Familienportrait – “Sire, geben sie Gedankenfreiheit” / Die Liebe in Zeiten des Krieges Teil 2 / 1943-44
Kriege enden nicht wirklich, wenn eine Partei gewinnt und die andere kapituliert. Kriege wirken fort, sie sind nachhaltig. Noch heute leiden, laut der Uni Leipzig, ca. 3.4% der 60- bis 90-jährigen Deutschen an einer posttraumatischen Belastungstörung infolge des 2. Weltkriegs. Ein Drittel der GIs, die aus dem Irak zurückkommen, haben psychische Probleme. Alkoholismus beobachtet man häufig, die Morphiumsucht wurde früher “Soldatenkrankheit” genannt, so häufig war die Abhängigkeit unter Veteranen. Kurz gesagt: Mit Ende des Krieges fangen viele Probleme erst an.
Die Teilnehmer eines Krieges, egal ob Kombattanten oder Nichtkombattanten, dürfen daran nicht denken. Für sie ist es nötig sich vorzustellen, dass im Frieden alles wieder gut wird und die Träume, die ihnen den täglichen Wahnsinn überstehen helfen, wahr werden. Käte stellt sich vor mit Helmut eine Familie zu gründen und ein eigenes Geschäft zu führen, am liebsten was mit Büchern. Helmut möchte Karriere machen, als Schauspieler und Regisseur und er stellt sich Käte als die Frau an seiner Seite vor.
Käte träumt
In Berlin wird das Leben durch die fast allnächtlichen Bombenangriffe bestimmt. Die Nächte bringt Käte häufig ohne Schlaf im Luftschutzkeller zu. Tags drauf sieht sie dann, wo Bomben hässliche Löcher im Straßenbild verursacht haben und das drückt die Stimmung zusätzlich. Die Briefe die ihr drei oder viermal in der Woche, der Briefträger bringt, zeigen Käte aber doch es geht noch schlimmer.
Gerade nachdem Helmut seine Verwundung am rechten Oberarm halbwegs auskuriert hat, wird er wieder in die verlausten Schützengräben geschickt. Das hat Folgen, er erkrankt an Wolhynischem Fieber. Es wird auch Trench Fever genannt, weil es in den Schützengräben des 1. Weltkriegs erstmals beobachtet wurde. Beispielsweise die Schriftsteller Tolkien, A.A. Milne und C.S. Lewis waren allesamt damals daran erkrankt. Auch im 2. Weltkrieg hat man noch keine wirksame Therapie dagegen. Schlecht verheilte Läusebisse verursachen das Leiden, doch an den hygienischen Verhältnissen an der Front ändert sich nichts, wie auch.
Helmut schreibt
Helmut hat tageweise hohes Fieber, über 41°, dazu starke Kopf- und Gliederschmerzen, der Appetit verlässt ihn, er magert ab. Trotzdem schreibt er fast täglich an Käte, wenn das Fieber hoch ist, bringt er nur riesige, krakelige Buchstaben zustande, der Inhalt ist kaum zu entziffern. Dann ist er wieder klar, verfasst wunderbare Gedichte, die sie auf der Maschine sauber abtippt. Er baut für sein Kätchen und sich ein literarisches Luftschloss, in das sie vor dem Krieg flüchten können. Käte ist beeindruckt, hat Mitleid, ist wohl auch verliebt, doch es ist schwierig. Sie weiß nicht wirklich wer dieser Mann ist.
Ein paar Mal schafft es Helmut für ein paar Stunden oder Tage nach Berlin oder Muskau zu kommen, wohin Kätes Arbeitsstelle wegen der Luftangriffe verlegt wird. Seltsamerweise fühlen sich diese Treffen unwirklich an, sie sind einander fremd. Wenn es romantisch wird oder Helmut ihr zu nahe rückt, wird Käte kratzbürstig. In den Briefen sind sie sich viel näher.
