sagen: der heißt nicht Hermannsplatz. Der heißt Hermannplatz. Merk dir das doch endlich mal!”

Sie fuhren ein Stück. Auf dem Oberdeck vom Doppeldeckerbus durfte man rauchen.
“Ist doch toll hier, was? In Berlin darf man sogar im Bus rauchen! Allerdings nur oben. Aber immerhin.”
“Hermannsplatz! Wir müssen raus”, sagte Schlaff und stand auf, “kommt, wir müssen raus!”
Rikki rollte mit den Augen. Herrmannsplatz … der merkt sich das nie! Sie stiegen aus. Und runter in die U-Bahn.
Sie schauten auf den Plan. “Berliner Straße müssen wir umsteigen!” Sie stiegen um. Richtung Zoo. Sie stiegen aus. Sie gingen rauf. Wo waren sie hier? Sie sahen sich um. Alle Richtungen.
Rikki gab den Berlin-Experten: Schaut mal hier, schaut mal da, Petty kam sich vor wie ein bescheuerter Tourist.
“Also wohin jetzt?”
“Weiß ich doch nicht!”
“Du bist doch der Berlin-Experte!”
“Wieso ich?”
“Weil du hier wohnst!”
“Na ja, so lang ja nun auch wieder nicht.”
“Immerhin wohnst du hier. Und wir nicht.”
“Na, so richtig wohne ich doch auch erst seit vorgestern hier. Seit meine Klamotten hier sind. Das Vorher zählt doch nicht.
“Aber dann spiel dich auch nicht immer auf als den großen Berlin-Experten! Also wohin jetzt?”
“Weiß ich doch nicht!”
“Ich dachte, du kennst hier alles? Alle tollen Kneipen. Was hast du denn hier die ganze Zeit gemacht?”
“Was heißt die ganze Zeit. Die ganze Zeit. Die ganze Zeit. Was hab ich gemacht? Wohnung gesucht. War schwierig genug…”
“Tssi, Tssi, Tssi. Jetzt streitet euch doch nicht schon wieder…”
Schlaffs gutmütige hohe Kinderstimme.

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“Und was ist das da drüben eigentlich? Worauf warten die denn?” Schlaff deutete auf eine riesige Menschenschlange unter der Eisenbahnbrücke. Vorwiegend junge Typen, Freaks, lange Haare, Hippies, Anarchos. Aber auch andere, eher Normale. “Was machen die da?”
“Schlaff, die suchen ne Wohnung!”
Rikki war wieder in seinem Berlin-Experten-Element:
“Die warten auf die Zeitung. Die Morgenpost!”
“Warum das denn? Zeitung? Abends um diese Zeit?”
“Ach, du kapierst mal wieder gar nichts. Die stehen da alle, weil um zehn der Typ mit der Morgenpost kommt. Der ist der Erste, der schon die Zeitung vom nächsten Tag verkauft. Wo die ganzen Wohnungsanzeigen drin sind.”
“Und warum können die nicht bis zum nächsten Tag warten? Um die Zeit bekommen die doch sowieso keine Wohnung mehr, oder?”
“Mann, Schlaff, du begreifst es nicht. Also pass auf, ich erklär’s dir: Um zehn kommt hier die Morgenpost mit den Wohnungsanzeigen. Und weil alle möglichst schnell an die Annoncen rankommen wollen, stehen sie hier und warten. Schon lang bevor der Zeitungsmann da ist. Und dann geht das so: Man kommt am besten immer zu zweit. Einer stellt sich an für die Zeitung. Der andere besetzt eine Telefonzelle. Siehst du die Telefonzellen da an der Ecke? Alle besetzt. Die warten auch. Sobald die Zeitung da ist, rennen sie zur Zelle und schauen die Anzeigen durch. Die sind sortiert nach Wohnungsgrößen. Also, wenn du ne Zweizimmer-Wohnung suchst, schaust du da. Die meisten suchen Einzimmerwohnungen, weil die am billigsten sind. Oder sie suchen besonders große Wohnungen, für ne Wohngemeinschaft…
“Wie du jetzt demnächst für uns, Rikki…”
“Ach lass mich in Ruhe mit dieser Wohngemeinschaftswohnung. War schwierig genug, die Einzimmerbude in Neukölln zu kriegen…
“Und dann?”
“Dann, wenn sie ne interessante Anzeige gefunden haben, rufen sie da an … sofort.”
“So spät am Abend noch?”
“Ja, Mann, das musst du, sonst hast du keine Chance!”
“Ach, dieses Berlin ist schon komisch … Und ein bisschen anstrengend, oder?”
“Was heißt hier komisch, Schlaff, was heißt anstrengend? Berlin ist einfach so, das ist hier so. Das ist eben ne richtige Großstadt. Nicht son Pisskaff wie Frankfurt. Oder das noch pisskäffigere Bad Soden. Oder Hofheim. Oder Kelkheim. Oder Eppstein. Oder Niedernhausen. Mann bin ich froh, dass ich endlich weg bin aus diesen Pisskäffern. Diesen elenden Provinznestern!”
“Und wohin gehen wir jetzt?”
“Weiß ich doch nicht. Wir können ja jemanden fragen.”
“Was willste denn fragen?”
“Na ja, wo hier ne gute Kneipe ist. Wir fragen jetzt einfach irgendjemanden. Irgendeinen Freak, der hier vorbeikommt. Da ist doch schon einer. Der sieht doch okay aus, der weiß bestimmt Bescheid. Da issn Freak.”
Rikki fragte nach einer guten Kneipe. Hier in der Nähe.
“Hier in der Nähe? Hmm.” Der Freak dachte nach. “Kommt drauf an, was ihr sucht. Was sucht ihr denn?”
“Na ja, ne gute Kneipe halt. Ne Studentenkneipe. Wo wir n Bier trinken können. Nicht so was Bürgerliches. Auf keinen Fall was Bürgerliches. Eher was Flippiges. Freakiges…”
“Hmm”, der Freak dachte weiter nach: “Hier in der Gegend?”
“Ja, möglichst nicht so weit.”
“Hmm.”
Plötzlich erhellte sich das Gesicht des Freaks: “Ach ja, gleich hier um die Ecke wäre was. Gleich da an der Kantstraße rechts. Und dann am Theater des Westens vorbei. Wo das Delphi-Kino drin ist. Da geht außen eine kleine Treppe runter. Quasimodo heißt der Laden. Der ist ganz okay. Da könnt ihr hin.”
“Danke. Hab ich’s doch gewusst. Dass der Freak Bescheid weiß. Da gehen wir jetzt hin!”

