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Schnelle Schuhe – „Hollywood-Friedenau“ / von Marcus Kluge – Die Punkjahre Teil 5

“Schnelle Schuhe” ist eine kleine Sammlung von Texten, in denen sich verschiedene Autoren an die Zeit Ende der 70er und Anfang der 80er in der Mauerstadt erinnern: die Punkjahre. Die Reihe ist gänzlich unrepräsentativ und mehr oder weniger zufällig zusammengekommen.

(Das Foto oben enstand 1983 bei der Assasin-Party “Kanniball in Berlin” in unserem Hauptquartier in der Friedenauer Rheinstraße. Eigentlich hatten Herbert und ich nur drei winzige Einzimmer-Wohnungen gemietet, trotzdem veranstalteten wir Konzerte, Filmabende, Spielturniere, Selbstversuche und andere obskure Events. Das Bild zeigt Gockel Schnockel beim Auftritt von “Dreidimensional” in Herberts Wohn- und Schlafzimmer.)

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(V.r. Marcus, Herbert, Rainer, Cordula, Boeldicke)

“I never wanted to go back and relive the glory days; I just want to keep moving forward. That’s what I took from punk. Keep going.” Paul Simonon, The Clash

Wahrscheinlich das Beste an den Punkjahren war die Selbstverständlichkeit mit der wir ans Werk gingen, um unsere eigene Musik, unsere Medien, unsere Mode und auch unsere eigenen Spiele zu erfinden. Was bisher nur Eliten gestattet war, eroberten wir uns, ohne groß nach Legitimation oder Qualifikation zu fragen. Wir machten es einfach. Was wir machten, hatten wir nicht in einer Schule oder Uni gelernt, wir lernten vom Leben und durch das Tun. Insofern waren auch wir “Leute vom Fach”.

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Herbert und ich 1984 beim Selbstversuch “Dauerfernsehen”.

Im Sommer 1982 lernte ich bei einem Zatopek-Konzert in Tempodrom Herbert Piechot kennen. Ich hatte ihn schon bei vielen Konzerten gesehen, durch seine langen Haare und die Strickpullover optisch recht auffällig, stand er, das Mikrofon hochhaltend inmitten des Publikums und schnitt mit. Weil meine Musikkenntnisse doch etwas lückenhaft waren, hoffte ich ihn zur Mitarbeit an meinem geplanten Fanzine zu gewinnen. Andreas B., ein Freund der in Konstanz Mitherausgeber eines Stadtmagazins war, hatte mir bereits seine Unterstützung zugesichert, denn meine verlegerischen Erfahrungen erschöpften sich darin, eine Schreibmaschine zu bedienen und ich wollte schon etwas Größeres auf die Beine stellen, als ein paar fotokopierte Seiten.

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Herbert erinnert sich, dass bei diesem Konzert plötzlich zwei dubios aussehende Herren in Trenchcoats auf ihn zukamen, kurz befürchtete er wir wären “Gema-Agenten”, die sich ihm als Marcus und Andreas vom in Gründung befindlichen Fanzine Assasin vorstellten. Herbert war erleichtert, nicht von der Gema beim Bootleggen erwischt worden zu sein und das Projekt hörte sich spannend für ihn an.
Herbert und ich befreundeten uns, er war 18 und ich 27. Da er bei seiner Oma wohnte und ausziehen wollte, mietete er die Ein-Zimmer-Wohnung unter mir und zog auch in die Rheinstraße 14. Wir arbeiteten zusammen an der Nullnummer, Rainer Jacob entwarf das Assasin-Logo mit dem Fadenkreuz, die typische Schrift in Ausrissform und er gestaltete sehr stimmungsvolle Logos für Rubriken wie “Konzertverriss”, Scheibenwichser” oder “Abschussliste”. Und Rainer war die Ausnahme von der Regel. Er hatte sein Handwerk wirklich an einer Uni und im Job als “Art Director” gelernt. Das erste Heft enthielt so unterschiedliche Themen wie William S. Burroughs, Endorphine, die Beach Boys, “Rauschgifthunde”, sowie einen Bericht vom zweiten Konzert der Ärzte, am 14.10.82, in der Music-Hall.

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Sogar John Peel schrieb uns

Am 27.11.1982 druckte ich bei Monika Dörings Stamm-Druckerei in der Kantstraße den Erstling. Monika lies dort alle ihre Plakate drucken, sie legte ein gutes Wort für mich ein, ich half beim drucken, dadurch blieben die Kosten überschaubar. Ich zahlte nur das Papier und die Druckvorlagen, der Drucker bekam wohl einen Fünfziger auf die Hand. Am Tag danach, einem Sonntag, legten wir die Hefte zusammen, falzten sie und verpackten sie in Plastiktüten. Abends gingen wir auf ein Konzert und begannen den Vertrieb. Zufällig traf ich dort Qpferdach, der am Freitag danach in der taz, als erster Journalist über uns schrieb.

Wir bekamen sehr viel guten Zuspruch, sogar von John Peel bekamen wir eine Postkarte. Kurz vor Weihnachten waren wir noch so euphorisch, dass wir beschlossen alle unsere Freunde zum Heiligabend einzuladen. Ich erinnerte mich an das stimmungsvolle Weihnachten 1974 in der WG in der Schlüterstraße und besorgte alles Nötige für eine Feuerzangenbowle. Damit begründeten Herbert und ich eine Tradition, die bis in die 90er Jahre halten sollte. Jedes Jahr am 24.12., so gegen 21-22 Uhr, wenn die Familienfeste vorbei waren, versammelten sich unsere Freunde. Nach den ersten Gläsern des gefährlichen und hypnotischen Gesöffs wurden dann Spiele gespielt. 1982 ist es, glaube ich, Karriere gewesen ein Brettspiel aus den 60ern, das damals schon kultig war. In den Jahren danach erfanden Herbert und ich neue Spiele, einmal entwickelte Hcl das Klubspiel, in dem man das Risiko, den Dschungel und andere legendäre Orte besuchen konnte oder wir arbeiteten alle zusammen an einer Riesenversion von Outburst.

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Oben: Drehbücher, Cast-Kärtchen, Spielgeld aus Hollywood-Friedenau und Kiste zum aufbewahren.

Unten: Hcls Clubspiel Spielbrett 60×60 cm.

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Meine Katze schnuppert wie’s im Dschungel riecht.

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 1983 gründeten wir zusätzlich eine wöchentliche Kartenrunde. Einmal in der Woche trafen sich der harte Kern der Assasin-Redaktion im Café Mitropa, ich glaube es war am Mittwoch. Wir spielten “Binokel”, ein altes Kartenspiel, das ich wiederentdeckt hatte und tranken dazu Weizenbier. Beides war für die coolen Mitropa-Gäste geradezu ein Affront. Es war die Provokation in der, zum Alltag gewordenen, Provokation der späten Punkjahre.
Aber das aufwendigste und komplexeste aller unserer Spiele sollte “Hollywood-Friedenau” werden. Der riesige Spielplan hatte die Form einer Acht mit 64 Feldern und diversen Nebenschauplätzen. Thema war das Filmgeschäft und Sieger wurde, wem es gelang, drei Spielfilme in unterschiedlichen Genres zu produzieren. Dazu gab es hunderte von Kärtchen mit Schauspielern, Regisseuren und Drehbüchern. Auf den Drehbuchkarten stand jeweils ein Kurztreatment in 3-4 Sätzen. Bei den Titeln hielten wir uns an Klassiker, die wir verballhornten, z.B. “Über den Löchern der Pizza” oder ” Dial M for Mini-Pizza”. Entsprechend hießen die Regisseure Sergio Mälone, Luis Bühnjuwel oder Alfred Kitschkoch. Man konnte Schauspieler wie Robert Mischrum oder Natassja Kunstschie engagieren oder sich von Klaus Dildonger einen Soundtrack schreiben lassen. Ein eigenes Zahlungsmittel hatten wir natürlich auch entwickelt, die MMMs, Meyers Movie Mäuse. Eine Runde dauerte mindestens drei Stunden, meist haben wir zwei oder drei Runden gespielt und bis in den Morgen zusammengesessen.

In einem anderen Jahr erfand unser Freund Hcl ein “Clubspiel”. Man konnte die legendären Clubs der frühen 80er Jahre, wie das Risiko, den Dschungel oder die MusicHall besuchen, danach in der “Futterkrippe” Currywurst essen und wenn man Pech musste man dann am Bahnhof Zoo lange auf den Bus warten. Andererseits, vielleicht lernte man beim Warten jemand kennen, den man mit ins Bett nehmen konnte. Für das Bett galten, wie für alles komplizierteRegeln. Ziel war möglichst viele Glückspunkte zu bekommen. Natürlich wurden die Regeln durch lange Diskussionen modifiziert.

Screenshot 2014-02-09 09.03.51Filmbär im Pinguin
Als ich 1987 den “Filmbär” machte, ein Berlinale-TV-Journal, fielen mir die Drehbücher von “Hollywood-Friedenau” wieder ein. Es war zwar zu aufwändig, die Scripts tatsächlich zu verfilmen, aber wir drehten eine Reihe von Kurz-Videos in denen ich die Stories vorstelle. Kulisse bildete der Pinguin-Club und der großartige Volker Hauptvogel mixte mir zu jedem Treatment einen passenden Cocktail und servierte in mit viel Applomb.ImageGeheimnisse der T-Shirtherstellung in den 1980er Jahren

Leider habe ich nur zwei Jahre direkt um die Ecke vom Pinguin-Klub gewohnt, das war verdammt praktisch. Ich habe mich dort immer sehr wohl gefühlt und mir fällt eine kleine Anekdote ein, um das zu illustrieren.Am 18. Mai 1991 war ich dort und gegen Mitternacht kam Herbert Grönemeyer mit zwei oder drei Begleitern herein. Die Begleiter waren offensichtlich Stammgäste, der Sänger wohl nicht. Also stand Grönemeyer, an einem Becks nuckelnd in der Mitte des Ladens und “guckte ob jemand guckt”. Kurz vorher war er von 100000 Menschen auf einem Open-Air-Konzert bei Ahrensfelde gefeiert worden, er hält wohl immer noch irgendeinen deutschen Rekord dafür. Auf jeden Fall drehte sich niemand zu ihm um, keiner guckte und seine Versuche mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen scheiterten kläglich. Nach 20 Minuten sah er ziemlich frustriert aus und versuchte seine Begleiter zum gehen zu bewegen. Kurz danach stürzte er hinaus und ward nicht mehr gesehen. Als ich 1988 aus Schöneberg weg, in die Kudammnähe zog, verlor ich den engen Kontakt mit vielen Freunden und Mitstreitern. Aber die 80er waren sowieso durch, der Mauerfall mischte alle Karten neu. Hin und wieder fuhr ich noch nach Schöneberg, ins Café Mitropa oder zum Pinguin. Was noch blieb war die Feuerzangenbowle zu Weihnachten, die wir bei mir in der Lietzenburger Straße oder bei Herbert in der Beusselstraße begingen, bis dann Ende der 90er auch damit Schluss war. 2013 habe ich die Tradition wieder aufgenommen, es gibt wieder eine Feuerzangenbowle, aber nicht mehr am Heiligen Abend und nur noch im kleinen Kreise. Überhaupt erinnert mich die Arbeit am Blog an die Zeiten in der Rheinstraße. Nur ist heute alles schneller, allein wenn man Drucken mit Posten im Internet vergleicht. Damals waren nur die Musik und vor allem die Schuhe schneller.

“Keep going”.

Schnelle Schuhe – „Ach Musik“ / von Marcus Kluge – Punk in Berlin Teil 2

“Schnelle Schuhe” ist eine kleine Sammlung von Texten, in denen sich verschiedene Autoren an die Zeit Ende der 70er und Anfang der 80er in der Mauerstadt erinnern. Die Reihe ist gänzlich unrepräsentativ und mehr oder weniger zufällig zusammengekommen. Und sie ist ein Fragment. Ursprünglich gab es einen ersten Teil, indem eine Autorin erzählte, wie 1977 für sie, Punk nach Berlin kam. Wie sie als 13-jährige “ihre ersten Punks” in der U-Bahn sah und sich fast unmittelbar anschloss. Leider hat die Autorin den wunderschönen Text zurückgezogen und all meine Leidenschaft und Eloquenz konnten sie nicht davon abhalten. Es gab auch eine persönliche Ebene der Angelegenheit, aber die soll privat bleiben. Es war eine neue und unerfreuliche Erfahrung für mich Herausgeber und Freund. Lange Zeit hatte ich keine Lust an dem Serien-Fragment weiterzuarbeiten. Jetzt habe ich begonnen die Sammlung neu zu fassen und durch zusätzliche Texte zu ergänzen. Am 21. 5. erschien der erste Teil und heute folgen meine Erinnerungen. Apropos Erinnerungen, die Autoren beschreiben ihre eigenen Erinnerungen, die möglicherweise nicht mit denen anderer Zeitzeugen übereinstimmen. Diese Texte haben nicht den Anspruch Musikgeschichte zu schreiben, sondern den, persönliche Erinnerungen vor dem Vergessen zu bewahren. (Das Foto oben zeigt den Autor Ende der 70er Jahre.)