Sachlich, manchmal kratzbürstig
Monatelang hat Helmut um ein Studiensemester gekämpft, er kann es kaum glauben, 1944 darf er nach Berlin und ein paar Monate studieren. Käte gibt die Anstellung bei der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie auf, um auch wieder in Berlin zu leben. Die Angriffe sind ihr egal. Sie und Helmut sind sich einig, in solchen Zeiten ist Fatalismus erlaubt, weder Mann noch Frau können das Schicksal beeinflussen und was passieren soll, wird passieren.
Am 20. Juli 1944 hören sie im Radio, es hätte ein Attentat auf Hitler gegeben, es ist nicht klar, ob er tot oder nur schwer verletzt ist. Am Abend sind sie im Schauspielhaus, Don Carlos steht auf dem Spielplan. Als Marquis Posa vom Despoten, “Sire, geben sie Gedankenfreiheit!” verlangt, gibt es Szenenapplaus. Es ist bekannt, dass dafür schon mindestens ein Deutscher, der an dieser Stelle geklatscht hat, erschossen wurde. Aber in diesem Moment ist die Furcht weg. In der Pause machen fast alle Zuschauer Pläne, man hofft der Krieg würde bald zuende sein, nun da “der Verrückte” tot ist. Mit England und den USA könne man sich einigen, dann würde man gemeinsam die Sowjetunion niederringen… Auch Käte und Helmut machen Pläne. Plötzlich ist die Erfüllung der Träume ganz nah.
Als sie in der Perleberger Straße die Treppe hochkommen, steht Oma Elisabeth schon in der Tür und macht eine wegwerfende Geste. Hitler lebt, der Umsturzversuch ist gescheitert, Helmut muss schon bald wieder zurück an die Front.
Es bleiben Briefe
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– wird fortgesetzt –
von Marcus Kluge
Familienportrait Teil 8 – “Sire, geben sie Gedankenfreiheit” / 1943-44
Am Abend des 20. Juli 1944 waren meine Eltern im Deutschen Theater bei einer Aufführung von “Don Carlos”. In der Pause gab es nur ein Thema, das Attentat auf Adolf Hitler. Hitler sei tot, nahm man an und jeder freute sich auf baldigen Frieden. Doch es kam anders, weitere fünf Jahre würde es dauern, bis sie sich im Frieden in die Arme schließen konnten. (Foto oben: Meine Mutter am Anhalter Bahnhof, ca. 1940.)
Kriege enden nicht wirklich, wenn eine Partei gewinnt und die andere kapituliert. Kriege wirken nachhaltig. Noch heute leiden, laut der Uni Leipzig, ca. 3.4% der 60- bis 90-jährigen Deutschen an einer posttraumatischen Belastungstörung infolge des 2. Weltkriegs. Ein Drittel der GIs, die aus dem Irak zurückkommen, haben psychische Probleme. Alkoholismus beobachtet man häufig, die Morphiumsucht wurde früher “Soldatenkrankheit” genannt, so häufig war die Abhängigkeit unter Veteranen. Kurz gesagt: Mit Ende des Krieges fangen viele Probleme erst an.
Die Teilnehmer eines Krieges, egal ob Kombattanten oder Nichtkombattanten, dürfen daran nicht denken. Für sie ist es nötig sich vorzustellen, dass im Frieden alles wieder gut wird und die Träume, die ihnen den täglichen Wahnsinn überstehen helfen, wahr werden. Käte stellt sich vor mit Helmut eine Familie zu gründen und ein eigenes Geschäft zu führen, am liebsten was mit Büchern. Helmut möchte Karriere machen, als Schauspieler und Regisseur und er stellt sich Käte als die Frau an seiner Seite vor.
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In Berlin wird das Leben durch die fast allnächtlichen Bombenangriffe bestimmt. Die Nächte bringt Käte häufig, ohne Schlaf, im Luftschutzkeller zu. Tagsdrauf sieht sie dann, wo Bomben häßliche Löcher im Straßenbild verursacht haben und das drückt die Stimmung zusätzlich. Die Briefe, die ihr drei oder viermal in der Woche, der Briefträger bringt, zeigen Käte aber doch, es geht noch schlimmer.