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Sie gingen die Treppe runter: Quasimodo. Ein Kellerlokal. Ganz witzig. Und ziemlich voll. Über einigen Tischen hingen freischwingend kleine Leinwände, auf denen Zeichtrickfilme flickerten:
“Kuck mal, Tom und Jerry!”
Sie bestellten Bier. Rikki und Petty rauchten Reval. Schlaff rauchte Gauloises. Sie lachten über Tom und Jerry. Und Donald Duck. Tranken. Rauchten. Unterhielten sich über das große Abenteuer Berlin. Ja, Berlin, Berlin, Berlin! Eine tolle Stadt. Und dass sich Schlaff jetzt auch vorstellen könnte, nach Berlin zu ziehen.
“Ja, Schlaff, zieh doch auch nach Berlin. Dann wären wir schon zu sechst. Du, Rikki, Lausi, Gisela, Birgit und ich. Dann muss Rikki halt ne Sechs- oder Siebenzimmerwohnung suchen…”
“…und sich abends anstellen unter der Bahnüberführung für die Zeitung mit den Anzeigen…”
Schlaff und Petty lachten. Rikki rollte mit den Augen.
“Hört bloß auf! Und außerdem sind mir das viel zu wenig Frauen für ne Wehgeh! Was gibt’s eigentlich hier für Frauen?” Er sah sich um: “Na ja!”
“Hahaha, Rikki der große Frauenexperte. Rikki und die Frauen, hahaha, die Frauen hier haben alle auf dich gewartet, klar Rikki…”
“Ach hör doch auf. Ich erinnere nur an dein letztes großes Desaster, Petty, hahaha, die Geschichte mit der Kauppert … Conny Kauppert … von der hast du dich doch bis heute nicht erholt. Wie lang ist das jetzt her? Das ganz große Desaster, dein persönliches Waterloo … mit der Kauppert … jajaja, das große Heulen und Zähneklappern. Da schau ich mich doch lieber hier mal um. Was es hier so gibt. Aber irgendwie ist mir dieser Laden zu bürgerlich, zu normal, zu spießig, zu sehr Touristen-Schuppen. Die Frauen sind auch nicht doll. Da muss es doch noch was anderes geben in dieser Stadt…”
“Aber nicht mehr heute, Rikki. Das machen wir dann morgen. Morgen können wir uns ja noch was anderes anschauen. Obwohl: ich find’s hier ganz lustig. Ist doch gut hier.”
Das fand Schlaff auch.
Sie bestellten noch ein Bier.
“Außerdem, wenn du hier schon so rumreitest auf der Geschichte mit Conny … dann möchte ich dich doch nur mal kurz an deine Sache mit der Schubert erinnern. Was war das denn? War das kein Waterloo, Rikki, mit der Schubert? Na, wie war das noch mal … mit der Schubert? Erzähl mal…”
Rikki heulte auf:
“Die Schubert. Mein Gott, die Schubert! Erinnere mich jetzt bloß nicht an die Schubert! Außerdem ist sie da, in ihrem verdammten Provinzkaff … und ich bin jetzt hier in Berlin!”

Wie schon „Hauptsache Berlin“ stammt „Im Quartier von Quasimodo“ aus dem bislang unveröffentlichten Roman „Nowhere Man“ von H.P. Daniels. Der inzwischen berühmte Live-Club im Keller des Delphi-Gebäudes hieß bis zum Jahre 1975 „Quartier von Quasimodo“. Dann kam der gebürtige Genueser Giorgio Carioti, verkürzte den Namen zu „Quasimodo“ und legte das Gewicht auf Live-Konzerte, nachdem das Lokal vorher eher als Studentenkneipe betrieben wurde. Das historische Foto stammt von der Website des Clubs:
http://www.quasimodo.de

Redaktion: Marcus Kluge

Berlinische Leben – “Deutschland Deutschland alles ist vorbei” / Ein Hügel voller Narren – Kapitel Zwei / von Marcus Kluge / 1981

