Archive | December 2015

Familienportrait „No Tears” / Eine Nachtgeschichte 1989-92

Otto von Bismarck soll gesagt haben, “Es ist besser wenn das Volk nicht weiß, wie Würste gemacht werden. Das Gleiche gilt für Gesetze, die Leute schlafen besser, wenn sie über deren Herstellung nichts erfahren.” In der Greifswalder Straße 224 hat es einen Betrieb gegeben, der Würste herstellte. Und bevor dort die Därme von geschlachteten Tieren mit fragwürdigen, fleischhaltigen Massen gefüllt wurden, mussten die fragwürdigen Massen, die vorher die Därme füllten, entfernt werden. Dafür gab es dort im Keller eine “Darmwäsche”, der Name wurde beibehalten, obwohl ab 1990 in diesem Keller gänzlich andere Prozesse stattfinden sollten. Da diese für unsere Geschichte wichtig sind, werden wir darauf zurückkommen.

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Kiki, ein untypischer “Ostler”

Nach dem Mauerfall habe mich ich oft mit einen entfernten Verwandten aus Cottbus getroffen, Kiki und ich wurden Freunde. Obwohl er um die 15 Jahre jünger war als ich, gerade mal 20 damals, verstanden wir uns ausgezeichnet. Er war ein sehr untypischer DDR-Bürger und ich war wohl ein untypischer West-Berliner für ihn. Ich interessierte mich nicht für Geld und Karriere, hatte kein Auto, noch nicht mal einen Führerschein. Ich war absolut nicht, was er sich unter einem Wessi vorstellte. Er hatte das Glück, als Sohn eines Chefarztes in der DDR gewisse Privilegien zu geniessen. Schon zu DDR-Zeiten trug Kiki Levis Jeans, schwarze T-Shirts und Cowboystiefel, während weniger Glückliche schon Schwierigkeiten hatten, Socken oder tragbare Unterwäsche im normalen von der Planwirtschaft versorgten Handel zu finden. Kikis Familie ging ins “Ex”, wo man mit DDR-Geld überhöhte Preise zahlte und in den Intershop, wo Ostgeld gar nicht angenommen wurde. Mikis Vater verdiente als begehrter Gynäkologe auch “Bunte”, also West-Geld. Kiki verzichtete auf den Stress zu studieren, was wohl klug war. Als Sohn eines “Intelligenzlers” hätte er es schwer gehabt und um einige Jahre “freiwilligen Dienst” in der Volksarmee wäre er nicht herum gekommen. Ohne diese war ein Studium so gut wie ausgeschlossen. Also entschloss er sich Zahntechniker zu werden, dann fiel die Mauer und verdiente mit diesem Beruf bald ganz ordentlich. In diesem Punkt waren wir unterschiedlich, für Geld hatte ich leider nie ein Händchen. Als Zahntechniker hat er auch seine Militärzeit ohne Drill überstanden. Er arbeitete beim Zahnarzt der Volksarmee als Stuhlassistenz, wenn dieser den Rekruten auf den Zahn fühlte.
Gleich nach der Währungsreform fuhr Kiki in den Westen, um sich ein Auto zu kaufen. Normalerweise schätze ich Männer mit großen Benzinkutschen nicht sonderlich, aber bei Kiki hielt ich das für eine liebenswerte Marotte, schon weil er es gehörig übertrieb mit seiner ersten Motorisierung und generell hielt ich ihm den “Nachholebedarf” zugute. Er hatte mit Hilfe von Helmut Kohl und dem Steuerzahler, wie jeder DDR Bürger sein Ostgeld in D-Mark verwandelt, das war der Grundstock von 4000.-. Dann borgte er sich noch einiges dazu und fuhr schliesslich nach Hamburg, um eine gebrauchte, dunkelgraue 420er Daimler-Limousine zu kaufen. Es war ein riesiger protziger Schlitten, den ihm ein Zuhälter für 20000.- D-Mark überließ. Soviel hatte neu allein das C-Netz-Telefon gekostet, das für Kiki in Cottbus natürlich völlig nutzlos war. Der Benzinverbrauch war etwa so hoch, wie bei einem sowjetischen Panzer älterer Bauart, aber das Fahrgefühl war hervorragend, selbst auf der Autobahn war der Motor so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.

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Ein untypischer “Westler”

Ich arbeitete seit März 88 beim Offenen Kanal Berlin und ich disponierte seitdem einen Radio- und einen Fernseh-Sender, allein und ohne einschägige Erfahrung. Der Job war schwer, vor mir hatten schon diverse Kandidaten abgewunken. Ich musste in kurzer Zeit sehr viel lernen und biss mich durch. Damals litt ich noch ziemlich unter einer Sozialphobie, das machte die Sache nicht unbedingt leichter. In meiner Freizeit suchte ich Ausgleich, ging wieder viel auf Konzerte. Ich hörte Rock, Punk auch Metal, Hauptsache ein guter Trommler war am Werk und mein Bauchgefühl stimmte. An elektronisch fabrizierte Drums konnte ich mich nie gewöhnen, auch später nicht. Natürlich ging man viel in die Ostberliner Läden, im Westen kannte man Leute und Orte meist zur Genüge und im Osten gab es noch “terra incognita”.

Das erste Mal kam Kiki Ende 1989 nach West-Berlin, um sich eine Lederjacke zu kaufen, ich ging mit ihm in den Kant-Store und er war sehr zufrieden. Wir merkten, das wir uns mochten und immer, wenn er in Berlin war, zogen wir zusammen um die Häuser. Als 1990 die Berlin Independence Days anstehen, akkreditiere ich kurzerhand Kiki und mich als Fanzine-Macher. Die B.I.D. war ein heute fast vergessenes Rock-Musik Festival und eine Konferenz, die Panels und Vorträge haben mich wenig interessiert, ich wollte in den vier Tagen möglichst viele gute Bands sehen. Es war streng genommen eine meiner kleinen Hochstapeleien, denn mein Fanzine hatte ich 1985 aus Geldmangel aufgegeben. Später als ich dann Geld verdiente, hatte ich keine Zeit mehr für eine solche Publikation. Immerhin habe ich in diesen Tagen einige Berliner als D.J.s für das Radioprogramm des Offenen Kanals angeworben. Kiki fand die Idee mit dem Festival toll und nahm sich ein paar Tage frei. Es ist das einzige Mal gewesen, dass ich eine meiner Einschleichaktionen nicht allein gemacht habe. Abends gingen wir in die Klubs und schauten uns ein halbes Dutzend Bands an. Nur wenige waren richtig gut, aber das tat dem Spaß keinen Abbruch. Wenn wir angesprochen wurden, wieso wir an der BID teilnähmen, dachten wir uns spontan jedesmal eine andere, unwahrscheinliche Lügengeschichte aus. Mal kamen wir von einem finnischen Art-Pop-Label “Kixli Taxli Pickwickii”, ein anderes Mal verkörperten wir das ungarische Büro für Alkoholismus und Punkfragen. Dann schliefen wir bis mittags, gingen ins Mitropa frühstücken oder in die Thermen, das Bier ausschwitzen. Kiki war ein kongenialer Partner bei meiner Felix-Krulliade.

Zum Jahreswechsel machte Kiki bei sich in Cottbus eine Party und ich fuhr hin um mitzufeiern. Als mich Kiki vom Bahnhof abholte und wir zu seinem Daimler kamen, standen dort sieben oder acht kleine Jungs und bewunderten die Protzkutsche. Es war mit Sicherheit der erste 420er in der Lausitz. Kiki musste Fragen beantworten, es machte ihm Spaß, noch. Als ich ihn Jahre später in Dresden besuchte fuhr er am liebsten einen FIAT Cinquecento, so ändern sich die Zeiten. Wir feierten ausgiebig Sylvester, ich schlief auf dem Boden, das ich mir das antat beweist, dass ich Kiki wirklich gern mochte.

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Eine gänzlich unwahrscheinliche Geschichte

Im Frühjahr 1991 besuchte mich Kiki mit seiner Protzkutsche in Berlin, wir beschlossen an diesem Sonnabend in den Knaack-Klub zu gehen. “Es ist schon merkwürdig, wen man nicht kennengelernt hätte, wenn man nicht an jenem Abend genau dorthin gegangen wäre? Das Leben wäre anders verlaufen, aber wie?” Solche Überlegungen führen mich regelmäßig zu der Feststellung, das Zufälle das Leben bestimmen und genauso oft führen sie mich zur gegenteiligen Ansicht, nämlich dass es Zufälle gar nicht nicht gibt und das Schicksal einem eigenen, ausgeklügelten Plan folge. Manchmal haben solche Zufälle lebensverändernde Wirkung. Ohne Kiki wäre ich auf jeden Fall an diesem Tag nicht in den Knaack gegangen, schon gar nicht in die sogenannte “Darmwäsche”.

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Der Knaak hatte drei “floors”, aber das sagte man noch nicht, es hieß wohl drei Etagen, glaube ich. Im ersten Stock tanzte bravgekleidetes junges Volk zu Nena, den Puhdys und Chris de Burgh, im Erdgeschoss ging es ziemlich “Heavy” zu, aber im Keller, da ging wirklich der Punk ab, hatten wir zumindest gehört. Was der Name bedeutete enträtselten wir damals nicht. Der Klub in der Greifswalder Straße 224 war früher ein DDR-Jugendklub gewesen, in dem seit 1952 junge Leute dem westlichen Einfluss der Rockmusik entzogen werden sollten. 1973 wurde eine Discothek eingerichtet, die nach dem Mauerfall eigene Wege ging und sich privatisierte. Von Freier Deutscher Jugend zu Betriebs-Wirtschafts-Lehre sozusagen. Von nun an diente die “Darmwäsche” dem Tanzvergnügen und der Anbahnung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Kellerräume waren kaum renoviert oder sonstwie aufgehübscht, es roch muffig, aber die Musik war Klasse und das Publikum angenehm. Die Musik erinnerte mich sehr an die alte Music-Hall. Der Gintonic kostete 2.50.- und es roch nach Cannabis. Es war schon weit nach Mitternacht, der D.J. spielte “No Tears” von Tuxedomoon, auch wie in der Hall, als mir eine Tänzerin auffiel. Ihre kraftvoll-grazilen, stampfenden Bewegungen zogen mich in ihren Bann, ich konnte kaum wieder wegsehen. Damals hatte ich ja noch unter ziemlich heftigen Sozialängsten zu leiden. Eine Frau ansprechen war fast unmöglich. Und bevor jetzt eine Diskrepanz zu meinen Eulenspiegeleien entsteht, muss ich darauf hinweisen, dass wenn ich eine erfundene Rolle spielte, ich von diesen Sozialphobien plötzlich und gänzlich befreit war. Umso mehr, je unwahrscheinlicher und abstruser sich diese Fiktionen gestalteten. Nur wenn es um richtige Menschen, echtes Leben und wahre Gefühle ging, fiel mit einem Mal der eiserne Vorhang von Angst und Unsicherheit herunter und machte es mir unmöglich zu sprechen und halbwegs gefasst zu agieren. Die Lichtgestalt auf der Tanzfläche mit den langen Haaren und den unwiederstehlichen Bewegungen eines bockigen Kälbchens, schnürte mir die Kehle zu. Nach einem weiteren Gintonic und einer meditativen Sammlung, ging ich aufs Ganze und schnorrte eine Zigarette von ihr. Dabei rauchte ich damals überhaupt nicht. Wir wechselten ein paar Sätze, unmöglich zu sagen, um was es ging. Der Inhalt liegt völlig im Dunkel, mir fiel auch nichts ein, um das Gespräch zu verlängern, ich hatte einen Black-Out. Nachdem wir also eine Weile still nebeneinander gestanden hatten, nickte sie mir freundlich zu und ging wieder tanzen. Ich bat Kiki und den anderen Freund, der noch dabei war, mit mir die Stätte meines Versagens zu verlassen. Wir gingen nochmal auf die anderen Floors kucken, es muss so gegen halbvier gewesen sein, dann gingen wir. Der Protzschlitten stand in einer Nebenstraße. Kiki war so gut wie nüchtern, sein Führerschein und sein Auto waren ihm so wichtig, dass er da keine Kompromisse einging und wir fuhren die Greifswalder Straße in Richtung Alexanderplatz hinunter. Dann sah ich das Böckchen von der Tanzfläche auf dem Bürgersteig mit gleichem Ziel, also westwärts stiefeln. Ich war von ihrem Gang wie hypnotisiert und Kiki war schon ein paar hundert Meter an ihr vorbei, als ich ihn stoppen ließ. Als er begriff, worum es ging, fuhr er rückwärts bis auf ihre Höhe und bremmste mit quietschenden Reifen. Die Szene sollten wir uns jetzt nochmal vor Augen führen, um zu verdeutlichen, dass das was nun passierte, gänzlich unwahrscheinlich war und sozusagen aus Zeit und Raum fiel. Um vier Uhr morgens, in der Greifswalder Straße, die unter Platzängstlichen gewiss einem besonders verhehrenden Ruf hat, hält nun ein riesiger Daimler, ein Zuhälterschlitten mit drei suspekt aussehenden jungen Männern. Einer, nämlich ich, betätigt den Fensterheber um das Fenster zu senken, und spricht eine ja im Grunde genommen, völlig fremde Frau an und fragt, ob sie denn nicht zufällig Lust hätte noch ein wenig mit, in eine nicht näher bezeichnete Bar zu kommen? Es darf als unbedingt gesichert gelten, dass keine auch nur halbwegs vernünftige junge Dame, ein solches Ansinnen nicht abgelehnt hätte. Anders Sabrina, diese äußerte im Ausdruck höchst nebensächlicher Belanglosigkeit: “Wieso denn eigentlich nicht”, was man getrost unter die rhetorischen Fragen einordnen darf.
Wir fuhren mit der Protzkutsche nach Schöneberg und landeten in einer Bar nahe dem Nollendorfplatz. Es war das Sexton glaube ich. Hier verlässt mich erneut mein sonst so zuverlässiges Gedächtnis, keine Ahnung worüber wir sprachen, aber es muss ganz nett gewesen sein. Wir tranken einen Absacker, Sabrina gab mir ihre Telefonnummer und wir verabschiedeten uns.

