Familienportrait – “Paris zum ersten” / 1971
Meine Mutter hatte für den Juli ein Haus in Bretignolles-sur-mer am Atlantik gemietet und alle Freunde eingeladen. Am Morgen des 2. Juli fuhren wir in Berlin los. Zu fünft im Käfer meines Bruders wars ziemlich eng. Da in den Kofferraum kaum ein Koffer passte, hatten wir einen Gepäckträger auf dem Dach, der aerodynamisch eher ungünstig wirkte. Die Höchstgeschwindigkeit des Volkswagens von 125km/h war jedenfalls nicht erreichbar. Kurz gesagt, es war keine bequeme Art des Reisens, aber es hat uns nichts ausgemacht.
In den berüchtigten Kasseler Bergen rauchte der Heckmotor etwas, wir waren kaum schneller, als die Brummis neben uns. Als wir die französische Grenze passiert hatten, hielten wir um Café zu trinken und Gauloises zu kaufen. Danach bekamen wir Radio Caroline im Radio rein, der Piratensender erhöhte unsere Stimmung mächtig.
Als es dunkel wurde erreichten wir die Périphérique. Kurz vor zehn parkten wir am Pantheon. Wir wollten die Nacht in Paris durchmachen und morgens weiterfahren. Ein guter Plan, wie sich herausstellte.
Wir erkundeten Paris zu Fuß und landeten auf der Champs-Élysées, die wir in Richtung Arc de Triomphe liefen. Zsa Zsa Gabor kam uns mit drei rosa gefärbten Pudeln entgegen, am Arm einen sehr aristokratisch aussehenden älteren Herrn. Die meisten Passanten waren schick gekleidet, ein deutlicher Unterschied zum provinziellen Berlin. Die Luft roch leicht nach Champagner, die Gauloises und der viele Kaffee erzeugten ein gewisses High.
Am Arc de Triomphe bogen wir in die Avenue Georges V. ein. Wir blieben stehen und bewunderten das berühmte Hotel auf der anderen Strassenseite. Hinter uns ging eine Tür auf und wir drehten uns um. Aus dem Restaurant “Au Vieux Berlin” trat Romy Schneider auf den Gehsteig, an ihrem Arm ihr Freund Daniel Biasini. Romy schenkte uns ein Mikro-Lächeln bis Biasini sie wegzog.
Am Boulevard St, Michel taten uns die Füße weh, wir setzten uns vor eins der gut besuchten Cafés. Es war Mitternacht, trotzdem war es voll, wie auf dem Kudamm am Sonntag nachmittag. Zwischen den eleganten Passanten spielten kleine Kinder, hatten die keine Eltern?
Es war einer der seltenen Momente, in denen man denkt, besser geht es nicht mehr. Ich war jung und lebenshungrig, wollte mich verlieben. An diesem Punkt meines Lebens hätten noch alle meine Träume wahr werden können. Nichts trübte meine Unschuld, wie gut das man nicht weiß, was später einmal passieren wird.
Ich ahnte auch nicht, was nur zwei Kilometer entfernt, am anderen Seine-Ufer ein paar Stunden später passieren würde. Am Morgen würde, in der Rue Beautreillis Nr.17, eine der prägensten Stimmen des 20. Jahrhunderts für immer verstummen.
Um drei Uhr waren wir wieder beim Auto und versuchten ein paar Stunden zu schlafen, was zu fünft im Käfer definitiv nicht empfehlenswert ist. Als es richtig hell wurde, fuhren wir weiter in Richtung Meer. Hinter Paris aßen wir eine fantastische Käseplatte mit Baguette. So gestärkt gingen wir in die letzte Etappe und am Nachmittag erreichten wir, völlig erledigt die Vendée.
Dort verlebten wir einen herrlichen Urlaub, später würde ich noch zweimal den Juli am Atlantik verbringen, einmal mit Andi, meinem verstorbenen Freund und ein weiteres Mal mit meinem Freund Rainer Jacob, dem Künstler und Fotografen.
Auf der Rückfahrt kaufte ich irgendwo einen New Musical Express. Jim Morrison war tot, in der Badewanne gestorben, an einer Überdosis Heroin, gegen neun Uhr morgens, am 3. Juli 1971, als wir eben Paris wieder verlassen hatten.
“My wild love went ridin’
She rode to the sea
She gathered together
Some shells for her hair
She rode and she rode on
She rode for a while
Then stopped for an evenin’
And lay her head down.”
—
M.K.
“My Wild Love” by The Doors, Album “Waiting For The Sun” (1968), written by Jim Morrison, Robby Krieger,Ray Manzarek, John Densmore.