Die Geschichte, die ich zu erzählen begonnen habe, ereignete sich vor rund 33 Jahren. Ich kann mich sehr gut an diese Zeit erinnern, manche Situationen scheinen mir so frisch zu sein, als ob sie gestern erst passiert wären. Trotzdem habe ich ein Problem sie zu beschreiben. Wie kann ich die Dinge so schildern wie sie damals wirklich passiert sind und wie ich sie erlebt habe? Denn es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen mir damals und mir heute. Denn damals hatte ich keine Ahnung, was in den vor mir liegenden 33 Jahren passieren würde.
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung….
Zum Beispiel hätte ich nie geglaubt, das 1989 die Mauer fallen würde und ein Jahr später die DDR der Bundesrepublik Deutschland beitritt.
Ich hatte keinen Schimmer davon, das ein riesiges “Internet” genanntes Netzwerk, ab den 1990er Jahren die menschliche Zivilisation völlig umkrempeln würde. Vielleicht gab es Experten, die so etwas geahnt hatten, aber ich kannte sie nicht und ich wusste nichts davon.
Es hätte mich sehr überrascht zu erfahren, dass eine rot-grüne Bundesregierung zu Beginn der Nuller-Jahre die Soziale Marktwirtschaft mit einem Gesetzeswerk namens “Agenda 2010” weitgehend abschaffen würde. Ich hätte noch nicht einmal verstanden, was Nuller-Jahre bedeutet.
Und ich hätte jede Wette gehalten, dass niemals eine protestantische, in der DDR sozialisierte Frau, als CDU-Bundeskanzlerin, neun Jahre regieren würde.
Nichts davon wusste ich, nichts konnte ich mir vorstellen.
Und dazu kommt noch, dass das Leben in West-Berlin ohnehin immer eine gewisse Vorläufigkeit hatte. Nicht nur unsere Personalausweise trugen die Bezeichnung “behelfsmäßig”, auch unsere Zukunft war vorläufig und kaum vorhersagbar, weil ja jederzeit eine politische Entwicklung über uns hinwegrollen könnte, die dem Leben in West-Berlin, wie wir es lebten, ein Ende setzen mochte. In keiner anderen Stadt der Welt wird damals “no future” soviel Wahrheit und Bedeutung gehabt haben, als in meiner Heimatstadt. Wie kann ich also das West-Berlin von 1981 so darstellen, wie ich es damals empfunden habe, so ganz ohne Zukunft? Die einzige Lösung, die mir einfällt ist, ich werde mir dieses West-Berlin so vorstellen, als ob es eine ferne Zukunft wäre, oder aber auch ein exotischer Platz, der nie existiert hat und meiner Phantasie entsprungen ist, oder als ob diese Geschichte in einem Parallel-Universum stattgefunden hat, in dem alles ein wenig anders verlaufen ist, als in meiner und ihrer Erinnerung. Das werde ich versuchen und ich schlage vor, dass sie sich mir anschließen. Nehmen wir an, wir seien Anthropologen, die eine noch unbekannte menschliche Zivilisation erforschen. Und nun folgen sie mir bitte.

Ein paar Tage, nach unserem Treffen am 22. 9. 1981 rief Roberto mich an. Er müsse mich dringend sprechen, sagte er.
“Komm doch mit ins SO 36 heute abend, das wird bestimmt sehenswert.” Ich erklärte ihm, dass da die Einstürzenden Neubauten spielten und das er die neue Welt verschlafen würde, wenn er das nicht erlebte. Roberto fragte: “Ach, der Typ mit der Ananas-Frisur und der Gummijacke. Wichser Wahrheit, oder?”
“Nicht ganz, obwohl das auch passen würde. Blixa Bargeld nennt er sich, nach dem Dadaisten Baargeld.” Klammheimlich hegte ich die Hoffnung, die Neubauten würden so richtig durchfallen mit dem Krach, den sie statt Musik veranstalteten. “Auf jeden Fall wird es spektakulär”, lockte ich Roberto. Von Bühne verstand Roberto was, er hatte eine Zeitlang beim Theater gearbeitet. Er war sogar mit dem bekannten Schauspielerpaar Alex Legrand und Baby Sommer befreundet, mit denen er mal eine Tournee gemacht hatte, wo er für Licht verantwortlich war. Ich war ziemlich gespannt auf seine Reaktion auf die “Neubauten”
Vorher war ich noch in der Hobrechtstraße verabredet, bei Stefan Brennerloh, einem Maler, den ich kannte. Ich wollte mir eins seiner Objekte ansehen. Nachdem ihm, wie praktisch jedem Berliner, mehrere Fahrräder geklaut wurden, hatte er den Rahmen seines Rennrades komplett angeschmirgelt und dann zwei Wochen im Hof stehen lassen. Bei Wind und Regen bildete sich sehr schnell Rost, “Edelrost”, wie Stefan ihn nannte. Ich spielte mit dem Gedanken mein Fahrrad, auch von ihm veredeln zu lassen. Tatsächlich sah sein Rad aus wie die letzte Gurke, er schloss es nicht mal mehr ab. Ich konnte mir nicht vorstellen mein schönes neues Kalkhoff-Rad aus der Heimstraße, derart verschandeln zu lassen. Unsere ästhetischen Vorstellungen divergierten da erheblich, wobei mir seine Bilder gut gefielen. Er malte eigentlich immer Fassaden, meist von romantischen Ruinen und das konnte er damals schon perfekt. Er war sehr zielstrebig, nicht ehrgeizig, aber er hatte ein Ziel und erreichte es. Zum Beispiel für sein richtig schwarzes Schwarz hatte er monatelang experimentiert, bis ihm die Farbe gefiel. Auch modisch hatte er ganz eigenen Vorstellungen. Am liebsten wäre Stefan mit Toga und Kurzschwert herumgelaufen, aber das war selbst für ihn zu aufwendig, also begnügte er sich mit der Uniform dieser Tage, Jeans und T-Shirt in schwarz.
Roberto hatte ich gebeten seinen hellblauen Anzug daheim zu lassen, er kam mit Marijuana-T-Shirt und Bundfaltenhose, wenigstens die war schwarz. Ich hatte eine Motorradlederjacke an und meine Haare punkig nach oben gegelt. Ich stellte die beiden vor: “Stefan der Maler und Materialforscher und das ist Roberto, mein Freund der Drogenschmuggler.”

