Search results for Xanadu Kapitel Sechs

Familienportrait – „Maskerade“ / Die Legende von Xanadu Kapitel Sechs / 1973 / von Marcus Kluge

Es ist ein Montagmorgen als das Unheil passiert. Sechs Wochen sind sie nun zusammen, alles scheint wunderschön, sie sind verliebt und Probleme hat es bisher nicht gegeben. Beaky fühlt sich selbstsicher, er ist von innerer Ruhe erfüllt, er stottert nicht und wird nicht rot. Beaky nimmt immer noch heimlich kleine Mengen Heroin, das Schnupfen hinterläßt ja keine Spuren. Weder sieht man Einstiche auf der Haut, noch die typischen Stecknadelpupillen oder das blasse Gesicht, das die Stoffwechselveränderung bei Fixern verursacht und weshalb sie für den Kundigen so leicht zu identifizieren sind. Er glaubt fest, wenn er das Pulver aufgebe, würde er die Maske aus Selbstsicherheit verlieren und sein Glück würde wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er realisiert nicht, auf wie dünnem Eis er tanzt, die euphorisierende Wirkung der Droge hilft ihm die Einbruchsgefahr fast perfekt zu verdrängen. Nur wenn er unterwegs ist, um Drogen zu holen oder zu verkaufen, kommen ihm solche Gedanken vom Scheitern seiner Liebe zu Hanna. Dann schnupft er auf der nächsten Toilette ein kleines Häufchen Pulver und im Handumdrehen sind die Sorgen und die belastenden Selbstvorwürfe im Kopf verschwunden. An diesem Morgen hat Beaky vergessen das Badezimmer abzuschließen und als er eben dabei ist, die hellbraune Substanz ins Nasenloch hochzuziehen, betritt Hanna den Raum und erwischt ihn. Sie ist sauer, stocksauer. Ohne sich seine Entschuldigungen anzuhören, wirft sie ihn aus ihrer Wohnung. Beaky steht wie ein begossener Pudel auf der Treppe, als die Wohnungstür noch einmal kurz aufgeht und Hanna seine Wildlederjacke auf ihn pfeffert.

Wir alle haben unsere Schwächen. Die kleineren, wie etwa die Essanfälle, die uns nächtens vor den Kühlschrank treiben oder die Ausreden, mit denen wir uns vor uns selbst entschuldigen, weil wir wieder nicht Sport gemacht haben. Und es gibt die etwas bedeutenderen, wie die Beerdignug eines Bekannten, zu der wir nicht gegangen sind, weil wir am Abend vorher gefeiert haben oder die Hilfe, die wir zugesagt und doch nicht gegeben haben. Falls sie diese nicht kennen, stellen sie sich etwas Anderes vor, das ihnen bekannt ist. Lassen sie sich nicht täuschen, jeder hat Schwächen, auch wenn manche Mitmenschen wie Heilige wirken. Ob wir diese Entscheidungen aus freiem Willen oder eher nach unseren Instinkten und heimlichen Wünschen treffen, was wohl ganz überwiegend der Fall ist, soll uns nicht weiter beschäftigen. Besonders wenn Freunde beteiligt sind, die wir im Stich gelassen haben, neigen wir dazu uns schuldig zu fühlen. Denn die Verantwortung übernehmen wir dann. Es sei denn wir gehören zur privilegierten Klasse der Soziopathen, denen diese Last genommen wurde, weil ihnen Gewissen, Empathie und soziales Mitempfinden fehlen. Ich jedenfalls, ich hatte einen solchen Moment der Schwäche, als Ende Juni gegen Mitternacht Beaky ins Tolstefanz kam, um mich um Hilfe zu bitten. Und als ich Anfang August zurück kam aus meinem Urlaub und erfuhr, welchen tragischen Verlauf die Dinge genommen hatten, senkte sich mein schlechtes Gewissen, wie ein engmaschiges Netz auf mich nieder und ich brauchte lange, um mich wieder davon zu befreien.

Das Ur-Tolstefanz hatte sein Domizil in der Sächsischen Straße, nicht weit von der Pariser Straße entfernt, in einem großen Eckladen. Die Discothek war jeden Abend voll, Studenten, Langhaarige, hübsche Mädchen, die tanzen wollten und ein paar Jet-Setter, oder Gäste, die sich dafür hielten. Meine Freundin Ilona hatte mir den D.J.-Job besorgt, sie arbeitete schon länger am Tresen und schwärmte dem Chef von meiner Musikbegeisterung und meiner Plattensammlung vor, bis der mich engagierte. Die Arbeit war ideal für mich, ich wurde nur selten angequatscht, was meiner Menschenscheu zugute kam und das Platten auflegen machte mir wirklich Spaß. Ich fing um neun Uhr an und gegen vier kam Karlo, ich glaube so wurde er genannt, und drückte mir 60.- D-Mark in die Hand, manchmal mehr. Das war viel für mich, natürlich verdiente Ilona besser, schon weil sie großzügige Trinkgelder bekam.

In dieser Nacht, ich glaube es war die Nacht zum 27.Juni 1973, blendete ich eben von den Doors auf die Rolling Stones über. Nach „L.A. Woman“ blieben meist alle Tänzer dabei, um ihr Mitleid mit dem Teufel zu bekunden: „Sympathy for the Devil“. Heikler als diese Blende waren die Wechsel von Rock zu schwarzer Musik, aber Karlo wollte das so haben. Wenn dabei Tänzer ausstiegen, war ihm das Recht, sie sollten ja auch Drinks kaufen. Außerdem wollte er nicht zuviele schwarze Gäste im Tolstefanz haben, genausowenig, wie er nicht zuviele “Rocker” in seinem Laden sehen wollte. Also spielte ich seiner Ansage folgend, zu einer Hälfte Rock und zur anderen „The Sound of Philadelphia“, ein gerade sehr beliebtes Genre des Soul, das der Spiegel damals in einer Titelstory zur Leit-Musik der 70er Jahre erklärt hatte. Die Prophezeiung war ja richtig, nur bezeichnete man diesen Stil später mit dem umfassenderen Begriff „Disco“. Als die ersten Tänzer in den berühmten Background-Chor des Stones-Songs einstimmten, „Huh Huh“, „Huh Huh“, stand Beaky vor mir und es war klar, dass es ihm übel ging.

Ich stellte meine Monitorboxen leiser und Beaky fing unvermittelt an, auf mich einzureden: „Marcus, du musst mir helfen, es geht um Hanna!“, das wäre auch mein erster Gedanke gewesen. „Sie hat mich erwischt, beim Pulver ziehen und jetzt will sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich liebe sie und ich muss irgendwas tun, um sie zurückzugewinnen.“

“Vielleicht hättest du dir das früher überlegen sollen. Dass Hanna da ihre Grundsätze hat, wird dir doch klar gewesen sein“, war meine weder originelle noch empathische Antwort und wirklich Mitleid hatte ich auch nicht. In diesem Moment war ich es leid, immer wieder der Notnagel für Beaky zu sein und ich wusste auch wirklich nicht, wie ich ihm helfen sollte. Schließlich war heute Nacht meine letzte Schicht vor dem Frankreich-Urlaub. Zwei Tage später würde ich schon in Paris sein, zum ersten Mal Paris, ich freute mich sehr darauf. Mir fiel nichts anderes ein, als ihm den Rat zu geben, einen Entzug zu machen und wenn er die schlimmen Tage überstanden hatte, zu ihr zu gehen und sie um Verzeihung zu bitten. Dann holte ich zwei Pils, trank mit ihm, quatschte ein bißchen über Musik und die Anlage hier im Laden, aber ich merkte das er in Gedanken woanders war. Ja. Natürlich war er das. Also schickte ich ihn nachhause mit dem strengen Befehl, am morgigen Tag mit dem Entzug anzufangen. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, wäre mir klar gewesen, dass er, so ganz alleine einen „cold turkey“ nicht durchhalten würde. Ohne ein die Entzugserscheinungen milderndes Medikament und ohne „soziale“ Unterstützung würde er nicht durchhalten. Wenn am zweiten oder dritten Tag, die Schmerzen und die depressiven Gedanken unerträglich würden, hätte er wohl nicht die Kraft abstinent zu bleiben. Außerdem kannte er genug Leute, die ihm sogar ohne Bares, das eine oder andere Pulver auf „Kommi“ geben würden. Also “Kommission”, was bedeutete “auf Kredit”, dann würde er wieder verkaufen müssen und wäre drin im Teufelskreis aus Konsumieren, Dealen und wieder Konsumieren. Aber soweit wollte ich in jener Nacht nicht denken und manchmal mutmaße ich, wenn ich mich anders, hilfsbereiter, verhalten hätte, wäre es nicht zu der unglücklichen Verkettung von Ereignissen gekommen, die auf diese Nacht folgte, während ich in Frankreich war, weit weg von deren Schauplatz.

Beaky fing am nächsten Tag nicht an, das Heroin zu entziehen. Er war sich sicher, er könne auf Entzug nicht arbeiten gehen und nachdem er schon seine Freundin verloren hatte, wollte er wenigstens an seinem Job festhalten. Auf die naheliegende Idee zum Arzt zu gehen kommt er zwar, aber zu dem alten Hausarzt mit den Schmissen will er nicht und einen anderen kennt er nicht. Also steht er um elf auf, zerkleinert eine Prise Heroin mit einer 50 Pfennig-Münze und saugt das Häufchen mit einem zusammengerollten 20 D-Mark-Schein in sein rechtes Nasenloch. Der Versuchung seinem linken Nasenloch die gleiche Behandlung zukommen zu lassen, widersteht er. Es reicht aber auch, augenblicklich sind seine trüben Gedanken verschwunden, er duscht, zieht ein sauberes hellblaues Batik-T-Shirt an und macht sich auf den Weg zu Ingomar von Puvogels Antik-Galerie in der Schlüterstraße.

Der Antiquitätenhändler ist sehr verständnisvoll und gibt sich empathisch, als Beaky ihm von Hannas Entscheidung, die Beziehung zu beenden, erzählt. “Complètement desolé”, sei er, “betrübt” also. Und: “Ja ja, die Frauen, unberechenbar seien sie.” Beaky ist froh, von seinem Chef verstanden zu werden und kommt nicht auf die Idee, dass Puvogel diese Situation zu seinem Vorteil ausnützen könnte. Denn eben darüber denkt der undurchsichtige Herr mit dem Bärtchen nach. Er ist bereits dabei, in seiner Vorstellung einen Plan zu schmieden.
“Vielleicht kann ich sie etwas ablenken, Frieder. Sie lesen doch gern und sie mögen Bücher. Haben sie schon mal von Karl Grünberg gehört? Das war ein kommunistischer Schriftsteller.” Beaky zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
“1928 hat er Brennende Ruhr veröffentlicht, ein Roman über den Ruhraufstand, das war eine Arbeitererhebung gegen den reaktionären Kapp-Putsch”, dozierte Puvogel. “Thomas Mann hat das Buch geschätzt, erstaunlicherweise”, nun schüttelte Puvogel sein pomadisiertes Haupt über den großbürgerlichen Romancier, der Gutes über den “Asphaltliteraten” Grünberg geschrieben hatte. Beaky hatte Mühe den Ausführungen seines Chefs zu folgen. Worauf wollte Puvogel denn hinaus?
“Grünberg ist letztes Jahr gestorben. Ich hatte das Glück, mir einen Teil seines Nachlasses zu sichern, fast seine ganze Bibliothek.”
“Ach, Bücher”, bemerkte Frieder überflüssigerweise.
“Ja, mein lieber Frieder. Bücher, habent sua fata libelli. Sie haben ihr Schicksal, die Bücher”, er nickte.
“Um sie ein wenig aufzubauen, werde ich ihnen einige Doubletten überlassen, Was halten sie davon?” Davon hielt Frieder, der lieber Beaky genannt werden wollte, viel.