Um nicht als bedürftig zu wirken, wartete ich bis donnerstags mit dem Anruf. Wir trafen uns dann am Sonntag im Café Central, ein Funke sprang über und binnen weniger Tage waren wir in einer Beziehung. Fast zwei Jahre war ich mit der fleißigen Medizinstudentin zusammen, dann zog ich Konsequenzen aus der Tatsache, dass es eine gewisse Asymmetrie in unserer Freundschaft gab. Sie mochte mich gern, aber ich liebte sie.
In dieser Zeit nach dem Mauerfall veränderte sich nicht nur die politische Landschaft, auch privat überdachte man vieles neu und stellte althergebrachte Ansichten auf den Prüfstand. Beispielsweise war ich, bis dahin, nie bereit gewesen, eigene Kinder in die Welt zu setzen, weil ich mich nicht reif genug dafür fühlte. Ich war zwar ohne mein biologisches Zutun zwischen 1980 und 88 Stiefvater geworden und blieb es nach der Trennung von der Mutter auch, aber das war ja nicht meine Entscheidung gewesen. Ich war wie eine Jungfrau zu meiner Tochter gekommen. Nun 1991 öffnete sich bei mir ein Zeitfenster und ich hätte mir vorstellen können mit Sabrina eine Familie zu gründen. Ich war 37 während Sabrina erst Mitte 20 war und ihr Medizinstudium war das Wichtigste in ihrem Leben, die Gründung einer Familie und eigene Kinder waren einfach noch kein Thema für sie. Das Zeitfenster schloss sich wieder, ich beendete die Beziehung vielleicht etwas voreilig, aber konsequent. Auch für Konsequenzen war es eine große Zeit. Ich weinte der Beziehung keine Tränen nach. No Tears for the Creatures of the Night. Vielleicht war das ein Fehler, doch es war keine Zeit für Tränen, damals Anfang der 90er Jahre, in der Zeit nach dem Mauerfall und der Vereinigung, von der wir damals alle nicht gedacht hätten, dass sie bis heute immer noch nicht abgeschlossen sein würde.

Das letzte Foto (Ingrid Johnson) zeigt den Autor 1993 im Hof vom Knaack-Club.

No Tears

No tears for the creatures of the night
No tears
No tears for the creatures of the night
No tears

My eyes are dry
Goodbye
My eyes are dry
Goodbye

I feel so hollow I just don’t understand
Nothing’s turned out like I– like I planned
My head’s exploding
My mouth is dry
I can’t help it if I’ve forgotten how to– cry

No tears for the creatures of the night
No tears
Uh oh, oh no, uh oh, oh no, uh oh, oh no
No tears for the creatures of the night

(In 1979 Tuxedomoon released the EP No Tears, with the single “No Tears”. The single is described as “one of the best electro-punk hymns of all times.)

Sowohl mit Kiki, als auch mit Sabrina, habe ich um die Jahrtausendwende den Kontakt verloren. Vor ein paar Wochen fand ich Sabrinas E-Mail-Adresse im Web und schrieb ihr. Sie hat doch noch ein Kind bekommen und ist inzwischen Professorin, es freut mich zu hören, dass es ihr gut geht. Kiki habe ich auf Facebook gefunden, er freut sich über meine Schriftstellerei und hat im Sommer das Crowdfunding für mein erstes Buch großzügig unterstützt. Er selbst hat in diesem Jahr geheiratet.

Marcus Kluge

– Ende –

Namen und andere Details sind teilweise verändert, um die Persönlichkeitsrechte von porträtierten Personen nicht zu verletzen.

Familienportrait – “Die Serie” / 100 Jahre Geschichte einer Berliner Familie

Es begann zu Ostern im Jahr 2013. Das Wetter war schlecht und ich hatte einen seltenen Anfall von Langeweile. Einer Eingebung folgend ging ich in den Keller und holte einen Karton mit alten Fotos und Papieren hoch. Ich versenkte mich in die Geschichte meiner Familie und war fasziniert.

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Oma, Olympische Spiele 1936

Meine Mutter hatte mir viel erzählt, andere Verwandte auch, doch die “Aktenlage” gab einiges her, über das nie gesprochen wurde. Die Fotos, die einen Zeitraum von 1920 bis heute abdecken halfen auch oft meiner Erinnerung auf die Sprünge. Irgendwann fing ich an, im Kopf Geschichten zu formulieren, aufschreiben war die logische Folge. Zusätzlich motiviert wurde ich, als Julia, die Stieftochter aus meiner Ehe, im Juli selbst eine Tochter bekam und mich zum Opa machte.

Ich schreibe nicht als Journalist oder als Familienchronist, eher als Geschichtenerzähler. Mich interessiert das Allgemeingültige der Geschichten und wie die “große Politik” in das Leben der “kleinen Leute” eingreift. Ich bin der Wahrheit verpflichtet, doch manchmal lege ich die Betonung auf ein bestimmtes Thema, weil es für mein eigenes Leben von Bedeutung war und ändere damit die Proportion. Ein weiteres Motiv ist psychotherapeutischer Natur, indem ich mich erinnere, verarbeite ich auch manches, was schon lange im Unterbewusstsein für Unruhe sorgt. Ich zupfe ein wenig an Details und manchmal macht ein kleine Übertreibung anschaulich, dennoch sind all diese Texte authentisch und nicht erfunden.

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Großmutter (rechts) und Schwestern, ca. 1910.

Entstanden sind inzwischen 28, meist längere Geschichten, 7 Fotostrecken und es kommen weitere Posts dazu. Die Reihe beginnt mit der Nachforschung, wo meine Vorfahren herkamen, bevor meine Oma 1910 nach Berlin kam, um hier als Hausmädchen “in Stellung” zu gehen. Von 1910 bis in die Nuller-Jahre unseres Jahrhunderts umfassen die Portraits “100 Jahre Geschichte einer Berliner Familie”.

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Hier werde ich alle Portraits in halbwegs chronologischer Reihenfolge verlinken und durch neue ergänzen. Im kommenden Jahr 2016 wird aus der Familienportrait-Serie mein 2. Buch entstehen. 29. Dezember 2015, Marcus Kluge

Die Serie:

Teil 1 erzählt wo meine Vorfahren herkamen, bevor sie Berliner wurden:

http://wp.me/p3UMZB-12e

Teil 2 berichtet, wie meine Oma 1910 nach Berlin kam und wie sich ihr Leben durch den 1. Weltkrieg änderte:

http://wp.me/p3UMZB-12m

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Mein Opa findet Arbeit als Schaffner bei der BVG, 1922 wird meine Mutter geboren. Ihre Kindheit endet am 30.1. 1933, als der braune Mob durch die Stephanstraße zieht und die Machtergreifung feiert. Teil 3:

http://wp.me/p3UMZB-12R

In Teil 4 meiner kleinen Familien-Saga erleben wir, wie das Nazi-Regime, zwischen 1933 und 1939, in alle Bereiche des Lebens eindringt, privat bleibt kaum noch etwas. Deutlich wird die Veränderung am Streit um die “Kletterweste”.
http://wp.me/p3UMZB-132

Anfang 1942, der Krieg dauert schon mehr als 2 Jahre, lernt Käte einen Mann kennen. Abends verkündet sie ihren Eltern, sie hätte den Mann getroffen, den sie heiraten werde. Teil 5:
https://marcuskluge.wordpress.com/2015/02/18/familienportrait-teil-5-in-einer-kleinen-konditorei-1942/

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Die Folgen 6 und 7 zeigen das Berlin und Deutschland vor Beginn des 2. Weltkriegs. Die Nazis prägen das Straßenbild mit Uniformen und Paraden.

http://wp.me/p3UMZB-13P

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Teil 8. Am 20. Juli 1944 ist das Kriegsende ganz nah. In der Theaterpause glaubt man Hitler sei tot und man macht Pläne für den Frieden. Leider kommt es anders und Helmut muss wieder an die Front.

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Im 9. Teil der Familien-Serie erleben wir das Kriegsende, das nicht nur in Berlin apokalyptische Ausmaße annimmt. Elisabeth und Käte überleben und schlagen sich nach Wilmersdorf durch, wo sie eine Wohnung besetzen.

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Teil 10: Drei Jahre hat sie nichts von ihrem Helmut gehört. Wahrscheinlich ist er im Krieg oder in Gefangenschaft gestorben. Als er dann doch vor ihrer Tür steht, ist sie von einem anderen schwanger.

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Teil 11: Die tragische Geschichte meines Großonkels und seiner Frau schließt Familienserie für die 1. Hälfte des 20. Jh. ab. Der Berliner Polizist und Hobbyfotograf brachte sich am 1. Mai 1946, um. Ich erzähle, wie es dazu kam.
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Teil 12: Die zweite Hälfte der Familienserie beginnt mit meiner Geburt. Mein Vater ist irritiert über die roten Haare, außerdem wollte er ein Mädchen haben. Doch ich habe Glück, er sagt: “Wir nehmen ihn trotzdem!”

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1958 beginnt mein Vater für das “Büro Willy Brandt” zu arbeiten. Kollegen sind unter anderem Günter Grass, Wolfgang Neuss und ein echtes Original, der “Flötchen” genannte Horst Geldmacher. Wenn die Kollegen durch die Kneipen gezogen waren, finden sie sich oft bei meiner Mutter ein und spachteln Nudeln. Teil 13:
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Im 14. Teil der Serie erzähle ich, wie der Mauerbau 1961 auch meine Familie teilte. Allerdings vergrößert sich sie sich im gleichen Jahr, weil die venezolanischen Kluges nach West-Berlin ziehen und mit ihren Kindern bei uns wohnen. Aufregende Zeiten.
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Im 15. Teil der Familienserie erinnere ich mich an eine Freundin aus Kindertagen, die ihr Leben der Aufarbeitung des Holocausts gewidmet hat. Gute Unterhaltung mit “Susi, Ditzewurst und Wiener Library”.
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In der 16. Episode der Familienserie erzähle ich vom schwierigen Verhältnis zu meinem Vater. Schon an meinem sechsten Geburtstag wird deutlich, dass ich seine Erwartungen nicht erfüllen werde. Sein Geschenk landet im Müll.
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In Teil 17 erinnere ich mich an die Autos meiner Kindheit. Die kleine Geschichte ist mit vielen Originalfotos illustriert.

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Im 18. Teil der Reihe erzähle ich von den Medien, die mich als Kind geprägt haben. Viele Bücher, die Jugendvorstellung am Sonntag um 13.30 Uhr im Kino und die UFA-Filme, die das Ostfernsehen am Montagabend zeigte.

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In Teil 19 reisen wir mit der Blog-Zeitmaschine in die 1960er Jahre, in der Rankestraße, unweit der Gedächtniskirche, befand sich damals der “Europäische Phonoklub”. Meine kleine Geschichte mit 16 Fotos erzählt davon.

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Ich erzähle, wie ich die 68-Revolte erlebte und wieso sie mein weiteres Leben veränderte. Außerdem lerne ich Burkhardt Seiler kennen, der später als der Zensor bekannt werden wird. Gute Unterhaltung mit Teil 20: “Mao, Kollektiv und Schulverweis”.

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Ich lande auf einer merkwürdigen Privatschule und gerate auf Abwege. Kurze Zeit bin ich mit einer Striptease-Tänzerin zusammen. Sie nimmt mich in einen Club mit, in dem sich alles um “ein Pferd ohne Namen” dreht.

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Im 22. Teil erzähle ich wie die Bleibtreustraße zu ihrem Spitznamen kam. In der Nähe lebe ich mit meiner ersten großen Liebe und werde D.J. im Tolstefanz.

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40 Jahre hat mein Opa bei der BVG als Straßenbahnschaffner gearbeitet. Der sympathische Mann kann sich nicht lange seiner Rente erfreuen.

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Meine Mutter hat als Kind darunter gelitten, dass sie am 2. Weihnachtsfeiertag Geburtstag hatte. Deshalb wurde die erwachsene Käte an ihrem Wiegentag besonders geehrt.

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Tante Lotte und ihr Mann glaubten Zeugen einer „großen Zeit“ zu sein. Lotte sammelte von 1935 bis 38 Zeitungsausschnitte und gemeinsam klebten sie sie in ein Album, dem sie den stolzen Titel „Wir waren dabei“ gaben. Die Ernüchterung kam spät.

Familienportrait „Wir waren dabei“ / Das Nazi-Regime im Spiegel von Zeitungsausschnitten

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In dieser Bildergeschichte sieht man wie Berlin, zwischen den 1930er bis 1970er Jahren, im Winter aussah.

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In dieser Momentaufnahme beschreibe ich ein Ritual, das es auch in meiner Familie gab: den Sonntagsspaziergang.

Familienportrait – “Sonntagsspaziergang” / Momentaufnahme eines Rituals / 1961

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Mein Vater war Schauspieler und Schauspiellehrer. Es hat mich geprägt, aber dennoch bin kein professioneller Mime geworden.

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Diese Fotoserie gewährt Einblicke ins West-Berliner Partyleben um 1950.

Familienportrait – “Party Like It’s Nineteen-Fortynine”

Die Bildergalerie zeigt, wie der Fasching in den 60er Jahren in West-Berlin gefeiert wurde. Gab es früher mehr Luftschlangen? Sehen sie selbst.

Familienportrait – “Früher war’n mehr Luftschlangen” / Fasching in Berlin

Meine Kindheit in bunten Bildern: “West-Berlin Childhood Revisited” / Colour photographs from the late 1950s.

Familienportrait – “West-Berlin Childhood Revisited” / Colour photographs from the late 1950s

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1977 breche ich zu neuen Ufern auf. Ich ziehe von dom Kudammkiez nach Friedenau und beschließe Schriftsteller zu werden.

Familienportrait –„Margys und Abschied vom Kudamm“ / 1975-77

In “A Day in the Life 1978 / West-Berlin in Schwarz-Weiß” rekonstruiere ich einen Tag im Sommer 1978 aus einem Bogen mit Kontaktabzügen.