Gerade nachdem Helmut seine Verwundung am rechten Oberarm halbwegs auskuriert hat, wird er wieder in die verlausten Schützengräben geschickt. Das hat Folgen, er erkrankt an Wolhynischem Fieber. Es wird auch Trench Fever genannt, weil es in den Schützengräben des 1. Weltkriegs erstmals beobachtet wurde. Beispielsweise die Schriftsteller Tolkien, A.A. Milne und C.S. Lewis waren damals daran erkrankt. Auch im 2. Weltkrieg hat man noch keine wirksame Therapie dagegen. Schlecht verheilte Läusebisse verursachen das Leiden, doch an den hygienischen Verhältnissen an der Front ändert sich nichts, wie auch.
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Helmut hat tageweise hohes Fieber, über 41°, dazu starke Kopf- und Gliederschmerzen, der Appetit verläßt ihn, er magert ab. Trotzdem schreibt er fast täglich an Käte, wenn das Fieber hoch ist, bringt er nur riesige, krakelige Buchstaben zustande, der Inhalt ist kaum zu entziffern. Dann ist er wieder klar, verfasst wunderbare Gedichte, die sie auf der Maschine sauber abtippt. Er baut für sein Kätchen und sich ein literarisches Luftschloss, in das sie vor dem Krieg flüchten können. Käte ist beeindruckt, hat Mitleid, ist wohl auch verliebt, doch es ist schwierig. Sie weiß nicht wirklich wer dieser Mann ist.
Ein paar Mal schafft es Helmut für ein paar Stunden oder Tage nach Berlin oder Muskau zu kommen, wohin Kätes Arbeitsstelle wegen der Luftangriffe verlegt wird. Seltsamerweise fühlen sich diese Treffen unwirklich an, sie sind einander fremd. Wenn es romantisch wird oder Helmut ihr zu nahe rückt, wird Käte kratzbürstig. In den Briefen sind sie sich viel näher.
Sachlich, manchmal kratzbürstig
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Monatelang hat Helmut um ein Studiensemester gekämpft, er kann es kaum glauben, 1944 darf er nach Berlin und ein paar Monate studieren. Käte gibt die Anstellung bei der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie auf, um auch wieder in Berlin zu leben, die Angriffe sind ihr egal. Sie und Helmut sind sich einig, in solchen Zeiten ist Fatalismus erlaubt, weder Mann noch Frau können das Schicksal beeinflussen und was passieren soll, wird passieren.
Am 20. Juli 1944 hören sie im Radio, es hätte ein Attentat auf Hitler gegeben, es ist nicht klar, ob er tot oder nur schwer verletzt ist. Am Abend sind sie im Schauspielhaus, Don Carlos steht auf dem Spielplan. Als Marquis Posa vom Despoten, “Sire, geben sie Gedankenfreiheit!” verlangt, gibt es Szenenapplaus. Es ist bekannt, dass dafür schon mindestens ein Deutscher, der an dieser Stelle geklatscht hat, erschossen wurde. Aber in diesem Moment ist die Furcht weg. In der Pause machen fast alle Zuschauer Pläne, man hofft der Krieg würde bald zuende sein, nun da “der Verrückte” tot ist. Mit England und den USA könne man sich einigen, dann würde man gemeinsam die Sowjetunion niederringen… Auch Käte und Helmut machen Pläne. Plötzlich ist die Erfüllung der Träume ganz nah.
Als sie in der Perleberger Straße die Treppe hochkommen, steht Oma Elisabeth schon in der Tür und macht eine wegwerfende Geste. Hitler lebt, der Umsturzversuch ist gescheitert, Helmut muss schon bald wieder zurück an die Front.
M. K.
Mehr Geschichten aus der Serie “Familienportrait” gibt es auf dieser Seite:
Familienportrait Teil 8 – “Sire, geben sie Gedankenfreiheit” / 1943-44
Kriege enden nicht wirklich, wenn eine Partei gewinnt und die andere kapituliert. Kriege wirken nachhaltig. Noch heute leiden, laut der Uni Leipzig, ca. 3.4% der 60- bis 90-jährigen Deutschen an einer posttraumatischen Belastungstörung infolge des 2. Weltkriegs. Ein Drittel der GIs, die aus dem Irak zurückkommen, haben psychische Probleme. Alkoholismus beobachtet man häufig, die Morphiumsucht wurde früher “Soldatenkrankheit” genannt, so häufig war die Abhängigkeit unter Veteranen. Kurz gesagt: Mit Ende des Krieges fangen viele Probleme erst an.