Bild

Am gleichen Abend klingelte Beaky an der Tür von Puvogels Privatwohnung in der Fasanenstraße. Er war noch nie dort gewesen und bewunderte die Villa aus dem 19. Jahrhundert. Man sah noch Schäden aus dem 2. Weltkrieg, sodass eine Anmutung von Ruine das Bauwerk umgab, verstärkt noch durch die Dämmerung wirkte es düster und geheimnisvoll auf den jungen Mann. Sein Chef öffnete, im Anzug wie immer, allerdings hatte er statt einer Krawatte ein blau-goldenes Seidentuch um den Hals. Puvogel führte ihn in einen großzügigen Wohnraum, der von einem Konzertflügel dominiert wurde. Sonst bestand die Einrichtung aus einer seltsamen Mischung von schlichten Bauhaus-Möbeln und eher verspielten Jugendstil-Lampen und anderen Accessoires aus dem fin de siécle. Ja, Beaky stellte stolz fest, dass er schon einiges über Antiquitäten gelernt hatte in den letzten Monaten. An den Wänden hingen, neben venezianischen Masken, Grafiken, die er wegen ihrer reichen Ornamentik auch dem Jugendstil zuordnen konnte, dennoch hatte er dergleichen noch nie gesehen. Einige davon waren geradezu pornografisch.
“Aubrey Beardsley. Ein genialer englischer Zeichner und Illustrator, der leider nur 25 Jahre alt wurde. Er starb fast so früh wie heute die Pop-Sänger, nur waren es bei ihm nicht die Drogen, er hatte Tuberkulose.” Beaky überlegte, ob die Anspielung ihm gegolten hatte, Puvogel wusste von seinen Drogenproblemen, aber er wischte den Gedanken zur Seite.
Der Ältere hofierte den Jungen in eine Sitzecke, wo mehrere Barcelona-Sessel um einen flachen Glastisch gruppiert waren. Auf dem Tisch stapelten sich schon einige Bücher. Puvogel entschuldigte sich, um weitere “Doubletten”, wie er sagte, zu holen und der junge Mann verspürte einen plötzlichen Drang der Natur. Auf dem Flur irrte er umher und öffnete eine Tür, dahinter befand sich so etwas wie ein Fotostudio. Seltsam, er wusste gar nicht, dass Puvogel diesem Hobby frönte. Inmitten einiger Scheinwerfer ruhte eine Art Chaiselongue vor einer goldfarbenen Tapete, daneben auf einem Podest stand die Statue eines nackten jungen Mannes, dessen bäuerlich wulstige Stirn nicht so recht zu dem sonst eher filigranen Körper passen wollte.
“Curiosity killed the cat!”, hörte Beaky seinen Arbeitgeber rezitieren. “Nicht jede Tür im Leben sollte man öffnen, geschätzter Freund.”
Nachdem er sich erleichtert hatte, wurde er von Puvogel auf einem der Sessel platziert und hörte dann den Erläuterungen über die meist dicken, gebundenen Bücher vor sich zu. Puvogel empfahl ihm Thomas und Heinrich Mann, Frieder war froh bei Thomas Mann etwas mitreden zu können. Nachdem er ihm einige Klassiker wie Dante, Rabelais und eine dreibändige Casanova-Ausgabe ans Herz legte, stand Puvogel auf, um eine “Erfrischung” zu holen. Frieder schwirrte der Kopf.

Heutzutage kennen wir die entlegensten Single Malt Whiskies, die aus kleinen Destillerien in gutsortierte Fachgeschäfte geliefert werden, aber in den 70er Jahren war, zumindest in Deutschland, der Scotch der Wahl “Chivas Regal”. Der Romancier der Edel-Kolportage, Johannes Mario Simmel hatte diesem schottischen Destillat 1971 in “Der Stoff aus dem die Träume sind” ein Denkmal gesetzt. Auch Frieder hatte davon gehört, unter anderem von seinem Vater, der Chivas als teuersten Schnaps auf der Karte seiner Kneipe führte. So kam es, das Frieder, obwohl er nicht scharf auf Alkohol war, unbedingt probieren wollte, als der Galerist eine Flasche des edlen Getränks auf einem Beistelltisch öffnete. Er goss in zwei Whisky-Tumbler je zwei Finger breit von der goldbraunen, öligen Flüssigkeit. Dann bestand er darauf Beaky einen Eiswürfel ins Glas zu tun, dessen Protest ließ er nicht gelten, Chivas trinke man natürlich mit Eis! Mit den Gläsern kam der zwielichtige Kunsthändler zum Tisch zurück und reichte Beaky eines davon.

Der Whisky schmeckt schärfer, als der Jüngere sich das vorgestellt hat. Puvogel erzählt nun von einem Gedichtband, noch einmal reisst Beaky sich zusammen, weil sein Chef das legendäre “Xanadu” erwähnt. Samuel Taylor Coleridge habe ein Gedicht darüber geschrieben, “Kubla Khan”. Es solle Coleridge, wie eine Vision, im Opiumrausch erschienen sein. Das ist das Letzte woran er sich erinnert. Dann wird es dunkel um ihn.

Endlich hat er es geschafft, er ist in Xanadu. Beaky weiß zwar nicht genau, wie er hergekommen ist, mit dem Flugzeug wahrscheinlich. Doch nun ist er hier. Ein bißchen enttäuscht ist er schon, er hätte es sich prächtiger vorgestellt. Wenn er sich umschaut, sieht er vor allem Wüste und Ruinen, besser die Reste von Ruinen. Mauern, die schon vor Jahrhunderten geschleift wurden, abgebrochene Säulen und unter Sand fast verschwundene Fundamente und Wege. Nirgendwo sieht er Menschen, das macht ihn nervös. Er läuft schneller und nach einer Weile sieht er so etwas wie einen Kiosk, an dem man Karten, Reiseführer, Souvenirs und auch Getränke kaufen kann. Im Kiosk steht ein Mann mit blonden, lockigen Haaren, der eine Maske trägt, er erinnert Beaky an Bob Dylan. “Das ganze Zeug wartet nur auf deine Wenigkeit”, sagt Bob Dylan, nickt ihm zu und öffnet die Arme zu einer allumfassenden Geste. Beaky, der eigentlich etwas zu trinken kaufen wollte, wird rot und unsicher. Sein Mund ist staubtrocken, wahrscheinlich die Wüstenluft, sein Hals ist wie zugeschnürt. Jetzt hört er Pferdegetrappel hinter sich, er sieht sich um und erkennt Hanna, die auf einem weißen Pferd auf ihn zu reitet. Sie neigt sich zu ihm nieder und flüstert in sein Ohr: “Komm Beaky, I think it’s time to go.” Dann reicht sie ihm die Hand und zieht ihn auf den Schimmel. Sofort nachdem er sie von hinten umfasst hat, reitet sie los. Er hört eben noch, wie Bob Dylan ruft: “Das wird der reinste Osterspaziergang!” Er wundert sich, dass Bob Dylan deutsch kann. Sie reiten bis sie zu einer Kneipe kommen, sie sieht aus wie das “Zum Schotten” in der Schlüterstraße. “Seltsam”, denkt Beaky und steigt ab. Auch die andere Person steigt vom Pferd und dreht sich um. Er bekommt einen Riesenschrecken als er sieht, das nun Puvogel vor ihm steht. Puvogel dreht im brachial den Arm um und schiebt ihn in die Kneipe, in der ein Fotostudio aufgebaut ist. Der Mann mit dem Schnurrbart zwingt ihn auf die Chaiselongue und nimmt sein Hèrmes-Tuch ab, das er um Beakys Hals legt und ihn damit würgt bis der Junge bewusstlos wird.

Am nächsten Morgen erwacht Beaky mit einem Filmriss, der so groß und breit ist wie eine Hollywood-Verfilmung des alten Testaments: Außerdem hat er höllische Kopfschmerzen und ein äußerst ungutes Bauchgefühl. Wie war der Abend zuende gegangen? Wie war er nach Haus und ins Bett gekommen? Und was war passiert in den Stunden, die ihm fehlen?
Auf dem Küchentisch findet er einen Zettel von seiner Mutter:
“Guten Morgen, Frieder. Dein Chef hat dich gestern heim gebracht, Du warst offensichtlich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken. Ich mache mir Sorgen. Bin um sieben wieder da, wir müssen reden. Deine Mama.”
Zusätzlich zu seinem Missbefinden, überfällt ihn glühend-heiß sein schlechtes Gewissen, als er den Zettel seiner Mutter liest. Er versucht sich zu sammeln, kocht Kaffee und dreht sich eine Zigarette. Das belebende Getränk und das Nikotin helfen ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Langsam findet er in den Tag. Seine Kehle ist immer noch wie ausgedörrt. Er lässt eben ein Glas kaltes Wasser einlaufen, als es an der Wohnungstür schellt.
“Frieder Becker” steht auf dem Päckchen, Beaky erkennt Hannas Handschrift. Als er beim Gang zurück in die Küche das Päckchen aufreißt, stolpert er über eine Reisetasche. Was ist denn das? Er hat sie noch nie gesehen. In der Küche schüttelt er den Inhalt des Päckchens über den Küchentisch. Es enthält nur zwei Dinge, eine Musikkassette und eine Visitenkarte. Die Karte ist von einem Professor Dr. Amon Philippus, einem Psychiater und Psychotherapeuten in der Uhlandstraße. “Du brauchst Hilfe”, hat Hanna noch dazu geschrieben. Er trinkt das Wasser, mit der Kassette geht Beaky zurück in sein Zimmer und legt sie ein. Dann hört er ein Lied, das er von Hanna kennt. Es ist ihm peinlich eben dieses Lied zu hören, er wird rot, denn der Text trifft ihn exakt an seiner wunden Stelle, dem Schuldgefühl das er hat, weil er die Beziehung in den Sand gesetzt hat, wegen eines kleinen Häufchens Pulver und zum ersten Mal seit seiner Kindheit weint er.

“I’ve seen the needle
and the damage done
A little part of it in everyone
But every junkie’s
like a settin’ sun.”