Familienportrait – “A Day in the Life 1978” / West-Berlin in Schwarz-Weiß

In dieser Geschichte mit Bildern berichte ich von 2 Tagen im Orwelljahr 1984. Ein Rockstar besucht mich und die neue Medienwelt kündigt sich an.

Familienportrait – „Schwäne im Orwelljahr” / A Day in the Life 1984

– wird fortgesetzt –

 

 

Familienportrait „Wir waren dabei“ / Das Nazi-Regime im Spiegel von Zeitungsausschnitten

Mussolini besucht Berlin und wird von Veteranen in Rollstühlen begrüßt.

Meine Großtante Charlotte heiratete Ende der 1920er Jahre den Polizeioffizier Paul Springer. Für die junge Frau aus bescheidenen Verhältnissen war er eine gute Partie, wie man sagte. Paul war konservativ, kein ausgesprochener Nazi. Aber er hielt die Hitler-Partei für das richtige Gegengift gegen die politisch „instabile“ Weimarer Republik und die Massenarbeitslosigkeit. Wie viele andere hielt er Rechtsbruch, Antisemitismus und Gesinnungsterror für „Kinderkrankheiten“ auf dem Weg zu einem neuen, erstarkten Deutschland.

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Seine Frau und er glaubten Zeugen einer „großen Zeit“ zu sein. Lotte sammelte Zeitungsausschnitte und gemeinsam klebten sie sie in ein Album, dem sie den stolzen Titel „Wir waren dabei“ gaben. Aufmärsche, Paraden und Staatsbesuche „Unter den Linden“ sind dokumentiert, denn Paul war für die polizeiliche Sicherung dieser Veranstaltungen zuständig. Andere Themen sind die Polizei, Kriminalfälle, die rege Bautätigkeit dieser Jahre und Feierlichkeiten aller Art, wie Weihnachten, denen die Nazis ebenfalls ihren Stempel aufdrücken. Die Sammlung beginnt 1935 und endet abrupt 1938, kurz vor den Novemberpogromen, was kein Zufall ist. Ob es damals die erste Konfrontation zwischen Paul und seinen Vorgesetzten war, weiß ich nicht, aber diese hatte Folgen.

Als am 9. November gegen 22Uhr jüdische Geschäfte angegriffen wurden, stellte Paul uniformierte Polizisten als Schutz vor solche Läden in der Friedrichstraße. Um Mitternacht ging auf dem Revier ein Telex der Gestapo ein, nachdem die Polizei jüdische Einrichtungen nicht mehr schützen sollte, bzw. nur Plünderungen verhindern sollte. Paul Springer soll sich noch eine Stunde unsichtbar gemacht haben, doch gegen eins gab er den Befehl dann weiter.
Damit war seine Karriere im Dritten Reich beendet, der Polizeidienst machte ihm auch kaum noch Spaß. Bei Kriegsbeginn wurde er eingezogen, während seine Nazi-Kollegen für unabkömmlich erklärt wurden.

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Schon zwei Jahre vor Kriegsbeginn bereitet sich Berlin auf den Ernstfall vor. Eine ganze Woche übt man Luftangriff, Verdunkelung und Giftgasbedrohung.

Tante Lotte und er überlebten den Krieg und er erhielt eine zweite Chance sich im Polizeidienst zu bewähren, weil er relativ unbelastet war. Schon im Mai 1945 wurde er von den Alliierten als Fachkraft auf dem Revier 2 angestellt. Kurze Zeit danach konnte er als Reviervorsteher den Wiederaufbau des Reviers 12 leiten.

Am 16. März 1946 sicherte Paul mit Kollegen eine Fliegerbombe ab, als es zur Explosion kam. Er wurde schwer am Kopf verletzt, Prellungen, Schnitt- und Platzwunden wurden im Krankenhaus versorgt. Trotz einer Gehirnerschütterung wurde er aus der nach dem Unglück überfüllten Klinik entlassen.
Nach einem Tag ging er wieder arbeiten, gegen ärztlichen und freundschaftlichen Rat glaubte er, preußische Disziplin üben zu müssen. Ständige Kopfschmerzen, Schwindel und eine leichte Verwirrtheit, die er gut überspielte, begleiteten ihn. Am 30. April war seine Krankheit so offensichtlich, dass er sich arbeitsunfähig schreiben lies.
Paul hat sich am 1. Mai 1946 umgebracht, indem er sich vor die Heidekrautbahn legte. Lotte hat nie erfahren, ob sich Paul wegen der Kopfverletzung oder aufgrund von Gewissensbissen infolge seiner Mitwirkung an Naziverbrechen suizidiert hat.
Das „Wir waren dabei-Album“ hat das Kriegsende überstanden, weil es rechtzeitig in Bad Liebenwerda versteckt wurde. Andere Fotoalben und Abzüge auf denen Hakenkreuze oder Nazigrößen zu sehen waren, hat man verbrannt, bevor die Rote Armee Berlin einnahm. Man musste damit rechnen, umgebracht zu werden, wenn „Nazimaterial“ bei einem gefunden wurde. Tante Lotte zog nach Pauls Tod nach Pankow, wo wir sie regelmäßig besuchten, bis der Mauerbau unsere Familie trennte. Aber als Rentnerin konnte Lotte 1965 nach West-Berlin „ausreisen“. Sie wohnte dann mit meiner Oma zusammen in der Prinzregentenstraße. Bevor sie 1980 starb, hat sie mir das Album geschenkt.

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Die sogenannte Ost-West-Achse durch den Tiergarten wird gebaut.

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So sehen Humor und Frohsinn im Nazireich aus.

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Das Programm des gleichgeschalteten Rundfunks auf der Rückseite eines Ausschnitts.

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Blumenkorso zum 700. Geburtstag Berlins. Dominiert wird das großformatig abgedruckte Foto von Hakenkreuzfahnen, der Korso wirkt bescheiden daneben.

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Am Stadtschloss wird gebaut.

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Auch eine Weihnachtsbescherung von Droschkenkutschern ist Mittel der Propaganda, sie wird von der sogenannten “N.S.Volkswohlfahrt” durchgeführt.

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Im April 1937 feiert das Regime die Annexion Österreichs mit einer „Schweigeminute“ und dem „Hitler-Gruß“. Das Foto zeigt das Kranzler-Eck in der Friedrichstraße.

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Auch Propagandaminister samt Familie sind in Weihnachtstsimmung.

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US-Navy Matrosen beehren die “Reichshauptstadt”.

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Frontalunterricht und Hightech im Polizeirevier, Pauls Arbeitsplatz.

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Parade im April 1937.

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Opernball 1937. Das Foto stammt von Heinrich Hoffmann, der als “Hitler-Fotograf” bekannt wurde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Hoffmann_%28Fotograf%29

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1937 wurde der schöne Rundbau des Zirkus Busch wegen Straßenbegradigung der Burgstraße und Erweiterung des Blocks „Börse“ für den Bau von Reichszentralen verschiedener Wirtschaftsverbände abgerissen. Paula Busch hatte vergeblich versucht, durch Verhandlungen mit der Berliner Stadtverwaltung und Reichsstellen den Abriss zu verhindern.

Redaktion: Marcus Kluge

Die Dokumentation wird fortgesetzt.

Familienportrait Rainer Jacob: „Der Seebär im Neubau und die Ruderin“ / 1939-64

Kindheitsbilder bei Onkel Hans und Tante Ida

Wenn ich mit meinem Vater Onkel Hans in seiner Neubauwohnung in der Birkenstraße besuchen fuhr, blieb meine Mutter zuhause. Obwohl ich erst fünf oder sechs Jahre alt war, registrierte ich es und war stolz darauf, zu einer Männerrunde zu gehören. Die rundliche Frau von Onkel Hans versorgte mich mit Saft und Keksen und einem Wilhelm Busch-Buch, um dann in der Küche zu verschwinden.

Der Onkel war groß, alles an ihm war groß. Seine riesigen, fleischigen Ohren beeindruckten mich als erstes, obwohl der Umstand, dass er auch zu Hause eine Seefahrermütze trug, vielleicht noch bemerkenswerter war. Mitten in Berlin, wo doch das Meer weit weg war, wirkte er wie ein gestrandetes Walross. Unter der Schirmmütze mit aufgenähtem Anker lugten, eng neben einer runden dicken Erdbeernase, spitzbübische Augen hervor. Wabbelnde Wangen rundeten das Bild im wahrsten Sinne des Wortes ab. Onkel Hans war ein Seebär, der schon im Ersten Weltkrieg in der Kaiserlichen Marine gedient hatte. Mein Vater schien ihn zu bewundern, vermutlich schon seit seiner Kindheit. Mit Kaffee und Kuchen hielten sich die beiden nicht lange auf, dann musste es Weinbrand sein. Düjardeng, wie die Berliner sagen oder vielleicht war es auch Asbach Uralt. Das Quietschen des Korkens passte zu den Busch-Illustrationen. Ich betrachtete eben, wie der Unglücksrabe Hans Huckebein nach allerhand Streichen sein Ende findet, weil er Alkohol genossen hatte. Lesen konnte ich damals sicher noch nicht, erst heute fällt mir auf wie passend der Text war: „Jetzt aber naht sich das Malheur, denn dies Getränke ist Likör.“Hans Huckebein
Ich lag wohl auf dem Teppich und als ich aufblickte schwenkte Onkel Hans den Cognacschwenker über seinem riesigen Bauch. Seine Zigarre qualmte weißgelblich, lange nicht so dunkel, wie die Schlote der Kriegsschiffe auf dem des Seestücks hinter ihm. Es war eine Reproduktion von Hans Bohrdts „Der letzte Mann“, darauf sah man einen Matrosen, verzweifelt die deutsche Kriegsfahne schwenkend, auf den wenigen Holzplanken seines Schiffes, die noch nicht untergegangen waren, in die Weite rufend. Eines von zwei sich beschießenden Schiffen näherte sich, es war nicht klar, ob es Freund oder Feind war.
„Von Tirpitz“, ein Name wie ein Pistolenschuss, den trompetete Onkel Hans durch den Qualm seiner Handelsgold-Zigarre. Ich hatte jetzt den Stapel Groschenromane mit „SOS, Schicksale deutscher Schiffe“ entdeckt und die Titelbilder nahmen mich ganz gefangen. Später habe ich solche auch bei meinem Vater gefunden und den spannend geschriebenen Lesestoff verschlungen. Das es Nazi-Propaganda war, verstand ich damals noch nicht. Im gleichen Verlag, dem Pabel-Moewig Verlag, erschien bis 2013 auch der „Landser“, eine kriegsverherrlichende Heftromanreihe.
Der Altmännergeruch von Onkel Hans vermischte sich mit dem Zigarrennebel um mich herum, und als ich das Strickzeug seiner Frau in einer Kiste entdeckte, erschien es mir mörderischer als die Erzählungen von der Seefahrt, da der arme Hans Huckebein sich darin verstrickte, zufällig ausrutschte und vom Alkohol beschwingt, im Hochgefühl zu Grunde ging, ein Unglücksrabe eben.

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Onkel Hans war mir nicht ganz geheuer. Und als ich älter wurde erschien mir die ganze Männerkumpanei zunehmend seltsam. Mann warf mit kraftvollen Begriffen nur so um sich: „dolles Ding“, „Bruttoregistertonnen“ oder „Kaventsmänner“. Gerade der „kleine Mann” bewundert doch immer das Mächtige. Kapitäne, Maschinen oder Kanonen, die bis hinter den Horizont schießen können. Gerissene Haudegen, die dem Schicksal eins auswischten, wie der Kapitän zur See, Hans Langsdorff, der mit der Admiral Graf Spee auf Kaperfahrt ging und zum Schluss das Schiff in Montevideo versenkte. Kaperfahrt? Früh hatte ich den Verdacht hier wurden augenzwinkernd, Piraten bewundert. Erst sehr viel später wurde ich durch eine Ausstellung im Maritime Museum in Greenwich aufgeklärt wie viele Piraten, Privateers, Buccaneers and Corsairs auf See unterwegs waren, alle räuberten und zahlten doch brav ihre Steuern. Also waren die Staaten kriminell? Freibeuter gab es wenige, die handelten meist mit Menschen, Sklaven,  sie waren ganz unromantische Halsabschneider. Und die gesuchten, legendären Schätze gab es nie wirklich, da die Mannschaft auf direkte Ausbezahlung nach jeder Kaperfahrt bestand. Es wusste doch niemand, wie lange er lebte, in diesem kriegerischen Geschäft. In Kingstown, Jamaica, war zeitweise mehr Gold im Umlauf als im damaligen London. Also waren viele auf See nicht nur Glücksritter, sie entschieden sich dazu Verbrechern mit Verbrechen zu begegnen.
Die sentimentalen Geschichten vom Mann und dem gnadenlosen Meer verklärten die Räubereien und täuschten auch mich. Ich war damals noch jung und naiv, aber irgendein Glöckchen läutete in mir, den Erwachsenen nicht jedes Seemannsgarn zu glauben. Alle erzählten Märchen, sie erzählten sie sich gegenseitig, man machte sich etwas vor.

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„Mein lieber Herr Gesangsverein, das war ein Stahlgewitter.“ Onkel Hans schob seinen kugelrunden Körper aufgeregt hin und her, wie der Äquator ging das Hosenbund um seinen Globus. Der Cognac im Glas schwankte wie ein Seemann auf den Planken eines Riesenpottes bei rollender Dünung. Unsympathisch war er mir nicht, mit seinen wabbelnden Wangen sah er aus wie Kapitän Blaubär und blau war er ja auch, nach all dem Düjardeng. Er warf mit Kraftausdrücke um sich, wie ein gigantisches Schlachtschiff, das aus allen Rohren feuert. Doch die echten Projektile trafen damals wirklich auf Metall und echte Menschen und die verreckten dann elendig und wurden noch im Wasser von auslaufendem, brennendem Öl gegrillt, aber warum sie das alles taten, wurde mir damals nicht klar. Seemannsgarn war das ja gar nicht, was der Seebär erzählte, sondern tödliche Realität. „Befehl ist Befehl und Schnaps ist Schnaps.“ Vor mir knarzte das Leder von Onkel Hans dicken Schnürstiefeln.