Stefan hatte kein Interesse an Drogen, aber das Schmuggeln, besonders das Handwerkliche dabei, interessierte ihn. Roberto schilderte, wie die spezialisierten Bootsbauer in Kerala, erst das Holzboot auseinander genommen hatten und überall schwere durch leichte Bauteile ersetzten. Die zusätzlichen 250 Kilo Haschisch durften ja nicht zu sehr auffallen. Das Boot wäre auch nicht mehr seetüchtig gewesen, es wäre umgehend mit Maus und Mann untergegangen. Aber das brauchte es ja auch nicht, es wurde mit einem Frachter rund um die halbe Welt geschippert. Wir liefen den Kottbusser Damm entlang, Stefan und Roberto waren ins Gespräch vertieft, doch ich sah einige Skinheads uns entgegen kommen. Es war kurz vor der Ecke, an der freitags der Türkenmarkt beginnt. Die Glatzen waren zwar auf Kollisionskurs, trotzdem machte ich mir keine Gedanken, es waren noch Kinder., 13, 14 oder 15 Jahre alt. Als sie uns kreuzten, rempelten sie uns an, mehr passierte nicht. Erst als ich die Ecke passierte, sah ich den Pulk von älteren Skins, mindestens ein Dutzend, und ehe ich reagieren konnte, hatte ich schon den ersten Schlag ins Gesicht bekommen. Roberto und ich versuchten erstmal nur nicht zu Boden zu gehen, während Stefan einige der Glatzen freundlich begrüßte, er kannte sie. Das war Robertos und mein Glück. Die Schläger machten eine Pause, die Roberto und ich nutzen, um Reißaus zu nehmen und Stefan, der ja nicht gefährdet war, zurückzulassen. An der Skalitzer Straße blieben wir an einer Currywurst-Bude stehen und Roberto spendierte Bier.
“Ich will zurück in meine Zelle”, Roberto tastete sein Gesicht ab. “Das ging doch, da gibt es schlimmere Stories über Glatzen”, versuchte ich ihn zu beruhigen, aber auch mir war der Schreck in die Glieder gefahren und ich trank das Bier in großen Schlucken. Nach einem zweiten Bier wurde das Zittern in den Knien besser und wir liefen zum Heinrichplatz. Immer in dieser Gegend hatte ich den Eindruck, eher in einer türkischen als einer deutschen Stadt zu sein. Die meisten Geschäfte wurden von Türken geführt. Auch im SO36 genannten Kulturzentrum fanden manchmal türkische Veranstaltungen statt, heute sah es nicht danach aus.

Das SO 36 war ein langer Schlauch, der von Neonröhren grünlich hell beleuchtet war. Der Raum ähnelte einer Fabrikhalle, das einzige Mobiliar waren einige Mülleimer, in die das Publikum die leeren Bierdosen kickte. Links war ein großer Tresen, hinter dem über ein Dutzend Kühlschränke standen. Die Tresenkräfte holten nach einem nicht nachvollziehbaren Plan die Getränke aus den Schränken. Fast alle Besucher tranken Bier. Das helle Licht machte für Roberto besonders deutlich, dass anscheinend eine Umkehrung der ästhetischen Werte stattgefunden hatte. Früher achtete man darauf das das Haar saß, man beseitigte Pickel und Sonnenbräune galt als schick. Nun schien ein Wettbewerb stattzufinden, wer am abgefucktesten aussah. Besonders bei den Jungs dominierten bleiche, kränkliche Gesichter, Typen die sich Löcher in das Haar geschnitten hatten und ihre Kleidung anscheinend aus versyfften Müllcontainern gezogen hatten. Die Mädchen kombinierten diesen Look mit ausdrucksstarkem Make-Up und knalligen Haarfarben. Einige Langhaarige waren auch dabei, einer grüsste mich sogar. Er war älter als die meisten, hatte Sommersprossen, aber das Auffallenste an ihm waren seine rotlockigen Haare, die wie ein Dach sein Gesicht einrahmten. Er grinste mich freundlich an und wünschte mir mit einer heiseren Stimme: “Viel Spaß!” Ich war überrascht und brachte eben noch ein “Danke” heraus. Aus den Boxen tönten die Fehlfarben mit “Militürk”.

“Miliyet für die Sowjetunion,
in jeder Imbißstube ein Spion.
Im ZK Agent aus Türkei,
Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.”

Roberto nickte zustimmend: “Das würde ich auch sagen, wenn ich mich hier umkucke.”

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Der Auftritt der Neubauten war weniger ein Konzert, als ein Rezitationsabend mit Geräuschen, sehr lauten Geräuschen. Blixa skandierte einzelne Sätze. “Nach wie vor, nach wie vor, nach wie vor, wir sorgen für dich, wir sorgen für dich. Nach wie vor, nach wie vor.” Die Band bemühte sich dazu rhythmisch ihre Instrumente zu benutzen. Ich war mir nicht klar darüber, wieviel davon improvisiert war und wieviel sie einstudiert hatten. Das wichtigste schien der Ausdruck zu sein, alles andere war nebensächlich. Das Publikum war fasziniert, das musste ich zugeben. Einige Besucher tanzten sogar zu dem martialischen Krach. Jetzt wiederholte der Sänger immer wieder. “Der Funke springt über, der Funke springt über.” Ein kräftiger Typ, der unter dem Namen F.M. Einheit bekannt war begann mit einem Trennschleifer herumzuhantieren. Er zersägte einen Stuhl und erzeugte dabei einen effektvollen Funkenregen, schließlich malträtierte er den Bühnenrand. Der Veranstalter würde sich ärgern, dachte ich. Vielleicht war der Schaden auch schon vorher einkalkuliert worden. Mein Eindruck etwas Improvisiertes zu sehen mochte täuschen, möglicherweise sah ich eine ausgeklügelte Inszenierung, die bei jedem Auftritt die Gleiche war. Die Luft war nun zum schneiden dick, vom Rauch zahlloser Zigaretten und Joints und dem Dunst der schwitzenden Menge, die das Bier von einem flüssigen in einen gasförmigen Aggregatzustand verwandelte. In der Mitte der Tanzfläche rempelten sich die Punks an und tanzten ihren Pogo. Es funktionierte auch ohne Rock und Bluesschema. Roberto machte einen genervten Eindruck, ich hatte die vermutet das Chaos würde ihm Spaß machen, doch ich hatte mich geirrt. Auch zu mir war der Funke der Band nicht übergesprungen. Wir verständigten uns wortlos und verließen den Saal. Draußen auf der Oranienstraße saugten wir begierig die frische Nachtluft ein, und ich fühlte mich sofort besser. Roberto sah immer noch bedrückt aus. Zeit mir anzuhören, was er auf dem Herzen hatte.
“Meiner Schwester gehts nicht gut. In der Nacht, als wir uns gesehen haben, kam sie mit Unterleibsschmerzen nach Hause. Die Bullen hatten sie umgerannt und sie ist gestürzt. Ich bin mit ihr ins Krankenhaus, wir mussten ewig warten, weil die Notaufnahme voll mit Verletzten war. Es ist alles OK mit dem Kind, aber sie ist merkwürdig seitdem. Jetzt will sie das ich ausziehe, sie will allein sein. Ich versteh’s nicht, sie ist irgendwie traurig.”