Die Teilnehmer eines Krieges, egal ob Kombattanten oder Nichtkombattanten, dürfen daran nicht denken. Für sie ist es nötig sich vorzustellen, dass im Frieden alles wieder gut wird und die Träume, die ihnen den täglichen Wahnsinn überstehen helfen, wahr werden. Käte stellt sich vor mit Helmut eine Familie zu gründen und ein eigenes Geschäft zu führen, am liebsten was mit Büchern. Helmut möchte Karriere machen, als Schauspieler und Regisseur und er stellt sich Käte als die Frau an seiner Seite vor.
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In Berlin wird das Leben durch die fast allnächtlichen Bombenangriffe bestimmt. Die Nächte bringt Käte häufig, ohne Schlaf, im Luftschutzkeller zu. Tagsdrauf sieht sie dann, wo Bomben häßliche Löcher im Straßenbild verursacht haben und das drückt die Stimmung zusätzlich. Die Briefe, die ihr drei oder viermal in der Woche, der Briefträger bringt, zeigen Käte aber doch, es geht noch schlimmer.
Gerade nachdem Helmut seine Verwundung am rechten Oberarm halbwegs auskuriert hat, wird er wieder in die verlausten Schützengräben geschickt. Das hat Folgen, er erkrankt an Wolhynischem Fieber. Es wird auch Trench Fever genannt, weil es in den Schützengräben des 1. Weltkriegs erstmals beobachtet wurde. Beispielsweise die Schriftsteller Tolkien, A.A. Milne und C.S. Lewis waren damals daran erkrankt. Auch im 2. Weltkrieg hat man noch keine wirksame Therapie dagegen. Schlecht verheilte Läusebisse verursachen das Leiden, doch an den hygienischen Verhältnissen an der Front ändert sich nichts, wie auch.
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Helmut hat tageweise hohes Fieber, über 41°, dazu starke Kopf- und Gliederschmerzen, der Appetit verläßt ihn, er magert ab. Trotzdem schreibt er fast täglich an Käte, wenn das Fieber hoch ist, bringt er nur riesige, krakelige Buchstaben zustande, der Inhalt ist kaum zu entziffern. Dann ist er wieder klar, verfasst wunderbare Gedichte, die sie auf der Maschine sauber abtippt. Er baut für sein Kätchen und sich ein literarisches Luftschloss, in das sie vor dem Krieg flüchten können. Käte ist beeindruckt, hat Mitleid, ist wohl auch verliebt, doch es ist schwierig. Sie weiß nicht wirklich wer dieser Mann ist.
Ein paar Mal schafft es Helmut für ein paar Stunden oder Tage nach Berlin oder Muskau zu kommen, wohin Kätes Arbeitsstelle wegen der Luftangriffe verlegt wird. Seltsamerweise fühlen sich diese Treffen unwirklich an, sie sind einander fremd. Wenn es romantisch wird oder Helmut ihr zu nahe rückt, wird Käte kratzbürstig. In den Briefen sind sie sich viel näher.
Sachlich, manchmal kratzbürstig
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Monatelang hat Helmut um ein Studiensemester gekämpft, er kann es kaum glauben, 1944 darf er nach Berlin und ein paar Monate studieren. Käte gibt die Anstellung bei der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie auf, um auch wieder in Berlin zu leben, die Angriffe sind ihr egal. Sie und Helmut sind sich einig, in solchen Zeiten ist Fatalismus erlaubt, weder Mann noch Frau können das Schicksal beeinflussen und was passieren soll, wird passieren.