“Schnarräng!! – Da tönt ihm in das Ohr
Ein Bettelmusikantenchor.
Musik wird oft nicht schön gefunden,
Weil sie stets mit Geräusch verbunden.”
Wilhelm Busch: Der Maulwurf

1983. Wir sind zu dritt und haben ein Kunstkopf-Mikrofon und einen tragbaren Audio-Rekorder dabei. Irgendwo am Teltowkanal kennen wir einen Schrottplatz, der am Wochenende unbewacht ist. Herbert und ich sind nicht allein, Cordula ist auch dabei, glaube ich.
Damals hatte ja jeder eine Band, eine Kapelle, Combo oder wenigstens ein Musik-Projekt oder zwei. Besonders beliebt mit ungewöhnlichen Geräten zu musizieren. Zum Beispiel Presslufthämmer oder Seitenschneider. Wir benutzten gern Kaffeemaschinen, je verkalkter desto besser, oder Küchengeräte wie die Moulinette, für unsere Aufnahmen als “Cut-Up-Swingers”. Nicht fehlen durften martialische Metallteile als Percussion-Instrumente. Auf dem Schrottplatz machten wir mit Herberts kleinem Audiorekorder Aufnahmen. Den benutzte er sonst zum Mitschneiden von Konzerten. Wir kletterten also über einen Zaun, suchten uns geeignete Schrottteile und machten damit lauten, rhythmischen Lärm. Cordula hatte sich schon immer gefragt, wie ein Bagger klingt? Nun konnte sie es ausprobieren. Nach zehn oder zwölf Minuten, wir waren so richtig in Fahrt, mischte sich eine fremde Stimme in die Tonaufnahme, live! Sie brüllte:
“Watt soll’n ditte hier?”
Die Aggressivität der männlichen Stimme wurde durch das entgrenzte Kläffen eines Hundes unterstrichen.
“Wir machen Musik!”, brüllte ich zurück. Jetzt sahen wir den “Schrottplatz-Offiziellen” und einen riesigen Schäferhund-Rotti-Mischling. Beide waren fuchsteufelswild und der Mann schrie die folgenden, unsterblichen Sätze:
“Ach Musik! Ach Musik ist ditte! Macht mal ‘n langen Schuh, sonst jipps Keile!”
Wir beschlossen ohne weitere Diskussion der Aufforderung des Schrott-Wächters nachzukommen. Schnell packten wir Mikro und Rekorder zusammen, kletterten zurück und spätestens als wir auf unseren Fahrrädern saßen, konnten wir kaum noch die Balance halten vor lachen. Aus “lange Schuhe” wurde in der Erinnerung “schnelle Schuhe” und den “Ach Musik!” Audio-Clip bauten wir in einen Song ein. Wir benutzten ihn schließlich als Jingle bei unseren Veranstaltungen. Er wurde zum Markenzeichen und zum geflügelten Wort für alle Grenzwertigkeiten musikalischer Natur und an solchen waren die 1980er Jahre reich.

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Anfang 1979 sollten die “Sex-Pistols” in der Neuen Welt in der Hasenheide spielen. Neben “The Saints”, deren Stranded-Album ich ’78 als Cut-Corner kaufte, sind die Sex Pistols zwischen dem ganzen weichgespülten Chart- und und behämmerten Hard-Rock, ein Lichtblick. Leider fiel das Konzert aus, meine Karte gab ich zurück, denn inzwischen war Syd Vicious an einer Überdosis Heroin gestorben. Im Chelsea-Hotel in New York, in dem Apartment, in dem er nach Vermutung der Polizei seine Freundin Nancy Spungen erstach. Der Punk kam trotzdem nach West-Berlin und beendete kraftvoll die 70er Jahre, die ich, wenn zu ich einer royalen Familie gehören würde, als mein “Dezennium Horribilis” bezeichnen würde. Es war wirklich ein blödes Jahrzehnt, es baute sich auf der Asche der genialen 60er auf und bestand aus schlechter Musik, hässlicher Mode, dem “Deutschen Herbst” und Stillstand, sowie einem Strukturumbau, der die Grundlagen für den heutigen Turbo-Kapitalismus legte, aber das ahnte ich nur, damals. Umso bunter die Äußerlichkeiten wurden, desto grauer und gefühlskälter wurde die Gesellschaft innerlich. Die “Sexuelle Revolution” entpuppte sich als Erlaubnis Pornografie zu verkaufen und kaufen. Punk war der benötigte grobe Keil, um den 70er-Klotz zu zerhacken. Punk befriedigte den Wunsch der Jungen nach Authentizität, Lebensfreude und Gefühl. Endlich schaffte auch ich es aus meiner selbstgewählten “Splendid Isolation” und meinem Schweigen auszubrechen. Die Latte hing plötzlich so niedrig, dass in Grunde jeder sie überspringen konnte. Drei Akkorde reichten Musik zu machen und das Drei-Finger-Suchsystem reichte, um Autor zu werden. Ich war wieder im Geschäft, ohne Punk hätte man mich wahrscheinlich weitere zehn Jahre später vom Fußboden meiner Außenklo-Wohnung gekratzt.
Vor ein paar Jahren hatte mein alter Freund und Mitstreiter Hcl mal kommentiert, wir wären damals irgendwie alle Punks gewesen. Ich hatte mich distanziert, weil ich mich damals nie als Punk gefühlt habe. Ich war schon Mitte 20, für mich waren richtige Punks 15 oder allenfalls 17. Ich bewegte mich in der Punkszene, sie hat mich sehr beeinflusst, befreit und mir Perspektive gegeben, jenseits traditioneller politischer und künstlerischer Festgelegtheiten. Insofern war auch ich ein Punk.

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Performance zum Beginn des Orwell-Jahres am 1. Januar 1984.

Eigentlich hatte ich 1971 das Musizieren aufgegeben, mein Bass lehnte an der Wand und wurde nicht gespielt. Ich hatte als Kind und Jugendlicher viel ausprobiert und und immer wieder versucht den Traum zu verwirklichen, als Musiker auf der Bühne zu stehen und Erfolg zu haben. Mit 16 gab ich auf, ich hatte einfach nicht genügend Talent, fand ich. Aber zehn Jahre später glaubte ich an das Versprechen der Punkbewegung, jeder könne mit drei Akkorden erfolgreich sein. Im “Rock City Berlin” Handbuch 83/84 stehen hunderte Bands, die fantasievolle Namen wie Pille Palle und die Ötterpötter, Mekanik Destrüktiw Komandöh, Leningrad Sandwich oder Flucht nach vorn haben. Es war eine Gründerzeit. Also gründeten Herbert und ich, sofort, nachdem wir uns 1982 kennengelernt hatten, eine Band, die wir “Cut-Up-Swingers” nannten. Zum einen, weil wir mit der Cut-Up-Methode des Schriftstellers William S. Bouroughs arbeiteten, zum anderen spielte der Name auf die Feministin Valerie Solanas an, die S.C.U.M. gründete, die “Society for cutting up men”. Zunächst machten wir Klangkollagen, ich las gefundene Texte, zum Beispiel aus Pornoheften und wir mischten Geräusche und rhythmisches Kling Klong dazu. Es war ziemlich schrecklich, fand ich. Aber ich fand auch schrecklich, was Industrial Bands wie Throbbing Gristle oder SPK machten. Mein Musikgeschmack war im Grunde bescheiden, mit Bass und Schlagzeug, die richtig rockten, war ich meist zufrieden.

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Attraktiv&Preiswert ’84

“Split”, der Maler und Sänger der Band “La Loora”, charakterisierte Herbert und mich mit dem Satz:
“Der Eine sieht aus wie ein Hippie, ist aber keiner und der Andere sieht überhaupt nicht wie ein Hippie aus, war aber wahrscheinlich mal einer.”

In Wirklichkeit hatte der “Ach Musik”-Rufer auf dem Schrottplatz mit seinen Zweifeln nicht unrecht. Man konnte darüber streiten, ob wir wirklich Musik produzierten. In den Weiten des Internets gibt es Seiten, die jede noch so obskure Band aus den 80er Jahren in Schubladen einordnen. Kürzlich las ich für uns die Kategorie “Avantgarde/Junk Punk”, was gar nicht mal verkehrt ist. Tatsächlich machten die Cut-Up-Swingers eher Lärm als Musik, kunstvollen Lärm und schlichtesten Punk. Unsere Musik gemahnte mehr an David Peel, weniger an John Peel.

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War kein Hippie

Dann gründeten wir das Fanzine “Assasin” und Herbert zog in die Wohnung unter mir in der Rheinstraße. Von nun an war Herbert “Dr.Dr.Dr. Beinhardt Attraktiv” und ich war “Sherlock Preiswert” und langsam schufen wir einen fiktiven Kosmos um uns herum. Dazu gehörten Salzstangen und Pfefferminztee, sowie ein fiktives Detektivbüro, über das wir Hörspiele und später sogar Filme machten. Wir hatten Fans, Leser und Freunde, die Mitarbeiter wurden, als auch Mitarbeiter, die Freunde wurden. Cordula, Hcl, Calli, Bong Boeldicke und Andreas B. gehörten zum harten Kern. Mein Freund Rainer Jacob, der schon ein gefragter Art Director war, machte die Gestaltung und veredelte den Punkstil mit Art Deco und Anspielungen auf den deutschen, expressionistischen Film. Wir kollaborierten mit Bands wie Dreidimensional oder MDK und Künstlern wie Hapunkt Fix. Viele Fotostrecken entstanden, zum einen Bandfotos, zum anderen Street-Fashion-Aufnahmen. Wir hatten Kontakte ins In- und Ausland, tauschten Tapes und Fanzines und das alles ohne Computer und Internet. Unsere beiden kleinen Wohnungen in der Rheinstraße 14 wurden zu Redaktion, Studio, Konzerthalle und Treffpunkt der Subkultur.

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Assasin N°5

Als ich für diesen Text recherchierte, um die Lücken zu füllen, die runde 30 Jahre in mein Gedächtnis gerissen haben, stellte ich fest, wie unterschiedlich man sich erinnert.
Hcl glaubte sich dunkel zu erinnern, “Ach Musik” stamme von einem Prollnachbarn in der Rheinstraße. Dazu fiel mir nichts ein, erst als Herbert das Stichwort “Maserati” ins Spiel brachte, stieg das Bild dieses Nachbarn in mir hoch. Dünn, 1,90 groß, mit Vokuhila, war er wohl der Prototyp eines “Prollnachbarn”. In der Wohnung über mir, – ebenfalls 28 qm, zu heizen nur mit einem Allesbrenner, versehen mit Außenklo und einem Kaltwasserhahn in der Küche – hauste er mit Frau und einem Baby, sowie einem Yorkshire-Terrier. Das Geld, das er als Kohlentrimmer verdiente, steckte er wohl hauptsächlich in einen Maserati, den er liebevoll pflegte und an dem er jedes Wochenende unermüdlich herumschraubte. Abends widmete er sich seiner illegalen CB-Funkanlage, deren Booster so stark waren, dass ich ihn ständig in meiner Stereo-Anlage hörte.

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Rheinstraße 14 mit Leiser-Filiale und Maserati.

Ja, der Maserati-Mann war ein echtes West-Berliner Original, auch wenn einem seine Familie leid tun konnte, aber der Urheber von “Ach Musik” war er nicht. Wie Herbert konnte sich Cordula an unsere Aufnahmesession auf dem Schrottplatz am Teltowkanal erinnern.
Cordula: “Ich war dabei! Das ist wieder so’n Ding, wo dein Text mir zeigt, dass es wahr war, woran ich mich erinnere – kennst du das: manchmal sind solch ferne Erinnerungen irgendwie unwirklich, bis jemand auftaucht, der auch dabei war. Hab seitdem sogar selbst ein paar feine rostige Teile zu Hause, weil sie gut klingen und denke dabei auch manchmal an dieses erste Mal. Und ich warte bis heute vergebens auf das Konzert für 23 Kaffeemaschinen, war immer überzeugt, dass das ein Erfolg werden würde und dass das der eigentliche Zweck dieser Blubbergeräte ist!”

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Cut-Up-Swingers Bandfoto

Herbert und ich versuchten die Cut-Up-Swingers in Richtung Band zu entwickeln, aber ein Bandfoto mit Mirkotz von Dreidimensional und dem DJ RichArt blieb der einzige Abzug dieses Vorhabens. Allerdings spielte Mirko als einziger “richtiger Musiker” bei einigen unserer Aufnahmen.
Mehr als Rock’n’Roll lagen uns kopflastige Performances. Auch gern mit Kaffeemaschinen, ihr Sound war besser, je verkalkter sie waren. Am 1. Januar 1984 machten wir eine Performance in einer Galerie in der Körnerstraße, um den Beginn des Orwell-Jahrs zu feiern. Ich las Beunruhigendes aus der Springer-Presse vor, Herbert demonstrierte mit Styropor, wie man Abhörspezialisten fertigmacht und ein paar Kaffeemaschinen blubberten. Das Konzert für 23 dieser Warmgetränkeerzeuger wartet aber in der Tat noch auf seine Aufführung.
Wir veröffentlichten drei Tapes, Cover, Texte und natürlich Herberts schöne Klangkollagen lockten einige Käufer. Noch heute werden diese Tonträger im Internet gehandelt. Regelmäßig plünderten wir die Altpapierstapel der Nachbarschaft um stets genug Lesestoff und Anregungen für ünsere Veröffentlichungen zu haben. Einmal im Monat holten wir Altpapier vor dem Wohnhaus von Barry Graves ab. Graves war damals als Radio-D.J. und Rockjournalist eine feste Größe und lebte zeitweise in New York. TimeOut, New Yorker und Billboard erweiterten unseren Horizont. Auch die Idee für unser Tape “Sex By Phone” stammte aus dieser Quelle. Bevor Graves 1994 an HIV starb, war er der Erste, der in seinen Sendungen eine neue Musik, namens Tekkno präsentierte.