Wir hatten inzwischen den U-Bahnhof am Kotti erreicht und liefen die Treppe hoch zum Bahnsteig. Roberto tat mir Leid, so kannte ich ihn gar nicht: “Dann brauchst du ‘ne Bleibe?”
“Ja, es ist ja nur für ein paar Tage. Ich will mir ‘ne Wohnung suchen, ich arbeite ja und kann eine Verdienstbescheinigung vorlegen.”
“Was macht du denn, Roberto?”
“Lach nicht, aber ich verkaufe Stoff. Ich bin Stoffdealer im Ka De We. Glücklichweise nur halbtags, der Job nervt ziemlich.”
Wir stiegen in den Zug in Richtung Ruhleben. Mit uns stiegen ein Dutzend schwarze Gestalten in das fast leere Abteil. Im grellen Licht sahen die meisten krank und unterernährt aus. Ich stellte mir vor, es wäre 1945, kurz nach dem Krieg. Die bunten Haarsträhnen, die Badges und Bemalungen der Jacken passten nicht dazu: “No Future”, “Anarchy”, “Punx not dead”. Die kranken Gestalten mit den dünnen Gliedmaßen schon.

“Also, wenn du keine großen Ansprüche hast, könntest du ein paar Nächte in meinem Büro übernachten.”
Roberto sah mich an: “Du hast ein Büro? Wozu denn?”
Als ob es selbstverständlich wäre, antwortete ich: “Zum schreiben. Ich will doch Schriftsteller werden. So kann ich morgens nach dem Kaffee zur Arbeit gehen. Na ja, es ist nicht weit, nur ein paar Schritte. Wenn du willst, komm einfach mit, ich zeig dir’s. Aber es ist wirklich primitiv. Es gibt kein Badezimmer, keine Küche und aufs Klo musst du im Treppenhaus gehen.”
“Damit hab ich keine Probleme, ich bin nicht verwöhnt.”
Wir stiegen Kurfürstenstraße aus der U-Bahn hoch und mein Blick wandte sich unwillkürlich nach rechts, wo auf der anderen Seite der Potsdamer Straße ein Blumenmeer auf dem Fußweg an den Tod von Klaus-Jürgen Rattay erinnernte. Ich machte eine fragende Kopfbewegung und Roberto war einverstanden, wir schauten uns den Ort des Gedenkens aus der Nähe an. Es war das größte Blumenmeer, das ich je gesehen hatte, teilweise waren die Blumen bereits verwelkt, andere waren frisch. Dazwischen brannten Grablichter und Kerzen, improvisierte Kreuze und Plakate lagen zwischen professionell gefertigten Kränzen mit Schleifen. Über 30 Menschen standen dabei, die meisten hatten den Kopf gesenkt, es herrschte eine gedrückte Stimmung. Ein paar Meter weiter stand ein Kamerateam, die Kamera war mit einem wuchtigen Video-Aufnahmegerät verbunden, auf einem Sticker stand: “NDR EB17”. Ein Journalist mit Nickelbrille befragte mit einem Mikrofon einen Langhaarigen. Ich kanne den Reporter aus dem Fernsehen, zufällig hatte er Rattay zwei Tage vor dessen Tod befragt, nun schien er weiter zu recherchieren, noch war der Todesfall ungeklärt, doch Politik und Polizei trugen schon jetzt moralische Schuld. Für den Journalisten würde es beruflich ein Glücksfall sein, so traurig der Anlass auch war. Ich will nicht sagen, das ich ihn beneidete, aber zumindest hatte der sein Thema gefunden, während ich noch nicht einmal wusste, worüber ich schreiben sollte? Schweigend liefen wir weiter, wir überquerten die Bülowstraße und nahmen den 48-Bus bis Kaisereiche.

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Ja, ich wollte schreiben. Viele Texte nahm ich mir vor. Wütende Texte gegen das System, das mir Abi und Studium verwehrt hatte. Gegen einen lokalpolitischen Filz, der an den Bedürfnissen der Menschen, die einfach nur wohnen und arbeiten wollten, vorbei, Riesenprojekte plante, um sich selbst die Taschen zu füllen. Gegen die Fraktion der “Schultheiss-Berliner” wie ich sie nannte, die quasi-faschistisch gegen alles wütete, das anders oder ungewöhnlich war, Punks, Schwule, selbst alleinerziehende Mütter wurden beschimpft und belästigt. Auch 36 Jahre nach Ende des Dritten Reichs schien das Nazi-Gedankengut noch lebendig zu sein. Es gab eine dünne Schicht, die das Braun verdeckte, eine Konvention, sein Nazi-Gedankengut nicht öffentlich zu äußern, aber es war da und manchmal kam es zum Vorschein. Wie bei dem BVG-Busfahrer, der einfach mit seinem 18 Tonnen schweren Bus über den “Chaoten”, den “Untermenschen” Rattay, gefahren war. Oder wie zum Beispiel an Stammtischen, wo man auch hörte, wie viel faschistisches Denken noch übrig war. Das sollte mein Hauptthema sein, aber außer solchen Einschätzungen, fiel mir keine Geschichte ein, die ich darüber erzählen könnte.
Dann wollte ich Krimis schreiben, über Giftmorde und seltene Drogen, absonderliche Sexualpraktiken und perfekte Verbrechen von nie zuvor gekannter Raffinesse. Nur der Beginn wollte mir nicht gelingen. Schon am ersten Satz, der ja wie ich wusste entscheidend war, scheiterte ich.
Und schließlich wollte ich über Film, Kunst und Musik schreiben, mir fiel sehr viel ein, nur wenn ich an der Schreibmaschine saß, war mein Hirn plötzlich wie leergefegt, ich verstand es nicht. Ich probierte es mit Ritualen, mit Kaffee und auch mit Zigaretten. Nichts passierte. Einmal besorgte ich mir Speed, da schrieb ich tatsächlich mehrere Seiten voll. Nur leider war es erbärmliches Zeugs, wie ich am nächsten Morgen nüchtern feststellen sollte. Auf meinen Kontoauszügen stand “M. Weise, Autor”, nur bekam ich nie ein Honorar überwiesen. Es machte also wirklich nichts aus, mein sogenanntes Büro für ein paar Tage Roberto zur Verfügung zu stellen.