Fortsetzung folgt

Neil Youngs Song über Heroinsucht, “The Needle and the Damage Done”, erschien zuerst auf seinem Studioalbum “Harvest” im Jahre 1972. Es ist seitdem von einer fast unendlichen Reihe von Musikern gecovert worden. Hier erfährt man mehr darüber:
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Needle_and_the_Damage_Done

Der vollständige Text:
http://www.azlyrics.com/lyrics/neilyoung/needleandthedamagedone.html

Die Zeichnung ist eine Orginal-Illustration von Rainer Jacob. Die Grafik “Maskerade” stammt von Aubrey Beardsley (©: creative commons). Das siebte Kapitel trägt den Titel “Downtown”. “Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Begebenheiten, die ich mit Erfundenem vermischt habe. Im Ergebnis ist “Die Legende von Xanadu” eine fiktive Geschichte. Um Persönlichkeitsrrechte zu schützen habe ich außerdem Namen und Details verändert.

Familienportrait – „Maskerade“ / Die Legende von Xanadu Kapitel Sechs / von Marcus Kluge / 1973

Bild

Es ist ein Montagmorgen als das Unheil passiert. Sechs Wochen sind sie nun zusammen, alles scheint wunderschön, sie sind verliebt und Probleme hat es bisher nicht gegeben. Beaky fühlt sich selbstsicher, er ist von innerer Ruhe erfüllt, er stottert nicht und wird nicht rot. Beaky nimmt immer noch heimlich kleine Mengen Heroin, das Schnupfen hinterläßt ja keine Spuren. Weder sieht man Einstiche auf der Haut, noch die typischen Stecknadelpupillen oder das blasse Gesicht, das die Stoffwechselveränderung bei Fixern verursacht und weshalb sie für den Kundigen so leicht zu identifizieren sind. Er glaubt fest, wenn er das Pulver aufgebe, würde die Maske aus Selbstsicherheit niedersinken und sein Glück würde wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er realisiert nicht, auf wie dünnem Eis er tanzt, die euphorisierende Wirkung der Droge hilft ihm die Einbruchsgefahr fast perfekt zu verdrängen. Nur wenn er unterwegs ist, um Drogen zu holen oder zu verkaufen, kommen ihm solche ängstlichen Gedanken vom Scheitern seiner Liebe zu Hanna. Dann schnupft er auf der nächsten Toilette ein kleines Häufchen Pulver und im Handumdrehen sind die Sorgen und die belastenden Selbstvorwürfe im Kopf verschwunden. An diesem Morgen hat Beaky vergessen das Badezimmer abzuschliessen und als er eben dabei ist, die hellbraune Substanz ins Nasenloch hochzuziehen, betritt Hanna den Raum und erwischt ihn. Sie ist sauer, stocksauer. Ohne sich seine Entschuldigungen anzuhören, wirft sie ihn aus ihrer Wohnung. Beaky steht wie ein begossener Pudel auf der Treppe, als die Wohnungstür noch einmal kurz aufgeht und Hanna seine Wildlederjacke auf ihn pfeffert.

Wir alle haben unsere Schwächen. Die kleineren, wie die Essanfälle, die uns nächtens vor den Kühlschrank treiben oder die Ausreden, mit denen wir uns vor uns selbst entschuldigen, weil wir wieder nicht Sport gemacht haben. Und es gibt die etwas bedeutenderen, wie die Beerdignug eines Bekannten, zu der wir nicht gegangen sind, weil wir am Abend vorher gefeiert haben oder die Hilfe, die wir zugesagt und doch nicht gegeben haben. Falls sie diese nicht kennen, stellen sie sich etwas Anderes vor, das ihnen bekannt ist. Lassen sie sich nicht täuschen, jeder hat Schwächen, auch wenn manche Mitmenschen wie Heilige wirken. Ob wir diese Entscheidungen aus freiem Willen oder eher nach unseren Instinkten und heimlichen Wünschen treffen, was wohl ganz überwiegend der Fall ist, soll uns nicht weiter beschäftigen. Besonders wenn andere beteiligt sind, die wir im Stich gelassen haben, neigen wir dazu uns schuldig zu fühlen. Denn die Verantwortung übernehmen wir dann. Es sei denn wir gehören zur privilegierten Klasse der Soziopathen, denen diese Last genommen wurde, weil ihnen Gewissen, Empathie und soziales Mitempfinden fehlen. Ich jedenfalls, ich hatte einen solchen Moment der Schwäche, als Ende Juni gegen Mitternacht Beaky ins Tolstefanz kam, um mich um Hilfe zu bitten. Und als Anfang August zurück kam aus meinem Urlaub und erfuhr, welchen tragischen Verlauf die Dinge genommen hatten, senkte sich mein schlechtes Gewissen, wie ein engmaschiges Netz auf mich nieder und ich brauchte lange, um mich wieder davon zu befreien.

Das Ur-Tolstefanz hatte sein Domizil in der Sächsischen Straße, nicht weit von der Pariser entfernt, in einem großen Eckladen. Die Discothek war jeden Abend voll, Studenten, Langhaarige, hübsche Mädchen, die tanzen wollten und ein paar Jet-Setter, oder Gäste, die sich dafür hielten. Meine Freundin Ilona hatte mir den D.-J.-Job besorgt, sie arbeitete schon länger am Tresen und schwärmte dem Chef von meinen Musikbegeisterung und meiner Plattensammlung vor, bis der mich engagierte. Die Arbeit war ideal für mich, ich wurde nur selten angequatscht, was meiner Menschenscheu zugute kam und das Platten auflegen machte mir wirklich Spaß. Ich fing um neun Uhr an und gegen vier kam Karlo, ich glaube so wurde er genannt, und drückte mir 60.- D-Mark in die Hand, manchmal mehr. Das war viel für mich, natürlich verdiente Ilona besser, schon weil sie großzügige Trinkgelder bekam.

In dieser Nacht, ich glaube es war die Nacht zum 27.Juni 1973, blendete ich eben von den Doors auf die Rolling Stones über. Nach „L.A. Woman“ blieben meist alle Tänzer dabei, um ihr Mitleid mit dem Teufel zu bekunden: „Sympathy for the Devil“. Heikler als diese Blende waren die Wechsel von Rock zu schwarzer Musik, aber Karlo wollte das so haben. Wenndabei Tänzer ausstiegen, war ihm das Recht, sie sollten ja auch Drinks kaufen. Außerdem wollte er nicht zuviele schwarze Gäste im Tolstefanz haben, genausowenig, wie er nicht zuviele “Rocker” in seinem Laden sehen wollte. Also hieß seine Ansage, zu einer Hälfte Rock und zur anderen „The Sound of Philadelphia“, ein gerade sehr beliebtes Genre des Soul, das der Spiegel damals in einer Titelstory zur Leit-Musik der 70er Jahre erklärt hatte. Die Prophezeiung war ja richtig, nur bezeichnete man diesen Stil später mit dem umfassenderen Begriff „Disco“. Als die ersten Tänzer in den berühmten Background-Chor des Stones-Songs einstimmten, „Huh Huh“, „Huh Huh“, stand Beaky vor mir und es war klar, dass es ihm übel ging.

Ich stellte meine Monitorboxen leiser und Beaky fing unvermittelt an auf mich einzureden: „Marcus, du musst mir helfen, es geht um Hanna“, das wäre auch mein erster Gedanke gewesen. „Sie hat mich erwischt, beim Pulver ziehen und jetzt will sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich liebe sie und ich muss irgendwas tun, um sie zurück zu gewinnen.“ „Vielleicht hättest du dir das früher überlegen sollen. Dass Hanna da ihre Grundsätze hat, wird dir doch klar gewesen sein“, war meine weder originelle noch empathische Antwort und wirklich Mitleid hatte ich auch nicht. In diesem Moment war ich es leid, immer wieder der Notnagel für Beaky zu sein und ich wusste auch wirklich nicht, wie ich ihm helfen sollte. Außerdem war heute Nacht meine letzte Schicht vor dem Frankreich-Urlaub. Zwei Tage später würde ich schon in Paris sein, zum ersten Mal Paris. Mir fiel nichts anderes ein, als ihm den Rat zu geben, einen Entzug zu machen und wenn er die schlimmen Tage überstanden hatte, zu ihr zu gehen und sie um Verzeihung zu bitten. Dann holte ich zwei Pils, trank mit ihm, quatschte ein bißchen über Musik, die Anlage hier im Laden, aber ich merkte das er in Gedanken woanders war. Ja. Natürlich war er das. Also schickte ich ihn nachhause mit dem strengen Befehl, am morgigen Tag mit dem Entzug anzufangen. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, wäre mir klar gewesen, dass er, so ganz alleine einen „cold turkey“ nicht durchhalten würde. Ohne ein die Entzugserscheinungen milderndes Medikament und ohne „soziale“ Unterstützung würde er nicht durchhalten. Wenn am zweiten oder dritten Tag, die Schmerzen und die depressiven Gedanken unerträglich würden, hätte er wohl nicht die Kraft abstinent zu bleiben. Außerdem kannte er genug Leute, die ihm sogar ohne Bares, das eine oder andere Pulver auf „Kommi“ geben würden. Also “Kommission”, was bedeutete “auf Kredit”, dann würde er wieder verkaufen müssen und wäre drin im Teufelskreis aus Konsumieren, Dealen und wieder Konsumieren. Aber soweit wollte ich in jener Nacht nicht denken und manchmal mutmaße ich, wenn ich mich anders, hilfsbereiter, verhalten hätte, wäre es nicht zu der unglücklichen Verkettung von Ereignissen gekommen, die auf diese Nacht folgte, während ich in Frankreich war, weit weg von deren Schauplatz.

Beaky fing am nächsten Tag nicht an, das Heroin zu entziehen. Er war sich sicher, er könne auf Entzug nicht arbeiten gehen und nachdem er schon seine Freundin verloren hatte, wollte er wenigstens an seinem Job festhalten. Auf die naheliegende Idee zum Arzt zu gehen kommt er zwar, aber zu dem alten Hausarzt mit den Schmissen will er nicht gehen und einen anderen kennt er nicht. Also steht er um elf auf, zerkleinert eine Prise Heroin mit einer 50 Pfennig-Münze und saugt das Häufchen mit einem zusammengerollten 20 D-Mark-Schein in sein rechtes Nasenloch. Der Versuchung seinem linken Nasenloch die gleiche Behandlung zukommen zu lassen, widersteht er. Augenblicklich sind seine trüben Gedanken verschwunden, er duscht, zieht ein sauberes hellblaues Batik-T-Shirt an und macht sich auf den Weg zu Ingomar von Puvogels Antik-Galerie in der Schlüterstraße.