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Kannibal mit Graf Haufen

1984 veranstalteten Herbert und ich “Kannibal in Berlin”, eine Art Anti-Karneval in unseren beschränkten Räumlichkeiten in der Rheinstraße. Dazu nutzten wir auch die Flachdächer vor Herberts Wohnung. Es wurde eine ziemlich rauschende Party, in der Woche danach drohte uns der Vermieter mit Kündigung. Die blieb uns erspart, wahrscheinlich weil kein Nachmieter zu finden gewesen wäre und wir zahlten unsere Miete immerhin pünktlich. Danach sprach uns Gudrun Gut an, die mit “Sleep” eine unvollständige Bestandsaufnahme der Berliner Punk- und Industrial-Szene plante. Wir beteiligten uns mit “Üxxan Kcüruk”, eine Art “Neubauten-Parodie” und persönliche Verarschung von Blixa Bargeld. Eigentlich mochten ich die Neubauten ganz gern, Herbert war sogar ein echter Fan, aber ich hatte mich über Blixa geärgert. Seit fast zwei Jahren rannte ich ihm hinterher und bat ihn um ein Exklusiv-Interview. Diverse Male sprach ich ihn an und wurde vertröstet, während er zum gefragten Interviewpartner von Mainstream-Medien wurde. Ich schrieb eine böse Glosse über ihn im Assasin und erfand dafür eigens eine neue Rubrik, die “Denu”, eine Abkürzung von Denunziation, ganz im Stil unserer “Abschusslisten”-Satire. Nicht zufällig gehörte Christian Y. Schmidt, der damals das geniale Dreck-Magazin machte und später acht Jahre bei “Titanic” Endzeitsatire betrieb, zu den größten Assasin-Fans. Unter anderem veröffentlichten wir Blixas bürgerlichen Namen, Christian Emmerich, worüber der Sänger “not amused” war, wie wir hörten.
Das Stück für Gudruns Sleepsampler hieß ursprünglich “Zurück Christian”, aber wir verschlüsselten es, in dem wir den Titel rückwärts schrieben: “Naitsirhc Kcüruz”. Aber “Naitsirhc” schien uns zuwenig kommerzielles Potential zuhaben, so machten wir “Üxxan Kcüruz” daraus. (Nait Sir H.C. wäre auch nicht schlecht gewesen) In den Independent-Charts des Musikexpress erschien der Kassettensampler auf Platz 8, wir waren stolz auf unseren, eigentlich mehr symbolischen Erfolg. Durch ein redaktionelles Missgeschick gibt keine neuen Indie-Charts für den folgenden Monat, deshalb wurde die alte Statistik noch einmal abgedruckt: Wir waren sogar zwei Monate auf Platz acht der deutschen Indie-Charts. Kicher.

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Street-Fashion.

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La Loora mit Sänger Split (li.)

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Der früh verstorbene Künstler Hapunkt Fix 1983. http://www.tagesspiegel.de/berlin/geb-1964/374662.html

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Attraktiv&Preiswert ’94

Mitte der 80er Jahre konnten wir uns das Verlustgeschäft von Fanzine und Band nicht mehr leisten. Außerdem wurde die Szene langweilig und wir wollten nicht auch anfangen, uns selbst zu kopieren, wie soviele Andere. Ich suchte mir einen richtigen Job, gründete eine Familie und Herbert machte das Abi nach. ’86 und ’87 machten wir noch eine Reihe Videos/Fernsehsendungen nebenbei, es war toll dieses für uns völlig neue Medium auszuprobieren, dann reichte die Zeit auch für dafür nicht mehr. Über meinen Lebensweg habe genug geschrieben, Herbert studierte, wurde Diplom-Dokumentar. Er hatte ja seine Leidenschaft für Hörspiel schon lange gepflegt und eine Datei aller deutschsprachigen Hörspiele aufgebaut: “Hördat”*. Seine Diplomarbeit behandelte den Aufbau des digitalen Foto-Archivs zur Stalinallee. Inzwischen arbeitet er seit vielen Jahren in Bereich der Gesundheitsforschung. Als ich im Sommer 2014 nach ihm googelte, stellte ich überrascht fest, dass er schon 2011 für den Aufbau der Hörspiel-Webseite die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht bekam. Überreicht wurde ihm das “Bundesverdienstkreuz” von André Schmitz, die Urkunde unterschrieb der “Präsi-Punk” Christian Wulff. Herbert hat es mir nichts von seinem Orden erzählt, wahrscheinlich hat er es niemandem erzählt und er wird auch nicht begeistert sein, das ich darüber schreibe. Es ist ihm peinlich, er ist ein sehr bescheidener Mensch.
Seine Soziophobie ist nicht besser geworden, meine eigene doch etwas, wir sehen ein paarmal im Jahr und haben uns vorgenommen, bei Gelegenheit mal einen Remix von “Ach Musik” zu machen und vielleicht ein Hörspiel. Im Endeffekt zählt das, was du als nächstes machst. Das habe ich auch aus der Punkzeit mitgenommen.

In Anhang gibt es einen Link zu “Üxxan Kcüruz”, wer davon noch nicht abgeschreckt ist, findet mehr Töne von den Cut-Up-Swingers auf der Tape-Attack Seite.

*Hördat:

http://www.hördat.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6rDat

Barry Graves: http://de.wikipedia.org/wiki/Barry_Graves

Cut-Up-Swingers:

Familienportrait – „Hypnotisches Gesöff“ / Feuerzangenbowle 1974-2016

Zu Weihnachten 1974 lebte ich mit meiner ersten großen Liebe, Ilona, und sechs weiteren Mitbewohnern in einer WG. Auch Richard war dabei, mit dem ich schon seit der Schule befreundet war. Am späten Heiligabend feierten wir gemeinsam bei Feuerzangenbowle und Lachsschnittchen.

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In meiner Geschichte “Große Liebe, Blei-Streu-Straße, WG und Tolstefanz” erinnere ich mich an diese Zeit:

„Ilona uns ich ziehen in eine Zehn-Zimmerwohnung, eine WG in der Schlüterstraße. Zwei Häuser weiter im Haus 39 wird ein paar Jahre später Zitty seine Redaktionsräume haben. 1974 ist die Gegend noch billig, viele Studenten wohnen hier. Es wird der erste Kiez in Berlin sein, an dem ich das Phänomen Gentrifizierung beobachten kann.Wir arbeiten im Ur-Tolstefanz in der Sächsischen Straße. Sie hinterm Tresen, ich als DJ. Es ist die Ära des Philly-Sound. Der Spiegel hat gerade in einer Titelstory behauptet, Philly-Sound wird zur Musik der 70er, wie Rock in den 50ern und Beat in den 60ern.
Wenn wir nicht arbeiten, gehen wir ins Filmkunst 66 in die Spätvorstellung. Da laufen immer tolle Filme, an ein Festival mit Melodramen kann ich mich gut erinnern. Unser Lieblingsfilm ist natürlich Cabaret, Ilona hat durchaus etwas von einer Sally Bowles. Unter der S-Bahnbrücke schreien wir, drücken und küssen uns, bis die glotzenden Passanten zu sehr nerven und wir weitergehen, um Mark-Pizza zu essen oder in der Knesebeckstraße Billiard zu spielen.
Ein halbes Jahr sind wir sehr glücklich. In der WG feiern wir Heiligabend, die erste weihnachtliche Feuerzangenbowle, der noch viele folgen werden, nur in anderen Räumen mit anderen Menschen. Vorn wohnt ein Schlagersänger, sein Raum hat eine kleine Bühne. Vorher war ein Bordell in der Wohnung, 200qm kosten damals 1500.-. „

Ein Jahr später wohne ich nicht mehr in der WG und auch mit Ilona bin ich nicht mehr zusammen.
Die ganze Geschichte findet Ihr hier:
http://wp.me/p3UMZB-17J

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Erst 1982 erinnere ich mich an die Feuerzangenbowle und führe sie mit Herbert weiter, der seit ein paar Monaten mit mir in der Rheinstraße wohnt. Wir haben Grund zu Feiern, unser Fanzine ist recht erfolgreich gestartet und wir laden alle unsere Freunde zum späten Heiligabend ein. Nur die Lachsschnittchen sind in Vergessenheit geraten.

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„Herbert und ich befreundeten uns, er war 18 und ich 27. Da er bei seiner Oma wohnte und ausziehen wollte, mietete er die Ein-Zimmer-Wohnung unter mir und zog auch in die Rheinstraße 14. Wir arbeiteten zusammen an der Nullnummer, Rainer Jacob entwarf das Assasin-Logo mit dem Fadenkreuz, die typische Schrift in Ausrissform und er gestaltete sehr stimmungsvolle Logos für Rubriken wie “Konzertverriss”, Scheibenwichser” oder “Abschussliste”.
Wir bekamen sehr viel guten Zuspruch, sogar von John Peel bekamen wir eine Postkarte. Kurz vor Weihnachten waren wir noch so euphorisch, dass wir beschlossen alle unsere Freunde zum Heiligabend einzuladen. Ich erinnerte mich an das stimmungsvolle Weihnachten 1974 in der WG in der Schlüterstraße und besorgte alles Nötige für eine Feuerzangenbowle. Damit begründeten Herbert und ich eine Tradition, die bis in die 90er Jahre halten sollte. Jedes Jahr am 24.12., so gegen 21-22 Uhr, wenn die Familienfeste vorbei waren, versammelten sich unsere Freunde. Nach den ersten Gläsern des gefährlichen und hypnotischen Gesöffs wurden dann Spiele gespielt. 1982 ist es, glaube ich, Karriere gewesen ein Brettspiel aus den 60ern, das damals schon kultig war. In den Jahren danach erfanden Herbert und ich neue Spiele, einmal entwickelte Hcl das Klubspiel, in dem man das Risiko, den Dschungel und andere legendäre Orte besuchen konnte oder wir arbeiteten alle zusammen an einer Riesenversion von Outburst.“

Hier findet Ihr mehr zu den 1980er Jahren:
http://wp.me/p3UMZB-1hJ

Als ich 1988 aus Schöneberg weg, in Kudammnähe zog, verlor ich den engen Kontakt mit vielen Freunden und Mitstreitern. Aber die 80er waren sowieso durch, der Mauerfall mischte alle Karten neu. Hin und wieder fuhr ich noch nach Schöneberg, ins Café Mitropa oder zum Pinguin. Was noch blieb war die Feuerzangenbowle zu Weihnachten, die wir bei mir in der Lietzenburger Straße oder bei Herbert in der Beusselstraße begingen, bis dann Ende der 90er auch damit Schluss war.

10628092_4641971863453_2147225733976485248_n

Nur noch im kleinen Kreis.

2013 habe ich die Tradition wieder aufgenommen, es gibt wieder eine Feuerzangenbowle, aber nicht mehr am Heiligen Abend und nur noch im kleinen Kreise. 1014464_10200879543027011_7997212836700251110_n

Heuer (siehe oben) war es wieder schön, mit Spiel wärs noch schöner gewesen. Beim nächsten Mal unbedingt mit Spiel und ohne politische Diskussionen. 😉

M.K.

Berlinische Leben – „Hollywood-Friedenau“ / “Schnelle Schuhe – Punk in West-Berlin” Teil 3 / 1982-88

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(V.r. Marcus, Herbert, Rainer, Cordula, Boeldicke)

“I never wanted to go back and relive the glory days; I just want to keep moving forward. That’s what I took from punk. Keep going.” Paul Simonon, The Clash

Wahrscheinlich das Beste an den Punk-Jahren war die Selbstverständlichkeit mit der wir ans Werk gingen, um unsere eigene Musik, unsere Medien, unsere Mode und auch unsere eigenen Spiele zu erfinden. Was bisher nur Eliten gestattet war, eroberten wir uns, ohne groß nach Legitimation oder Qualifikation zu fragen. Wir machten es einfach. Was wir machten, hatten wir nicht in einer Schule oder Uni gelernt, wir lernten vom Leben und durch das Tun. Insofern waren auch wir “Leute vom Fach”.