Ida

Ganz anders ging es zu bei Hannchen, Tante Ida und Margit, die wohnten in der Nähe vom Dennewitz-Platz, dritter Hinterhof, zweite Etage, in einer für Berlin so typischen Mietskaserne, mit ihren bis zu sieben Hinterhöfen. Im Treppenaufgang roch es nach Kellermief und feuchtem Holz. Die Wohnung war ein Frauenrevier, Hannelore war wohl die uneheliche Tochter von Ida, die, bevor Idas Verlobter in den Ersten Weltkrieg zog, gezeugt wurde. So genau sagte man mir das nicht, weil ich ja noch sehr klein war. Hier wohnten Opfer des Krieges, durch Tante Idas Schicksal wurde mir das klar. Sie hatte die Nachricht vom grausamen Tod ihres Mannes im Ersten Weltkrieg nicht verkraftet und blieb einfach im Bett. Da thronte sie nun mit verkümmerter Beinmuskulatur. Sie musste von der Familie überall herumgetragen werden und war umgeben von alten Bildern, tanzende Nymphen und anderem sentimentalen Kitsch. Doch ein bestimmtes Bild beeindruckte mich sehr. Ein Mädchen, allein im Ruderboot, verzweifelnd gegen die stürmischen Wellen ankämpfend. Sie hatte Panik in den Augen, ihren nassen Tod konnte man schon erahnen. Es war ein düsteres aufwühlendes Bild. Das war die junge Ida, so sah sie sich selbst, vergeblich ankämpfend gegen den Sturm. Ich mochte sie gleich, sie hatte etwas sehr warmherziges, gutmütiges und sicher einen tiefen Schock erlitten, als man ihr die Nachricht vom gefallenen Mann überbrachte. Als zu Beginn des Ersten Weltkrieges alle jubelten und die Gewehrläufe mit Blumenbündchen geschmückt wurden, dachte man da nur an das Abenteuer, Reisen in Ferne Länder und keiner an einen möglichen Tod? Angeblich war man Naturgewalten ausgeliefert. In Wirklichkeit waren es die Befehle eines deutschen Kaisers. Nicht Naturgewalt oder Gott wollten Krieg. Auch wenn der Kaiser sich darauf berief. Tante Idas lange graue Zöpfe verliehen ihr etwas Jugendliches. Das Bettzeug war teilweise geklöppelt, ansonsten war das Bett ein mächtiges Möbel, das den Raum beherrschte und durch die hohen geöffneten Flügeltüren nahm sie am Leben teil. Eigentlich spielte sich das ganze Familienleben um sie herum ab. Später tanzte ich mit Margit Twist und Rock ’n‘ Roll im Nebenzimmer, man spielte Elvis Presley und Bill Haley. Ida schaute zu und freute sich, wie die jungen Leute feierten. Es gab Lufthansacocktails. Knabberzeug und Salzstangen wurden auf einem zierlichen Nierentischchen angeboten.

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Später erinnerte ich mich an „Die Ruderin“. Allein im Boot, dieses Motiv führt uns unsere Einsamkeit vor Augen, ausgeliefert einer entmutigenden Gleichgültigkeit der Natur gegenüber dem Menschen. Das riesige Meer verändert sich nicht, das korrespondiert mit dem Thema der Rettung durch die Gesellschaft, auch wenn wir keinen Sinn in den rohen Naturgewalten erkennen können, schafft sich der Mensch selbst seine geistige Kompensation. Er gestaltet sich ein Bild von Kameradschaft und Zusammenarbeit, von Gesellschaft. Auch wenn wir ausgeschlossen scheinen und ohne Bedeutung im Kosmos, wollen Menschen etwas, das ihnen Bedeutung verleiht. Man redet von Tragik um die höheren Kräfte nicht benennen zu müssen. Matrosen, mit der Propaganda von Feindschaft indoktriniert, durch billige Reproduktionen von Gemälden, die der Kaiser, gnädigst in Auftrag gegeben hatte. Man entscheidet sich ja nicht dafür, man wird eingezogen, man ist ja nur ein klitzekleines Rädchen im Getriebe einer anonymen Maschinerie. Eiserne Maschinenmenschen in einer mechanischen Zeit, aufgezogen und angetrieben von zackig gebellten Befehlen. Tante Ida hatte ein zu weiches Herz für diese Zeit, doch auch bei ihr hing ein mechanisches Ungetüm, eine große Uhr mit Pendel und zu jeder vollen Stunde wurden Gespräche durch das laute Schlagen des Glockenspiels zum Schweigen gebracht, man musste die einzelnen Stunden einfach mitzählen. Danach lauschte man noch in die unverhoffte Stille und dann erst nahm man das ebenfalls laute Ticken des Uhrwerks um so deutlicher wahr. Schicksalhaft, anscheinend unbeeinflussbar wirken beide Bilder nach, das hilflose Mädchen und der rufende Matrose.  Von meiner „kleinen Oma Jacob“ gibt es noch eine frühe Tonbandaufnahme, auf der sie mit schon zitteriger Stimme „Die Uhr“ singend vorträgt. Ja, damals war „Time is on my side“ noch nicht denkbar, damals, war das alles neu und merkwürdig für mich, als kleiner Junge, doch meine Begeisterung für das Meer und den unendlichen Horizont hat sich nie in Bruttoregistertonnen ausdrücken lassen, ich male das Meer immer ohne Boote, ganz einfach, endlos, zeitlos.

R.J.
Rainers Zeichnung von Onkel Hans ist der Ausschnitt einer Vorskizze, die von Rainer eigentlich noch nicht zum posten gedacht war. Der Redaktör hat sich frech darüber hinweggesetzt.
Redaktion: M.K.

Familienportrait Teil 14 – “Mauerbau und Passierscheinabkommen” / 1961-85

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Der Mauerbau am 13. August 1961 trennt auch meine Familie. Erst das Passierscheinabkommen ermöglicht uns West-Berlinern nach über zwei Mauerjahren den Grenzübertritt. Zwischen dem 19. Dezember 1963 und dem 5. Januar 1964 dürfen wir Tante Lotte besuchen. Wir fahren ein paar Tage nach Weihnachten und treffen bei Tante Lotte auch deren Schwester Martha mit Ehemann Adolf aus Bad Liebenwerda. Mein Bruder Thomas fotografiert uns in der Grabbeallee (s.o.), auf den Gesichtern sieht man die Freude und Genugtuung über die Familienzusammenführung, aber auch Zweifel. Thomas drückt auch auf den Auslöser, als wir hastig, fast wie Geheimagenten das Haus betreten (s.u.). Auf dem Rückweg steigen wir in der Yorckstraße aus der S-Bahn und nehmen uns ein Taxi. Der Taxifahrer begrüßt uns mit den Worten: “Na kommen se aus dem jelobten Land?”

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Die Vorgeschichte:

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Das Haus in Pankow

In den 50er und frühen 60er Jahren gilt das Wort Pankow, nicht nur in Westdeutschland, als Synonym für das verhasste DDR-Regime. Walter Ulbricht und seine Spitzengenossen wohnen dort, bevor sie ab 1961 in die berühmte Waldsiedlung Wandlitz ziehen, die von 1958-61 nach russischem Vorbild, als zweifach eingemauertes Ghetto für die Bonzen gebaut wird. Bundesdeutsche Kommentatoren sprechen den Berliner Bezirk mit dem stimmlosen w gern wie Pankoff aus, weil sich das so schön russisch und martialisch anhört. Für mich als kleinen Jungen bedeutet Pankow Besuche bei Tante Lotte, Tomaten im Garten ernten, Wiener Schnitzel,Schokoschrippen und Spaß haben.

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Weihnachten 1937 mit Leistikow-Gemälde und Perser

Nachdem sich ihr Mann, der Polizist und Fotograf Paul, am 1. Mai vor die Heidekrautbahn legte und sich umbrachte, zog die Schwester meiner Oma mütterlicherseits in die Tschaikowski-Straße in Pankow. Als ich klein war, besuchten wir meine Großtante Lotte regelmäßig. Wir fuhren mit dem Auto nach Wedding, überquerten am Checkpoint Wollankstraße die Sektorengrenze, fuhren mit der Straßenbahn und bogen dann von der Grabbeallee links in die Tschaikowskistraße. Im Westen der Stadt kannten wir niemand mit Garten und so freute ich mich auf die Besuche, Tomaten und Erdbeeren zu ernten war für mich Stadtjungen toll. Oft kam Tante Lotte auch zu uns nach Wilmersdorf, stets schmuggelte sie Schnitzelfleisch unter ihrem Hut, um ihre Spezialität, herrlich dünne in guter West-Butter ausgebratene Schnitzelchen zu bereiten. Am 13. August enden diese wechselseitigen Besuche, eine nahezu unüberwindliche Mauer teilt plötzlich meine Heimatstadt.

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Die “große” Notburga

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Wolfgang Kluge

1961 kommt Wolfgang, ein Neffe meines Vaters mit seiner Frau, von uns die “große” Notburga genannt, mit ihren Töchtern nach Deutschland. Anscheinend hat die Ausländerfeindschaft nach den Fall von Diktator Marcos Pérez Jiménez 1958 dazu gedrängt, Venezuela zu verlassen. .Zuerst wohnen sie bei uns, mein Bruder Thomas und ich freuen uns über zwei “Schwestern”. Wir Kinder hausen im großen Wintergartenzimmer in der Wohnung am Volkspark, in die wir 1960 zogen. Wir unterhalten uns in einem Mischmasch von drei Sprachen, deutsch, spanisch und englisch. 1962 bin ich acht, Ingrid ist zehn, die “kleine” Notburga ist zwölf und Thomas ist 14, eine tolle Zeit.

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Marcus, Ingrid, Notburga, Thomas

Wolfgang und die große Notburga bringen einen Hauch von weiter Welt ins provinzielle West-Berlin. Notburga ist stets modisch gekleidet, sie wirkt etwas wie die große Schwester von Audrey Hepburn. Wolfgang wird zu meinem ersten männlichen Modevorbild. Er sieht aus wie der amerikanische Bruder von O.W.Fischer, ist immer leicht gebräunt, die kurzen Haare mit Pomade zurückgekämmt. Er trägt sorgsam gebügelte amerikanische Oberhemden in Pastellfarben, in den Brusttaschen Zigaretten und Feuerzeug. Seine ruhige, coole Art hebt sich angenehm von der Berliner Ruppigkeit ab, er betreibt Yoga, jedesmal wenn er anruft und mich am Apparat hat, erkundigt er sich freundlich nach meiner Befindlichkeit und hat keinerlei Eile. Bald arbeitet er für eine US-amerikanische Charterfluggesellschaft, “Saturn Airways”, die fliegt die Berliner nach Mallorca und an die Adria, die Ära der Pauschalreisen beginnt.

Da wir Tante Lotte nicht mehr besuchen können, beginnen die große Notburga und Wolfgang regelmäßig in die Tschaikowskistraße zu fahren. Sie halten den Informationsaustausch zwischen den Familienteilen aufrecht. Neben Lotte lebt ja auch die andere Schwester meiner Oma, Martha mit ihrem Mann Adolf im Osten, in Bad Liebenwerda, dem Geburtsort der drei Töchter des Schuhmachermeisters Schnelle.

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Notburga versteckt Tante Lottes Schmuggelgut

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Foto: Geoff Pugh, The Daily Telegraph

50 Jahre später, am 4. Dezember 2013 besuchen mich Journalisten vom Daily Telegraph, um mich zu meinen Erinnerungen an das erste Passierscheinabkommen zu befragen. Tom Rowley, der Magazinartikel für das Blatt schreibt, der ausgezeichnete Fotograf Geoff Pugh und der sympathische junge Dolmetscher William Pimlott, der mein Blog im Internet fand und den Kontakt hergestellt hatte. Aus dem 90 Minuten langen Gespräch kondensiert Tom Rowley neun Zeilen:

-Another Berliner who was a boy at the time, Marcus Kluge, likewise recalls the impact of that Christmas, when, as a nine-year-old, he went to visit his great aunt, Lotte, with his parents. “I can remember feeling that it was fantastic that somewhere in this great wall there was now a hole,” he says. “There were cakes, schnitzel, coffee, and lemonade for me.” Still, he was saddened not to reprise his pre-wall gardening job. “I was disappointed because I thought there would be some tomatoes ready to pick in the garden. It hadn’t occurred to me they wouldn’t be there in winter; we did go out briefly, but it was just too cold to stay.”

All three recall how quickly their hours together passed, and their distress at leaving their relatives behind in time to cross back to the West before the deadline.-

Nach 1963 beschließt Tante Lotte in den Westen überzusiedeln. Die DDR läßt Rentner gehen, die kosten ja nur. Mein Cousin Wolfgang Kluge und seine Frau Notburga, die venezolanische Pässe haben, schmuggeln Schmuck, Domumente und anderes für Tante Lotte in den Westen. Unter anderem den Siegelring von Onkel Paul mit dem Blutjaspis, den ich heute noch trage. Die märkische Kieferlandschaft, gemalt von Walter Leistikow, die Perserteppiche und die schönen Möbel können sie nicht über die Grenze bringen, sie werden die Wohnung eines SED-Bonzen schmücken.

1964 kommt der Sohn von Wolfgang und Notburga, Johannes Kluge, zur Welt. Er wird in Österreich geboren, nie soll er eine deutsche Uniform tragen. Das ist die Lehre, die seine Eltern aus Weltkrieg und den Verbrechen des Dritten Reichs, gezogen haben. Zurück in Berlin wird das Baby beim Schmuggel helfen. In seinem Kinderwagen kann man besonders gut Konterbande verstecken.