Der Antiquitätenhändler ist sehr verständnisvoll und gibt sich empathisch, als Beaky ihm von Hannas Entscheidung die Beziehung zu beenden erzählt. “Complètement desolé”, sei er, “betrübt” also. Und: “Ja ja, die Frauen, unberechenbar seien sie.” Beaky ist froh, von seinem Chef verstanden zu werden und kommt nicht auf die Idee, dass Puvogel diese Situation zu seinem Vorteil ausnützen könnte. Denn eben darüber denkt der undurchsichtige Herr mit dem Bärtchen nach. Er ist bereits dabei, in seiner Vorstellung einen Plan zu schmieden.
“Vielleicht kann ich sie etwas ablenken, Frieder. Sie lesen doch gern und sie mögen Bücher. Haben sie schon mal von Karl Grünberg gehört? Das war ein kommunistischer Schriftsteller.” Beaky zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
“1928 hat er “Brennende Ruhr” veröffentlicht, ein Roman über den Ruhraufstand, das war eine Arbeitererhebung gegen den reaktionären Kapp-Putsch”, dozierte Puvogel. “Thomas Mann hat das Buch geschätzt, erstaunlicherweise”, nun schüttelte Puvogel sein pomadisiertes Haupt über den großbürgerlichen Romancier, der Gutes über den “Asphaltliteraten” Grünberg geschrieben hatte. Beaky hatte Mühe den Ausführungen seines Chefs zu folgen. Worauf wollte Puvogel denn hinaus?
“Grünberg ist letztes Jahr gestorben. Ich hatte das Glück, mir einen Teil seines Nachlasses zu sichern, fast seine ganze Bibliothek.”
“Ach, Bücher”, bemerkte Frieder überflüssigerweise.
“Ja, mein lieber Frieder. Bücher, “habent sua fata libelli”. Sie haben ihr Schicksal, die Bücher”, er nickte.
“Um sie ein wenig aufzubauen, werde ich ihnen einige Doubletten überlassen, Was halten sie davon?” Davon hielt Frieder, der lieber Beaky genannt werden wollte viel.

Bild

Am gleichen Abend klingelte Beaky an der Tür von Puvogels Privatwohnung in der Fasanenstraße. Er war noch nie dagewesen und bewunderte die Villa aus dem 19. Jahrhundert. Man sah noch Schäden aus dem 2. Weltkrieg, sodass eine Anmutung von Ruine das Bauwerk umgab, verstärkt noch durch die Dämmerung wirkte es düster und geheimnisvoll auf den jungen Mann. Sein Chef öffnete, im Anzug wie immer, allerdings hat ein statt einer Krawatte ein blau-goldenes Seidentuch um den Hals. Puvogel führte ihn in einen großzügigen Wohnraum, der von einem Konzertflügel dominiert wurde. Sonst bestand die Einrichtung aus einer seltsamen Mischung von schlichten Bauhaus-Möbeln und eher verspielten Jugendstil-Lampen und anderen Accessoires aus dem fin de siécle. Ja, Beaky stellte stolz fest, dass er schon einiges über Antiquitäten gelernt hatte in den letzten Monaten. An den Wänden hingen, neben venezianischen Masken, Grafiken, die er wegen ihrer reichen Ornamentik auch dem Jugendstil zuordnen konnte, dennoch hatte er dergleichen noch nie gesehen. Einige davon waren geradezu pornografisch.
“Aubrey Beardsley. Ein genialer englischer Zeichner und Illustrator, der leider nur 25 Jahre alt wurde. Er starb fast so früh, wie heute die Pop-Sänger, nur waren es bei ihm nicht die Drogen, er hatte Tuberkulose.” Beaky überlegte, ob die Anspielung ihm gegolten hatte, Puvogel wusste von seinen Drogenproblemen, aber er wischte den Gedanken zur Seite.
Der Ältere hofierte den Jungen in eine Sitzecke, wo mehrere Barcelona-Sessel um einen flachen Glastisch gruppiert waren. Auf dem Tisch stapelten sich schon einige Bücher. Puvogel entschuldigte sich, um weitere “Doubletten”, wie er sagte, zu holen und der junge Mann verspürte einen plötzlichen Harndrang. Auf dem Flur irrte er umher und öffnete eine Tür, dahinter befand sich so etwas wie ein Fotostudio. Seltsam er wusste garnicht, dass Puvogel diesem Hobby frönte. Inmitten einiger Scheinwerfer ruhte eine Art Chaiselongue vor einer goldfarbenen Tapete, daneben auf einem Podest stand die Statue eines nackten jungen Mannes, dessen bäuerlich wulstige Stirn nicht so recht zu dem sonst eher filigranen Körper passen wollte.
“Curiosity killed the cat”, hörte Beaky seinen Arbeitgeber rezitieren. “Nicht jede Tür im Leben sollte man öffnen, geschätzter Freund.”
Nachdem er sich erleichtert hatte, wurde er von Puvogel auf einem der Barcelona-Sessel platziert und hörte dann den Erläuterungen über die meist dicken, gebundenen Büchern vor sich, zu. Puvogel empfahl ihm Thomas und Heinrich Mann, Frieder war froh bei Thomas Mann etwas mitreden zu können. Nachdem er ihm einige Klassiker wie Dante, Rabelais und eine dreibändigen Casanova-Ausgabe ans Herz legte, stand Puvogel auf, um eine “Erfrischung” zu holen. Frieder schwirrte der Kopf.
Heutzutage kennen wir die entlegensten Single Malt Whiskies, die aus kleinen Destillerien in gutsortierte Fachgeschäfte geliefert werden, aber in den 70er Jahren war, zumindest in Deutschland, der Scotch der Wahl “Chivas Regal”. Der Romancier der Edel-Kolportage, Johannes Mario Simmel hatte diesem schottischen Destillat 1971 in “Der Stoff aus dem die Träume sind” ein Denkmal gesetzt. Auch Frieder hatte davon gehört, unter anderem von seinem Vater, der Chivas als teuersten Schnaps auf der Karte seiner Kneipe führte. So kam es, das Frieder, obwohl er nicht scharf auf Alkohol war, unbedingt probieren wollte, als der Galerist eine Flasche des edlen Gesöffs auf einem Beistelltisch öffnete. Er goss in zwei Whisky-Tumbler je zwei Finger breit von der gold-braunen, öligen Flüssigkeit. Dann bestand er darauf Beaky einen Eiswürfel ins Glas zu tun, dessen Protest ließ er nicht gelten, Chivas trinke man natürlich mit Eis. Mit den Gläsern kam der zwielichtige Kunsthändler zum Tisch zurück und reichte Beaky eines davon.

Der Whisky schmeckt schärfer, als der Jüngere sich das vorgestellt hat. Puvogel erzählt nun von einem Gedichtband, noch einmal reisst Beaky sich zusammen, weil sein Chef das legendäre “Xanadu” erwähnt. Samuel Taylor Coleridge habe ein Gedicht darüber geschrieben, “Kubla Khan”. Es soll ihm, wie eine Vision im Opiumrausch erschienen sein. Das ist das Letzte woran er sich erinnert. Dann wird es dunkel um ihn.

Endlich hat er es geschafft, er ist in Xanadu. Beaky weiß zwar nicht genau, wie er hergekommen ist, mit dem Flugzeug wahrscheinlich, diese Art zu reisen ist ja rasant. Doch nun ist er hier. Ein bißchen enttäuscht ist er schon, er hätte es sich prächtiger vorgestellt. Wenn er sich umschaut, sieht er vor allem Wüste und Ruinen, besser die Reste von Ruinen. Mauern, die schon vor Jahrhunderten geschleift wurden, abgebrochene Säulen und unter Sand fast verschwundene Fundamente und Wege. Nirgendwo sieht er Menschen, das macht ihn nervös. Er läuft schneller und nach einer Weile sieht er so etwas wie einen Kiosk, an dem man Karten, Reiseführer, Souvenirs und auch Getränke kaufen kann. Im Kiosk steht ein Mann mit blonden, lockigen Haaren, der eine Maske trägt, er erinnert Beaky an Bob Dylan. “Das ganze Zeug wartet nur auf dich”, sagt Bob Dylan, nickt ihm zu und öffnet die Arme zu einer allumfassenden Geste. Beaky, der eigentlich etwas zu trinken kaufen wollte, wird rot und unsicher. Sein Mund ist staubtrocken, wahrscheinlich die Wüstenluft, sein Hals ist wie zugeschnürt. Jetzt hört er Pferdegetrappel hinter sich, er sieht sich um und erkennt Hanna, die auf einem weißen Pferd auf ihn zu reitet. Sie neigt sich zu ihm nieder und flüstert in sein Ohr: “Du brauchst Hilfe, I think it’s time to go.” Dann reicht sie ihm die Hand und zieht ihn auf den Schimmel. Sofort nachdem er sie von hinten umfasst hat, reitet sie los. Er hört eben noch, wie Bob Dylan ruft: “das wird der reinste Osterspaziergang.” Er wundert sich, dass Bob Dylan deutsch kann. Sie reiten bis sie zu einer Kneipe kommen, sie sieht aus das “Zum Schotten” in der Schlüterstraße. “Seltsam”, denkt Beaky und steigt ab. Auch die andere Person steigt vom Pferd und dreht sich um. Er bekommt einen Riesenschrecken als er sieht, das nun Puvogel vor ihm steht. Puvogel dreht im brachial den Arm um und schiebt ihn in die Kneipe, in der ein Fotostudio aufgebaut ist. Der Mann mit dem Schnurrbart zwingt ihn auf die Chaiselongue und nimmt sein Hèrmes-Tuch ab, das er um Beakys Hals legt und ihn damit würgt bis der Jüngere bewusstlos wird.

Am nächsten Morgen erwacht Beaky mit einem Filmriss, der so groß und breit ist, wie eine Hollywood-Verfilmung des alten Testaments: Außerdem hat er höllische Kopfschmerzen und ein äußerst ungutes Bauchgefühl. Wie war der Abend zuende gegangen? Wie war er nach Haus und ins Bett gekommen? Und was war passiert in den Stunden, die ihm fehlen?
Auf dem Küchentisch findet er einen Zettel von seiner Mutter:
“Guten Morgen, Frieder. Dein Chef hat dich gestern heim gebracht, Du warst offensichtlich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken. Ich mache mir Sorgen. Bin um sieben wieder da, wir müssen reden. Deine Mama.”
Zusätzlich zu seinem Missbefinden, überfällt ihn glühend-heiss sein schlechtes Gewissen, als er den Zettel seiner Mutter liest. Er bemüht sich sich zu sammeln, kocht Kaffee und dreht sich eine Zigarette. Das belebende Getränk und das Nikotin helfen ihm, seine Fassung wieder zu erlangen. Langsam findet er in den Tag. Seine Kehle ist immer noch wie ausgedörrt. Er lässt eben ein Glas kaltes Wasser einlaufen, als es an der Wohnungstür schellt.
“Frieder Becker” steht auf dem Päckchen, Beaky erkennt Hannas Handschrift. Als er beim Gang zurück in die Küche das Päckchen aufreißt, stolpert er über eine Reisetasche. Was ist denn das? Er hat sie noch nie gesehen. In der Küche schüttelt er den Inhalt des Päckchens über den Küchentisch. Es enthält nur zwei Dinge, eine Musikkassette und eine Visitenkarte. Die Karte ist von einem Professor Dr. Amon Philippus, einem Psychiater und Psychotherapeuten in der Uhlandstraße. “Du brauchst Hilfe”, hat Hanna noch dazu geschrieben. Er trinkt das Wasser, mit der Kassette geht Beaky zurück in sein Zimmer und legt sie ein. Dann hört er ein Lied, das er von Hanna kennt. Es ist ihm peinlich eben dieses Lied zu hören, er wird rot, denn der Text trifft ihn exakt an seiner wunden Stelle, dem Schuldgefühl das er hat, weil er die Beziehung in den Sand gesetzt hat, wegen eines kleinen Häufchens Pulver und zum ersten Mal seit seiner Kindheit weint er.