Familienportrait Teil 17 – Die Autos meiner Kindheit / 1954-66
Als ich 1954 geboren wurde hatten meine Eltern einen Fiat. Sie hatten ihn als Neuwagen bei Karl A. Klein am Kudamm gekauft. Weil er teuer war, als sogenanntes Wechselgeschäft, d.h. jeden Monat musste eine recht hohe Summe eingezahlt werden, sonst wäre der Wagen zurück zum Händler gegangen. Mehrfach haben sich meine Eltern Geld borgen müssen, um die Wechsel zu bedienen.
Der Fiat war schick, klein, schnell und machte immer wieder Ärger. Einmal blieben wir auf der Transitstrecke nach Hannover liegen, was besonders unerfreulich war. Der Thermostat war hinüber und die “Zonen-Werkstatt” hatte natürlich keine Fiatteile. Die Mechaniker waren gewohnt zu improvisieren, sie besorgten sich eine Leberwurst und der Thermostat wurde mit dem Naturdarm geflickt. Uns fiel allen ein Stein vom Herzen, als wir endlich in Braunschweig ankamen und eine Fiatwerkstatt ansteuerten. Es gehört zu meinen allerersten Erinnerungen, dort auf einem Spielplatz herumgeturnt zu sein, während wir warteten.
Ende der 50er Jahre hatten meine Eltern endgültig genug von der pferdestärkenreichen Diva und kauften einen alten Daimler. Der gemütliche und zuverlässige D 170 war mein Lieblingsauto und häufig wollte ich es gar nicht verlassen. Ich war halt ein Stubenhocker und der Mercedes war meine gute Stube.
Anfang der 60er Jahre starb der Benz an Altersschwäche, die Modelle sieht man heute noch in Kriegsfilmen, wie sie SS-Sturmbannführer oder Stabschefs zu ihren tödlichen Geschäften kutschieren. Als Ersatz erstand Vater einen Opel-Caravan. Dieser hatte eine undefinierbare helle Farbe und sah, selbst wenn er frisch gewaschen war dreckig aus. Wir fuhren oft am Wochenende zur Havelchaussee, um wie viele Berliner, dort den Wagen mit Havelwasser zu reinigen. Das Wort Umweltschutz war noch unbekannt. 1966 wurden meine Eltern geschieden und ich bin nie wieder mit meinem Vater Auto gefahren. Meine Mutter hat nie den Führerschein gemacht, sie posierte zwar gern mal mit den Schlüsseln vor der Kamera, aber fahren lies sie sich stets von “ihren Männern”. Meist war das dann mein älterer Bruder, der 1966 nach zwei Fahrstunden den Führerschein bekam und eine lange Reihe von Käfern fuhr.
M.K.
Alle veröffentlichten Familienportraits sind hier zu finden:
Familienportrait – “Paris zum ersten” / 1971
Meine Mutter hatte für den Juli ein Haus in Bretignolles-sur-mer am Atlantik gemietet und alle Freunde eingeladen. Am Morgen des 2. Juli fuhren wir in Berlin los. Zu fünft im Käfer meines Bruders wars ziemlich eng. Da in den Kofferraum kaum ein Koffer passte, hatten wir einen Gepäckträger auf dem Dach, der aerodynamisch eher ungünstig wirkte. Die Höchstgeschwindigkeit des Volkswagens von 125km/h war jedenfalls nicht erreichbar. Kurz gesagt, es war keine bequeme Art des Reisens, aber es hat uns nichts ausgemacht.
In den berüchtigten Kasseler Bergen rauchte der Heckmotor etwas, wir waren kaum schneller, als die Brummis neben uns. Als wir die französische Grenze passiert hatten, hielten wir um Café zu trinken und Gauloises zu kaufen. Danach bekamen wir Radio Caroline im Radio rein, der Piratensender erhöhte unsere Stimmung mächtig.
Als es dunkel wurde erreichten wir die Périphérique. Kurz vor zehn parkten wir am Pantheon. Wir wollten die Nacht in Paris durchmachen und morgens weiterfahren. Ein guter Plan, wie sich herausstellte.
Wir erkundeten Paris zu Fuß und landeten auf der Champs-Élysées, die wir in Richtung Arc de Triomphe liefen. Zsa Zsa Gabor kam uns mit drei rosa gefärbten Pudeln entgegen, am Arm einen sehr aristokratisch aussehenden älteren Herrn. Die meisten Passanten waren schick gekleidet, ein deutlicher Unterschied zum provinziellen Berlin. Die Luft roch leicht nach Champagner, die Gauloises und der viele Kaffee erzeugten ein gewisses High.