Johannes W. Kluge (Sohn von Notburga und Wolfgang Kluge) erinnert sich: “Da wir Venezolaner waren wurden wir nicht so sehr gefilzt. Aber beim letzten mal ist ihnen doch das Herz in die Hose gesunken als ein Vopo “Halt, stehenbleiben” schrie und hinterher lief. Als er sie erreicht hat, sagte er “Dem Kleinen ist der Schuh runtergefallen, das wäre doch schade wenn’s verlorengeht”…

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Johannes. Tante Martha und Tante Lotte

Das letzte Kapitel im Leben der drei Schnelle-Schwestern

1965 zieht Tante Lotte schließlich zu ihrer Schwester Elisabeth, meiner Oma, in die Prinzregentenstr. 21A in Wilmersdorf. Als Witwe eines Polizeioffiziers bekommt sie eine stattliche Rente. Sie hilft die ersten Käfer meines Bruders zu finanzieren. Zum Dank unternimmt er mit seinem VW Reisen mit den beiden alten Damen. Die beiden Schwestern haben eine gute Zeit zusammen. Sie streiten sich zwar, aber versöhnen sich immer wieder, wie ein altes Ehepaar. Tante Lotte stirbt 1980 im Schlaf. Meine Oma hat es nicht so gut, bevor sie 1985 stirbt, lebt sie einige Jahre dement im Altersheim. Tante Martha, die dritte der Schnelle-Schwestern stirbt in Bad Liebenwerda, nachdem sie uns in den 70ern nochmal in West-Berlin besucht hat.

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Notburga, Tante Lotte, Johannes und Oma in der Prinzregentenstraße in Wilmersdorf 1965

M.K.

– wird fortgesetzt –

Alle bisher veröffentlichten Familienportraits:

http://wp.me/P3UMZB-1

Tante Lotte und Onkel Paul, ihre Geschichte und Pauls tragisches Ende:

http://wp.me/p3UMZB-3W

Der Artikel zum Passierscheinabkommen:

http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/germany/10520726/The-time-the-Berlin-Wall-came-down-for-Christmas.html

Familienportrait‭ ‬-‭ „Ein Leben für die Straßenbahn‭” ‬/‭ ‬Berlin‭ ‬1920-1963

Mein Großvater Werner Hellmich war‭ ‬21,‭ ‬als er in den‭ Ersten ‬Weltkrieg ziehen musste.‭ ‬Bald wurde ihm klar,‭ ‬dass die Realität des Krieges nichts Ehrenvolles oder Erhabenes hatte.‭ ‬Es war ein schmutziges,‭ ‬sinnloses Töten oder Getötetwerden.‭ ‬Von diesen traumatischen vier Jahren hat er sich nie wieder wirklich erholt.‭ ‬Er kam mit einem Magenleiden zurück,‭ ‬nachdem man ihm ein Drittel des Organs in einer Notoperation im Feldlazarett entfernt hatte.‭ ‬Er war ein stiller,‭ ‬zurückhaltender Mann,‭ ‬der es am liebsten hatte,‭ ‬in Ruhe gelassen zu werden.‭ ‬Leider hatte er sich dafür die falsche Frau ausgesucht.

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Opa (Mitte) mit Kollegen.

Meine Großmutter Elisabeth Schnelle kam‭ ‬1910‭ ‬als‭ ‬15-jährige nach Berlin,‭ ‬um in Steglitz als Hausmädchen in‭ “‬Stellung‭” ‬zu gehen.‭ ‬Im heimischen Liebenwerda gab es nicht genug Arbeit und nur ihre erstgeborene Schwester Martha durfte in der Kleinstadt bleiben.‭ Elisabeth und später ihre kleine Schwester Charlotte musste sich im fernen Berlin ein Auskommen suchen. ‬Hausangestellte wurden nicht gut behandelt,‭ ‬oft waren sie dem Missbrauch durch die‭ “‬Herrschaften‭” ‬ausgesetzt.‭ ‬Jeden zweiten Sonntag hatte sie frei,‭ ‬dann lief sie die Kaiserallee‭ (‬heute Bundesallee‭) ‬hoch in Richtung Zoo und aß bei Aschinger Erbsensuppe.‭ ‬Oft kullerten dabei Tränen in ihren Teller,‭ ‬sie vermisste ihre Familie,‭ ‬hatte Heimweh und litt unter den Arbeitsbedingungen.

Bei allem Leid und den Sorgen,‭ ‬die der Krieg ab 1914 mit sich brachte,‭ ‬hatte er für Elisabeth eine positive Folge.‭ ‬Denn nun wurden Frauen gesucht,‭ ‬die die fehlenden Männer in den Fabriken ersetzten.‭ ‬Sie fing an bei Osram Glühlampen herzustellen.‭ ‬Sie konnte es sich sogar leisten,‭ ‬ab und zu, mit der Bahn in die Heimat zu fahren.‭ ‬Aber sich allein in der fremden,‭ ‬nicht sehr freundlichen Stadt Berlin‭ ‬durchzuschlagen,‭ ‬hatte sie hart gemacht.‭ ‬Ihr Ehemann wird es zu spüren bekommen.

Elisabeth läuft‭ ‬1918‭ ‬während der Novemberrevolution mit der roten Fahne durch Berlin,‭ ‬doch als sie am Abend müde wird,‭ ‬reicht sie das Symbol weiter und geht nach Hause.‭ ‬Sie war dabei und wird später stolz davon erzählen.‭ ‬1920‭ ‬lernt sie Werner kennen.‭ ‬Sie spürt sofort,‭ ‬da ist einer,‭ ‬der sich ihrer Führung nicht verweigert.‭ ‬Schon lange träumt sie den Traum,‭ ‬den viele ledige junge Frauen träumten.‭ ‬Statt in die Fabrik zu gehen,‭ ‬möchte sie Ehefrau,‭ ‬Hausfrau und vielleicht auch Mutter werden,‭ ‬wenn denn das Geld reicht,‭ ‬das der Mann heimbringt.‭ ‬Der stille Werner würde ihr als Gatte gut gefallen,‭ ‬doch einen Fehler hat die Sache, er ist arbeitslos.‭ ‬Elisabeth hört sich um und wird fündig.‭ ‬Morgens um halb fünf weckt sie unsanft ihren Werner und scheucht ihn zu den Verkehrsbetrieben (Die BVG wir erst 1929 gegründet).‭ ‬Ohne Job bräuchte er gar nicht wiederkommen,‭ ‬ruft sie ihm nach.‭ ‬Um viertel sechs meldet sich Werner auf dem Straßenbahnbetriebshof Wiebestraße,‭ ‬er ist der erste Mann,‭ ‬der an diesem Morgen nach Arbeit fragt.‭ ‬So wird er Straßenbahnschaffner und wird es über‭ ‬40‭ ‬Jahre bleiben.‭ ‬Egal bei welchem Wetter und zu welcher Schicht,‭ ‬seine Frau sorgt dafür,‭ ‬dass er aufsteht und zum Dienst geht.‭ ‬Selbst eine leichte Grippe ist keine Entschuldigung,‭ ‬nur wenn er wirklich schwer krank ist,‭ ‬darf er im Bett bleiben,‭ ‬während Elisabeth ihn mit rabiaten Methoden zu heilen versucht.‭ ‬Was sie nicht schafft,‭ ‬erledigt der‭ “‬Vertrauensarzt‭”‬.‭ ‬Heute‭ ‬sind es die medizinischen Dienste der Krankenkassen,‭ ‬damals waren es niedergelassene Ärzte,‭ ‬die als Gutachter vermeintliche Faulenzer und Drückeberger gesundschrieben.‭ ‬Diese Vertrauensärzte sorgten dafür,‭ ‬dass ihre Patienten den Besuch in unguter Erinnerung behielten.‭ ‬Gern nahm man ehemalige Militärärzte,‭ ‬weil die als scharf und gnadenlos bekannt waren.‭ ‬Werner überlegte es sich mehrmals,‭ ‬bevor er sich bei seiner Frau krankmeldete.‭ ‬Es wird ein lebenslanges Trauma für den stillen Mann mit der angeschlagenen Gesundheit.
Trotzdem muss er seine Frau geliebt haben,‭ ‬sie hatte durchaus ihre angenehmen Seiten.‭ ‬Sie schlug sich mit Humor und viel Mutterwitz durchs Leben.‭ ‬Sie war treu und mit einem unbestechlichen Gerechtigkeitssinn ausgestattet,‭ ‬für ihre Familie tat sie fast alles.‭

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Elisabeth (re.) mit Schwestern, ca. 1922.

Es muss ein Sonntag im Sommer‭ ‬1920‭ ‬gewesen sein,‭ ‬als Werner und Elisabeth sich kennenlernten.‭ ‬Elisabeth leistete sich eine Erbsensuppe bei Aschinger,‭ ‬es ist noch immer ihr Sonntagsritual.‭ ‬In der Mitte des großen Stehtisches lagen die Brötchen in einem Korb,‭ ‬von denen man soviel essen konnte,‭ ‬wie man wollte.‭ ‬Es passierte selten,‭ ‬aber eben jetzt war es so:‭ ‬nur noch eine Schrippe lag im Körbchen‭! ‬Im selben Moment wie Elisabeth griff der freundliche Mann mit der Nickelbrille zu,‭ ‬beider Hände berührten sich über dem Körbchen.‭ ‬Beide zogen ihre Hände blitzartig zurück,‭ ‬aber der nette junge Mann fängt sich schnell wieder,‭ verschmitzt ‬lächelnd greift er den Korb und bietet das Brötchen der Dame an:‭ “‬Ladies first,‭ ‬sagen die Engländer,‭ ‬also bitte schön‭!”
Elisabeth wurde rot bei so viel Charme.‭ Dann‬ unterhielten sie sich über Kinofilme.‭ ‬Werner ist Fan der polnischen Schauspielerin Pola Negri,‭ ‬die Anfang der‭ ‬20er Jahre zum internationalen Star aufsteigt.‭ ‬Elisabeths dunkle,‭ ‬träumerische Augen erinnerten ihn an die Diva und er sagte es ihr.‭ ‬Ein tolles Kompliment‭! ‬Das Kino wird ihr gemeinsames Hobby,‭ ‬zumal Werner wie sie,‭ ‬am liebsten romantische Filme sieht.

Es dauerte nicht lange,‭ ‬bis die zwei ein Paar wurden und nachdem Werner bei der BVG anfing,‭ ‬heirateten sie und dachten an Nachwuchs.‭ ‬Die Wohnung in der Perleberger Straße ist war zwar winzig,‭ ‬aber wenigstens ein einziges Kind wollten beide.‭ ‬Am zweiten Weihnachtsfeiertag‭ ‬1922‭ ‬wurde meine Mutter Käthe geboren.‭ ‬Elisabeth wollte sich das Weihnachtsfest nicht mit einer Geburt verderben,‭ ‬aber am‭ ‬26.‭ ‬half nichts mehr,‭ ‬sie mussten ins Krankenhaus und meine Mutter wurde geboren.
Käthe wird schnell groß.‭ ‬Oft leidet sie,‭ ‬wie auch ihr Vater,‭ ‬unter der Strenge der Mutter.‭ ‬Besonders Krankheit duldet die Mutter nicht.‭ ‬Bauchschmerzen werden mit brühendheißen Wärmflaschen kuriert,‭ ‬Ohrenschmerzen mit in siedendes Öl getauchten Wattepfropfen.‭ ‬Trotzdem liebt Käte ihre Mutter,‭ ‬sie fühlt sich sicher und geborgen bei der starken Frau.‭

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Kaffeetafel, Großeltern (Mitte) und meine Mutter, ca.1930.

Die Naziherrschaft und den‭ ‬2.‭ ‬Weltkrieg übersteht die Familie äußerlich unbeschadet.‭ ‬Elisabeth bringt sich mehr als einmal in tödliche Gefahr,‭ ‬weil sie,‭ ‬auch in der Öffentlichkeit,‭ ‬über die ihr verhassten Nazis räsonniert.‭ ‬Als zum Kriegsende die Moabiter Wohnung einen Bombenschaden erleidet,‭ ‬ziehen Mutter und Tochter mit einem Handwagen nach Wilmersdorf.‭ ‬Moabit sollte russisch und Wilmersdorf amerikanisch werden.‭ ‬Sie besetzen eine leerstehende Wohnung in der Bundesallee und behaupten frech ihr Mietvertrag wäre verbrannt,‭ ‬sie kommen durch damit‭! ‬Als Werner krank und abgemagert aus dem Krieg zurückkommt,‭ ‬hört er bei Moabiter Nachbarn,‭ ‬vom Umzug nach Wilmersdorf und die kleine Familie ist wieder vereint.‭

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Werner darf wieder Schaffnerdienst in der Straßenbahn tun und ist vielleicht nicht glücklich, aber zufrieden.‭ ‬Ihm wird eine Kur für seine angeschlagene Gesundheit verschrieben,‭ ‬ein Foto zeigt ihn ein wenig skeptisch in die Kamera blickend.‭ ‬Meist wirkt er verschlossen auf Fotos.‭ ‬So auch‭ ‬1960,‭ ‬als er mit mir und meinem Bruder Thomas in den Zoo geht und Thomas ihn knipst.‭ ‬Lange steht Werner vor dem Eisbären‭ ‬der, hinter dicken Gitterstäben in einem viel zu kleinen Käfig haust.‭ ‬Nach dem‭ ‬2.‭ ‬Weltkrieg waren die meisten Häuser und Freianlagen zerstört,‭ ‬weniger als‭ ‬100‭ ‬Tiere hatten überlebt.

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-Seit‭ ‬1954‭ ‬plant die West-Berliner Politik,‭ ‬die Straßenbahnen abzuschaffen.‭ ‬13‭ ‬Jahre später wird,‭ ‬als letzte Linie,‭ ‬die‭ ‬55‭ ‬eingestellt,‭ ‬die vom Zoo über Charlottenburg nach Spandau fuhr.‭ ‬Es ist eine Entwicklung,‭ ‬die Werner traurig macht.‭ ‬Gerade Berlin,‭ ‬wo‭ ‬1881‭ ‬die allererste elektrische Straßenbahn der Welt fuhr,‭ ‬kann er sich ohne Tram nicht vorstellen.
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Oma nach Unfall.