“I’ve seen the needle
and the damage done
A little part of it in everyone
But every junkie’s
like a settin’ sun.”

Fortsetzung folgt

Neil Youngs Song über Heroinsucht, “The Needle and the Damage Done”, erschien zuerst auf seinem Studioalbum “Harvest” im Jahre 1972. Es ist seitdem von einer fast unendlichen Reihe von Musikern gecovert worden. Hier erfährt man mehr darüber:
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Needle_and_the_Damage_Done

Der vollständige Text:
http://www.azlyrics.com/lyrics/neilyoung/needleandthedamagedone.html

Die Zeichnung ist eine Orginal-Illustration von Rainer Jacob. Die Grafik “Maskerade” stammt von Aubrey Beardsley (Co: creative commons). Das siebte Kapitel erscheint am Ende der Woche, es trägt den Titel “Plan B”. “Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Begebenheiten. Allerdings habe ich Namen, Orte und Daten soweit verändert, dass eine Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen tatsächlich rein zufällig und nicht beabsichtigt wäre. M. K.

Familienportrait – „Das Brennen“ / Die Legende von Xanadu Kapitel Elf / 1973 / von Marcus Kluge

Beaky wurde unsanft aus seinen Träumen geholt, als jemand an seiner Schulter rüttelte. Zu seiner Verblüffung erkannte er seinen Vater vor sich. Was machte sein Vater hier, bei der Kriminalpolizei in der Keithstraße? Bevor er zuende gedacht hatte, fragte dieser: „Junge, Frieder, was machst du denn hier? Und wieso haben sie dich angekettet?“
Beaky schüttelte den Kopf und formulierte etwas umständlich: „Sie denken, ja also, ich hätte meinen Chef umbringen wollen. Aber das ist natürlich Quatsch, ich hoffe die merken bald, dass ich kein Mörder bin.“
„Den Puvogel? Den Antiquitätenhändler? Als ob es nicht genug zwielichtige Bekannte von ihm gäbe, denen sowas zuzutrauen ist.“
Beaky hatte inzwischen bemerkt, dass auch sein Vater gefesselt war. Der Unifomierte neben Becker senior hatte sich eine Zigarette angezündet und war offensichtlich bereit, Vater und Sohn ein kurzes Gespräch zu gewähren. Herr Becker wollte nicht auf eine Frage warten, er hob seine Hand und zeigte Beaky den Metallring um sein Handgelenk: „Mich wollen sie wegen Brandstiftung drankriegen. Ich soll meine Kneipe angezündet haben. Du weißt doch wie ich an dem Schuppen hänge. Frieder. Niemals würde ich sowas tun.“
Sie tauschten noch ein paar belanglose Sätze aus, dann drängte der Beamte zum Aufbruch, Vater und Sohn wünschten sich Glück und verabschiedeten sich. In Beakys Hirn türmte sich ein weiteres Fragezeichen auf die schon vorhandenen. Könnte sein Vater sowas gemacht haben? Die Kneipe lief ja nicht gut, wollte er die Versicherung kassieren? Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er mochte seinen Papa nicht so sehr wie seine Mutter, doch war er immer eine verlässliche Größe in seinem Leben gewesen, nun wurde ihm bewusst, wie wenig er eigentlich über seinen Erzeuger wusste.

Lange hatte er nicht Zeit darüber nachzudenken, dann wurde auch er abgeführt. Man brachte ihn in ein Zimmer im Souterrain, Licht fiel nur durch eine Art Oberlicht und außer Tisch und Stühlen war der Raum leer. Es dauerte nicht lange, dann erschien Petra Porlock mit einem Stapel Akten unter dem Arm, in ihrem Schlepptau folgte ein junger Uniformierter.
„Also Herr Becker, ich bin ja etwas sauer auf sie. Ich mag es nicht angelogen zu werden. Und gleich zweimal. Sie wissen doch wovon ich spreche?“
Beaky hatte sich vorgenommen erstmal gar nichts zu sagen, den Tipp hatte ihm der “Doc” mal gegeben. Er hätte gern die Arme verschränkt, aber mit der linken Hand war er immer noch an ein Tischbein gekettet. Also schaute er, etwas betreten, auf die Tischplatte vor sich.
Einige Minuten passierte gar nichts, Petra kuckte an die Zimmerdecke, nickte freundlich dem Polizisten zu, während Beaky merkte, wie ihm die Situation zunehmend unangenehm wurde.
„Wissen sie, Beaky, so werden sie doch genannt. Ich kenne dieses Spiel gut und versichere ihnen, ich kann es besser und vor allem länger spielen als sie. Tun sie sich einen Gefallen und beantworten sie meine Fragen, damit wir beide hier irgendwann wieder rauskommen. Wieso haben wir heute morgen das Gemälde aus Puvogels Galerie in ihrem Zimmer gefunden?“
Beaky machte den Mund auf, wollte sprechen, aber nur ein kläglicher Laut kam aus seiner Kehle. Petra wies den Beamten an, Beakys Handfessel zu lösen. Der Befreite rieb sich das Handgelenk, räusperte sich und sagte: „Mein Chef hat mir das Bild zum Aufbewahren gegeben. Ich kann mir nur denken, wieso. Ich habe mich nicht getraut zu fragen.“
„Und, was denken sie?“
„Na ja, es sieht nach einem Versicherungsschwindel aus, oder?“
„Gut, ich werde das prüfen, aber überzeugt bin ich nicht von ihrer Theorie.“

Es wird ein langes Verhör. Petra stellt immer wieder die gleichen Fragen und Beaky bemüht sich, nicht in eine von ihren Fallen zu tappen. Er hält sich gut, findet er. Doch dann zieht Petra ihr Netz enger, sie spielt einen weiteren Trumpf aus: „Also, sie haben zugegeben, dass sie die perversen Fotos gesehen haben, was ich übrigens sowieso wusste, weil überall ihre Fingerabdrücke darauf sind. Also, entweder er hat sie gezwungen, oder er hat sie betäubt? Es kann natürlich auch sein, das sie sich wie ein kleiner Stricher vom Bahnhof Zoo, haben bezahlen lassen? War es nicht so? Haben sie sich nicht verkauft, um sich Drogen von dem Geld zu besorgen?“

Beaky hat feuchte Augen und seine Wangen brennen. Obwohl es kühl ist, schwitzt er und er hat furchtbaren Durst. Der Polizist sitzt mit versteinerter Miene neben der Tür und hört alles mit, was ihm besonders peinlich ist. Er beschließt zuzugeben, was in Puvogels Wohnung geschah. Er hofft, dieses unerträgliche Verhör kommt dann zu einem Ende: „Nein, ich habe nichts bekommen. Ich war vor ein paar Tagen bei ihm und ich glaube, er hat mich betäubt und die Scheißbilder gemacht, das Schwein.“ Die letzten Worte werden zu einer Art Winseln, er ist mit seinen Nerven am Ende, nun hat er auch noch Schmerzen in seinem Knie.
Aber Petra treibt Beaky weiter vor sich her: „So, da hatten sie ja allen Grund wütend auf ihn zu sein, sie sind ja immer noch außer sich. Und traf sie dieser Missbrauch nicht an einer ganz besonders empfindlichen Stelle? Weil schon ihr Vater perverse Bilder von ihnen gemacht hat?“
Aus seinem Mund kommt nur noch ein Flüstern: „Mein Vater? Was hat der denn damit zu tun?“
„Stellen sie sich doch nicht dumm, sie müssen sich doch erinnern können. Ihr alter Herr ist übrigens auch gerade hier. Dreimal dürfen sie raten wieso?“
„Wegen Brandstiftung ist er hier.“
„Ja, und praktischerweise ist sein kleines Fotostudio mitsamt den Bildern auch verbrannt. Ein toller Zufall.“
Beaky schüttelte seinen Kopf verzweifelt, als ob er damit die letzten Sätze wieder ausradieren könnte und er sagt jetzt nichts mehr.

Er ist froh, das Verhör hinter sich zu haben. Er freut sich fast, jetzt allein in einer Zelle zu sein, er liegt auf der Pritsche und hat die Augen geschlossen, langsam beruhigt sich der Schmerz im Knie. Draußen ist es ein heißer Sommertag in diesem Juli 1973, das vergitterte Fenster ist geöffnet und der Wind trägt einen alten Schlager an Beakys Ohren: „Ich sprenge alle Ketten“. Trotz seiner beschissenen Situation muss er über die Ironie des Zufalls grinsen. Ricky Shayne, er erinnert sich, das war ein Star in den 60ern gewesen.
Am späten Nachmittag schläft er ein, dann gibt es Abendbrot, schlichtes Graubrot mit Tilsiter, er isst hastig und bis zum letzten Krümel alles auf. Um 22 Uhr wird das Licht gelöscht, er freut sich auf den Schlaf, doch der hat keine Gnade mit ihm. Immer wieder erscheinen die Fotos, auf denen er aussieht wie ein Opfer mit einem Strick um den Hals, vor seinem inneren Auge. Hat Frau Porlock wirklich das Wort „Kinderpornografie“ gesagt, oder bildet er sich das ein? Ihm wird heiß, schwindlig, er glaubt zu fallen, obwohl er liegt. Es riecht verbrannt in der kleinen Zelle. Dann kommt die Angst, es ist Todesangst, ihm ist als würde er jetzt in diesem Moment sterben. Er steht auf, hämmert gegen die Tür, bis ein schlecht gelaunter Wärter auftaucht: „Woln se alle wachmachn?“ Immerhin hört er dann zu, murmelt „Zellenkoller“, haut ab und kommt mit einer Pille zurück: „Noch en Mucks, denn wird’s die Jummizelle.“