Zwischen den hell erleuchteten Schaufenstern von Schuh-Leiser versteckte sich der Eingang zum Hof der Rheinstraße 14. Hier war es dunkel, das Licht war kaputt, ich lotste Roberto in das Nebengebäude und zeigte ihm die winzige Butze. Vielleicht 20 Quadratmeter, neben einem Tisch und zwei Stühlen bildete eine alte Matratze die einzige Einrichtung.
“Und meinst du, das reicht für dich?”
“Ja, klar, hast du vielleicht noch ne Decke und ein Kissen, dann würde ich gleich hier übernachten?”, fragte er mich.
“Natürlich. Komm doch kurz mit rüber.”
Meine Wohnung war auf der anderen Seite des zweiten Stocks. Ich begann Bettwäsche und Bettzeug zusammen zu suchen, als Roberto fragte, ob er telefonieren dürfte. Ich zeigte ihm das alte schwarze Bakelit-Gerät auf dem Schreibtisch und bot ihm einen Stuhl an.

“Huhu Cora, ich bins. Ja… Mhm… Du, ich übernachte bei Marcus, hier kann ich auch ‘ne zeitlang wohnen. Ist alles OK mit dir? … Du, mach dir da keine Gedanken, es sind Pistazienschalen, nichts weiter. Nein, die wollen nichts von dir. Sag einfach, du weißt nicht wo ich bin. … Ja, Ciao, Cora.”

Es war nicht zu vermeiden, dass ich zuhörte und ich beschloss zu fragen, was mich beschäftigte. Immerhin ließ ich Roberto bei mir wohnen: “Was ist das mit den Pistazienschalen? Irgendwas ist da doch hinter, oder?”
Er blickte mich an, rieb sich das Kinn und holte dann Tabak, Blättchen und ein Piece Haschisch aus der Tasche. Er begann einen Joint zu drehen und sprach langsam und bedächtig: “Also, es gibt da Leute, die meinen, Ari würde ihnen etwas schulden. Und jetzt da Ari nicht mehr lebt, meinen sie, ich müsse für dafür gerade stehen. Das sind Araber, unangenehme Leute, aber wenn die merken, das bei mir im Moment nichts zu holen ist, werden die schon aufgeben.”
Er zündete den Joint an, nahm ein paar Züge und wollte ihn dann an mich weiterreichen. Ich lehnte ab, wie immer. Drogen bekamen mir nicht, außer ein paar Bier ab und zu, blieb ich lieber abstinent. Ich fragte ihn nach den Pistazienschalen, das war seiner Schwester wohl auch aufgefallen.
“Die Pistazien sind so eine Art Markenzeichen bei denen, die knabbern sowas ständig und verstreuen die Schalen dann, so wie Tiere ihr Revier markieren.”
“Ich kann ja verstehen, dass du deine Schwester da raushalten willst, aber woher weißt du, das die jetzt nicht hier auftauchen und die Türen eintreten?”
“Ich werde mit denen reden und ihnen meine momentane Zahlungsunfähigkeit klarmachen. Außerdem gibt es ein Jobangebot, da würde ich deutlich mehr verdienen, als im Kaufhaus des Westens. Ich kenne so einen Antiquitätenhändler, da könnte ich einsteigen. Ich versprech dir, die werden hier nicht auftauchen”
Ich war nicht begeistert, aber eine unmittelbare Gefahr bestand wohl nicht. Ich gab Roberto das Bettzeug, einen Wecker und den Zweitschlüssel für mein Büro. Dann legte ich mich hin und das Lied von den Fehlfarben kam mir in den Sinn.

“Kebabträume in der Mauerstadt,
Türk-Kültür hinter Stacheldraht.
Wir sind die Türken von morgen.
Wir sind die Türken von morgen…”

– wird fortgesetzt –

So36Zum vergrößern anklicken. Die Illustration hat Rainer Jacob gezeichnet:
rainerjacob.com

Anmerkungen:
“Militürk” erschien 1980 auf der LP “Monarchie und Alltag” von Fehlfarben und wurde damit einem größeren Publikum zugänglich. Vorher war er auf einer Doppelsingle von Mittagspause. Den Text schrieb Gabi Delgado-López von der mit den Fehlfarben befreundeten Band “Deutsch-Amerikanische Freundschaft”, die den Song unter dem Titel “Kebabträume” ebenfalls veröffentlichten.