Anfang der‭ ‬1960er Jahre muss er auf Rente gehen,‭ ‬viel lieber würde er weiter arbeiten.‭ ‬Über‭ ‬40‭ ‬Jahre war er BVG-ler,‭ ‬auch als Rentner fährt er mit seiner‭ “‬Ehrennetzkarte‭” ‬fast täglich quer durch die Stadt.‭ ‬Natürlich tut er das auch,‭ ‬um seiner strengen Ehefrau zu entgehen,‭ ‬die es gar nicht schätzt,‭ ‬dass der Mann jetzt viel zu Hause ist und ihre Kreise stört.‭ ‬Sie ziehen in eine Neubauwohnung,‭ ‬nur eine Ecke weiter in der Prinzregentenstraße.‭ ‬Elisabeth wird von einem Auto angefahren.‭ ‬Ihr Wahlspruch:‭ “‬Der sieht mich doch‭!”‬,‭ ‬hat versagt.‭ ‬Im Krankenhaus wirkt sie munter und gelöst,‭ ‬ein Foto zeigt sie mit leuchtenden Augen.‭ ‬Vielleicht ist es die Wirkung vom Sekt,‭ ‬sie hat ein Glas in der Hand.‭ ‬Gern trinkt sie auch Eierlikör,‭ ‬den sie mit Weinbrand Marke‭ “‬Attaché‭” “‬verdünnt‭”‬,‭ ‬wie sie sich ausdrückt.

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Lange kann sich Werner nicht seines Ruhestandes erfreuen,‭ ‬schon‭ ‬1963‭ ‬stirbt er,‭ ‬sein Herz hatte keine Kraft mehr.‭ ‬Sein Sterben ist meine erste Begegnung mit dem Tod.‭ ‬Während die Erwachsenen in der‭ “‬guten Stube‭” ‬die Beerdigung begießen,‭ ‬hat man mich mit Micky Maus Heften ins großelterliche Schlafzimmer geschickt.‭ ‬Mir wird bewusst,‭ ‬dass ich auf dem Bett liege,‭ ‬in dem mein Opa kurz zuvor gestorben ist.‭ ‬Es ist zum gruseln und trotzdem schwer vorzustellen,‭ ‬ihn nie wieder treffen zu können.‭ ‬Ich mochte ihn gern und vermisse ihn.‭

Werners Frau,‭ ‬meine Oma Elisabeth,‭ ‬wird alt,‭ ‬sehr alt.‭ ‬Erst mit‭ ‬88‭ ‬stirbt sie in einem Altenheim im Zustand der Demenz,‭ ‬der ihre letzten Lebensjahre überschattete.

Wenn Werner heute aus dem Straßenbahnerhimmel auf seine Heimatstadt niederblicken könnte, wäre er erfreut. Durch die Vereinigung beider Stadthälften ist ganz Berlin wieder eine Straßenbahnstadt. Auch der Westen:
„Die erste Strecke wurde 1995 über die Bornholmer Straße in zwei Etappen Richtung Westen eröffnet. Das Rudolf-Virchow-Klinikum sowie die U-Bahnhöfe Seestraße in Wedding und Osloer Straße, in Gesundbrunnen gelegen, sind seitdem wieder an das Straßenbahnnetz angeschlossen.“ Quelle WiKi*.
2010 hat Berlin das weltweit drittgrößte Straßenbahnnetz. Das Netz hat eine Streckenlänge von 189,4 Kilometern und 808 Haltestellen. Werner wäre stolz darauf. Nur wieso es keine Schaffner mehr gibt, würde er fragen. Wer soll denn den Passagieren Fahrscheine verkaufen und Fragen beantworten?

M.K.

*Die Berliner Straßenbahn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenbahn_Berlin

Familienportraits‭ ‬-‭ ‬Die Serie:
http://wp.me/P3UMZB-1

Familienportrait – “Sonntagsspaziergang” / Momentaufnahme eines Rituals / 1961

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Später behauptete meine Mutter gern, sie hätte die “antiautoritäre Erziehung” quasi erfunden. Was natürlich nicht stimmte. Zum einen hatte sie nur eine sehr vage, wie auch falsche, Vorstellung von antiautoritärer Erziehung. Für sie war das lediglich eine Erziehung, die ohne Schläge und Brüllerei auskam. Zum anderen kann man ihren Erziehungsstil überwiegend mit dem Begriff  “Laisser-Faire Erziehung” beschreiben. Sie liebte uns innig und zog Harmonie dem Streit vor. Hin und wieder aber sollte ihre Familie bürgerliche Geschlossenheit und Normalität demonstrieren. Ideal dafür war der Sonntagnachmittag und sein Ritual, der Sonntagsspaziergang.

Mein Bruder und ich sind mit identischen, uniformähnlichen Mänteln ausgestattet. Ich, als der Kleinere, muss zusätzlich eine hässliche, über die Ohren gezogene Mütze tragen, was ich gewiss nicht gern tat. Mein Bruder als der Ältere trägt eine wenig kleidsame Herrenhandtasche, sicher auch nicht zu seinem Vergnügen. Die fahle Berliner Wintersonne beleuchtet die Szene von hinten, unsere Schatten sind lang, vermutlich stehen wir unter Zeitdruck, weil wir irgendwo zum Sonntagskaffee erwartet werden und die Uniformierung der Kinder viel Zeit gekostet hat. Meine Mutter mustert den Fortgang der Unternehmung mit einem prüfenden Seitenblick. Cousine Notburga, von meinem Bruder fast verdeckt, trägt ein Kopftuch, was damals auch für nicht-muslimische Frauen normal war. Meine Mutter hat eine formlose, schwarze Mütze auf dem Kopf. Diese Mütze und die drei mit Gürteln geschlossenen Mäntel verleihen der kleinen Familie einen fast militärischen Eindruck. Man demonstrierte Solidität und mein Vater hielt die Demonstration, vor dem Hintergrund einer tristen Brandmauer, mit der Kamera fest.

M.K.

 

„LA BOHÈME WEST-BERLIN schelme schurken kebabträume” – Illustrierte Lesung

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Am 19.12. um 20 Uhr im “Naumann Drei” in der Naumannstraße. Eintritt frei.

Marcus Kluge liest aus seinen Romanen und Bloggeschichten über Bohèmiens, Punks, Künstler und Bösewichter in der Mauerstadt West-Berlin. Der Illustrator und Fotograf Rainer Jacob zeigt dazu Fotos und Orginalzeichnungen mit dem Videobeamer.

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– 1977 ziehe ich nach Friedenau und beschließe Schriftsteller zu werden. Bis zum ersten eigenen Buch dauert es dann 38 Jahre, aber die hatten es in sich. Gut das wir heute auf Pixel und Papier schreiben und nicht mehr auf Kuhhäute, denn ich habe viel zu erzählen. –

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Marcus Kluge & Rainer Jacob

– Mein kürzlich als Buch erschienener Roman „Xanadu ’73” berichtet vom kurzen und tragischen Leben meines Schulfreundes Beaky, der vom Popfan zum Drogenkonsumenten wurde und schließlich an einer Überdosis starb. Dabei schildert es die West-Berliner Bohème der frühen 1970er Jahre. Kiffer, Dealer, DJs, Ärzte und Antiquitätenhändler bildeten damals eine ganz eigene Subkultur in den Nebenstraßen des Kudamms. Mein zweiter Roman „Ein Hügel voller Narren” beginnt acht Jahre später am Tag, als der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay, während eines Polizeieinsatzes, von einem Doppeldeckerbus überrollt und getötet wird. Roberto kommt nach einem Knastaufenthalt in seine Heimatstadt zurück und findet West-Berlin polarisiert durch Polizeiübergriffe, Hausbesetzungen und die Zeitungshetze gegen die Protestbewegung. „Ein Hügel voller Narren” ist fast fertig und wird 2016 als Buch erscheinen. Außerdem hören wir einen Ausschnitt aus „Schnelle Schuhe – Punk in West-Berlin” Im subkulturell gesättigten Biotop West-Berlin geriet selbst die Punkbewegung zur Bohème. – Marcus Kluge

Es gibt die Möglichkeit signierte Bücher, Fanzines und West-Berlin-T-Shirts zu kaufen.

Textbeispiel aus „Schnelle Schuhe” Punk in West-Berlin:

– Wahrscheinlich das Beste an den Punk-Jahren war die Selbstverständlichkeit mit der wir ans Werk gingen, um unsere eigene Musik, unsere Medien, unsere Mode und auch unsere eigenen Spiele zu erfinden. Was bisher nur Eliten gestattet war, eroberten wir uns, ohne groß nach Legitimation oder Qualifikation zu fragen. Wir machten es einfach. Was wir machten, hatten wir nicht in einer Schule oder Uni gelernt, wir lernten vom Leben und durch das Tun.

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1983. Wir sind zu dritt und haben ein Kunstkopf-Mikrofon und einen tragbaren Audio-Rekorder dabei. Irgendwo am Teltowkanal kennen wir einen Schrottplatz, der am Wochenende unbewacht ist. Herbert und ich sind nicht allein, Cordula ist auch dabei, glaube ich.
Damals hatte ja jeder eine Band, eine Kapelle, Combo oder wenigstens ein Musik-Projekt oder zwei. Besonders beliebt mit ungewöhnlichen Geräten zu musizieren. Zum Beispiel Presslufthämmer oder Seitenschneider. Wir benutzten gern Kaffeemaschinen, je verkalkter desto besser, oder Küchengeräte wie die Moulinette, für unsere Aufnahmen als „Cut-Up-Swingers”. Nicht fehlen durften martialische Metallteile als Percussion-Instrumente. Auf dem Schrottplatz machten wir mit Herberts kleinem Audiorekorder Aufnahmen. Den benutzte er sonst zum Mitschneiden von Konzerten. Wir kletterten also über einen Zaun, suchten uns geeignete Schrottteile und machten damit lauten, rhythmischen Lärm. Cordula hatte sich schon immer gefragt, wie ein Bagger klingt? Nun konnte sie es ausprobieren. Nach zehn oder zwölf Minuten, wir waren so richtig in Fahrt, mischte sich eine fremde Stimme in die Tonaufnahme, live! Sie brüllte:
„Watt soll’n ditte hier?”
Die Aggressivität der männlichen Stimme wurde durch das entgrenzte Kläffen eines Hundes unterstrichen.
„Wir machen Musik!”, brüllte ich zurück. Jetzt sahen wir den „Schrottplatz-Offiziellen” und seinen riesigen Schäferhund-Rotweiler-Mischling. Beide waren fuchsteufelswild und der Mann schrie die folgenden, unsterblichen Sätze:
„Ach Musik! Ach Musik ist ditte! Macht mal ‘n langen Schuh, sonst jipps Keile!”
Wir beschlossen ohne weitere Diskussion der Aufforderung des Schrottwächters nachzukommen. Schnell packten wir Mikro und Rekorder zusammen, kletterten zurück und spätestens als wir auf unseren Fahrrädern saßen, konnten wir kaum noch die Balance halten vor lachen. Den „Ach Musik!” Audio-Clip bauten wir in einen Song ein und benutzten ihn als Jingle bei unseren Veranstaltungen. Er wurde zum Markenzeichen und zum geflügelten Wort für alle Grenzwertigkeiten musikalischer Natur und an solchen waren die 1980er Jahre reich . –

Fotos und Illustrationen: Rainer Jacob

Berlinische Leben – “Nackte, Nazis, Nervensägen” / “Mein” Offener Kanal Berlin – Teil Zwei / 1985-2014

Mumien, Monstren, Mutationen

Es ist schon merkwürdig, aber der Offene Kanal Berlin ist in den Berliner Medien nur selten thematisiert worden. Zumindest bis 2003, also so lange ich dort gearbeitet habe. Zu seiner Eröffnung im Jahre 1985* wurde im Zusammenhang mit dem Kabelpilotprojekt über ihn berichtet. Eigentlich wäre der neuartige, emanzipatorische Ansatz, “jeder kann senden”, es Wert gewesen seine Entwicklung zu begleiten, doch die Profis in den Redaktionsstuben vernachlässigten das Thema geradezu sträflich. In den zwei Jahren 1986-87, die ich Nutzer war, sowohl wie in den 15 folgenden, ist nur über den Sender berichtet worden, wenn es “schlechte” Nachrichten gab. Vielleicht ist wirklich der zynische Spruch, “only bad news is good news”, eine Erklärungshilfe dabei. Ich will nicht verschweigen, dass es sehr selten auch einmal positive Resonanz gab, doch diese ging unter gegenüber den Schlagzeilen, die über angebliche Skandale spekulierten. Reißerische Artikel nach dem Muster “Mumien, Monstren, Mutationen” zu schreiben macht eben auch mehr Spaß, als über medienpädagogische Ansätze, experimentelle Sendeformen oder Seniorenredaktionen zu berichten und es bringt Auflage bzw. Quote.
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Ich selbst hatte ein Schlüsselerlebnis im Bereich Realpublizistik mit einer Redakteurin vom Stern. 1989 bat mich mein Chef diese Kollegin unter meine Fittiche zu nehmen und ihr einen Tag lang den OKB zu erklären. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass er nicht selbst mit ihr sprach, aber ich war noch etwas naiv Medien und ihre Methoden betreffend. Die junge Journalistin kam also und hatte gleich meine Sympathien, weil sie ein Kulenkampff-T-Shirt trug. Ich vermittelte ihr sechs Stunden lang die OK-Welt, ging mit ihr Mittag essen und hatte den Eindruck den Laden gut “verkauft” zu haben.

Der Artikel, den sie dann schrieb, war eine Ohrfeige für mich und den Sender. Ich hatte mir noch nicht einmal den Text vorlegen lassen. Es gab zwar noch kein Internet, aber per Fax wäre das kein Problem gewesen. Ich war noch sehr naiv. Seitdem bestehe ich darauf Artikel über mich vor Veröffentlichung durchzusehen. Wenn sie über ein Theaterstück geschrieben hätte, wäre ihr Fazit “Alles an dieser Inszenierung war hölzern und steif, nur die Kulissen wackelten” gewesen. Sogar Positives gelang es ihr negativ darzustellen. Ich war damals noch Disponent und bekam eine Absage für eine Sendung am gleichen Abend. Die Medienanstalt verlangte damals jede Sendeanmeldung eine Woche lang zu prüfen, weshalb wir bei Absagen ein Sendeloch hatten, das wir nicht stopfen durften. Die Gelassenheit mit der ich die Sendeabwicklung über das Sendeloch informierte, stellte sie als Desinteresse dar. Dass die Lücke der Gesetzeslage geschuldet war verschwieg sie, sie unterstellte Unprofessionalität. Es war ein einziges Desaster. Mein Chef war erstaunlich verständig und tröstete mich. Später verriet er, das er den Braten gerochen hatte. Ein politischer Gegner des OKB, ein gewisser A.R. brauchte Munition gegen den Bürgersender. Er hatte den Verriss bei einem befreundeten Stern-Redakteur bestellt und der schickte die junge Volontärin, wobei das Fazit der Berichterstattung vorher feststand. Ich hatte keine Chance, aber es war mir eine Lehre.