Am 20. Juli 1944 hören sie im Radio, es hätte ein Attentat auf Hitler gegeben, es ist nicht klar, ob er tot oder nur schwer verletzt ist. Am Abend sind sie im Schauspielhaus, Don Carlos steht auf dem Spielplan. Als Marquis Posa vom Despoten, “Sire, geben sie Gedankenfreiheit!” verlangt, gibt es Szenenapplaus. Es ist bekannt, dass dafür schon mindestens ein Deutscher, der an dieser Stelle geklatscht hat, erschossen wurde. Aber in diesem Moment ist die Furcht weg. In der Pause machen fast alle Zuschauer Pläne, man hofft der Krieg würde bald zuende sein, nun da “der Verrückte” tot ist. Mit England und den USA könne man sich einigen, dann würde man gemeinsam die Sowjetunion niederringen… Auch Käte und Helmut machen Pläne. Plötzlich ist die Erfüllung der Träume ganz nah.
Als sie in der Perleberger Straße die Treppe hochkommen, steht Oma Elisabeth schon in der Tür und macht eine wegwerfende Geste. Hitler lebt, der Umsturzversuch ist gescheitert, Helmut muss schon bald wieder zurück an die Front.
– wird fortgesetzt –
von Marcus Kluge
Familienportrait – “Sire, geben sie Gedankenfreiheit” / Die Liebe in Zeiten des Krieges Teil 2 / 1943-44
Fieber
Kriege enden nicht wenn eine Partei gewinnt und die andere kapituliert. Kriege wirken nachhaltig. Noch heute leiden, laut der Uni Leipzig, ca. 3.4% der 60- bis 90-jährigen Deutschen an einer posttraumatischen Belastungstörung infolge des 2. Weltkriegs. Ein Drittel der GIs, die aus dem Irak zurückkommen, haben psychische Probleme. Alkoholismus beobachtet man häufig, die Morphiumsucht wurde früher “Soldatenkrankheit” genannt, so häufig war die Abhängigkeit unter Veteranen. Kurz gesagt: Mit Ende des Krieges fangen viele Probleme erst an.
Die Teilnehmer eines Krieges, egal ob Kombattanten oder Nichtkombattanten, dürfen daran nicht denken. Für sie ist es nötig sich vorzustellen, dass im Frieden alles wieder gut wird und die Träume, die ihnen den täglichen Wahnsinn überstehen helfen, wahr werden. Käte stellt sich vor mit Helmut eine Familie zu gründen und ein eigenes Geschäft zu führen, am liebsten was mit Büchern. Helmut möchte Karriere machen, als Schauspieler und Regisseur und er stellt sich Käte als die Frau an seiner Seite vor.
In Berlin wird das Leben durch die fast allnächtlichen Bombenangriffe bestimmt. Die Nächte bringt Käte häufig, ohne Schlaf, im Luftschutzkeller zu. Tagsdrauf sieht sie dann, wo Bomben häßliche Löcher im Straßenbild verursacht haben und das drückt die Stimmung zusätzlich. Die Briefe, die ihr drei oder viermal in der Woche, der Briefträger bringt, zeigen Käte aber doch, es geht noch schlimmer.
Gerade nachdem Helmut seine Verwundung am rechten Oberarm halbwegs weggesteckt hat, wird er wieder in die verlausten Schützengräben geschickt. Das hat Folgen, er erkrankt an Wolhynischem Fieber. Es wird auch Trench Fever genannt, weil es in den Schützengräben des 1. Weltkriegs erstmals beobachtet wurde. Tolkien, A.A. Milne und C.S. Lewis waren damals daran erkrankt. Auch im 2. Weltkrieg hat man noch keine wirksame Therapie dagegen. Schlecht verheilte Läusebisse verursachen das Leiden, doch an den hygienischen Verhältnissen an der Front ändert sich nichts, wie auch.
Helmut hat tageweise hohes Fieber, über 41°, dazu starke Kopf- und Gliederschmerzen, der Appetit verläßt ihn, er magert ab. Trotzdem schreibt er täglich an Käte, wenn das Fieber hoch ist, bringt er nur riesige, krakelige Buchstaben zustande, der Inhalt ist kaum zu entziffern. Dann ist er wieder klar, verfasst wunderbare Gedichte, die sie auf der Maschine sauber abtippt. Er baut für sein Kätchen und sich ein literarisches Luftschloss, in das sie vor dem Krieg flüchten können. Käte ist beeindruckt, hat Mitleid, ist wohl auch verliebt, doch es ist schwierig. Sie weiß nicht wirklich wer dieser Mann ist.