 IMG_20130712_0003

Im Sommer 1982 lernte ich bei einem Zatopek-Konzert in Tempodrom Herbert Piechot kennen. Ich hatte ihn schon bei vielen Konzerten gesehen, durch seine langen Haare und die Strickpullover optisch recht auffällig, stand er, das Mikrofon hochhaltend inmitten des Publikums und schnitt mit. Weil meine Musikkenntnisse doch etwas lückenhaft waren, hoffte ich ihn zur Mitarbeit an meinem geplanten Fanzine zu gewinnen. Andreas B., ein Freund der in Konstanz Mitherausgeber eines Stadtmagazins war, hatte mir bereits seine Unterstützung zugesichert, denn meine verlegerischen Erfahrungen erschöpften sich darin, eine Schreibmaschine zu bedienen und ich wollte schon etwas Größeres auf die Beine stellen, als ein paar fotokopierte Seiten.

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Herbert erinnert sich, dass bei diesem Konzert plötzlich zwei dubios aussehende Herren in Trenchcoats auf ihn zukamen, kurz befürchtete er wir wären “Gema-Agenten”, die sich ihm als Marcus und Andreas vom in Gründung befindlichen Fanzine Assasin vorstellten. Herbert war erleichtert, nicht von der Gema beim Bootleggen erwischt worden zu sein und das Projekt hörte sich spannend für ihn an.
Herbert und ich befreundeten uns, er war 18 und ich 27. Da er bei seiner Oma wohnte und ausziehen wollte, mietete er die Ein-Zimmer-Wohnung unter mir und zog auch in die Rheinstraße 14. Wir arbeiteten zusammen an der Nullnummer, Rainer Jacob entwarf das Assasin-Logo mit dem Fadenkreuz, die typische Schrift in Ausrissform und er gestaltete sehr stimmungsvolle Logos für Rubriken wie “Konzertverriss”, Scheibenwichser” oder “Abschussliste”. Und Rainer war die Ausnahme von der Regel. Er hatte sein Handwerk wirklich an einer Uni und im Job als “Art Director” gelernt. Das erste Heft enthielt so unterschiedliche Themen wie William S. Burroughs, Endorphine, die Beach Boys, “Rauschgifthunde”, sowie einen Bericht vom zweiten Konzert der Ärzte, am 14.10.82, in der Music-Hall.

Imagetaz-Artikel

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Sogar John Peel schrieb uns

Am 27.11.1982 druckte ich bei Monika Dörings Stamm-Druckerei in der Kantstraße den Erstling. Monika lies dort alle ihre Plakate drucken, sie legte ein gutes Wort für mich ein, ich half beim drucken, dadurch blieben die Kosten überschaubar. Ich zahlte nur das Papier und die Druckvorlagen, der Drucker bekam wohl einen Fünfziger auf die Hand. Am Tag danach, einem Sonntag, legten wir die Hefte zusammen, falzten sie und verpackten sie in Plastiktüten. Abends gingen wir auf ein Konzert und begannen den Vertrieb. Zufällig traf ich dort Qpferdach, der am Freitag danach in der taz, als erster Journalist über uns schrieb.

Wir bekamen sehr viel guten Zuspruch, sogar von John Peel bekamen wir eine Postkarte. Kurz vor Weihnachten waren wir noch so euphorisch, dass wir beschlossen alle unsere Freunde zum Heiligabend einzuladen. Ich erinnerte mich an das stimmungsvolle Weihnachten 1974 in der WG in der Schlüterstraße und besorgte alles Nötige für eine Feuerzangenbowle. Damit begründeten Herbert und ich eine Tradition, die bis in die 90er Jahre halten sollte. Jedes Jahr am 24.12., so gegen 21-22 Uhr, wenn die Familienfeste vorbei waren, versammelten sich unsere Freunde. Nach den ersten Gläsern des gefährlichen und hypnotischen Gesöffs wurden dann Spiele gespielt. 1982 ist es, glaube ich, Karriere gewesen ein Brettspiel aus den 60ern, das damals schon kultig war. In den Jahren danach erfanden Herbert und ich neue Spiele, einmal entwickelte Hcl das Klubspiel, in dem man das Risiko, den Dschungel und andere legendäre Orte besuchen konnte oder wir arbeiteten alle zusammen an einer Riesenversion von Outburst.

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Drehbücher, Cast-Kärtchen, Spielgeld aus Hollywood-Friedenau

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Hcls Clubspiel (Ausschnitte des 60/60 cm großen Spielbretts)

1983 gründeten wir zusätzlich eine wöchentliche Kartenrunde. Einmal in der Woche trafen sich der harte Kern der Assasin-Redaktion im Café Mitropa, ich glaube es war am Mittwoch. Wir spielten “Binokel”, ein altes Kartenspiel, das ich wiederentdeckt hatte und tranken dazu Weizenbier. Beides war für die coolen Mitropa-Gäste geradezu ein Affront. Es war die Provokation in der, zum Alltag gewordenen, Provokation der späten Punkjahre.
Aber das aufwendigste und komplexeste aller unserer Spiele sollte “Hollywood-Friedenau” werden. Der riesige Spielplan hatte die Form einer Acht mit 64 Feldern und diversen Nebenschauplätzen. Thema war das Filmgeschäft und Sieger wurde, wem es gelang, drei Spielfilme in unterschiedlichen Genres zu produzieren. Dazu gab es hunderte von Kärtchen mit Schauspielern, Regisseuren und Drehbüchern. Auf den Drehbuchkarten stand jeweils ein Kurztreatment in 3-4 Sätzen. Bei den Titeln hielten wir uns an Klassiker, die wir verballhornten, z.B. “Über den Löchern der Pizza” oder ” Dial M for Mini-Pizza”. Entsprechend hießen die Regisseure Sergio Mälone, Luis Bühnjuwel oder Alfred Kitschkoch. Man konnte Schauspieler wie Robert Mischrum oder Natassja Kunstschie engagieren oder sich von Klaus Dildonger einen Soundtrack schreiben lassen. Ein eigenes Zahlungsmittel hatten wir natürlich auch entwickelt, die MMMs, Meyers Movie Mäuse. Eine Runde dauerte mindestens drei Stunden, meist haben wir zwei oder drei Runden gespielt und bis in den Morgen zusammengesessen.

In einem anderen Jahr erfand unser Freund Hcl ein “Clubspiel”. Man konnte die legendären Clubs der frühen 80er Jahre, wie das Risiko, den Dschungel oder die MusicHall besuchen, danach in der “Futterkrippe” Currywurst essen und wenn man Pech musste man dann am Bahnhof Zoo lange auf den Bus warten. Andererseits, vielleicht lernte man beim Warten jemand kennen, den man mit ins Bett nehmen konnte. Für das Bett galten, wie für alles komplizierteRegeln. Ziel war möglichst viele Glückspunkte zu bekommen. Natürlich wurden die Regeln durch lange Diskussionen modifiziert.

Screenshot 2014-02-09 09.03.51Filmbär im Pinguin
Als ich 1987 den “Filmbär” machte, ein Berlinale-TV-Journal, fielen mir die Drehbücher von “Hollywood-Friedenau” wieder ein. Es war zwar zu aufwändig, die Scripts tatsächlich zu verfilmen, aber wir drehten eine Reihe von Kurz-Videos in denen ich die Stories vorstelle. Kulisse bildete der Pinguin-Club und der großartige Volker Hauptvogel mixte mir zu jedem Treatment einen passenden Cocktail und servierte in mit viel Applomb.ImageGeheimnisse der T-Shirtherstellung in den 1980er Jahren

Leider habe ich nur zwei Jahre direkt um die Ecke vom Pinguin-Klub gewohnt, das war verdammt praktisch. Ich habe mich dort immer sehr wohl gefühlt und mir fällt eine kleine Anekdote ein, um das zu illustrieren.Am 18. Mai 1991 war ich dort und gegen Mitternacht kam Herbert Grönemeyer mit zwei oder drei Begleitern herein. Die Begleiter waren offensichtlich Stammgäste, der Sänger wohl nicht. Also stand Grönemeyer, an einem Becks nuckelnd in der Mitte des Ladens und “guckte ob jemand guckt”. Kurz vorher war er von 100000 Menschen auf einem Open-Air-Konzert bei Ahrensfelde gefeiert worden, er hält wohl immer noch irgendeinen deutschen Rekord dafür. Auf jeden Fall drehte sich niemand zu ihm um, keiner guckte und seine Versuche mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen scheiterten kläglich. Nach 20 Minuten sah er ziemlich frustriert aus und versuchte seine Begleiter zum gehen zu bewegen. Kurz danach stürzte er hinaus und ward nicht mehr gesehen. Als ich 1988 aus Schöneberg weg, in die Kudammnähe zog, verlor ich den engen Kontakt mit vielen Freunden und Mitstreitern. Aber die 80er waren sowieso durch, der Mauerfall mischte alle Karten neu. Hin und wieder fuhr ich noch nach Schöneberg, ins Café Mitropa oder zum Pinguin. Was noch blieb war die Feuerzangenbowle zu Weihnachten, die wir bei mir in der Lietzenburger Straße oder bei Herbert in der Beusselstraße begingen, bis dann Ende der 90er auch damit Schluss war. 2013 habe ich die Tradition wieder aufgenommen, es gibt wieder eine Feuerzangenbowle, aber nicht mehr am Heiligen Abend und nur noch im kleinen Kreise. Noch fehlt mir eine Spielidee für dieses Jahr… Überhaupt erinnert mich die Arbeit am Blog an die Zeiten in der Rheinstraße.Nur ist heute alles schneller, allein wenn man Drucken mit Posten im Internet vergleicht. Damals waren nur die Musik und die Schuhe schneller.

“Keep going”.

 

Berlinische Räume: “A Visit To Zensor” / Photographs from the famous record store taken in 1983

39874_1412566270603_4870059_n Early Zensor concert poster 1979 ( Thomas Pargmann Collection)
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I met Burkhardt Seiler in school in 1968, we became friends and had our share in the late 60s student revolt. Subsequently we were thrown out of school and I lost sight of Burkhardt.

I didn’t meet him again till June 1981, when I spotted him at the Venus Weltklang Festival at the Tempodrom. His formerly long hair was cropped short, it looked like he had done it himself without a mirror. He was wearing a dark-blue trenchcoat that gave him the looks of a young mormon missionary on his european tour.

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The store in backroom of the Blue Moon boutique

IMG_20130829_0005The Zensor

I visited him at his record store in Belziger Straße, which was already a wellknown institution, not only in West-Berlin. From there he also ran the Zensor Label. In 1982 I became his “student apprentice”, not really beeing a student and neither being much of an apprentice to him.

I told him about the fanzine I was planning to issue. He gave me advise and proposed to edit “Assasin” together with me. But then I realised a collaboration with Burkhardt would mean doing a Zensor fanzine and that wasn’t what I had in mind. I wanted to have control on my fanzine and do it my way although I expected I would fail. But I wanted to fail my way!

IMG_20130509_0001 Assasin “pilot issue”

I quit working for Zensor, found a job at a bookstore where I worked 16 hours a week making 500 Marks a month. I lived in a small flat which had no toilet, no warm water and a coalfired furnace. It became the editorial office und some friends became the staff. With the helps of Rainer Jacob, Cordula Lippke, Herbert Piechot and Andreas B. we realised a pilot issue in late 1982. Until 1985 we issued eight magazines and four audio-cassettes.

When I heard the Zensor was about to close his shop in autumn 1983 I went there with a photographer to do some last shots.

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On September 19th 1983 there was a bye-bye-concert for the beloved store at the LOFT organised by Monika Döring. But the legend lived on…

Two years ago Cordula met Burkhardt and she told me he’s happy in a relationship.

September 2013 I started a blog. Again Rainer Jacob became my art director. In july 2015 I issued my first novel “Xanadu ’73” with 13 illustrations by Rainer. Together with the book we released a new Assasin fanzine. We’re already planning a special “Punk In West-Berlin” issue. You can order book and zine by writing a mail to marcusklugeberlin@yahoo.de

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Above: the novel

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Above: cover and some pages from the new fanzine.

The book costs 13€ the fanzine is 5€. Order here: marcusklugeberlin@yahoo.de

Berlinische Leben – „Hollywood-Friedenau“ / “Schnelle Schuhe – Punk in West-Berlin” Teil 3 / 1982-88

(V.r. Marcus, Herbert, Rainer, Cordula, Boeldicke)

“I never wanted to go back and relive the glory days; I just want to keep moving forward. That’s what I took from punk. Keep going.” Paul Simonon, The Clash

Wahrscheinlich das Beste an den Punk-Jahren war die Selbstverständlichkeit mit der wir ans Werk gingen, um unsere eigene Musik, unsere Medien, unsere Mode und auch unsere eigenen Spiele zu erfinden. Was bisher nur Eliten gestattet war, eroberten wir uns, ohne groß nach Legitimation oder Qualifikation zu fragen. Wir machten es einfach. Was wir machten, hatten wir nicht in einer Schule oder Uni gelernt, wir lernten vom Leben und durch das Tun. Insofern waren auch wir “Leute vom Fach”.