Natürlich gab es Neider in der Stadt, beispielsweise kleine, kommerzielle Anbieter, die das kostenlose Angebot des DIY-Senders, als unlauteren Wettbewerb sahen. Deshalb wurde auch immer argwöhnisch betrachtet, ob beim OK das Werbeverbot eingehalten wurde.

Natürlich gab es immer wieder Sendungen, bei denen Werbung oder die Erzielung von Einnahmen indirekt, in einer Grauzone, stattfand. Beispielsweise bei Moderatoren, die Künstler vorstellten, die sie praktischerweise als Agenten auch vermarkteten. Ebenso bei Sendeverantwortlichen, die ein Handwerk oder eine Fertigkeit vorstellten, die sie außerhalb der Sendungen als bezahlte Dienstleistung anboten. Wenn das halbwegs geschickt gemacht wurde, war dagegen juristisch kaum etwas einzuwenden. Eine Einblendung wie “Weitere Informationen: Telefonnummer” führte vielleicht zu einer Geschäftsanbahnung, aber dieses gerichtsfest nachzuweisen blieb schwierig bis unmöglich. So hat der Tantra-Coach Andro im OKB gleich eine Reihe von Sendungen produziert, mit denen er heute noch wirbt, “bekannt aus TV”. Zunächst waren da hauptsächlich nackte Menschen zu sehen, die massiert wurden, während ständig eine Telefonnummer eingeblendet wurde. Diese Produktionen fanden Zuschauer, auch bei uns im Sender liefen die Telefone heiß, obwohl unsere Nummer gar nicht zu sehen war. Das brachte Andro auf die Idee eine Call-In-Show daraus zu machen. Es war ja die Ära der Anruf-Sendungen, Moderatoren wie Ray Cokes oder Steve Blame generierten damit für M-TV hohe Einschaltquoten. Ebenfalls um seine Quote zu maximieren vollzog Andro live mit seiner Assistentin den Tantra-Sex-Verkehr, hatte aber noch genügend Kapazität in seiner linken Hirnhälfte, um die Fragen der Anrufer zu beantworten. Gleich beim ersten Mal brach unsere Telefonanlage zusammen, soviele Frager wollten ins Studio durchkommen. Unter den Zuschauern muss mindestens ein BZ-Reporter gewesen sein, den das Boulevard-Blatt machte mit “Skandal. Nackte im TV” auf. Außer das die BZ-Auflage recht groß gewesen sein muss an diesem Tag, blieb die Sache folgenlos. Nackheit allein ist nicht verboten im TV, selbst der beiläufige Geschlechtsverkehr war ohne Großaufnahmen oder eine merkbare pornografische Absicht nicht zu verurteilen. Wie fast alle Skandale im OKB war es eher ein Skandälchen, in Grunde nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas.

2013-09-04-17-10-50_new2 Logan Evans

Der Reiter der Apokalypse:

Im November 1989 sitzt Logan Evans in New York vor dem Fernseher und sieht, wie in Berlin die Mauer fällt. Er war schon immer von Deutschland und deutscher Geschichte fasziniert, besonders vom Dritten Reich und Adolf Hitler. Logan ist selbsternannter Künstler und macht im Manhattan Cable TV eine Show namens “The Four Horsemen of the Apocalypse”. Anfang der 90er Jahre macht er seinen Traum war und kommt nach Berlin. Er lebt in besetzten Häusern und meldet sich im Offenen Kanal Berlin an. Dort macht er Sendungen, die irgendwie radikal und rätselhaft sind. Den Mitarbeitern kommt er zunehmend durchgeknallt vor. Er wird laut, läuft “I’m the terminator” schreiend über den Hof und schließlich wird er handgreiflich. Trotzdem entscheidet die Medienanstalt ihm kein Hausverbot zu geben, um ihm weiter Livesendungen zu ermöglichen, außerdem verspricht er Besserung. Unsere vorgesetzte Behörde, Medienanstalt genannt, trifft nicht gern restriktive Entscheidungen, man fürchtet dort den Gang vors Verwaltungsgericht und das nicht ohne Grund. Die Anstalt zog dort mehrfach den Kurzen.

Eines Abends kommt Evans besonders agitiert zu seiner Sendung, ich vermute er hatte Speed genommen, er hat riesige Pupillen. Wie gesagt, die Kunst- und Meinungsfreiheit wird groß geschrieben, nur bei klaren Gesetzesverstößen dürften wir eine Sendung abbrechen. Aber was wäre das? Die Auschwitzlüge wäre so ein Beispiel, das einzige das man uns Mitarbeitern vorhält. Diese verbreitet Evans nicht, stattdessen skandiert er abwechselnd “Heil Hitler!” und “Allahu Akbar!”, Allah ist groß. Die Kollegin in der Sendeabwicklung ist nicht zu beneiden, ich bin schon zuhause, telefoniere mit ihr und bin der Meinung, sie müsse die Sendung abbrechen. Aber die Kollegin entscheidet sich für die Freiheit der Kunst und strahlt das Programm weiter aus. Vorher hat sie noch die Medienanstalt angerufen, doch da niemand mehr, alle sind im Feierabend.

Zur gleichen Zeit sitzt ein amerikanischer Journalist am Savignyplatz vor dem Fernseher und ist entsetzt. Er ist jüdischer Herkunft, hat Verwandte im Holocaust verloren und arbeitet für die Nachrichtenagentur Reuters. Und so wird am nächsten Tag in aller Welt in der Zeitung stehen, dass im Offenen Kanal Berlin Nazipropaganda gesendet wird.

Unsere Vorgesetzten sind der Meinung, die Kollegin hätte die Sendung besser abbrechen sollen, damit hätte man die schlechte Presse vermieden. Die Kollegin hat Glück, sie bekommt keine Abmahnung. Das hohe Gremium “Medienrat” ist letztlich für Programmverstöße zuständig. Etwa einmal im Monat trifft sich das topbesetzte Gremium. Sechs Monate braucht es, dann fällt der Medienrat, unter dem Vorsitz von Prof. Ernst Benda, dem ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten, ein Urteil. Die Sendung war zulässig, weil die Kunst nun mal frei sei und keine Zensur stattfindet. Hurra, wir sind begeistert. 1998 wird Logan Evans aus Deutschland abgeschoben, nachdem er eine Flasche Schnaps im Supermarkt geklaut hat. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Ein einziges Foto gibt es von ihm im Internet, doch auch da ist nichts über sein weiteres Schicksal zu erfahren.

Nazis

Auch mit wirklichen Nazis gibt es Probleme. Eine rechtsextreme Gruppe nutzt den OKB in den 90er Jahren, um die Radiosendung “Radio Germania” zu machen. Auch hier ist die rechtliche Lage für den OKB und die Aufsicht führende Behörde, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, kompliziert. Die Sendung zu verbieten wäre schwierig, der Artikel 5 unserer Verfassung garantiert freie Meinungsäußerung und die Gesetzesnorm “eine Zensur findet nicht statt” wiegt ebenfalls schwer. Also könnte man streng genommen nur auf einen bereits gesendeten Verstoß reagieren. Trotzdem setzen wir alles daran eine “volksverhetzende” Sendung garnicht erst stattfinden zu lassen. Natürlich fürchten wir eine erneute Pressekampagne wie bei Logan Evans, heute würde man es einen “shitstorm” nennen.

Die erste Sendung findet live statt und die rechtsradikalen Radiomacher sind offensichtlich juristisch gut beraten. Sie nutzen ihre Meinungsfreiheit hart an der Grenze zum Verbotenen. Sie spielen Stücke eines in der Szene berüchtigten Liedermachers, Frank Rennicke. Die gesendeten Lieder sind nicht oder noch nicht indiziert, da ist “Radio Germania” gut informiert. Wir entnehmen aber auch den Gesprächen, die wir am Rande der Sendung mit den Neo-Nazis führen, dass sie vorhaben, uns mit einer illegalen, volksverhetzenden Sendung in Misskredit zu bringen. Zum einen aus Eigeninteresse, sie möchten mit dieser Aktion in die Medien kommen und auch um die Idee des Senders, freie Meinungsäußerung für Jedermann, ad absurdum zu führen.

Die Medienanstalt findet einen juristischen Weg, keine weitere Live-Sendung zuzulassen. Wir atmen auf, zur Live-Sendung kam die vielköpfige Gruppe mit einem hochagressiven “Personenschutz” aus Skinheads mit scharfen Hunden. Es wird Jahre dauern, bis die Medienanstalt uns erlaubt, das Mitbringen von Hunden zu verbieten. Wie gesagt, die Medienanstalt trifft nicht gern repressive Entscheidungen. Vielleicht liegt es daran, dass der Direktor, Dr. Hans Hege, einer “liberalen” Partei angehört. Nein, im Ernst, die Medienanstalt mochte ungern jemand von der Nutzung der Produktionsmittel ausschließen. Bei der Nazigruppe fand man allerdings ein juristisches Schlupfloch.

“Radio Germania” darf keine Livesendung mehr machen, nun muss der Sendeverantworliche die vorproduzierte Sendung spätestens eine Stunde vor Sendebeginn abgeben. Für uns eine Gelegenheit, das Band schnell durchzuhören, um festzustellen ob klare Rechtsverstöße, wie z.B. die bereits zitierte Auschwitzlüge verbreitet wird. Streng genommen dürften wir das auch nicht, denn es ist ja Zensur. Ich lege das Band in der Sendeabwicklung ein und höre mir mit Kollegen eine Stunde lang einen Artikel aus Brehms Tierleben über das Wildschwein an. Der Satz “Der Waidmann nennt das weibliche Tier Bache” brennt sich in mein Gedächtnis ein. Natürlich ist die Sendung zulässig. Das Rechtsextreme ihre antifaschistischen Gegner gern mit Wildschweinen vergleichen, ist uns bewusst. Es ist aber auch nicht volksverhetzend. Wir haben diesen Eiertanz noch ein paarmal ausgeführt, “Radio Germania” erreichte sein Ziel in die Medien zu kommen, obwohl sie geschickt vermieden Gesetzesnormen zu brechen. Natürlich war es schwer Journalisten unsere heikle Lage zu vermitteln. Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren lag noch in ferner Zukunft und die Presse wunderte sich, das die Nazis überhaupt bei uns senden durften. Es gab zwar auch Probleme mit türkischen und arabischen Sendungen, die hart an der Grenze zum Gesetzesbruch sendeten, doch auch da hat es nie justiziable Verstöße gegeben. Bei fast 30 Jahren offenem und freiem Zugang ist das eine Bilanz, die positiv stimmen könnte, wüsste man nicht, dass es an Stammtischen und bei privaten Runden, aber auch in Fußballstadien volksverhetzende Äußerungen gäbe, doch die Urheber trauen sich nicht, mit ihrem Namen in Funk und Fernsehen aufzutreten.

Ich könnte noch ein viertes Substantiv, das mit N beginnt, anführen und über die Prostituierte Molly L. schreiben. Aber da die Dame bereits verstorben ist und ich mich an keine weiteren Programmverantwortlichen aus dem horizontalen Gewerbe erinnern kann, will ich den Mantel des Vergessens über diese geschmacklosen Programme legen, die viele Zuschauer hatten und die stets ihren Höhepunkt mit der Enthüllung der gigantischen Oberweite von Frau L. fanden. Auch diese Sendungen sind genüsslich von den Berliner Boulevard-Zeitungen skandalisiert worden. Wenn man bedenkt, dass diese Gazetten regelmäßig ihre Auflage durch blanke, weibliche Brüste steigerten, muss man den Kopf schütteln über soviel Heuchelei.

Nervensägen

Kommen wir also zu den Nervensägen. Das menschliche Gedächtnis kennt keinen Anstand und keine Ritterlichkeit und da ich mich der Ehrlichkeit verpflichtet sehe, muss ich gestehen dass mir beim Stichwort “Nervensägen” umgehend Frau Mathilde S. einfällt. Der Offene Kanal Berlin hat ja viele schwierige Menschen und auch echte Querulanten angezogen, aber die “wilde Hilde” ist mir am Lebhaftesten im Gedächtnis. Vielleicht auch weil sie es so oft geschafft hat, mich oder andere Kollegen auf die Palme zu bringen. Sie hatte eine Art einen so lange zu reizen und zu provozieren, bis man schließlich nach 20 oder 30 Minuten aus der Haut fuhr, was Mathilde stets mit einem seeligen Lächeln quittierte. Es ist wohl für sie wie eine gute Tat für Pfandfinder, etwas das man zur seelischen Hygiene mindestens einmal am Tag braucht. Frau S. sendet noch heute, allerdings hat man sie in die Nachtstunden verbannt, wo sie kaum Zuschauer finden wird und dem neuen, aus der Asche des OKB erstandenen, Sender ALEX keinen Imageschaden zufügt.

Natürlich gab es noch viele weitere Nervensägen, die meisten waren im Umgang ziemlich freundlich, nur ihre Programme nervten, weil man sie partout nicht verstehen konnte, beim besten Willen nicht. Michael Santos fällt mir ein, dessen Sendungen wohl kaum jemand verstanden hat, wahrscheinlich er selbst nicht. Heinz Kluike, dem man lange zuhören konnte, ohne ein Thema zu erkennen. Oder den ehemaligen Gastwirt Günter Rackwitz, der unerträgliche Berlinschlager sang. Als die schlimmsten Nervensägen habe jedoch die Zuschauer empfunden, die jahrelang bei jeder call-in-show anriefen, um Obszönitäten abzusondern. Wieviel wohlmeinende Sendeneulinge haben sie wohl zum Aufgeben gebracht?