Der nächste Tag zieht sich schleppend dahin, wobei es in der Zelle immer wärmer und schwüler wird. Er hatte schon vormittags mit weiteren Verhören gerechnet, doch nichts passiert. Erst am frühen Abend erscheint Petra Porlock, er steht auf, doch sie bedeutet ihm mit einer Geste wieder auf dem Bett Platz zu nehmen. Sie selbst setzt sich auf den einzigen Stuhl: „Also, ich will fair sein, aber auch nicht verschweigen, dass ich sie immer noch für hochgradig verdächtig halte. Ihr Chef ist nach wie vor im Koma, die Ärzte haben da keine Prognose. Allerdings wird er möglicherweise einen bleibenden Schaden haben, weil die Blutversorgung zum Gehirn unterbrochen war. Man weiß nicht wie lange. Ich hatte gehofft, er kann aussagen, aber es sieht nicht so aus. Ihre Mutter hatte einen Kreislaufzusammenbruch, da dürfen sie ruhig ein gehörig schlechtes Gewissen haben. Die arme Frau hat mit ihnen nur Kummer und Sorgen. Sie liegt im Gertrauden-Krankenhaus, bekommt Infusionen, braucht Ruhe und wird ein paar Tage dort bleiben.“
Petra macht eine Pause und sieht ihr Gegenüber prüfend an. Dann wird ihr Ton eine Nuance freundlicher: „Wissen sie das sie einen Freund haben? Ihr Doktor.“
Beaky wird übel, spricht sie von seinem Freund, dem “Doc”, der mit den 10 000 Mark abgehauen ist? Erst als Petra fortfährt, atmet er erleichtert auf, nein sie meint einen anderen, einen richtigen Arzt.
„Dieser Professor Philippus, ihr Seelenklempner, hat mit dem Staatsanwalt gesprochen. Der Mann scheint gute Kontakte zu haben. Jedenfalls hat er behauptet, Puvogel hätte sich bei irgendeiner sexuellen Handlung selbst stranguliert. Na ja, unsere Gerichtsmediziner prüfen das. Da ich im Moment, und ich betone im Moment nicht genug gegen sie in der Hand habe, sie einen festen Wohnsitz und rein theoretisch auch einen Job haben, lasse ich sie erstmal frei. Sie können ihre Mutter besuchen, aber wenn sie auch nur einen verdächtigen Schritt machen, sei es sie kaufen sich großformatiges Zigarettenpapier oder steigen in einen Bus nach Spandau, gehört ihr Arsch wieder mir und ich lasse sie in Ketten legen. Haben sie das verstanden?“
„Ja, Frau Porlock. Danke und glauben sie mir, ich habe Puvogel nicht einmal angefasst.“
„Nun ja, lassen wir das. Wir sehen uns auf jeden Fall. Adschö Herr Becker.“

Perilog
Als ich Anfang August des Jahres 1973 aus dem Urlaub in Frankreich zurückkam, war Beakys Schicksal bereits besiegelt. Ich konnte nichts mehr für ihn tun. Doch auch wenn ich in Berlin gewesen wäre, hätte ich wohl keinen Einfluss auf die Geschehnisse gehabt, die ihn letztlich das Leben kosten sollten. Trotzdem habe ich mir Vorwürfe gemacht. Schon damals hatte ich die Idee über sein Leben zu schreiben, doch ich merkte, dass mir der Abstand fehlte und es wurde nichts daraus. Woran war Beaky gescheitert? Wenn ich es auf einen Aspekt reduzieren müsste, würde ich sagen es waren die Drogen, an denen er scheiterte. Damals sah ich das auf jeden Fall so. Diese Erkenntnis half mir sogar in gewisser Weise, denn ich begann Drogen sehr viel kritischer zu sehen, als es der Zeitgeist es tat. Nachdem ich selbst mit Drogen experimentiert hatte, wurde ich nun abstinent, ich hatte Angst wie Beaky zu enden. Ich fürchtete mich vor Sucht, Überdosierungen und schlechten Trips, also ließ die Finger von den Substanzen. Vielleicht am meisten fürchtete ich ins Gefängnis zu kommen. Eine solche agressive Männerwelt stellte ich mir als Hölle für mich vor. Aber der Bereich Drogen und Gifte blieb in meinem Blickfeld. Ohne das ich mir es vorgenommen hätte, begann ich Bücher über zum Thema zu sammeln. Hauptsächlich auf Flohmärkten und in Antiquariaten fand ich sowohl Belletristik als auch Sachliteratur. Von Louis Lewins Standardwerk „Phantastika“ über Scheidts „Die Behandlung Drogenabhängiger“, pharmakologischen und toxikologischen Fachbüchern bis zu de Quinceys „Bekenntnissen eines englischen Opiumessers“ oder Karen Boyes Science-Fiction-Klassiker „Kallocain“. Und ich begann auch Geschichten zum Thema zu sammeln. Ich hielt Kontakt mit alten Schulfreundinnen und Freunden, die zu Jüngern von Halluzinogenen, Narkotika oder Aufputschmittel geworden waren und ich hörte stundenlang zu, wenn sie mir von ihren Erfahrungen erzählten. In gewisser Weise wurden Literatur und erzählte Geschichte für mich zu Substituten für die eigene Erfahrung, die ich scheute. Jahrelang war es mein Ziel darüber zu schreiben, dramatische Romane stellte ich mir vor, auch Krimis über ausgetüfftelte Giftmorde wollte ich mir ausdenken.
Ich versuchte mich darin, doch ich war mit meiner Schreibe sehr unzufrieden, mir fehlte Erfahrung, Übung und ein Plan. Ich wusste nicht, wieso ich etwas schreiben sollte und für wen. Ich wusste noch nicht einmal, was ich für mich selbst schreiben sollte. Dazu hätte ich ja wissen müssen, wenigstens ungefähr, wer ich war und was meine Bedürfnisse waren, doch von solchen Erkenntnissen war ich Jahrzehnte weit entfernt.
Alles was ich zu Papier brachte war holprig, gewollt und unzulänglich. Dazu kam, damals in den 1970er Jahren hatte ich eine leicht paranoide Einstellung gegen Polizei und Justiz. Ich befürchtete, selbst wenn ich Namen und Umstände verschlüsselte, könne die Exekutive meine Freunde und Bekannte aus der Drogenszene verfolgen, vielleicht war das weit hergeholt. Denn diese war hauptsächlich beschäftigt die RAF, oder andere „Staatsfeinde“, wie das Sozialistische Patienten-Kollektiv zu verfolgen. Drogendelikte hatten noch nicht den Stellenwert wie später. Richard Nixon hatte zwar schon 1972 den „Krieg gegen die Drogen“ erklärt, aber in Deutschland dauerte es noch Jahre bis diese repressive Welle angespült wurde.
Es blieb also viele Jahre beim „schreiben wollen“. Erst zu Beginn der 80er Jahre fing ich an regelmäßig Texte auf meiner Schreibmaschine zu tippen. Doch Beakys Geschichte war mir noch zu nah. Es folgten Jahrzehnte, in denen ich neben der Arbeit nichts mehr Persönliches schreiben konnte. Es mussten 40 Jahre vergehen, bis mir seine Geschichte wieder einfiel und ich mir zutraute sie zu Papier zu bringen. Im Herbst 2013 schrieb einen Text über ein Pink Floyd Konzert Anfang 1970 und da war er wieder, Beaky. Und der langhaarige Junge mit der Schnute und der Fransenjacke erstand vor meinem geistigen Auge auf und forderte einen Tribut. Ich begriff, dass es ihm schuldig war, sein Leben, oder wenigstens sein tragisches Ende, für die Nachwelt festzuhalten…

Beaky verlässt das Polizeigebäude in der Keithstraße und läuft los, ohne nachzudenken wohin. Er will einfach nur weg und das laufen tut ihm gut, obwohl es heiß ist und er schnell anfängt zu schwitzen. Es ist kurz nach sechs, er kauft schnell noch Zigaretten, bevor die Läden zumachen. Plötzlich steht er vor dem Aquarium, er setzt sich auf eine Bank und raucht eine Camel mit Filter. Zum ersten Mal seit zwei Tagen entspannt er sich ein bisschen. Dann geht er die Budapester Straße lang,am Bikini-Haus und dem Zoo-Palast vorbei, zum Vorplatz des Bahnhofs Zoo. Den Bahnhof Zoo hat er immer gemieden, die Stricher und verkommenen Junkie-Gestalten stoßen ihn ab. Aber jetzt will er doch noch ein paar Blumen kaufen, tatsächlich findet er einen offenen Laden in West-Berlins einzigem Fernbahnhof. Dann stellt er sich an die Haltestelle des 60er Busses, der ihn zur Blissestraße bringt. Von dort sind es nur zwei Ecken zum Gertrauden-Krankenhaus.

„Hallo Mama, wie geht’s dir denn?“
„Ach Frieder, die Blumen sind aber schön. Das wär doch nicht nötig gewesen.“
„Doch Mama, das war nötig. Ich hab ein total schlechtes Gewissen, dass du wegen mir krank bist.“
„Ach Quatsch. Ich hab wohl zu wenig getrunken und bin dann bei der Hitze umgekippt. Der erste Lack ist halt ab bei mir. Nu geh aber gleich mal zu den Schwestern und lass dir ‘ne Vase geben.“
Die Krankenschwestern tragen alle merkwürdige Kutten, das müssen Nonnen sein. Beaky überlegt, wie man die anspricht.: „Bitte Frau Schwester, hätten sie ein Blumenvase für mich?“
Beaky versucht seine Mutter zu beruhigen, er stellt sich als rehabilitiert dar, wobei er in Wirklichkeit Angst hat. Angst, Petra Porlock könnte seinen Plan aufdecken und herausfinden, dass er selbst der Anstifter war. Wenn Puvogel aufwachen sollte, wäre er geliefert. Er hofft seine Mutter merkt nicht, wie es wirklich um ihn steht.
„Pass auf dich auf, Junge. Und iss was Vernünftiges, im Eisschrank sind Bouletten und Kartoffelsalat, die müssten noch gut sein.“
„Ich komme morgen wieder, Mama und ich liebe dich. Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut.“

wird fortgesetzt –

Die Personen und die Handlung von “Die Legende von Xanadu” wurde von wahren Vorbildern und Ereignissen inspiriert, ist aber eine fiktive Geschichte geworden. Zu meiner eigenen Überraschung ist auch der Erzähler, der ja Ähnlichkeit mit mir hat, zur Kunstfigur mutiert. Um Persönlichkeitsrechte zu schützen, habe ich, wo es nötig war Namen und Details verändert. Die letzte Fortsetzung der Geschichte trägt den Titel „Moonlight Mile“. https://marcuskluge.wordpress.com/2014/07/19/familienportrait-moonlight-mile-die-legende-von-xanadu-kapitel-zwolf-1973-von-marcus-kluge/

Die Illustration stammt von Rainer Jacob. Mehr von ihm:
http://www.rainerjacob.com

 

Familienportrait – “Pièce de résistance” / Die Legende von Xanadu Kapitel Neun / 1973 / von Marcus Kluge

Bild

Gegen 23 Uhr hält der weiße Rolls-Royce vor der noch von Kriegsschäden gezeichneten Villa in der Fasanenstraße. Der Chauffeur springt eilfertig aus dem Wagen und hält der Dame, die der Kühle der Nacht mit einem Pelzjäckchen trotzt, den Schlag auf, salutiert und flüstert: “Hals- und Beinbruch, Schuhchen.” Die Gräfin klingelt, näselt ihren Namen in die Sprechanlage und drückt die Tür auf als es summt.
Puvogel verbeugt sich tief und gibt der Gräfin einen Handkuss, dabei bemerkt er einen auffälligen Ring mit einem Skarabäus an ihrem Zeigefinger, den sie über ihren weißen Glacé-Handschuhen trägt. Der sonstige Schmuck der Dame ist hoffentlich wertvoller, den dieser Ring ist Tinnef. Elzbieta von Rogacki lässt sich ihr Jäckchen abnehmen, aber ihre Fendi-Handtasche hält sie unter dem Arm fest, auch die Handschuhe behält sie an. Der Kunsthändler geleitet sie zu einem Barcelona-Sessel und bietet ihr eine Erfrischung an.
“Sähr gern, eine Ärrfrischung. Sie haben zufällig einen Scotch, lieber Härr Puvogel?”