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Im Sommer 1982 lernte ich bei einem Zatopek-Konzert in Tempodrom Herbert Piechot kennen. Ich hatte ihn schon bei vielen Konzerten gesehen, durch seine langen Haare und die Strickpullover optisch recht auffällig, stand er, das Mikrofon hochhaltend inmitten des Publikums und schnitt mit. Weil meine Musikkenntnisse doch etwas lückenhaft waren, hoffte ich ihn zur Mitarbeit an meinem geplanten Fanzine zu gewinnen. Andreas B., ein Freund der in Konstanz Mitherausgeber eines Stadtmagazins war, hatte mir bereits seine Unterstützung zugesichert, denn meine verlegerischen Erfahrungen erschöpften sich darin, eine Schreibmaschine zu bedienen und ich wollte schon etwas Größeres auf die Beine stellen, als ein paar fotokopierte Seiten.

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Herbert erinnert sich, dass bei diesem Konzert plötzlich zwei dubios aussehende Herren in Trenchcoats auf ihn zukamen, kurz befürchtete er wir wären “Gema-Agenten”, die sich ihm als Marcus und Andreas vom in Gründung befindlichen Fanzine Assasin vorstellten. Herbert war erleichtert, nicht von der Gema beim Bootleggen erwischt worden zu sein und das Projekt hörte sich spannend für ihn an.
Herbert und ich befreundeten uns, er war 18 und ich 27. Da er bei seiner Oma wohnte und ausziehen wollte, mietete er die Ein-Zimmer-Wohnung unter mir und zog auch in die Rheinstraße 14. Wir arbeiteten zusammen an der Nullnummer, Rainer Jacob entwarf das Assasin-Logo mit dem Fadenkreuz, die typische Schrift in Ausrissform und er gestaltete sehr stimmungsvolle Logos für Rubriken wie “Konzertverriss”, Scheibenwichser” oder “Abschussliste”. Und Rainer war die Ausnahme von der Regel. Er hatte sein Handwerk wirklich an einer Uni und im Job als “Art Director” gelernt. Das erste Heft enthielt so unterschiedliche Themen wie William S. Burroughs, Endorphine, die Beach Boys, “Rauschgifthunde”, sowie einen Bericht vom zweiten Konzert der Ärzte, am 14.10.82, in der Music-Hall.

Imagetaz-Artikel

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Sogar John Peel schrieb uns

Am 27.11.1982 druckte ich bei Monika Dörings Stamm-Druckerei in der Kantstraße den Erstling. Monika lies dort alle ihre Plakate drucken, sie legte ein gutes Wort für mich ein, ich half beim drucken, dadurch blieben die Kosten überschaubar. Ich zahlte nur das Papier und die Druckvorlagen, der Drucker bekam wohl einen Fünfziger auf die Hand. Am Tag danach, einem Sonntag, legten wir die Hefte zusammen, falzten sie und verpackten sie in Plastiktüten. Abends gingen wir auf ein Konzert und begannen den Vertrieb. Zufällig traf ich dort Qpferdach, der am Freitag danach in der taz, als erster Journalist über uns schrieb.

Wir bekamen sehr viel guten Zuspruch, sogar von John Peel bekamen wir eine Postkarte. Kurz vor Weihnachten waren wir noch so euphorisch, dass wir beschlossen alle unsere Freunde zum Heiligabend einzuladen. Ich erinnerte mich an das stimmungsvolle Weihnachten 1973 in der WG in der Schlüterstraße und besorgte alles Nötige für eine Feuerzangenbowle. Damit begründeten Herbert und ich eine Tradition, die bis in die 90er Jahre halten sollte. Jedes Jahr am 24.12., so gegen 21-22 Uhr, wenn die Familienfeste vorbei waren, versammelten sich unsere Freunde. Nach den ersten Gläsern des gefährlichen und hypnotischen Gesöffs wurden dann Spiele gespielt. 1982 ist es, glaube ich, Karriere gewesen ein Brettspiel aus den 60ern, das damals schon kultig war. In den Jahren danach erfanden Herbert und ich neue Spiele, einmal entwickelte Hcl das Klubspiel, in dem man das Risiko, den Dschungel und andere legendäre Orte besuchen konnte oder wir arbeiteten alle zusammen an einer Riesenversion von Outburst.

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Drehbücher, Cast-Kärtchen, Spielgeld aus Hollywood-Friedenau

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Hcls Clubspiel (Ausschnitte des 60/60 cm großen Spielbretts)

1983 gründeten wir zusätzlich eine wöchentliche Kartenrunde. Einmal in der Woche trafen sich der harte Kern der Assasin-Redaktion im Café Mitropa, ich glaube es war am Mittwoch. Wir spielten “Binokel”, ein altes Kartenspiel, das ich wiederentdeckt hatte und tranken dazu Weizenbier. Beides war für die coolen Mitropa-Gäste geradezu ein Affront. Es war die Provokation in der, zum Alltag gewordenen, Provokation der späten Punkjahre.
Aber das aufwendigste und komplexeste aller unserer Spiele sollte “Hollywood-Friedenau” werden. Der riesige Spielplan hatte die Form einer Acht mit 64 Feldern und diversen Nebenschauplätzen. Thema war das Filmgeschäft und Sieger wurde, wem es gelang, drei Spielfilme in unterschiedlichen Genres zu produzieren. Dazu gab es hunderte von Kärtchen mit Schauspielern, Regisseuren und Drehbüchern. Auf den Drehbuchkarten stand jeweils ein Kurztreatment in 3-4 Sätzen. Bei den Titeln hielten wir uns an Klassiker, die wir verballhornten, z.B. “Über den Löchern der Pizza” oder ” Dial M for Mini-Pizza”. Entsprechend hießen die Regisseure Sergio Mälone, Luis Bühnjuwel oder Alfred Kitschkoch. Man konnte Schauspieler wie Robert Mischrum oder Natassja Kunstschie engagieren oder sich von Klaus Dildonger einen Soundtrack schreiben lassen. Ein eigenes Zahlungsmittel hatten wir natürlich auch entwickelt, die MMMs, Meyers Movie Mäuse. Eine Runde dauerte mindestens drei Stunden, meist haben wir zwei oder drei Runden gespielt und bis in den Morgen zusammengesessen.

Screenshot 2014-02-09 09.03.51Filmbär im Pinguin
Als ich 1987 den “Filmbär” machte, ein Berlinale-TV-Journal, fielen mir die Drehbücher wieder ein. Es war zwar zu aufwändig, die Scripts tatsächlich zu verfilmen, aber wir drehten eine Reihe von Kurz-Videos in denen ich die Stories vorstelle. Kulisse bildete der Pinguin-Club und der großartige Volker Hauptvogel mixte mir zu jedem Treatment einen passenden Cocktail und servierte in mit viel Applomb.ImageGeheimnisse der T-Shirtherstellung in den 1980er Jahren
Leider habe ich nur zwei Jahre direkt um die Ecke vom Pinguin-Klub gewohnt, das war verdammt praktisch. Ich habe mich dort immer sehr wohl gefühlt und mir fällt eine kleine Anekdote ein, um das zu illustrieren.Am 18. Mai 1991 war ich dort und gegen Mitternacht kam Herbert Grönemeyer mit zwei oder drei Begleitern herein. Die Begleiter waren offensichtlich Stammgäste, der Sänger wohl nicht. Also stand Grönemeyer, an einem Becks nuckelnd in der Mitte des Ladens und “guckte ob jemand guckt”. Kurz vorher war er von 100000 Menschen auf einem Open-Air-Konzert bei Ahrensfelde gefeiert worden, er hält wohl immer noch irgendeinen deutschen Rekord dafür. Auf jeden Fall drehte sich niemand zu ihm um, keiner guckte und seine Versuche mit irgendjemand ins Gespräch zu kommen scheiterten kläglich. Nach 20 Minuten sah er ziemlich frustriert aus und versuchte seine Begleiter zum gehen zu bewegen. Kurz danach stürzte er hinaus und ward nicht mehr gesehen. Als ich 1988 aus Schöneberg weg, in die Kudammnähe zog, verlor ich den engen Kontakt mit vielen Freunden und Mitstreitern. Aber die 80er waren sowieso durch, der Mauerfall mischte alle Karten neu. Hin und wieder fuhr ich noch nach Schöneberg, ins Café Mitropa oder zum Pinguin. Was noch blieb war die Feuerzangenbowle zu Weihnachten, die wir bei mir in der Lietzenburger Straße oder bei Herbert in der Beusselstraße begingen, bis dann Ende der 90er auch damit Schluss war. 2013 habe ich die Tradition wieder aufgenommen, es gibt wieder eine Feuerzangenbowle, aber nicht mehr am Heiligen Abend und nur noch im kleinen Kreise. Noch fehlt mir eine Spielidee für dieses Jahr… Überhaupt erinnert mich die Arbeit am Blog an die Zeiten in der Rheinstraße.

Nur ist heute alles schneller, allein wenn man Drucken mit Posten im Internet vergleicht. Damals waren nur die Musik und die Schuhe schneller. “Keep going”.

Marcus Kluge

– “Schnelle Schuhe” wird fortgesetzt. Im nächsten Text erinnert sich eine Assasin-Redakteurin an die Konzerte der späten 70er und frühen 80er. –

Berlinische Leben – “Ach Musik” / “Schnelle Schuhe – Punk in West-Berlin” Teil 2 / von Marcus Kluge / 1977- 85

(1.1.1984 – Performance zum Orwelljahr)

“Schnarräng!! – Da tönt ihm in das Ohr
Ein Bettelmusikantenchor.
Musik wird oft nicht schön gefunden,
Weil sie stets mit Geräusch verbunden.”
Wilhelm Busch: Der Maulwurf

1983. Wir sind zu dritt und haben ein Kunstkopf-Mikrofon und einen tragbaren Audio-Rekorder dabei. Irgendwo am Teltowkanal kennen wir einen Schrottplatz, der am Wochenende unbewacht ist. Herbert und ich sind nicht allein, Cordula ist auch dabei, glaube ich.
Damals hatte ja jeder eine Band, eine Kapelle, Combo oder wenigstens ein Musik-Projekt oder zwei. Besonders beliebt mit ungewöhnlichen Geräten zu musizieren. Zum Beispiel Presslufthämmer oder Seitenschneider. Wir benutzten gern Kaffeemaschinen, je verkalkter desto besser, oder Küchengeräte wie die Moulinette, für unsere Aufnahmen als “Cut-Up-Swingers”. Nicht fehlen durften martialische Metallteile als Percussion-Instrumente. Auf dem Schrottplatz machten wir mit Herberts kleinem Audiorekorder Aufnahmen. Den benutzte er sonst zum Mitschneiden von Konzerten. Wir kletterten also über einen Zaun, suchten uns geeignete Schrottteile und machten damit lauten, rhytmischen Lärm. Cordula hatte sich schon immer gefragt, wie ein Bagger klingt? Nun konnte sie es ausprobieren. Nach zehn oder zwölf Minuten, wir waren so richtig in Fahrt, mischte sich eine fremde Stimme in die Tonaufnahme, live! Sie brüllte:
“Watt soll’n ditte hier?”
Die Aggressivität der männlichen Stimme wurde durch das entgrenzte Kläffen eines Hundes unterstrichen.
“Wir machen Musik!”, brüllte ich zurück. Jetzt sahen wir den “Schrottplatz-Offiziellen” und einen riesigen Schäferhund-Rotti-Mischling. Beide waren fuchsteufelswild und der Mann schrie die folgenden, unsterblichen Sätze:
“Ach Musik! Ach Musik ist ditte! Macht mal ‘n langen Schuh, sonst jipps Keile!”
Wir beschlossen ohne weitere Diskussion der Aufforderung des Schrott-Wächters nachzukommen. Schnell packten wir Mikro und Rekorder zusammen, kletterten zurück und spätestens als wir auf unseren Fahrrädern saßen, konnten wir kaum noch die Balance halten vor lachen. Den “Ach Musik!” Audio-Clip bauten wir in einen Song ein und benutzten ihn als Jingle bei unseren Veranstaltungen. Er wurde zum Markenzeichen und zum geflügelten Wort für alle Grenzwertigkeiten musikalischer Natur und an solchen waren die 1980er Jahre reich .