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Natürlich gab es auch viele freundliche, engagierte Sendungsmacher, die häufig jahrelang tolle Sendungen auf die Beine stellten und immer hilfsbereit waren. Stellvertretend für viele fällt mir Lothar Wielandt ein, der Rollstuhlfahrer, der Radioprogramme für die älteren Zuhörer machte und auf jeder Funkausstellung den Schriftgenerator bediente. Als er im hohen Alter noch einmal heiratete, haben sich alle OK-Mitarbeiter herzlich mit ihm gefreut.

Viele Sende-Verantwortliche gibt es noch heute zu sehen. “Pfeiffers Ballhaus” läd noch immer zum Schwofen ein und “Der spitze Kreis” begleitet immer noch die Berliner Bühnenereignisse.

Auch im Hörfunkbereich gibt es Radiomacher, die seit den Anfängen dabei sind. Rolf Gänsrich und Peter Ziermann fallen mir ein. Peter hatte, als er in den 80er Jahren anfing, einen Sprachfehler, den er beim moderieren erfolgreich kurierte. Noch heute bin ich mit Rolf und Peter auf Facebook befreundet.

ALEX-TV

Inzwischen ist der Sender ja erwachsen geworden, seit er sich 2009 in ALEX TV** umbenannt hat, merkt man das Bestreben sich von dem schlechten Image der frühen Jahre zu befreien. Es wird jetzt auch an die Zuschauer gedacht und man programmiert die interessantesten Sendungen in der Hauptsendezeit. Viele Aufnahmen von Berliner Konzerten und Diskussionen sind sehenswert. Für Kinder, Jugendliche und Nachwuchs-Medienprofis ist ALEX Ansprechpartner und Vermittler von Medienkompetenz. Seitdem mit Volker Bach ein Medienprofi Leiter ist, scheinen auch Medienanstalt und Politik begriffen zu haben, dass eine solche Werkstatt nicht zum Schnäppchen-Preis zu haben ist. Ich wünsche dem Sender, seinen Nutzern und den fleißigen Mitarbeitern von Herzen alles Gute für die nächsten 29 Jahre.

Marcus Kluge

Das Logan Evans Foto stammt von dieser Website, auf der auch Zeichnungen des Künstlers dokumentiert sind:

http://www.lisecki.de/MsoEvans.htm

Hier erzähle ich wie ich zum Offenen Kanal Berlin kam und Mitarbeiter wurde: https://marcuskluge.wordpress.com/2015/11/18/editorial-sechzig-eins-zum-geburtstag/

*So begann es. 1985 hält die mediale Zukunft Einzug in West-Berlin, ein sogenanntes Kabelpilotprojekt wird gestartet. Zwei Tage vor Beginn der Funkausstellung wird am 28. September in 218000 Haushalten ein zusätzliches Angebot, bestehend aus 12 TV-Sendern freigeschaltet. Neben öffentlich-rechtlichen Sendern, wie WDR oder dem Bayerischen Fernsehen sind erstmals auch private Sender am Start, allen voran RTLplus und SAT.1. Außerdem will man in Berlin einen frei zugänglichen Bürgersender ausprobieren, den Offenen Kanal Berlin. Dieses “demokratische Feigenblatt”, so sahen es Medienkritiker, hat mein Leben für fast zwei Jahrzehnte verändert und bestimmt.

**ALEX TV

http://www.alex-berlin.de/

Berlinische Leben – „Hollywood-Friedenau“ / “Schnelle Schuhe – Punk in West-Berlin” Teil 3 / 1982-88

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(V.r. Marcus, Herbert, Rainer, Cordula, Boeldicke)

“I never wanted to go back and relive the glory days; I just want to keep moving forward. That’s what I took from punk. Keep going.” Paul Simonon, The Clash

Wahrscheinlich das Beste an den Punk-Jahren war die Selbstverständlichkeit mit der wir ans Werk gingen, um unsere eigene Musik, unsere Medien, unsere Mode und auch unsere eigenen Spiele zu erfinden. Was bisher nur Eliten gestattet war, eroberten wir uns, ohne groß nach Legitimation oder Qualifikation zu fragen. Wir machten es einfach. Was wir machten, hatten wir nicht in einer Schule oder Uni gelernt, wir lernten vom Leben und durch das Tun. Insofern waren auch wir “Leute vom Fach”.

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Im Sommer 1982 lernte ich bei einem Zatopek-Konzert in Tempodrom Herbert Piechot kennen. Ich hatte ihn schon bei vielen Konzerten gesehen, durch seine langen Haare und die Strickpullover optisch recht auffällig, stand er, das Mikrofon hochhaltend inmitten des Publikums und schnitt mit. Weil meine Musikkenntnisse doch etwas lückenhaft waren, hoffte ich ihn zur Mitarbeit an meinem geplanten Fanzine zu gewinnen. Andreas B., ein Freund der in Konstanz Mitherausgeber eines Stadtmagazins war, hatte mir bereits seine Unterstützung zugesichert, denn meine verlegerischen Erfahrungen erschöpften sich darin, eine Schreibmaschine zu bedienen und ich wollte schon etwas Größeres auf die Beine stellen, als ein paar fotokopierte Seiten.

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Herbert erinnert sich, dass bei diesem Konzert plötzlich zwei dubios aussehende Herren in Trenchcoats auf ihn zukamen, kurz befürchtete er wir wären “Gema-Agenten”, die sich ihm als Marcus und Andreas vom in Gründung befindlichen Fanzine Assasin vorstellten. Herbert war erleichtert, nicht von der Gema beim Bootleggen erwischt worden zu sein und das Projekt hörte sich spannend für ihn an.
Herbert und ich befreundeten uns, er war 18 und ich 27. Da er bei seiner Oma wohnte und ausziehen wollte, mietete er die Ein-Zimmer-Wohnung unter mir und zog auch in die Rheinstraße 14. Wir arbeiteten zusammen an der Nullnummer, Rainer Jacob entwarf das Assasin-Logo mit dem Fadenkreuz, die typische Schrift in Ausrissform und er gestaltete sehr stimmungsvolle Logos für Rubriken wie “Konzertverriss”, Scheibenwichser” oder “Abschussliste”. Und Rainer war die Ausnahme von der Regel. Er hatte sein Handwerk wirklich an einer Uni und im Job als “Art Director” gelernt. Das erste Heft enthielt so unterschiedliche Themen wie William S. Burroughs, Endorphine, die Beach Boys, “Rauschgifthunde”, sowie einen Bericht vom zweiten Konzert der Ärzte, am 14.10.82, in der Music-Hall.

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Sogar John Peel schrieb uns

Am 27.11.1982 druckte ich bei Monika Dörings Stamm-Druckerei in der Kantstraße den Erstling. Monika lies dort alle ihre Plakate drucken, sie legte ein gutes Wort für mich ein, ich half beim drucken, dadurch blieben die Kosten überschaubar. Ich zahlte nur das Papier und die Druckvorlagen, der Drucker bekam wohl einen Fünfziger auf die Hand. Am Tag danach, einem Sonntag, legten wir die Hefte zusammen, falzten sie und verpackten sie in Plastiktüten. Abends gingen wir auf ein Konzert und begannen den Vertrieb. Zufällig traf ich dort Qpferdach, der am Freitag danach in der taz, als erster Journalist über uns schrieb.

Wir bekamen sehr viel guten Zuspruch, sogar von John Peel bekamen wir eine Postkarte. Kurz vor Weihnachten waren wir noch so euphorisch, dass wir beschlossen alle unsere Freunde zum Heiligabend einzuladen. Ich erinnerte mich an das stimmungsvolle Weihnachten 1974 in der WG in der Schlüterstraße und besorgte alles Nötige für eine Feuerzangenbowle. Damit begründeten Herbert und ich eine Tradition, die bis in die 90er Jahre halten sollte. Jedes Jahr am 24.12., so gegen 21-22 Uhr, wenn die Familienfeste vorbei waren, versammelten sich unsere Freunde. Nach den ersten Gläsern des gefährlichen und hypnotischen Gesöffs wurden dann Spiele gespielt. 1982 ist es, glaube ich, Karriere gewesen ein Brettspiel aus den 60ern, das damals schon kultig war. In den Jahren danach erfanden Herbert und ich neue Spiele, einmal entwickelte Hcl das Klubspiel, in dem man das Risiko, den Dschungel und andere legendäre Orte besuchen konnte oder wir arbeiteten alle zusammen an einer Riesenversion von Outburst.

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Drehbücher, Cast-Kärtchen, Spielgeld aus Hollywood-Friedenau

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Hcls Clubspiel (Ausschnitte des 60/60 cm großen Spielbretts)

1983 gründeten wir zusätzlich eine wöchentliche Kartenrunde. Einmal in der Woche trafen sich der harte Kern der Assasin-Redaktion im Café Mitropa, ich glaube es war am Mittwoch. Wir spielten “Binokel”, ein altes Kartenspiel, das ich wiederentdeckt hatte und tranken dazu Weizenbier. Beides war für die coolen Mitropa-Gäste geradezu ein Affront. Es war die Provokation in der, zum Alltag gewordenen, Provokation der späten Punkjahre.
Aber das aufwendigste und komplexeste aller unserer Spiele sollte “Hollywood-Friedenau” werden. Der riesige Spielplan hatte die Form einer Acht mit 64 Feldern und diversen Nebenschauplätzen. Thema war das Filmgeschäft und Sieger wurde, wem es gelang, drei Spielfilme in unterschiedlichen Genres zu produzieren. Dazu gab es hunderte von Kärtchen mit Schauspielern, Regisseuren und Drehbüchern. Auf den Drehbuchkarten stand jeweils ein Kurztreatment in 3-4 Sätzen. Bei den Titeln hielten wir uns an Klassiker, die wir verballhornten, z.B. “Über den Löchern der Pizza” oder ” Dial M for Mini-Pizza”. Entsprechend hießen die Regisseure Sergio Mälone, Luis Bühnjuwel oder Alfred Kitschkoch. Man konnte Schauspieler wie Robert Mischrum oder Natassja Kunstschie engagieren oder sich von Klaus Dildonger einen Soundtrack schreiben lassen. Ein eigenes Zahlungsmittel hatten wir natürlich auch entwickelt, die MMMs, Meyers Movie Mäuse. Eine Runde dauerte mindestens drei Stunden, meist haben wir zwei oder drei Runden gespielt und bis in den Morgen zusammengesessen.

In einem anderen Jahr erfand unser Freund Hcl ein “Clubspiel”. Man konnte die legendären Clubs der frühen 80er Jahre, wie das Risiko, den Dschungel oder die MusicHall besuchen, danach in der “Futterkrippe” Currywurst essen und wenn man Pech musste man dann am Bahnhof Zoo lange auf den Bus warten. Andererseits, vielleicht lernte man beim Warten jemand kennen, den man mit ins Bett nehmen konnte. Für das Bett galten, wie für alles komplizierteRegeln. Ziel war möglichst viele Glückspunkte zu bekommen. Natürlich wurden die Regeln durch lange Diskussionen modifiziert.

Screenshot 2014-02-09 09.03.51Filmbär im Pinguin
Als ich 1987 den “Filmbär” machte, ein Berlinale-TV-Journal, fielen mir die Drehbücher von “Hollywood-Friedenau” wieder ein. Es war zwar zu aufwändig, die Scripts tatsächlich zu verfilmen, aber wir drehten eine Reihe von Kurz-Videos in denen ich die Stories vorstelle. Kulisse bildete der Pinguin-Club und der großartige Volker Hauptvogel mixte mir zu jedem Treatment einen passenden Cocktail und servierte in mit viel Applomb.ImageGeheimnisse der T-Shirtherstellung in den 1980er Jahren

Leider habe ich nur zwei Jahre direkt um die Ecke vom Pinguin-Klub gewohnt, das war verdammt praktisch. Ich habe mich dort immer sehr wohl gefühlt und mir fällt eine kleine Anekdote ein, um das zu illustrieren.Am 18. Mai 1991 war ich dort und gegen Mitternacht kam Herbert Grönemeyer mit zwei oder drei Begleitern herein. Die Begleiter waren offensichtlich Stammgäste, der Sänger wohl nicht. Also stand Grönemeyer, an einem Becks nuckelnd in der Mitte des Ladens und “guckte ob jemand guckt”. Kurz vorher war er von 100000 Menschen auf einem Open-Air-Konzert bei Ahrensfelde gefeiert worden, er hält wohl immer noch irgendeinen deutschen Rekord dafür. Auf jeden Fall drehte sich niemand zu ihm um, keiner guckte und seine Versuche mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen scheiterten kläglich. Nach 20 Minuten sah er ziemlich frustriert aus und versuchte seine Begleiter zum gehen zu bewegen. Kurz danach stürzte er hinaus und ward nicht mehr gesehen. Als ich 1988 aus Schöneberg weg, in die Kudammnähe zog, verlor ich den engen Kontakt mit vielen Freunden und Mitstreitern. Aber die 80er waren sowieso durch, der Mauerfall mischte alle Karten neu. Hin und wieder fuhr ich noch nach Schöneberg, ins Café Mitropa oder zum Pinguin. Was noch blieb war die Feuerzangenbowle zu Weihnachten, die wir bei mir in der Lietzenburger Straße oder bei Herbert in der Beusselstraße begingen, bis dann Ende der 90er auch damit Schluss war. 2013 habe ich die Tradition wieder aufgenommen, es gibt wieder eine Feuerzangenbowle, aber nicht mehr am Heiligen Abend und nur noch im kleinen Kreise. Noch fehlt mir eine Spielidee für dieses Jahr… Überhaupt erinnert mich die Arbeit am Blog an die Zeiten in der Rheinstraße.Nur ist heute alles schneller, allein wenn man Drucken mit Posten im Internet vergleicht. Damals waren nur die Musik und die Schuhe schneller.

“Keep going”.

 

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