“Ein Hügel voller Narren” ist zwar von tatsächlichen Geschehnissen und realen Personen inspiriert, wie das im Grunde bei jeder Form von Literatur der Fall ist, entstanden ist jedoch eine fiktive Geschichte. Trotzdem habe ich Namen verändert, ebenso wie ich Details verschlüsselt habe, um keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Auch der Erzähler “Marcus” hat zwar Ähnlichkeit mit mir, ist aber ein gänzlich erfundener Charakter, der nie gelebt hat. Das dritte Kapitel erscheint demnächst, es trägt den Titel “Der heilige Gral der Fotofreunde”.

 

Familienportrait – West-Berlin in Black & White 1960 / Part 1

Eine schöne Fotostrecke aus dem Blog-Archiv. 1960 in schwarz/weiß.

marcuskluge

Enjoy the ride.

Bild  Weinhandlung Bundesallee Ecke Am Volkspark

Bild  Verkehrskanzel Kranzlereck

Bild  Fehrbelliner Platz

Bild

Bild

Bild   Stadtautobahnbauschild

Bild  ?

Bild  Volkspark Wilmersdorf

Bild  Blisse Ecke Brandenburgische

Bild   Marcus

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Berlinische Leben – “Nackte, Nazis, Nervensägen” / “Mein” Offener Kanal Berlin – Teil Zwei / 1985-2014

Es ist schon merkwürdig, aber der Offene Kanal Berlin ist in den Berliner Medien nur selten thematisiert worden. Zumindest bis 2003, also solange ich dort gearbeitet habe. Zu seiner Eröffnung im Jahre 1985* wurde im Zusammenhang mit dem Kabelpilotprojekt über ihn berichtet. Eigentlich wäre der neuartige, emanzipatorische Ansatz, “jeder kann senden”, es Wert gewesen seine […]

Familienportrait –”Pankoff, Passierscheine und venezolanische Pässe” / 1961-85 / von Marcus Kluge

IMG_20131224_0001 Das Haus in Pankow


In den 50er und frühen 60er Jahren gilt das Wort Pankow, nicht nur in Westdeutschland, als Synonym für das verhasste DDR-Regime. Walter Ulbricht und seine Spitzengenossen wohnen dort, bevor sie ab 1961 in die berühmte Waldsiedlung Wandlitz ziehen, die von 1958-61 nach russischem Vorbild, als zweifach eingemauertes Ghetto für die Bonzen gebaut wird. Bundesdeutsche Kommentatoren sprechen den Berliner Bezirk mit dem stimmlosen w gern wie Pankoff aus, weil sich das so schön russisch und martialisch anhört. Für mich als kleinen Jungen bedeutet Pankow Besuche bei Tante Lotte, Tomaten im Garten ernten, Wiener Schnitzel, Schokoschrippen und Spaß haben.

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Weihnachten 1937 mit Leistikow-Gemälde und Perser

Nachdem sich ihr Mann, der Polizist und Fotograf Paul, am 1. Mai 1946, vor die Heidekrautbahn legte und sich umbrachte, zog die Schwester meiner Oma mütterlicherseits in die Tschaikowski-Straße in Pankow. Als ich klein war, besuchten wir meine Großtante Lotte regelmäßig. Wir fuhren mit dem Auto nach Wedding, überquerten am Checkpoint Wollankstraße die Sektorengrenze, fuhren mit der Straßenbahn und bogen dann von der Grabbeallee links in die Tschaikowskistraße ein. Im Westen der Stadt kannten wir niemand mit Garten und so freute ich mich auf die Besuche, Tomaten und Erdbeeren zu ernten war für mich Stadtjungen toll. Oft kam Tante Lotte auch zu uns nach Wilmersdorf, stets schmuggelte sie Schnitzelfleisch unter ihrem Hut, um ihre Spezialität, herrlich dünne in guter West-Butter ausgebratene Schnitzelchen zu bereiten. Am 13. August enden diese wechselseitigen Besuche, eine nahezu unüberwindliche Mauer teilt plötzlich meine Heimatstadt.

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Die “große” Notburga

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Wolfgang Kluge

1961 kommt Wolfgang, ein Neffe meines Vaters mit seiner Frau, von uns die “große” Notburga genannt, mit ihren Töchtern nach Deutschland. Anscheinend hat sie die Ausländerfeindschaft nach den Fall von Diktator Marcos Pérez Jiménez 1958 dazu veranlasst, Venezuela zu verlassen. Vielleicht hat es Wolfgang auch in seine alte Heimat gezogen. Zuerst wohnen sie bei uns, mein Bruder Thomas und ich freuen uns über zwei “Schwestern”. Wir Kinder hausen im großen Wintergartenzimmer in der Wohnung am Volkspark, in die wir 1960 zogen. Wir unterhalten uns in einem Mischmasch von drei Sprachen, deutsch, spanisch und englisch. 1962 bin ich acht, Ingrid ist zehn, die “kleine” Notburga ist zwölf und Thomas ist 14, eine tolle Zeit.

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Thomas, die “kleine” Notburga, Ingrid, Marcus

Wolfgang und die große Notburga bringen einen Hauch von weiter Welt ins provinzielle West-Berlin. Notburga ist stets modisch gekleidet, sie wirkt fast wie die große Schwester von Audrey Hepburn. Wolfgang wird zu meinem ersten männlichen Modevorbild. Er sieht aus wie der amerikanische Bruder von O.W.Fischer, ist immer leicht gebräunt, die kurzen Haare mit Pomade zurückgekämmt. Er trägt sorgsam gebügelte amerikanische Oberhemden in Pastellfarben, in den Brusttaschen Zigaretten und Feuerzeug. Seine ruhige, coole Art hebt sich angenehm von der Berliner Ruppigkeit ab, er betreibt Yoga, jedesmal wenn er anruft und mich am Apparat hat, erkundigt er sich freundlich nach meiner Befindlichkeit und hat keinerlei Eile. Bald arbeitet er für eine US-amerikanische Charterfluggesellschaft, “Saturn Airways”, die fliegt die Berliner nach Mallorca und an die Adria, die Ära der Pauschalreisen beginnt.