Anfang 1979 sollten die “Sex-Pistols” in der Neuen Welt in der Hasenheide spielen. Neben “The Saints”, deren Stranded-Album ich ’78 als Cut-Corner kaufte, sind die Sex Pistols zwischen dem ganzen weichgespülten Chart- und und behämmerten Hard-Rock, ein Lichtblick. Leider fiel das Konzert aus, meine Karte gab ich zurück, denn inzwischen war Syd Vicious an einer Überdosis Heroin gestorben. Im Chelsea-Hotel in New York, in dem Apartment, in dem er nach Vermutung der Polizei seine Freundin Nancy Spungen erstach. Der Punk kam trotzdem nach West-Berlin und beendete kraftvoll die 70er Jahre, die ich, wenn zu ich einer royalen Familie gehören würde, als mein “Dezennium Horribilis” bezeichnen würde. Es war wirklich ein blödes Jahrzehnt, es baute sich auf der Asche der genialen 60er auf und bestand aus schlechter Musik, hässlicher Mode, dem “Deutschen Herbst” und Stillstand, sowie einem Strukturumbau, der die Grundlagen für den heutigen Turbo-Kapitalismus legte, aber das ahnte ich nur, damals. Umso bunter die Äußerlichkeiten wurden, desto grauer und gefühlskälter wurde die Gesellschaft innerlich. Die “Sexuelle Revolution” entpuppte sich als Erlaubnis Pornografie zu verkaufen und kaufen. Punk war der benötigte grobe Keil, um den 70er-Klotz zu zerhacken. Punk befriedigte den Wunsch der Jungen nach Authentizität, Lebensfreude und Gefühl. Endlich schaffte auch ich es aus meiner selbstgewählten “Splendid Isolation” und meinem Schweigen auszubrechen. Die Latte hing plötzlich so niedrig, dass in Grunde jeder sie überspringen konnte. Drei Akkorde reichten Musik zu machen und das Drei-Finger-Suchsystem reichte, um Autor zu werden. Ich war wieder im Geschäft, ohne Punk hätte man mich wahrscheinlich weitere zehn Jahre später vom Fußboden meiner Außenklo-Wohnung gekratzt.
Vor einem Jahr hat Hcl mal kommentiert, wir wären damals irgendwie alle Punks gewesen. Ich hatte mich distanziert, weil ich mich damals nie als Punk gefühlt habe. Ich war schon Mitte 20, für mich waren richtige Punks 15 oder allenfalls 17. Ich bewegte mich in der Punkszene, sie hat mich sehr beeinflusst, befreit und mir Perspektive gegeben, jenseits traditioneller politischer und künstlerischer Festgelegtheiten. Insofern war auch ich ein Punk.

IMG_20130712_0003 Der Autor Ende 70er

Eigentlich hatte ich 1971 das musizieren aufgegeben, mein Bass lehnte an der Wand und wurde nicht gespielt. Ich hatte als Kind und Jugendlicher viel ausprobiert und und immer wieder versucht den Traum zu verwirklichen, als Musiker auf der Bühne zu stehen und Erfolg zu haben. Mit 16 gab ich auf, ich hatte einfach nicht genügend Talent, fand ich. Aber zehn Jahre später glaubte ich an das Versprechen der Punkbewegung, jeder könne mit drei Akkorden erfolgreich sein. Im “Rock City Berlin” Handbuch 83/84 stehen hunderte Bands, die fantasievolle Namen wie Pille Palle und die Ötterpötter, Mekanik Destrüktiw Komandöh, Leningrad Sandwich oder Flucht nach vorn haben. Es war eine Gründerzeit. Also gründeten Herbert und ich, sofort, nachdem wir uns 1982 kennengelernt hatten, eine Band, die wir “Cut-Up-Swingers” nannten. Zum einen, weil wir mit der Cut-Up-Methode des Schriftstellers William S. Bouroughs arbeiteten, zum anderen spielte der Name auf die Feministin Valerie Solanas an, die S.C.U.M. gründete, die “Society for cutting up men”. Zunächst machten wir Klangkollagen, ich las gefundene Texte, zum Beispiel aus Pornoheften und wir mischten Geräusche und rhytmisches Kling Klong dazu. Es war ziemlich schrecklich, fand ich. Aber ich fand auch schrecklich, was Industrial Bands wie Throbbing Gristle oder SPK machten. Mein Musikgeschmack war im Grunde bescheiden, mit Bass und Schlagzeug, die richtig rockten, war ich meist zufrieden.

IMG_20131210_0001_0001 Attraktiv&Preiswert ’84

“Split”, der Maler und Sänger der Band “La Loora”, charakterisierte Herbert und mich mit dem Satz:
“Der Eine sieht aus wie ein Hippie, ist aber keiner und der Andere sieht überhaupt nicht wie ein Hippie aus, war aber wahrscheinlich mal einer.”

In Wirklichkeit hatte der “Ach Musik”-Mann auf dem Schrottplatz mit seinen Zweifeln nicht unrecht. Man konnte darüber streiten, ob wir wirklich Musik produzierten. In den Weiten des Internets gibt es Seiten, die jede noch so obskure Band aus den 80er Jahren in Schubladen einordnen. Kürzlich las ich für uns die Kategorie “Avantgarde/Junk Punk”, was gar nicht mal verkehrt ist. Tatsächlich machten die Cut-Up-Swingers eher Lärm als Musik, kunstvollen Lärm und schlichtesten Punk. Unsere Musik gemahnte mehr an David Peel, weniger an John Peel.

IMG_20131122_0001 War kein Hippie

Dann gründeten wir das Fanzine “Assasin” und Herbert zog in die Wohnung unter mir in der Rheinstraße. Von nun an war Herbert “Dr.Dr.Dr. Beinhardt Attraktiv” und ich war “Sherlock Preiswert” und langsam schufen wir einen fiktiven Kosmos um uns herum. Dazu gehörten Salzstangen und Pfefferminztee, sowie ein fiktives Detektivbüro, über das wir Hörspiele und später sogar Filme machten. Wir hatten Fans, Leser und Freunde, die Mitarbeiter wurden, als auch Mitarbeiter, die Freunde wurden. Cordula, Hcl, Calli, Bong Boeldicke und Andreas B. gehörten zum harten Kern. Mein Freund Rainer Jacob, der schon ein gefragter Art Director war, machte die Gestaltung und veredelte den Punkstil mit Art Deco und Anspielungen auf den deutschen, expressionistischen Film. Wir kollaborierten mit Bands wie Dreidimensional oder MDK und Künstlern wie Hapunkt Fix. Wir hatten Kontakte ins In- und Ausland, tauschten Tapes und Fanzines und das alles ohne Computer und Internet. Unsere beiden kleinen Wohnungen in der Rheinstraße 14 wurden zu Redaktion, Studio, Konzerthalle und Treffpunkt der Subkultur.

IMG_20011231_0002 Assasin N°5

Als ich für diesen Text recherchierte, um die Lücken zu füllen, die runde 30 Jahre in mein Gedächtnis gerissen haben, stellte ich fest, wie unterschiedlich man sich erinnert.
Hcl glaubte sich dunkel zu erinnern, “Ach Musik” stamme von einem Prollnachbarn in der Rheinstraße. Dazu fiel mir nichts ein, erst als Herbert das Stichwort “Maserati” ins Spiel brachte, stieg das Bild dieses Nachbarn in mir hoch. Dünn, 1,90 groß, mit Vokuhila, war er wohl der Prototyp eines “Prollnachbarn”. In der Wohnung über mir, – ebenfalls 28 qm, zu heizen nur mit einem Allesbrenner, versehen mit Außenklo und einem Kaltwasserhahn in der Küche – hauste er mit Frau und einem Baby, sowie einem Yorkshire-Terrier. Das Geld, das er als Kohlentrimmer verdiente, steckte er wohl hauptsächlich in einen Maserati, den er liebevoll pflegte und an dem er jedes Wochenende unermüdlich herumschraubte. Abends widmete er sich seiner illegalen CB-Funkanlage, deren Booster so stark waren, dass ich ihn ständig in meiner Stereo-Anlage hörte.
Ja, der Maserati-Mann war ein echtes West-Berliner Original, auch wenn einem seine Familie leid tun konnte, aber der Urheber von “Ach Musik” war er nicht. Wie Herbert konnte sich Cordula an unsere Aufnahmesession auf dem Schrottplatz am Teltowkanal erinnern.
Cordula: “Ich war dabei! Das ist wieder so’n Ding, wo dein Text mir zeigt, dass es wahr war, woran ich mich erinnere – kennst du das: manchmal sind solch ferne Erinnerungen irgendwie unwirklich, bis jemand auftaucht, der auch dabei war. Hab seitdem sogar selbst ein paar feine rostige Teile zu Hause, weil sie gut klingen und denke dabei auch manchmal an dieses erste Mal. Und ich warte bis heute vergebens auf das Konzert für 23 Kaffeemaschinen, war immer überzeugt, dass das ein Erfolg werden würde und dass das der eigentliche Zweck dieser Blubbergeräte ist!”

Image Cut-Up-Swingers Bandfoto


Herbert und ich versuchten die Cut-Up-Swingers in Richtung Band zu entwickeln, aber ein Bandfoto mit Mirkotz von Dreidimensional und dem DJ RichArt blieb der einzige Abzug dieses Vorhabens. Allerdings spielte Mirko als einziger “richtiger Musiker” bei einigen unserer Aufnahmen.
Mehr als Rock’n’Roll lagen uns kopflastige Performances. Auch gern mit Kaffeemaschinen, ihr Sound war besser, je verkalkter sie waren. Am 1. Januar 1984 machten wir eine Performance in einer Galerie in der Körnerstraße, um den Beginn des Orwell-Jahrs zu feiern. Ich las Beunruhigendes aus der Springer-Presse vor, Herbert demonstrierte mit Styropor, wie man Abhörspezialisten fertigmacht und ein paar Kaffeemaschinen blubberten. Das Konzert für 23 dieser Warmgetränkeerzeuger wartet aber in der Tat noch auf seine Aufführung.
Wir veröffentlichten drei Tapes, Cover, Texte und natürlich Herberts schöne Klangkollagen lockten einige Käufer. Noch heute werden diese Tonträger im Internet gehandelt. Regelmäßig plünderten wir die Altpapierstapel der Nachbarschaft um stets genug Lesestoff und Anregungen für ünsere Veröffentlichungen zu haben. Einmal im Monat holten wir Altpapier vor dem Wohnhaus von Barry Graves ab. Graves war damals als Radio-D.J. und Rockjournalist eine feste Größe und lebte zeitweise in New York. TimeOut, New Yorker und Billboard erweiterten unseren Horizont. Auch die Idee für unser Tape “Sex By Phone” stammte aus dieser Quelle. Bevor Graves 1994 an HIV starb, war er der Erste, der in seinen Sendungen eine neue Musik, namens Tekkno präsentierte.

IMG_20131130_0003 Kannibal mit Graf Haufen


1984 veranstalteten Herbert und ich “Kannibal in Berlin”, eine Art Anti-Karneval in unseren beschränkten Räumlichkeiten in der Rheinstraße. Dazu nutzten wir auch die Flachdächer vor Herberts Wohnung. Es wurde eine ziemliche rauschende Party, in der Woche danach drohte uns der Vermieter mit Kündigung. Die blieb uns erspart, wahrscheinlich weil kein Nachmieter zu finden gewesen wäre und wir zahlten unsere Miete immerhin pünktlich. Danach sprach uns Gudrun Gut an, die mit “Sleep” eine unvollständige Bestandsaufnahme der Berliner Punk- und Industrial-Szene plante. Wir beteiligten uns mit “Üxxan Kcüruk”, eine Art “Neubauten-Parodie” und persönliche Verarschung von Blixa Bargeld. Eigentlich mochten ich die Neubauten ganz gern, Herbert war ein echter Fan, aber ich hatte mich über Blixa geärgert. Seit fast zwei Jahren rannte ich ihm hinterher und bat ihn um ein Exklusiv-Interview. Diverse Male sprach ich ihn an und wurde vertröstet, während er zum gefragten Interviewpartner von Mainstream-Medien wurde. Ich schrieb eine böse Glosse über ihn im Assasin und erfand dafür eigens eine neue Rubrik, die “Denu”, eine Abkürzung von Denunziation, ganz im Stil unserer “Abschusslisten”-Satire. Nicht zufällig gehörte Christian Y. Schmidt, der damals das geniale Dreck-Magazin machte und später acht Jahre bei “Titanic” Endzeitsatire betrieb, zu den größten Assasin-Fans. Unter anderem veröffentlichten wir Blixas bürgerlichen Namen, Christian Emmerich, worüber der Sänger “not amused” war, wie wir hörten.
Das Stück für Gudruns Sleepsampler hieß ursprünglich “Zurück Christian”, aber wir verschlüsselten es, in dem wir den Titel rückwärts schrieben: “Naitsirhc Kcüruz”. Aber “Naitsirhc” schien uns zuwenig kommerzielles Potential zuhaben, so machten wir “Üxxan Kcüruz” daraus. (Nait Sir H.C. wäre auch nicht schlecht gewesen) In den Independent-Charts des Musikexpress erschien der Kassettensampler auf Platz 8, wir waren stolz auf unseren, eigentlich mehr symbolischen Erfolg. Durch ein redaktionelles Missgeschick gibt keine neuen Indie-Charts für den folgenden Monat, deshalb wurde die alte Statistik noch einmal abgedruckt: Wir waren sogar zwei Monate auf Platz acht der deutschen Indie-Charts. Kicher.