Am Arc de Triomphe bogen wir in die Avenue Georges V. ein. Wir blieben stehen und bewunderten das berühmte Hotel auf der anderen Strassenseite. Hinter uns ging eine Tür auf und wir drehten uns um. Aus dem Restaurant “Au Vieux Berlin” trat Romy Schneider auf den Gehsteig, an ihrem Arm ihr Freund Daniel Biasini. Romy schenkte uns ein Mikro-Lächeln bis Biasini sie wegzog.
Am Boulevard St, Michel taten uns die Füße weh, wir setzten uns vor eins der gut besuchten Cafés. Es war Mitternacht, trotzdem war es voll, wie auf dem Kudamm am Sonntag nachmittag. Zwischen den eleganten Passanten spielten kleine Kinder, hatten die keine Eltern?
Es war einer der seltenen Momente, in denen man denkt, besser geht es nicht mehr. Ich war jung und lebenshungrig, wollte mich verlieben. An diesem Punkt meines Lebens hätten noch alle meine Träume wahr werden können. Nichts trübte meine Unschuld, wie gut das man nicht weiß, was später einmal passieren wird.
Ich ahnte auch nicht, was nur zwei Kilometer entfernt, am anderen Seine-Ufer ein paar Stunden später passieren würde. Am Morgen würde, in der Rue Beautreillis Nr.17, eine der prägensten Stimmen des 20. Jahrhunderts für immer verstummen.
Um drei Uhr waren wir wieder beim Auto und versuchten ein paar Stunden zu schlafen, was zu fünft im Käfer definitiv nicht empfehlenswert ist. Als es richtig hell wurde, fuhren wir weiter in Richtung Meer. Hinter Paris aßen wir eine fantastische Käseplatte mit Baguette. So gestärkt gingen wir in die letzte Etappe und am Nachmittag erreichten wir, völlig erledigt die Vendée.
Dort verlebten wir einen herrlichen Urlaub, später würde ich noch zweimal den Juli am Atlantik verbringen, einmal mit Andi, meinem verstorbenen Freund und ein weiteres Mal mit meinem Freund Rainer Jacob, dem Künstler und Fotografen.
Auf der Rückfahrt kaufte ich irgendwo einen New Musical Express. Jim Morrison war tot, in der Badewanne gestorben, an einer Überdosis Heroin, gegen neun Uhr morgens, am 3. Juli 1971, als wir eben Paris wieder verlassen hatten.
My wild love went ridin’
She rode to the sea
She gathered together
Some shells for her hair
She rode and she rode on
She rode for a while
Then stopped for an evenin’
And lay her head down
Familienportrait – Die Autos meiner Kindheit / 1954-66
Als ich 1954 geboren wurde hatten meine Eltern einen Fiat. Sie hatten ihn als Neuwagen bei Karl A. Klein am Kudamm gekauft. Weil er teuer war als sogenanntes Wechselgeschäft, d.h. jeden Monat musste eine recht hohe Summe eingezahlt werden, sonst wäre der Wagen zurück zum Händlern gegangen. Mehrfach haben sich meine Eltern Geld borgen müssen, um die Wechsel zu bedienen.
Der Fiat war schick, klein, schnell und machte immer wieder Ärger. Einmal blieben wir auf der Transitstrecke nach Hannover liegen, was besonders unerfreulich war. Der Thermostat war hinüber und die “Zonen-Werkstatt” hatte natürlich keine Fiatteile. Die Mechaniker waren gewohnt zu improvisieren, sie besorgten sich eine Leberwurst und der Thermostat wurde mit dem Naturdarm geflickt. Uns fiel allen ein Stein vom Herzen, als wir endlich in Braunschweig ankamen und eine Fiatwerkstatt ansteuerten. Es gehört zu meinen allerersten Erinnerungen, dort auf einem Spielplatz herumgeturnt zu sein, während wir warteten.
Mutter, Accessoires
–
Ende der 50er Jahre hatten meine Eltern endgültig genug von der pferdestärkenreichen Diva und kauften einen alten Daimler. Der gemütliche und zuverlässige D 170 war mein Lieblingsauto und häufig wollte ich es garnicht verlassen. Ich war halt ein Stubenhocker und der Mercedes war meine gute Stube.
Gute Stube
Anfang der 60er Jahre starb der Benz an Altersschwäche, die Modelle sieht man heute noch in Kriegsfilmen, wie sie SS-Sturmbannführer oder Stabschefs zu ihren tödlichen Geschäften kutschieren. Als Ersatz erstand Vater einen Opel-Caravan. Dieser hatte eine undefinierbare helle Farbe und sah, selbst wenn er frisch gewaschen war dreckig aus. Wir fuhren oft am Wochenende zur Havelchaussee, um wie viele Berliner, dort den Wagen mit Havelwasser zu reinigen. Das Wort Umweltschutz war noch unbekannt. 1966 wurden meine Eltern geschieden und ich bin nie wieder mit meinem Vater Auto gefahren. Meine Mutter hat nie den Führerschein gemacht, sie posierte zwar gern mal mit den Schlüsseln vor der Kamera, aber fahren lies sie sich stets von “ihren Männern”. Meist war das dann mein älterer Bruder, der 1966 nach zwei Fahrstunden den Führerschein bekam und eine lange Reihe von Käfern fuhr.