Der Kunsthändler füllt zwei Whisky-Tumbler mit Chivas Regal und stellt diese auf den Glastisch vor die Gräfin.
“Chivas Regal, mein Liebes-Getränk, sie haben auch Eis, liebär Puvogel?” Sie übertreibt es etwas mit dem Akzent, das Schauspielern macht ihr Spaß, sie muss sich zusammenreißen, konzentrieren. Sofort als Puvogel den Raum verlässt, holt sie ein Fläschchen aus der Fendi-Tasche und gibt zehn Tropfen daraus in eines der Gläser. “Brutsomnol” hat ihr Freund in seiner Arzttasche gehabt, K.O.-Tropfen der zweiten Generation. Früher nahm man Barbitursäure für derartige Anschläge, aber das wirkte nur langsam und die Gefahr von tödlichen Überdosen war groß. Das konnte bei Brutsomnol nicht passieren. Etwas beängstigend findet sie es allerdings schon, dass ihr Freund “zufällig” etwas so gefährliches wie dieses Mittel bei sich trägt. Als der Kunsthändler mit den Eis zurückkommt, steht die Gräfin und bewundert die Grafiken an der Wand. Puvogel gibt ihr Eis, dann trinken sie. Die Beardsley-Drucke sind uninteressant, aber daneben entdeckt sie Ausgefalleneres. Sie muss Puvogel noch ein paar Minuten aufhalten, bis die Tropfen wirken: “Das ist ja Austin Osman Spare dieser Druck. Särr exklusiv Herr Puvogel. Ist echte Signatur?” Susanna kommt in ihrer Rolle als Gräfin zugute, dass sie vier Semester Kunstgeschichte in Krakau studiert hat.
“Ja, 100 % echt. Aus einem Nachlass. Sie kennen sich aber gut aus, Gräfin.”
“Nu ja, ich sammle selbst ein wänig.”

Der Galerist merkt eine gewisse Müdigkeit in seinen Beinen, er setzt sich und nur wenige Augenblicke später ist er eingeschlafen. Sie klappst ihm ein paarmal auf die Wange, um zu prüfen ob er wirklich tief schläft. Als Puvogel darauf nicht reagiert, beginnt sie seine Taschen zu durchsuchen. Sie findet das Schlüsselbund mit der Marke von Scotland Yard als Schlüsselanhänger, das werden sie brauchen. Nun noch die Karte, in seiner Brieftasche wird sie fündig. Dort ist die alte Spielkarte, ein Herz-König und auf ihr stehen die Zahlen, die sie brauchen. Sie hat ihre Rolle nun fertig gespielt, sie ist stolz auf sich. Auch der falsche “Doktor” in seiner geliehenen Livrée lobt sie, während sie in die Uhlandstraße fahren, um den Rolls-Royce zurückzugeben, der eigentlich Rolf Eden gehört. Sie konnten ihn ausleihen, weil ein Kunde von “Doktor” in der Garage neben der S-Bahn arbeitet, wo er untergestellt wird, wenn Eden ihn nicht braucht. Zeit zum feiern haben sie noch nicht, denn der “Doktor” muss mit Beaky den letzten Teil ihres Plans ausführen, bevor Puvogel wieder erwacht und merkt, dass er über den Tisch gezogen wurde. Aber danach werden sie ihren Coup begießen.

20 Minuten später könnte ein aufmerksamer Beobachter in der Schlüterstraße zwei Gestalten sehen, die mit einem großem Koffer die Galerie Puvogel betreten. “Wo ist denn der Sparstrumpf vom Herren von und zu?”
Beaky, der seine langen Haare zusammengebunden hat und unter einem Käppi versteckt antwortet: “Der Safe ist in seinem Blaubartkabinett, hinten.”
Sie finden die Tür verschlossen, aber sie haben ja Puvogels Schlüsselbund, das Susanna in ihrer Verkörperung der Gräfin Rogacki gestohlen hat, damit verschaffen sie sich Einlass. Der kleine Raum ist nur mit einem bequemen Sessel, einem Biedermeiertischchen und einem Bücherregal ausgestattet. An der Wand hängen unzählige Fotos, die fast alle Männer, mit Stricken, Schlipsen oder Schals um den Hals, zeigen. Manche sind nackt und erregt, wobei sie gewürgt werden. Andere sind gänzlich angekleidet und tragen die Würgewerkzeuge als harmlose Accessoires. Auf dem Tisch verstreut liegen schwarz-weiß Abzüge und Beaky wird es siedendheiss, als er bemerkt, dass die Bilder ihn selbst zeigen. Er liegt entkleidet auf Puvogels Chaiselongue, man sieht die Hände seines Chefs, wie sie ihn mit dem Hermes-Tuch würgen, das der Kunstfreund an diesem Abend trug.

Während Beaky kein Wort herausbringt, murmelt sein Freund, der “Doktor”: “Geschieht ihm recht, dem perversen Motherfucker, dass wir ihm seinen Notgroschen und sein pièce de résistance* klauen.”
Beaky wühlt immer noch ungläubig in den Fotos, im Gegensatz zum “Doktor” trägt er keine Handschuhe. Sein Freund legt eine Hand auf Beakys Schulter: “Reiß dich los und verrat mir wo der Tresor ist.”
Beaky schiebt den Lehnstuhl mit der hohen Lehne zur Seite, dahinter hängt ein gerahmtes Filmplakat von “Der Würgeengel”, den Luis Bunuel 1962 in Mexiko drehte. Beaky hängt das Bild ab, dahinter befindet sich der Safe. Puvogel hat Beaky leichtsinnigerweise erzählt, dass er hier für Notfälle Bargeld deponiert hat. Er hat Beaky sogar die alte Spielkarte gezeigt, auf der die Kombination steht. Offensichtlich hat Puvogel Beaky keine kriminelle Energie zugetraut. Er hat sich geirrt. “Doktor” öffnet nun den kleinen Geldschrank, ihn ihm liegen Papiere, ein Schmuckkästchen und eine Umschlag, auf dem “Reptilienfonds” steht. Der falsche Mediziner öffnet das Kuvert und hält nun 10 mal 10 Hundert-Mark-Scheine und einige Pässe und Ausweise in der Hand. Die Ausweispapiere legt er zurück, den Umschlag mit den Geldscheinen steckt er ein.
Nun folgt der letzte Akt des Plans, der sperrige Koffer kommt zum Einsatz. Der Koffer hat am meisten Mühe gemacht, es hat eine Weile gedauert, bis sie bei den Trödlern einen gefunden haben, der groß genug ist, immerhin ist das Bild fast einen Meter breit. Hoffentlich hat Beaky sich beim Ausmessen nicht geirrt, ein oder zwei Zentimeter könnten schon einen Strich durch ihre Rechnung machen. Der Doc nimmt die Kopie der “Einschiffung von Kythera” von der Staffelei und sie verstauen Puvogels pièce de résistance im Koffer, es passt genau. Sie verlassen den Laden, schließen ab und wenige Augenblicke später sind sie in der Dunkelheit der Kudamm-Nebenstraße verschwunden.

Susanna, der es einen Riesenspaß gemacht hat, die Rolle der Gräfin von Rogacki zu spielen, hat eine Flasche echten Champagner gekauft um ihren Erfolg zu feiern. Der “Doktor” stellt das Gemälde auf einen Stuhl und die drei Freunde stoßen an. Beaky trinkt zum ersten Mal das edle Prickelwasser, aber der trockene Veuve Cliquot kommt ihm sauer vor. Das tut seiner guten Laune keinen Abbruch, Puvogels perverse Fotos von ihm haben ihn zwar geschockt, aber nun weiß er wenigstens was genau passiert ist und außerdem hat er sich gerächt. Und Rache soll ja süß sein. Die drei stellen sich Puvogels Gesicht vor, wenn er entdeckt, dass sein Lieblingsstück fehlt und auch sein Notgroschen über Nacht verschwunden ist.

Auch der Doc hat eine Überraschung, die er nun auf den Tisch stellt, ein kleines Fläschchen medizinisches Kokain. An dem weißen Kreuz auf rotem Grund erkennt man, dass es aus der Schweiz stammt. Der Doktor gibt mit seinem Wissen an: ” Die Schweizer sind die einzigen in Europa, die Kokablätter zu medizinischen Zwecken importieren dürfen. Das hier ist von Sandoz. In den USA ist übrigens Coca-Cola die Firma, die Koka verarbeiten darf. Wo wohl das ganze Koks landet? In der Brause ist ja seit 70 Jahren nicht mehr.” Beaky musste immer wieder über das Wissen des falschen Doktors staunen. Als ob der irgendwo ein Elektronengehirn hätte, mit dem er das gesamte Weltwissen abrufen könnte. Doktor formt mit Hilfe einer Rasierklinge auf einem kleinen Spiegel sechs lange, schmale Linien und Beaky prüft das Wissen seines Freundes, indem er fragt, wieso Koks in Linien von einem Spiegel genommen wird. Das lässt sich der Doc nicht zweimal fragen, er beginnt zu dozieren: “Hast du schon mal was von Narziss gehört, sein Alter war ein Flussgott, seine Mutter eine Nymphe und dieser Narziss verliebte sich in sein Spiegelbild. Kokser sind selbstverliebte Narzissten, sie wollen sich im Spiegel sehen, wenn sie teure lange Linien sniefen. Koks ist Luxus, ein Prestige-Objekt, man gibt gern damit an, wie mit einem Sportwagen. Man kann es sich leisten und man hat die Beziehungen, es zu bekommen. Außerdem ist Koks der perfekte Genuss, man wird euphorisch, aber es befriedigt nicht wie Heroin. Bei Koks kann man fast immer noch eine Line nachlegen, wenn man das bei Heroin täte, wäre man spätestens nach der dritten Runde tot. Heroin nimmt man in kleinen Häufchen, es ist für den User eine Notwendigkeit und es befriedigt sein Verlangen”, hier machte er eine kunstvolle Pause: “Es sei denn der Stoff ist Scheiße.”
Nun steht der Doc auf, er sucht in einer Schublade und kommt dann mit einem schmalen Lederfutteral zurück. Er öffnet es und nestelt aus dem bordeaux-roten Samtfutter ein silbernes Röhrchen, etwa acht Zentmeter lang, und reicht es Susanna. Die zieht jeweils eine Linie in jedes Nasenloch, wobei sie das untätige Nasenloch zuhält, anschließend nimmt sie mit der Beere ihres Zeigefingers die restlichen Krümel auf und verreibt diese auf ihren Schneidezähnen. Nun absolviert der Doc dieselbe Prozedur und reicht den Spiegel mit zwei übriggebliebenen Portionen Beaky.
Beaky hat noch nie Kokain genommen, er ist neugierig, schließlich ist es medizinisch rein, obwohl er mit den Drogen kürzer treten will, kann er der Versuchung nicht widerstehen. Aber er begnügt sich mit einer Linie, zieht sie hoch und bevor der Doc in stoppen kann, legt er das Röhrchen auf den Spiegel, doch da ist es schon über die letzte Portion gerollt und hat das Pulver auf der Tischplatte verteilt. Der Doc grinst und sagt: “Typischer Anfängerfehler. Merke: nie das Röhrchen auf den Spiegel legen.”
Innerhalb kurzer Zeit merkt Beaky wie ihn eine Welle von positiven Gefühlen überschwemmt. Mehrere wichtige, schöne Ideen formen sich in seinem Kopf und er weiß garnicht, welche er davon zuerst aussprechen soll. Schließlich entscheidet er sich für: ” Ich bin riesig froh, dass der Plan so gut geklappt hat, es ist toll euch als Freunde zu haben. Danke das ihr mir geholfen habt, ich würde euch am liebsten umarmen.”
Beaky ist ziemlich begeistert von dem Stoff. Zwei Lines zieht er noch, doch dann gibt ihm sein Freund nichts mehr von dem teuren Schweizer Produkt. Im Gegenteil der ungewöhnlich gesprächige Doktor gibt ihm sogar eine Art Warnung mit auf seinen Heimweg:
“Gewöhn dich nicht dran, Beaky. Koks ist nicht der richtige Stoff für dich, du bist von Natur aus nervös und aufgeregt. Koks ist für Leute die leer oder sehr müde sind. Du brauchst etwas das beruhigt und dir ein warmes, zufriedenes Gefühl gibt, wie die Milch an der Brust der Mutter den Säugling stillt. Die Mutter aller Drogen, der Schlafmohn, ist deine Droge. Opium kommt von griechisch ‘opion’, der kleine Saft. Die Muttermilch für Erwachsene, denen etwas Grundlegendes fehlt.”
Als Beaky mit dem großen Koffer die Treppe hinuntersteigt ist er immer noch euphorisch, aber auch etwas nachdenklich. Er hält ein Taxi an, der Fahrer verstaut den Koffer mit dem Gemälde im Kofferraum. Damit der Fahrer ihn nicht wegen der kurzen Fahrt anblafft, hat er ihm gleich einen Zehner in die Hand gedrückt und “Zum Bundesplatz, neben dem Kino” gemurmelt. Im Autoradio läuft Joe Cockers “With a Little Help from My Friends”.