IMG_20130715_0002 Attraktiv&Preiswert ’94

Mitte der 80er Jahre konnten wir uns das Verlustgeschäft von Fanzine und Band nicht mehr leisten. Außerdem wurde die Szene langweilig und wir wollten nicht auch anfangen, uns selbst zu kopieren, wie soviele Andere. Ich suchte mir einen richtigen Job, gründete eine Familie und Herbert machte das Abi nach. ’86 und ’87 machten wir noch eine Reihe Videos/Fernsehsendungen nebenbei, es war toll dieses für uns völlig neue Medium auszuprobieren, dann reichte die Zeit auch für dafür nicht mehr. Über meinen Lebensweg habe genug geschrieben, Herbert studierte, wurde Diplom-Dokumentar. Er hatte ja seine Leidenschaft für Hörspiel schon lange gepflegt und eine Datei aller deutschsprachigen Hörspiele aufgebaut: “Hördat”*. Seine Diplomarbeit behandelte den Aufbau des digitalen Foto-Archivs zur Stalinallee. Inzwischen arbeitet er seit vielen Jahren in Bereich der Gesundheitsforschung. Als ich im Sommer 2014 nach ihm googelte, stellte ich überrascht fest, dass er schon 2011 für den Aufbau der Hörspiel-Webseite die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht bekam. Überreicht wurde ihm das “Bundesverdienstkreuz” von André Schmitz, die Urkunde unterschrieb der “Präsi-Punk” Christian Wulff. Herbert hat es mir nichts von seinem Orden erzählt, wahrscheinlich hat er es niemandem erzählt und er wird auch nicht begeistert sein, das ich darüber schreibe. Es ist ihm peinlich, er ist ein sehr bescheidener Mensch.
Seine Soziophobie ist nicht besser geworden, meine eigene doch etwas, wir sehen ein paarmal im Jahr und haben uns vorgenommen, bei Gelegenheit mal einen Remix von “Ach Musik” zu machen und vielleicht ein Hörspiel. Im Endeffekt zählt das, was du als nächstes machst. das habe ich auch aus der Punkzeit mitgenommen.

In Anhang gibt es einen Link zu “Üxxan Kcüruz”, wer davon noch nicht abgeschreckt ist, findet mehr Töne von den Cut-Up-Swingers auf der Tape-Attack Seite.

Teil 1 von “Schnelle Schuhe”: http://wp.me/p3UMZB-W4

Cut-Up-Swingers: “Üxxan Kcüruz”:

*Hördat:

http://www.hördat.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6rDat

Barry Graves: http://de.wikipedia.org/wiki/Barry_Graves

– In der Reihe “Schnelle Schuhe/Punk in West-Berlin” erscheinen unregelmäßig Texte zum Thema in diesem Blog –

Berlinische Räume – “A Visit To Zensor” / Photographs from the famous record store taken in 1983

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Zensor shop at Belziger Straße

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Early Zensor concert posters 1979 (with courtesy from the Thomas Pargmann Collection)
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I met Burkhardt Seiler in school, in 1968, we became friends and had our share in the late 60ties student revolt. Subsequently we were thrown out of school and I lost sight of Burkhardt.

I didn’t meet him again till June 1981, when I spotted him at the Venus Weltklang Festival in the Tempodrom. His formerly long hair was cropped short, it looked like he had done it himself. He was sporting a dark-blue trenchcoat that gave him the looks of a young mormon missionary on his european tour.

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The store in backroom of the Blue Moon boutique

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The Zensor himself

I visited him at his already famous record store in Belziger Straße, from where he also ran the Zensor Label. In 1982 I became his “student apprentice”, not really beeing a student and neither much of an apprentice to him.

I told him about the fanzine I was planning to issue. He gave me advise and proposed to edit “Assasin” together with me. I realised a collaboration with Burkhardt would mean doing a Zensor fanzine and that wasn’t what I had in mind.

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Assasin “zero number”

I quit working for him, concentrated on the pilot issue of Assasin and with the helps of Rainer Jacob, Cordula Lippke, Herbert P. and Andreas Balze realised a zero number in late 1982.

When I heard the Zensor was about to close his shop in autumn 1983 I went there with a photographer to make some last shots.

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On September 19. 1983 there was a bye-bye-concert for the beloved store at the LOFT organised by Monika Döring. But the legend lived on…

P.S. Some weeks ago, I was playing cards with Cordula. She met Burkhardt recently, told me he’s happy in a relationship and quit drinking. (December 2013)

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Text: Marcus Kluge

Berlinische Leben – „Rainer Works Art Marcus Words“ / Portrait einer Freundschaft / 1973-2014 / von Marcus Kluge

Es gibt Freundschaften die Bestand haben, auch wenn uns das Leben für viele Jahre von unseren Freunden trennt. Wir treffen uns wieder und sprechen wieder miteinander, als ob es nur Tage oder Stunden der Trennung waren. Sofort finden wir die gemeinsame Sprache und wir verstehen uns.

So geht es mir mit Rainer Jacob, den ich vor 40 Jahren kennenlernte. Wie genau haben wir beide vergessen. Er wuchs in der West-Berliner Blissestraße und ich einen Katzensprung entfernt am Volkspark Wilmersdorf auf. Es war Freundschaft auf den ersten Blick. Damals waren wir beide knapp 20, politisch links und mit großem Interesse an Film, Literatur und Kunst. Wir verstanden uns auf Anhieb, obwohl wir häufig unterschiedlicher Meinung waren. Ohnehin war Rainer immer besonders vom Bild und ich eher von Sprache begeistert.

Rainer ist sowas wie ein Sonntagskind, obwohl er nicht an einem geboren wurde (12 Minuten zu spät) und er ist mit einem kritischen Geist ausgestattet. Für beides ist er dankbar. Wieso er ein Glückskind wurde, kann er sich erklären. Er hatte eben Glück mit seinen Eltern, die eine 59 Jahre lange, harmonische Ehe bis in den Herbst 2008 führten. Dann starb Martha und Günter folgte ihr im Februar 2009.

Kennen lernten sich seine Eltern durch eine Art Lotterie. Während des 2. Weltkriegs bemühte sich die Nazipropaganda jedem unverheirateten Soldaten im „Felde“ ein Mädel an der „Heimatfront“ zu vermitteln. Das klappte wohl ganz gut, auf jeden Fall bei Rainers Eltern, die sich so kennen und lieben lernten. Auch bei der Kriegsgefangenschaft hatte Günter Glück. Er machte kein Kreuz an der Stelle wo dies 80% seiner Kameraden taten, „War Hitler ein guter Mann. Ja oder Nein?”. Er kam auf einen britischen Flughafen, wo er sich frei bewegen konnte, in der Offiziers-Messe bediente und Reifen vulkanisierte. Nebenher bastelte Rainers Vater noch Modelle von Lancaster-Bombern, die begehrt bei den Offizieren waren, zusätzlich Geld brachten und er hatte nicht die prägende traumatische Internierung, wie mein Vater zu erleiden, der nach vier Jahren in Sibirien als gebrochener Mann zurückkam.

Rainer hat noch Liebesbriefe und ein Kriegstagebuch bis zum Ende der Gefangenschaft, versehen mit Zeichnungen und Fotos und inspiriert durch meine Familiengeschichten spielt er mit dem Gedanken, diese Fundgrube auch einmal in ein Blog zu stellen. Die Eltern heirateten und 1955 wurde Rainer als Wunschkind geboren. Wieso Rainer einen überaus kritischen Verstand entwickelte, kann er nicht genau klären. Voraussetzung um eigene Gedanken entfalten zu können war, dass beide Eltern beschlossen hatten etwas anders zu machen bei der Erziehung. Selbst hatten sie Wilhelminische Strenge kennengelernt, künstlerische Ambitionen mussten sie begraben. Mutter wollte Modezeichnerin werden, doch mit dem Argument, sie heirate ja sowieso, verbrannte die Mutter ihre Zeichnungen. Der Vater fotografierte, zeichnete und baute Schiffs-und Flugzeugmodelle, lernen musste er etwas Praktisches.

Mir fallen mir zwei Aspekte auf, die Rainer und mich zu kritischem Denken inspiriert haben könnten. Zunächst war in den 1960er Jahren in Deutschland noch der Nachhall von zwölf Jahren Naziherrschaft, Verbrechen und Kriegsschuld zu spüren. Wir merkten schon im Grundschulalter, dass uns in vielem eine beschönigende Version vermittelt wurde. Rainer erlebte Gechichtslehrer mit Schmissen, die prahlerisch und menschenverachtend von Kriegserlebnissen erzählten, oder die Kinder beim Sport als “Dreibeinige Synagogenzwerge” beschimpften.

Kaum jemand bekannte sich zu seiner Mitschuld, aber wir wussten doch, das eine Mehrheit Hitler gewählt und mitgemacht hatte bei den beispiellosen Verbrechen. Oder man schwieg gänzlich über das 3. Reich, wie in den meisten Schulen. Glücklicherweise war Rainers Vater kein schweigender Despot und in der Familie herrschte eine muntere Streitkultur. Viele in unserer Generation hatten schweigende Väter, fast war es eine vaterlose Generation.

Durch das Leben in Westen Berlins machten wir noch eine weitere augenöffnende Erfahrung. Wir wuchsen mit zwei Versionen der Wahrheit auf, die im Westen und im Osten in den Medien, vor allem im Rundfunk und Fernsehen verbreitet wurde. Zunächst werden wir den Westmedien geglaubt haben, aber spätestens nach dem Besuch des Schah von Persien und dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 merkten wir, das auch die Westmedien logen. Rainer beobachtete als Dreizehnjähriger bei einem Klassenkameraden zu Besuch, wie im Rohbau des Nebenhauses eine wilde Schießerei zwischen der Polizei und dem Attentäter von Rudi Dutschke stattfand. Später gingen wir auf Demos und erlebten Knüppelorgien der Polizei, in den Westmedien waren die Studenten und Gammler schuld und plötzlich stimmte die Version der Ostmedien mit unserer Beobachtung überein. Also wurde klar, was Medien berichten muss nicht wahr sein, alles ist kritisch zu hinterfragen. Langhaarigen wurden auf offener Straße “Mädchen” hinterhergerufen und die Boulevard-Presse hetze so sehr, daß ein “Doppelgänger”, der Dutschke änlich sah, beinahe vom Mob gelyncht worden wäre.

Rainer sah sich verschiedenste linke Gruppierungen an und bei keiner, ausser den Trotzkisten, fand er einen Arbeiter. Überhaupt war alles sehr merkwürdig, wenn linke Gruppierungen (SEW, DKP) von Errungenschaften sprachen, während man den “realen” Sozialismus für 25 Mark Eintrittsgebühr besuchen konnte und das heruntergedimmte Licht in Straßen voller verkommener Altbauten den wirklichen Sozialismus zeigte. Bei uns wiederum wurde Kritik am Westen mit dem einfachen Satz, “Geh doch ‘rüber” plattgebügelt.

Während mich das Scheitern der 68er Revolte ins Abseits schickte. Abitur und Studium war mir verwehrt und ich habe mich wohl auch freiwillig für einige Zeit in den Schmollwinkel zurück gezogen, begann Rainer eine Lehre in einer Siebdruckerei. Aber er wollte doch noch sein bildnerisches Talent zum blühen bringen und bemühte sich um ein Studium an der Hochschule der Künste (heute UdK).

Es war ein Abend im Jahr 1973, als er mir seine Mappe zeigte, er hatte den Tag im Zoo verbracht und Tiere gezeichnet, in Vorbereitung auf seine Aufnahmeprüfung. Zum ersten Mal sah ich sein Talent und war beeindruckt. Er studierte dann mit dem kleinen Matrikel. Er startete mit freier Malerei, wechselte zu experimenteller Grafik, dann zu Grafik Design. Während er sich zuerst ernsthaft mit den realistischen Details von Reflexen auf Wasserhähnen malerisch herumschlug wollen seine Jahrgangskommilitonen, die Jungen Wilden, mit der Attitüde von Frühvollendeten Party feiern. Maler die den Habitus von Rockstars imitierten und sich anschickten das Niveau von Werbung glatt zu unterbieten. Damals, vor der Verschulung des Studiums konnte man noch vielseitig und selbstbestimmt Seminare auswählen und Rainer belegte einige der Film-und Fernseh Akademie und bei den Architekten.

Der Kunsthistoriker Freiherr von Löhneysen, der Schopenhauer textkritisch bearbeitete, beeindruckt Rainer. Er ist Führer bei einer Studienreise durch die norditalienischen Städte, wo man die Entstehung der Perspektive studiert. Gern hätte ich ihn begleitet, wenn meine Reiseunlust mich nicht zurückgehalten hätte. Am liebsten fahre ich dorthin, wo ich schon mal war. Zum Beispiel Bretignolles-sur-mer, wo ich schon öfter war. So verbringen wir 1975 vier Wochen in Frankreich, hören Pink Floyd, kucken auf Kühe und feiern den 14. Juli mit den Dörflern.

Zurück in Berlin macht Rainer Multimedia, ich kann mich noch an einen unendlich schweren portablen U-Matic Videorekorder erinnern, mit dem man schwarz-weiße Bilder aufzeichnen konnte. Wir filmten im Tiergarten in den Ruinen des Diplomatenviertels zur Musik von Django Reinhardt. Vielleicht hat mich diese Erfahrung auf eine Schiene gesetzt, die mich später zu 20 Jahren professioneller TV-Produktion gebracht hat.

In dieser Zeit ziehen wir oft um die Häuser, um am Morgen noch lange Gespräche zu führen. Manchmal zeichnet Rainer, z. B. mich während ich englischsprachige Songtexte schreibe, passend garniert mit USA-Attributen. Deutsch zu singen kann ich mir damals nur schwer vorstellen. Überhaupt prägte uns amerikanische Popkultur, die im West-Berlin der Nachkriegsjahrzehnte omnipräsent war. Wir gehen gemeinsam in die Off-Kudamm-Kinos, schauen uns Orginalfassungen mit und ohne Untertitel an. Schwarze Serie und andere Hollywoodstreifen, aber auch anspruchsvolle europäische Filme. Video gibt es noch nicht für Normalsterbliche und im Fernsehen regiert dröges Mittelmaß, das vom Dritten Programm manchmal durchbrochen wird.