Opel Caravan
Marcus – Paris zum ersten. 1971
Meine Mutter hatte für den Juli ein Haus in Bretignolles-sur-mer am Atlantik gemietet und alle eingeladen. Am Morgen des 2. Juli fuhren wir in Berlin los. Zu fünft im Käfer meines Bruders wars ziemlich eng. Da in den Kofferraum kaum ein Koffer passte, hatten wir einen Gepäckträger auf dem Dach, der aerodynamisch eher ungünstig wirkte. Die Höchstgeschwindigkeit des Volkswagens von 125km/h war jedenfalls nicht erreichbar. Kurz gesagt, es war keine bequeme Art des Reisens, aber es hat uns nichts ausgemacht.
In den berüchtigten Kasseler Bergen rauchte der Heckmotor etwas, wir waren kaum schneller, als die Brummis neben uns. Als wir die französische Grenze passiert hatten, hielten wir um Café zu trinken und Gauloises zu kaufen. Danach bekamen wir Radio Caroline im Radio rein, der Piratensender erhöhte unsere Stimmung mächtig.
Als es dunkel wurde erreichten wir die Périphérique. Kurz vor zehn parkten wir am Pantheon. Wir wollten die Nacht in Paris durchmachen und morgens weiterfahren. Ein guter Plan, wie sich herausstellte.
Wir erkundeten Paris zu Fuß und landeten auf der Champs-Élysées, die wir in Richtung Arc de Triomphe liefen. Zsa Zsa Gabor kam uns mit drei rosa gefärbten Pudeln entgegen, am Arm einen sehr aristokratisch aussehenden älteren Herrn. Die meisten Passanten waren schick gekleidet, ein deutlicher Unterschied zum provinziellen Berlin. Die Luft roch leicht nach Champagner, die Gauloises und der viele Kaffee erzeugten ein gewisses High.
Am Arc de Triomphe bogen wir in die Avenue Georges V. ein. Wir blieben stehen und bewunderten das berühmte Hotel auf der anderen Strassenseite. Hinter uns ging eine Tür auf und wir drehten uns um. Aus dem Restaurant “Au Vieux Berlin” trat Romy Schneider auf den Gehsteig, an ihrem Arm ihr Freund Daniel Biasini. Romy schenkte uns ein Mikro-Lächeln bis Biasini sie wegzog.
Am Boulevard St, Michel taten uns die Füße weh, wir setzten uns vor eins der gut besuchten Cafés. Es war Mitternacht, trotzdem war es voll, wie auf dem Kudamm am Sonntag nachmittag. Zwischen den eleganten Passanten spielten kleine Kinder, hatten die keine Eltern?
Es war einer der seltenen Momente, wo man denkt, besser geht es nicht mehr. Ich war jung und lebenshungrig, wollte mich verlieben. An diesem Punkt meines Lebens hätten noch alle meine Träume wahr werden können. Nichts trübte meine Unschuld, wie gut das man nicht weiß, was später einmal passieren wird.
Ich ahnte auch nicht, was nur zwei Kilometer entfernt, am anderen Seine-Ufer ein paar Stunden später passieren würde. Am Morgen würde, in der Rue Beautreillis Nr.17, eine der prägensten Stimmen des 20. Jahrhunderts für immer verstummen.
Um drei Uhr waren wir wieder beim Auto und versuchten ein paar Stunden zu schlafen, was zu fünft im Käfer definitiv nicht empfehlenswert ist. Als es richtig hell war, fuhren wir weiter in Richtung Meer. Hinter Paris aßen wir eine fantastische Käseplatte mit Baguette. So gestärkt gingen wir in die letzte Etappe und am Nachmittag erreichten wir, völlig erledigt die Vendée.
Dort verlebten wir einen herrlichen Urlaub, später würde ich noch zweimal den Juli am Atlantik verbringen, einmal mit Andi, meinem verstorbenen Freund und ein weiteres Mal mit Rainer Jacob, den ihr ja als meinen FB-Freund kennt.
Auf der Rückfahrt kaufte ich irgendwo einen New Musical Express. Jim Morrison war tot, in der Badewanne gestorben, an einer Überdosis Heroin, gegen neun Uhr morgens, am 3. Juli 1971.
My wild love went ridin’
She rode to the sea
She gathered together
Some shells for her hair
She rode and she rode on
She rode for a while
Then stopped for an evenin’
And lay her head down