Ein paar Mal schafft es Helmut für ein paar Stunden oder Tage nach Berlin oder Muskau zu kommen, wohin Kätes Arbeitsstelle wegen der Luftangriffe verlegt wird. Seltsamerweise fühlen sich diese Treffen unwirklich an, sie sind einander fremd. Wenn es romantisch wird oder Helmut ihr zu nahe rückt, wird Käte kratzbürstig. In den Briefen sind sie sich viel näher.
Sachlich, manchmal kratzbürstig
Hoffnung
Monatelang hat Helmut um ein Studiensemester gekämpft, er kann es kaum glauben, 1944 darf er nach Berlin und ein paar Monate studieren. Käte gibt die Anstellung bei der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie auf, um auch wieder in Berlin zu leben, die Angriffe sind ihr egal. Sie und Helmut sind sich einig, in solchen Zeiten ist Fatalismus erlaubt, weder man noch frau kann das Schicksal beeinflussen und was passieren soll, wird passieren.
Am 20. Juli 1944 hören sie im Radio, es hätte ein Attentat auf Hitler gegeben, es ist nicht klar, ob er tot oder nur schwer verletzt ist. Am Abend sind sie im Schauspielhaus, Don Carlos steht auf dem Spielplan. Als Marquis Posa vom Despoten, “Sire, geben sie Gedankenfreiheit!” verlangt, gibt es Szenenapplaus. Es ist bekannt, dass dafür schon mindestens ein Deutscher, der da geklatscht hat, erschossen wurde. Aber in diesem Moment ist die Furcht weg. In der Pause machen fast alle Zuschauer Pläne, man hofft der Krieg würde bald zuende sein, nun da “der Verrückte” tot ist. Mit England und den USA könne man sich einigen, dann würde man gemeinsam die Sowjetunion niederringen… Auch Käte und Helmut machen Pläne. Plötzlich ist die Erfüllung der Träume ganz nah.
Als sie in der Perleberger Straße die Treppe hochkommen, steht Oma Elisabeth schon in der Tür und macht eine wegwerfende Geste. Hitler lebt, der Umsturzversuch ist gescheitert, Helmut muss schon bald wieder zurück an die Front.
– wird fortgesetzt –
von Marcus Kluge
Familienportrait – “Hoffnung” / Liebe in Zeiten des Krieges Teil Zwei / 1943-44 / von Marcus Kluge
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Kriege enden nicht damit, dass eine Partei gewinnt und die andere kapituliert. Kriege wirken nachhaltig. Schon Platon wusste: “Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.”
Noch heute leiden, laut der Uni Leipzig, ca. 3.4% der 60- bis 90-jährigen Deutschen an einer posttraumatischen Belastungstörung infolge des 2. Weltkriegs. Ein Drittel der GIs, die aus dem Irak zurückkommen, haben psychische Probleme. Alkoholismus beobachtet man häufig, die Morphiumsucht wurde früher “Soldatenkrankheit” genannt, so häufig war die Abhängigkeit unter Veteranen. Kurz gesagt: Mit Ende des Krieges fangen viele Probleme erst an.
Die Teilnehmer eines Krieges, egal ob Kombattanten oder Nichtkombattanten, dürfen daran nicht denken. Für sie ist es nötig sich vorzustellen, dass im Frieden alles wieder gut wird und die Träume, die ihnen den täglichen Wahnsinn überstehen helfen, wahr werden. Käte stellt sich vor mit Helmut eine Familie zu gründen und ein eigenes Geschäft zu führen, am liebsten was mit Büchern. Helmut möchte Karriere machen, als Schauspieler und Regisseur und er stellt sich Käte als die Frau an seiner Seite vor. Zwei Entwürfe, die nicht deckungsgleich sind.
In Berlin wird das Leben durch die fast allnächtlichen Bombenangriffe bestimmt. Die Nächte bringen Mann und Frau häufig ohne Schlaf im Luftschutzkeller zu. Tagsdrauf sieht sie dann, wo Bomben häßliche Löcher im Straßenbild verursacht haben und das drückt die Stimmung zusätzlich. Die Briefe, die ihr drei oder viermal in der Woche der Briefträger bringt, zeigen Käte aber doch, es geht schlimmer.
