Kurzer Nachruf Burkhardt Seiler
28. April 2023: Erst in der letzten Woche erfuhr ich, dass mein alter Freund Burkhardt Seiler gestorben ist. Er starb am 1. Februar in Berlin, weitere Informationen habe ich bislang nicht erfahren können. In den Medien ist leider noch nicht an ihn erinnert worden. Vor ein paar Tagen hat die Taz an mich gemailt, weil sie meine Fotos vom Zensorladen für einen Nachruf verwenden wollen. Der umfangreiche Nachruf wird nächste Woche erscheinen, Dietrich Diedrichsen hat ihn verfasst. Schade, dass sie niemanden beauftragt haben, der tatsächlich mit Burkhardt befreundet war und mit ihm zusammengearbeitet hat. Ein paar Stimmen von Weggefährten wären auch passend gewesen. Deshalb habe ich Cordula Lippke gebeten ein einige Worte als kurzen Nachruf zu schreiben. Cordula war ja seit 1979 Burkhardts Buchhalterin und einzige langjährige Mitarbeiterin. Ich habe Cordula, damals unter ihrem Spitznamen Coca Cola bekannt, 1981 im Zensorladen kennengelernt, als ich zwei Monate dort gearbeitet habe. Anschließend hat Cola mit mir zusammen Assasin gemacht, das Fanzine und Subkulturmagazin, für das Burkhardt auch Taufpate war. Cordula Lippke erinnert sich knapp und punkig an den Zensor und sagt Danke.
Der Zensor ist tot. Was jetzt erst? Könnte man sagen,
denn den Schallplattenladen und das Label gibt es schon
lange nicht mehr. Aber Burkhardt Seiler, der mit ein paar
importierten Singles auf dem Flohmarkt angefangen
hatte, machte weiter. Chaotisch wie immer. Leider war
der Alkohol sein bester Freund.
Zuletzt habe ich ihn vor 10 oder 12 Jahren in
Schöneberg getroffen, wo er sich an seiner Cola
festhielt. Eine zweite konnte er sich nicht leisten, glaube
ich. Aber sonst war er wie früher: sprunghaft lachend
wach.
Schon immer habe ich mich gefragt, warum er seine
Erfolge nicht halten, nicht ausbauen und geniessen
konnte. Mit seinem musikalischen Gespür war er oft
seiner Zeit voraus. Andere haben von den Trends
profitiert, die er angeschoben hat.
Ich habe im Jahr 1979 angefangen beim Zensor die
Buchführung zu machen, eher Zettelwirtschaft, klar. Im
Hintergrund bleiben ist mein Ding. Wenn ich mal vorne
stehen sollte, fürchtete ich die Kunden. Heute würde
man sie Nerds nennen, damals Plattensammler, die
gerne die Besonderheiten der seltenen Scheiben
diskutierten. Da waren sie bei Burkhardt an den
Richtigen geraten! Das war sein Lebenselexier. Aber
davon kann man nicht leben.
2008 habe ich ihn wiedergetroffen mit
seiner Freundin Elisabeth, die im philharmonischen
Orchester die Geige spielte. Sie wollte ihre Doktorarbeit
über ihn schreiben. Ernsthaft. Sie war ein Fan. Als er
eine Konzertkarte übrig hatte, bin ich mit ihm in die
Philharmonie um sie spielen zu sehen. Konzerte waren
ja früher was ganz Anderes für mich, für uns. Durch die
Arbeit beim Zensor hatte ich freien Eintritt bei fast allen
Punkkonzerten (SO36, Loft, Metropol, Kantkino,
Quartier Latin) bis 1982 oder so. Rückblickend kann ich
den Schatz erst wirklich erkennen. Danke, Burkhardt.
(Fotos oben: Burkhardt im Zensorladen 1983,
Burkhardt mit M. Kluge, Luzie von Penny Lane's
Frisörsalon und Cordula Lippke.
Copyright: M. Kluge/Assasin.
Foto Unten: Cordula zu Zensorladenzeiten, N. N.)
ja, der ZENSOR (+ seine mitstreiter) haben damals ein grosses tor geöffnet für alle, die mehr wollten als nur am tropf der amerikanischen/englischen kulturindustrie zu hängen. danke.
Bong Boeldicke: Schöner Text von Cordula. Aber, lieber Marcus, der Text von Diedrich (nicht: Dietrich) Diedrichsen ist gar nicht so schlecht, obwohl er sich weniger auf die Person des Zensors als auf die popkulturellen Perlen, die man als Vinylenthusiast in der Belziger Straße erwerben konnte, fokussiert. Und das war tatsächlich einzigartig!
Grüß Dich Markus
Zuerst mal mein Beileid zum Tode Deines alten Freundes.
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Freuen tu ich mich allerdings darüber, daß man mal wieder was von Dir lesen durfte, wie ich nach einer aktuellen Recherche zu Deinem Blog heute feststellen konnte.
https://tanoscederquist-lounge.blogspot.com/2023/08/hauptstadt-oder-frontstadt-berlin-der.html
Alles Gute und pass auf Dich auf | Peer von Tanos Katzentisch
Grüß Dich Peer, Danke für Deinen Kommentar. Ich arbeite an zwei Büchern und habe das Blog vernachlässigt. Herzliche Grüße Marcus