Zu Beginn der Uni-Zeit lernte Rainer seine erste Partnerin, die elf Jahre ältere Ingeborg kennen, die selbst Grafik studiert hatte und damals im Mediterranea griechische Möbel und Flokatis verkaufte, zu der er in eine WG einzog. Dort hatte er ein kleines Fotolabor im Gästeklo, auch von mir gern genutzt. Während des Studiums arbeitete er in den Semesterferien als Praktikant bei der Werbeagentur Dorland oder macht Illustrationen für den Tip, diese Erfahrungen brachten Rainer nach dem Studium zu einer Karriere als Art Director in der Werbung. Er arbeitete für namhafte Agenturen, wechselnd zwischen Freelancer und fest, wir bleiben im Kontakt. Er arbeitet um zu leben, am Wochenende bin ich häufig bei dem Paar zu Gast. Eine WG direkt über der Galerie Natubs und dem Engel Gabriel im Kiez nah am Olivaer Platz. Unter ihnen wohnten die Architekten, die das Märkische Viertel verbrochen hatten in feinstem Bauhaus-Dekor.

1982 beschließe ich soetwas wie ein Fanzine zu gründen. Es ist die Zeit, als drei Akkorde reichen, um als Band Karriere zu machen und ich denke, mit drei Fingern tippen zu können, müsste reichen, um ein kleines Subkultur-Magazin herauszugeben. Und es reicht tatsächlich… Dieses Lebensgefühl der Punkjahre, der Fotograf Richard Gleim drückte es kürzlich in einem Interview mit dem Satz „Das machen wir jetzt“ aus, dieses Lebensgefühl half mir, mich selbst am Schopf aus meinem selbstgewählten „Tunix-Sumpf“ zu ziehen.

Mit der Hilfe von einigen Freunden gebe ich den „Assasin“ heraus. Rainer entwirft das Markenzeichen mit dem Fadenkreuz, Logos für Rubriken, er weckt mein Interesse an Typografie und er bringt mir bei, das Layout selbst zu gestalten. Mit Letraset, Fixogum und Skalpell werde ich ziemlich gut. Acht Hefte und drei Musikkassetten wird es geben. Dann stehe ich journalistisch auf eigenen Beinen, schreibe für die Taz und Rock-Publikationen.

1988 fange ich beim OKB an, dem Lokalsender, der heute ALEX heißt. Erst disponiere ich den Sender, dann leite ich Produktionen und Sendeabwicklung, auch wenn auf meiner Visitenkarte etwas diffus „Beratung und Betreuung“ steht. Rainer hat inzwischen sein Atelier im Hofgarten gegründet, um mit einem kleinen Team feines Design für Hotels der Luxus-Klasse zu gestalten. Bevor ihn auch hier in Rhiemers Hofgarten die Arbeit auffrisst, übernimmt er die Leitung des Ateliers bei einer Netzwerkagentur und nach dem Mauerfall geht Rainer für ein Jahr nach Leipzig um die Messe zu re-launchen und schließlich als freier Kreativer konzipiert er die Gesamtkampagne und den Werbespot für die Einführung von Melitta Kaffee in den polnischen Markt. Deshalb castet er eine bekannte polnische Schauspielerin, Ewa Ziętek.

In Polen kennt sie jeder, seit sie mit 18 Jahren die Braut in Andrzej Wajdas “Hochzeit” spielte. In sie verliebt er sich, wie vom Blitz getroffen, während des Drehs in Hamburg. Sie lebt in Berlin und spielt Theater mit akzentfreiem Deutsch. Die ostdeutschen Schauspieler drängen auf den wiedervereinigten deutschen Markt und da will sie wieder in die Heimat und Rainer entscheidet sich spontan mit nach Warschau zu gehen und findet auch gleich eine Stelle als, Head of Art, bei Ogilvy&Mather eine spannende Aufgabe, wo er aus Dramaturgen Werbetexter und aus Architekten Art Direktoren macht. Einige Jahre sehen wir uns nicht. Das Kunden-Portfolio der amerikanischen Agentur ist international, die Etats sind groß, er kann großes Kino inszenieren für Schokoriegel, Pharmakonzerne und der, dem Spiegelmagazin vergleichbaren Wprost, Mode, Kosmetik, Bier. Nach drei Jahren fasst auch Ewa wieder Fuß und neben Boulevard-Theater spielt sie in der dortigen TV-Spitzensoap, “Goldenes Polen” vergleichbar mit unserer Lindenstraße. Reisen nach Indien und Italien zwischen beruflichen Reisen nach Bulgarien, Rumänien, Prag, Wien und häufig zur Postproduction nach London. Sie heiraten nach acht Jahren “wilder Ehe” 2000, fast eine Jet-Set Hochzeit, mit Strech-Limo und begleitet von der Regenbogen-Presse mit illustren Gästen aus Film, Funk und Fernsehen. Ich kann leider nicht kommen, ich muss arbeiten. Nachdem ich fast 15 Jahre Fernsehen gemacht habe, merke ich das der Job mich immer mehr Kraft kostet. Ich habe kaum noch ein Privatleben, selbst im Urlaub verreise ich nicht, irgendwie ist mir nicht danach. Wahrscheinlich leide ich schon damals an einer nicht diagnostizierten Depression.

Nur einmal besuche ich Rainer in Polen, er bewohnt eine nette Villa in einer bewachten Siedlung bei Warschau, er braust mit einem noblen Citroën durch die Stadt und zeigt mir seine neue Heimat. Dann herrscht Funkstille bis 2004, ich besuche Rainer in einer kleinen Wohnung im Hansaviertel, er ist arbeitslos. Was war passiert?

Nachdem er drei Geschäftsführerwechsel “überlebt” hat, war jemand scharf auf seinen Job und hat ihn herausgeekelt. Doch Rainer scheint Glück zu haben, findet eine neue Agentur. Die Firma schwimmt im Geld, es gibt Kunst an den Wänden eines edlen Jugendstilhauses und mit der Zeit fallen meinem Freund Merkwürdigkeiten auf. Man will nicht wirklich große Etats gewinnen und nur ein großer Kunde kann nicht soviel Profit abwerfen, ihm ist schleierhaft woher das Geld kommt. Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, er arbeitet ohne es gemerkt zu haben für den legalen Arm einer Mafia-ähnlichen Organisation. Income gering, Gewinne groß, hier wird Geld gewaschen, bei einer Teilhaberversammlung wird es augenscheinlich. So schnell er kann, kündigt er. Nun wird es prekär für ihn in Warschau, es rächt sich, das er kein Pole ist und auch nicht perfekt polnisch spricht, außerdem ist er mit 42 schon ziemlich alt für eine dem Jugend-Wahn verfallene Branche. Rainer hat eine Depression aus gutem Grund und lässt sich in der Berliner Charite einen kirschgroßen Gallenstein entfernen. In solchen Situationen überdenkt man sein Leben. Der Stress, über den er sich erhaben glaubte, verlangt eine Entschleunigung des Lebens. Er wird in Berlin wieder bei seiner “alten” Agentur stellvertretender Geschäftsführer, nur um sich bei einem der großen Energie-Konzerne von Atomkraftwerken umstellt zu fühlen, während nur noch Praktikanten und Rookies, die nur mit dem Computer umgehen können, als Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Sein Job ist moralisch nicht mehr vertretbar für ihn.

Nur Monate später endet die nur zweijährige Ehe. Die weitergehenden unschönen Details vertraut er nur mir und einem anderen langjährigen Freund an. Seltsam, ein paar Jahre vorher hatte ich nach sieben Jahren Beziehung eine Ehe, die nach nur zweieinhalb Jahren auseinander brach. So unterschiedlich unsere Charaktere und Biografien waren, manches ähnelt sich. So auch der Karriere-Knick, der uns beide ereilt.

Auf eine neue Spitzenposition besteht für Rainer keine Aussicht, auch hier ist er zu alt und zu teuer für potentielle Arbeitgeber. Das Praktikanten-Unwesen hat begonnen, er konkurriert genau wie ich in meinem Job mit Twens, die für nichts oder fast nichts schuften. Und die den Begriff Twen wahrscheinlich nicht kennen, das tun nur „Opas“ wie Rainer und ich. Und sicher, „Twen“ war für uns auch ein legendäres Periodikum, das die Magazin-Gestaltung insgesamt bahnbrechend veränderte.

Rainer bekocht mich im Hansaviertel, er hat 1000 Pläne, wieder ist es so, als ob wir uns nie getrennt hätten. Aber dann habe ich eine längere Phase der Krise und Krankheit. 2003 höre ich beim Sender auf, das wurde mir in der Reha geraten. Ich mache eine Umschulung, habe zwei Jahre eine Fernbeziehung, während ich die Wochenende bei meiner Freundin, einer Psychotherapeutin in Thüringen verbringe, kümmert er sich um meine Katzen. 2005 ist erstmal Schluss für mich. Erst scheitert die Partnerschaft, dann bekomme ich eine Depression und muss auch die Umschulung abbrechen. Ende der Nuller-Jahre entscheide ich mich für die Rente, wieder folgt eine Pause in der Rainer und ich keinen Kontakt haben.

2013 überwinde ich endlich meine Schreibblockade, im Juli bekommt Julia, meine Stieftochter aus der Ehe ein Baby und macht mich zum Quasi-Opa. Auch für sie schreibe ich die Geschichte meiner Vorfahren auf. Durch Facebook treffe ich viele alte Frende wieder, so auch Rainer. Er lebt seit sieben Jahren mit Delilah zusammen, in die er sich verliebte, als er nichts hatte ausser seinem lange unterforderten kritischen Verstand. Am Sterbebett seiner Mutter erlebte er wie das Herz seines Vaters fast hörbar brach. Zugleich war er extrem verliebt, da ihn Delilah mit Gesang und unendlicher Fürsorge durch alle Höhen und Tiefen begleitete. Auch inspirierte sie ihn das Malen und Zeichnen wiederaufzunehmen.

Das temperamentvolle Vollblut-Weib ist siebzehn Jahre jünger als er. Sie hat drei fast erwachsene Kindern und eine Enkelin. Er wird Vatervertreter und Nenn-Opa. Eine Lektion hat ihm das Leben überdeutlich vermittelt, eine schwere Lebenskrise hilft um das Wesen eines Menschen tiefgreifend zu erfahren, dann kann man Liebenswürdigkeit und Charakterstärke erkennen. Er tut und denkt nur noch was er wirklich will, Geld ist nicht das Wichtigste im Leben, öfter mal ein Bild verkaufen, wäre trotzdem schön.

Nachdem wir uns im Frühjahr 2013 wiedertreffen nehmen wir unseren Dialog wieder auf. Wir diskutieren über Philosophie, Politik, Psychologie und Science-Fiction. Im Sommer ist er begeistert, dass ich eine Neuauflage von Assasin starten will.

Doch es gelingt mir nicht, mich in den punkmäßigen, abgebrühten Assasin-Modus zu versetzen. Na klar über die NSA-Affäre kann man herrlich lästern. Aber das tun Andere ohnehin schon, vielleicht sogar besser. In 30 Jahren ist der Gonzo-Stil des alten Assasin Mainstream geworden und ich habe mich weiterentwickelt. Vielleicht ist der alte flapsige Stil des Assasin ohnehin zu locker für die doch sehr bedrohliche Entwicklung hin zu einem totalitären Staat in den USA und folglich auch bei uns. Natürlich stellt einen die Politik vor viele Fragen. Die geleakten NSA Papiere drängen mir einen bösen Vergleich auf. Stellen sie nicht der Öffentlichkeit die Frage. „Wollt ihr die totale Überwachung?“ Und ist das Desinteresse einer Mehrheit nicht ein klammheimliches „Ja“, oder zumindest „Ist mir egal“. Doch mehr als mich zu informieren und meine Meinung zu sagen, gelingt mir nicht.

Erstaunlicherweise gefällt einigen Leuten, was ich über meine Familie und aus meinem Leben erzähle. Im September starte ich ein Blog, neben den Texten poste ich viele Fotos, auch welche die mein Freund Rainer gemacht hat. Als ich zum ersten Mal einen Gastautor veröffentliche, bitte ich Rainer Illustrationen zu zeichnen und damit beginnt eine neue, fruchtbare Zusammenarbeit mit ihm.

Im Frühjahr 2014 beginne ich eine vierteilige Erzählung über einen Schulfreund, aber es wird ein kleiner Roman daraus, zu jedem der zwölf Kapitel macht Rainer stimmungsvolle Bleistiftzeichnungen. Nun da ich mit „Die Legende von Xanadu“ fast fertig bin, sprechen wir über einen weiteren Roman, den ich gern in West-Berliner Punkszene Anfang der 80er Jahre ansiedeln möchte. Es gibt viel zu schreiben und zu zeichnen: „Das machen wir jetzt“.

-Vorläufiges Ende-

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