Gerade nachdem Helmut seine Verwundung am rechten Oberarm halbwegs weggesteckt hat, wird er wieder in die verlausten Schützengräben geschickt. Das hat Folgen, er erkrankt an Wolhynischem Fieber. Es wird auch Trench Fever genannt, weil es in den Schützengräben des 1. Weltkriegs erstmals beobachtet wurde. Tolkien, A.A. Milne und C.S. Lewis waren damals daran erkrankt. Auch im 2. Weltkrieg hat man noch keine wirksame Therapie dagegen. Schlecht verheilte Läusebisse verursachen das Leiden, doch an den hygienischen Verhältnissen an der Front ändert sich nichts, wie auch.
–
Helmut hat tageweise hohes Fieber, über 41°, dazu starke Kopf- und Gliederschmerzen, der Appetit verläßt ihn, er magert ab. Trotzdem schreibt er täglich an Käte, wenn das Fieber hoch ist, bringt er nur riesige, krakelige Buchstaben zustande, der Inhalt ist kaum zu entziffern. Dann ist er wieder klar, verfasst wunderbare Gedichte, die sie auf der Maschine sauber abtippt. Er baut für sein Kätchen und sich ein literarisches Luftschloss, in das sie vor dem Krieg flüchten können. Käte ist beeindruckt, hat Mitleid, ist wohl auch verliebt, doch es ist schwierig. Sie weiß nicht wirklich wer dieser Mann ist.
Ein paar Mal schafft es Helmut für ein paar Stunden oder Tage nach Berlin oder Bad Muskau zu kommen, wohin Kätes Arbeitsstelle wegen der Luftangriffe verlegt wird. Seltsamerweise fühlen sich diese Treffen unwirklich an, sie sind einander fremd. Wenn es romantisch wird oder Helmut ihr zu nahe rückt, wird Käte kratzbürstig. In den Briefen sind sie sich viel näher.
Sachlich, manchmal kratzbürstig
–
Monatelang hat Helmut um ein Studiensemester gekämpft, er kann es kaum glauben, 1944 darf er nach Berlin und ein paar Monate studieren. Käte gibt die Anstellung bei der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie auf, um auch wieder in Berlin zu leben, die Angriffe sind ihr egal. Sie und Helmut sind sich einig, in solchen Zeiten ist Fatalismus erlaubt, sie können das Schicksal nicht beeinflussen und was passieren soll, wird passieren.
Am 20. Juli hören sie im Radio, es hätte ein Attentat auf Hitler gegeben, es ist nicht klar, ob er tot oder nur schwer verletzt ist. Am Abend sind sie im Schauspielhaus, Don Carlos steht auf dem Spielplan. Als Marquis Posa vom Despoten, “Sire, geben sie Gedankenfreiheit!” verlangt, gibt es Szenenapplaus. Es ist bekannt, dass dafür schon mindestens ein Deutscher, der da geklatscht hat erschossen wurde, aber in diesem Moment ist die Furcht weg. In der Pause machen fast alle Zuschauer Pläne, man hofft der Krieg würde bald zuende sein, nun da “der Verrückte” tot ist. Mit England und den USA könne man sich einigen, dann würde man gemeinsam die Sowjetunion niederringen… Auch Käte und Helmut machen Pläne. Plötzlich ist die Erfüllung der Träume ganz nah.
Als sie in der Perleberger Straße die Treppe hochkommen, steht Oma Elisabeth schon in der Tür und macht eine wegwerfende Geste. Hitler lebt, der Umsturzversuch ist gescheitert, Helmut muss schon bald wieder zurück an die Front.
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– wird fortgesetzt –
In der nächsten Folge bekommt Käte von Helmut einen letzten Brief im März 1945, dann reißt die Verbindung ab. In Berlin verbringt sie mit ihrer Mutter die letzten Kriegstage im Bunker, was sie sehen, als sie ihn verlassen ist apokalyptisch.