Da wir Tante Lotte nicht mehr besuchen können, beginnen die große Notburga und Wolfgang regelmäßig in die Tschaikowskistraße zu fahren. Sie halten den Informationsaustausch zwischen den Familienteilen aufrecht. Neben Lotte lebt ja auch die andere Schwester meiner Oma, Martha mit ihrem Mann Adolf im Osten, in Bad Liebenwerda, dem Geburtsort der drei Töchter des Schuhmachermeisters Schnelle.

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Notburga versteckt Tante Lottes Schmuggelgut

Das erste Passierscheinabkommen ermöglicht uns Westberlinern nach über zwei Mauerjahren den Grenzübertritt. Zwischen dem 19. Dezember 1963 und dem 5. Januar 1964 dürfen wir Tante Lotte besuchen. Wir fahren ein paar Tage nach Weihnachten und treffen bei Tante Lotte auch deren Schwester Martha mit Ehemann Adolf aus Bad Liebenwerda. Mein Bruder Thomas fotografiert uns in der Grabbeallee, auf den Gesichtern sieht man die Freude und Genugtuung über die Familienzusammenführung. Thomas drückt auch auf den Auslöser, als wir hastig, fast wie Geheimagenten das Haus betreten. Auf dem Rückweg steigen wir in der Yorckstraße aus der S-Bahn und nehmen uns ein Taxi. Der Taxifahrer begrüßt uns mit den Worten: “Na kommen se aus dem jelobten Land?”

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Wiedersehen in der Grabbeallee

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Zügig betreten wir Tante Lottes Haus

50 Jahre später, am 4. Dezember 2013 besuchen mich Journalisten vom Daily Telegraph, um mich zu meinen Erinnerungen an das erste Passierscheinabkommen zu befragen. Tom Rowley, der Magazinartikel für das Blatt schreibt, der ausgezeichnete Fotograf Geoff Pugh und der sympathische junge Dolmetscher William Pimlott, der mein Blog im Internet fand und den Kontakt hergestellt hatte. Aus dem 90 Minuten langen Gespräch kondensiert Tom Rowley neun Zeilen:

“Another Berliner who was a boy at the time, Marcus Kluge, likewise recalls the impact of that Christmas, when, as a nine-year-old, he went to visit his great aunt, Lotte, with his parents. “I can remember feeling that it was fantastic that somewhere in this great wall there was now a hole,” he says. “There were cakes, schnitzel, coffee, and lemonade for me.” Still, he was saddened not to reprise his pre-wall gardening job. “I was disappointed because I thought there would be some tomatoes ready to pick in the garden. It hadn’t occurred to me they wouldn’t be there in winter; we did go out briefly, but it was just too cold to stay.”

All three recall how quickly their hours together passed, and their distress at leaving their relatives behind in time to cross back to the West before the deadline.”

Nach 1963 beschließt Tante Lotte in den Westen überzusiedeln. Die DDR läßt Rentner gehen, die kosten ja nur. Die große Notburga und Wolfgang schmuggeln Schmuck, Domumente und anderes für Tante Lotte in den Westen. Unter anderem den Siegelring von Onkel Paul mit dem Blutjaspis, den ich heute trage. Die märkische Kieferlandschaft, gemalt von Walter Leistikow, die Perserteppiche und die schönen Möbel können sie nicht über die Grenze bringen, sie werden die Wohnung eines SED-Bonzen schmücken.

1964 kommt Johannes Kluge zur Welt. Er wird in Österreich geboren, nie soll er eine deutsche Uniform tragen. Zurück in Berlin wird das Baby beim Schmuggel helfen. In seinem Kinderwagen kann man besonders gut Konterbande verstecken.

Johannes W. Kluge (Sohn von Notburga und Wolfgang Kluge) erinnert sich: “Da wir Venezolaner waren wurden wir nicht so sehr gefilzt. Aber beim letzten mal ist ihnen doch das Herz in die Hose gesunken als ein Vopo “Halt, stehenbleiben” schrie und hinterher lief. Als er sie erreicht hat, sagte er “Dem Kleinen ist der Schuh runtergefallen, das wäre doch schade wenn’s verlorengeht”…

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Johannes, Tante Martha und Tante Lotte

1965 zieht Tante Lotte schließlich zu ihrer Schwester Elisabeth, meiner Oma, in die Prinzregentenstr. 21A in Wilmersdorf. Als Witwe eines Polizeioffiziers bekommt sie eine stattliche Rente. Sie hilft die ersten Käfer meines Bruders zu finanzieren. Zum Dank unternimmt er mit seinem VW Reisen mit den beiden alten Damen. Die beiden Schwestern haben eine gute Zeit zusammen. Sie streiten sich zwar, aber versöhnen sich immer wieder, wie ein altes Ehepaar. Tante Lotte stirbt 1980 im Schlaf. Meine Oma hat es nicht so gut, bevor sie 1985 stirbt, lebt sie einige Jahre dement im Altersheim. Tante Martha, die dritte der Schnelle-Schwestern stirbt in Bad Liebenwerda, nachdem sie uns in den 70ern nochmal in West-Berlin besucht hat.

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Notburga, Tante Lotte, Johannes und Oma in der Prinzregentenstraße in Wilmersdorf

Der Artikel zum Passierscheinabkommen:

http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/germany/10520726/The-time-the-Berlin-Wall-came-down-for-Christmas.html

Hier beginnt die Geschichte vom Schuster Schnelle und seinen drei Töchtern:

https://marcuskluge.wordpress.com/tag/liebenwerda/

Berlin Typography

Text and the City // Buchstaben und die Stadt

Der ganz normale Wahnsinn

Das Leben und was uns sonst noch so passiert

500 Wörter die Woche

500 Wörter, (fast) jede Woche. (Nur solange der Vorrat reicht)

Licht ist mehr als Farbe.

(Kurt Kluge - "Der Herr Kortüm")

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