What do I do when my love is away?
(Does it worry you to be alone?)
How do I feel by the end of the day?
(Are you sad because you’re on your own?)

No, I get by with a little help from my friends
Mm, get high with a little help from my friends
Mm, gonna try with a little help from my friends

Ja, er ist dankbar für ihre Hilfe und es scheint ihm auch ein Omen zu sein, dass sie ihm bei der Verwirklichung seines Plans geholfen haben, ein Omen dafür, dass Hanna ihn zurücknehmen wird. Er kann sich kaum vorstellen, wie sie ihn abweisen sollte, wo er doch das Heroin für sie aufgegeben hat und ihr Geschenke mitbringt.
Daheim nimmt er sich das Bändchen mit den Coleridge Gedichten, macht es sich in seinem Bett gemütlich und lässt sich in die Traumwelt des romantischen Dichters fallen. Es ist schon hell draußen, als er mit dem Buch auf der Brust einschläft.

Bild

Das Erwachen am nächsten Morgen ist unangenehm. In wenigen Augenblicken ist die Euphorie, die noch im Traum nachgewirkt hat, vergangen und das Ungewisse, Gefährliche seiner Situation wird im schlagartig bewusst. Er hat einen Einbruch begangen, viel Geld und ein Bild gestohlen, ein Mensch ist nach seinem Plan betäubt worden und Hannas Reaktion kann er, nüchtern betrachtet, überhaupt nicht einschätzen. Jetzt kommen auch die Fotos wieder in sein Gedächtnis, er wird nochmal rot, als er an die perversen schwarz-weiß-Abzüge denkt. Puvogel hat ihn richtiggehend missbraucht, wie konnte ihm das nur passieren, hätte er nicht gewarnt sein müssen. Sicher, er gab all diese merkwürdigen Stories über seinen Chef, aber die hat er nicht ernstgenommen. Wie ist er eigentlich an Puvogel geraten? Ihm fällt ein, dass sein Vater ihm den Tipp gegeben hat, sich bei dem Galeristen zu bewerben. Puvogel wäre ein Geschäftsfreund seines Vaters. Doch welche Geschäfte sollten das sein? Merkwürdig, er nimmt sich vor seine Mutter dazu zu befragen. Um sich abzulenken und den letzten Akt seines Planes einzuläuten, ruft er Hanna an.

Überraschend schnell hat Hanna eingewilligt ihn zu treffen, noch am selben Tag, wenn sie mit ihrer Schicht im Café Bleibtreu fertig ist, soll er sie besuchen. Er hat Schwierigkeiten den Tag herumzubringen, er scheint sich endlos zu dehnen. Er versucht zu lesen, doch er schafft es nicht sich zu konzentrieren. Er würde gern einen Joint rauchen, um die Langeweile zu vertreiben, aber es scheint ihm eine unpassende Idee zu sein. Für das Gespräch mit Hanna sollte er so nüchtern wie möglich sein. Ihm fällt auf, es ist oft ein Anlass für ihn etwas zu konsumieren, wenn er nicht weiß was er mit sich anzufangen soll. Das muss sich ändern, aber wie? Am frühen Nachmittag fällt ihm ein, in die Bibliothek zu gehen, er will dort einiges nachschlagen. In der Bücherei in der Brandenburgischen Straße staunen sie über seinen großen Koffer. Langsam fällt ihm das Ding auf die Nerven, aber heute abend würde er es ja los, wenn er Hanna das Bild schenkte.

Er ist zu früh vor Hannas Haus in der Düsseldorfer Straße, mit dem riesigen Koffer steht er da, wie bestellt und nicht abgeholt. Als Hanna kommt, kann sie ein Grinsen nicht unterdrücken: ” Willst du verreisen, Beaky?”
“Ne, das ist ‘ne Überraschung für dich.”
“Oh toll, ich liebe Überraschungen.”
Sie sitzen unter dem Atelierfenster, der Himmel wird von einem Sonnenuntergang blutrot gefärbt. Hanna hat Pfefferminztee gekocht und ein paar Kerzen angezündet.
“Was ist denn nun in dem Überseekoffer, Beaky?”
Er will mit einer großen Geste seiner Ex-Freundin das Gemälde aus dem Koffer holen und präsentieren, aber das Stück leistet Widerstand und kippt mit der Bildseite nach unten.
Hanna staunt: ” Ein Gemälde?”
Indem er das Bild aufrichtet, betet er das Verslein herunter, das er sich zurechtgelegt hat: “Zum Zeichen meiner Liebe schenke ich dir die Einschiffung nach Kythera, die hat dir doch so gut gefallen und nun gehört sie dir.”
Hanna schüttelt ihren Kopf, weniger als eine Geste der Ablehnung, es ist eher ein Zeichen, dass sie nicht wirklich versteht, was er meint. Beaky der spürt, das sein Ansinnen dabei ist zu scheitern, schickt eilig hinterher: “Und das ist nicht das Einzige. Ich will dich auch zu einer Reise nach Xanadu einladen, ich hab das Geld schon. Außerdem bin ich clean, ich habe das Heroin aufgegeben, für dich, also für uns…”
Jetzt hat er sich verheddert, er wird rot und hat einen Riesenkloß im Hals. Er setzt sich wieder. Hanna wird so langsam klar, das hier ein Missverständnis von nicht geringer Größe vorliegt und sie beginnt Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens zu ergreifen: “ich glaube es ist Zeit für einen guten Schnaps”.
Aus ihrer Pantryküche holt sie zwei Cognac-Schwenker und eine Flasche alten Brandy aus dem Hochschrank, den sie von ihrer Ibiza-Reise mitgebracht hat.
Nachdem sie angestoßen haben beginnt Hanna die Situation aufzuklären:
“Als du heute anriefst dachte ich, unsere Trennung wäre klar zwischen uns, doch ich merke, dass du es anders siehst. Also, wir hatten ein paar schöne Wochen, aber als ich begriff, dass du mich die ganze Zeit angelogen hast und heimlich Heroin genommen hast, hat das die Sache für mich entwertet. Du bist ein lieber Kerl, aber es gibt kein richtiges Leben im falschen, hat Adorno glaube ich gesagt, verstehst du was ich meine?”
Beaky machte seine kindliche Schnute und nickte langsam mit dem Kopf.
“Es hört sich für mich auch schräg an, wenn du meinst, du hättest die Droge für mich aufgegeben. Mensch Beaky, das solltest du für dich tun, nicht für jemand anderes. Erstmal musst du dich selbst lieben, bevor du jemand anderen lieben kannst.”

Sie trinkt einen Schluck von dem alten Brandy, Beaky hat es immer noch die Sprache verschlagen, er tut ihr Leid, trotzdem fügt sie an:
“Und die ganze Sache mit dem Bild, dem Geld, der Reise, also ich gehe mal davon aus, das du das nicht ehrlich erworben hast, oder?”
Beaky schüttelt den gesenkten Kopf, er traut sich nicht ihr in die Augen zu sehen.
“Mensch, Junge, du kennst mich doch. Du müsstest doch wissen, ich stehe nicht auf kriminelle Sachen. Du bist auf Bewährung, sag mal, möchtest du wieder in den Knast? Ich nehme an, es muss da drin ziemlich übel für dich gewesen sein, auch wenn du nicht darüber gesprochen hast. Das ist doch bescheuert.” Sie merkt, er ist kurz davor zusammenzubrechen, also stoppt sie hier, aber die Predigt konnte sie ihm, in seinem Interesse, nicht ersparen.
Die ganze Situation ist ihm einfach nur noch peinlich, jetzt versteht er nicht mehr, was er sich gedacht hat. Er ist so dumm gewesen. Er will so schnell wie möglich raus aus dieser Situation, er verabschiedet sich von der verduzten Hanna und rennt mit dem schweren Koffer, der jetzt nur noch ein überflüssiger Ballast ist, die Treppe runter. Auf der Straße hält er das nächste Taxi an, wieder gibt er dem Chauffeur einen Geldschein, der Koffer passt nicht in den Kofferraum des Citroen DS. Also muss Beaky vorn sitzen und das pièce de résistance nimmt die Rückbank ein.
Im seinem Zimmer legt er “Beggars Banquet” auf, eines seiner Lieblings-Stones-Alben. Wieso könnte er nicht sagen. Mit Kopfhörern, um seine Mutter nicht zu stören, legt er sich ins Bett. Bei der dritten Nummer, “Dear Doctor”, hat er sich halbwegs beruhigt und er hört auf auf den Text:

Oh help me, please doctor I’m a damaged
There’s a pain where there once was a heart
It’s sleepin, its a beatin’
Can’t ya please tear it out, and preserve it
Right there in that jar?

Auf welchen Doktor soll er seine Hoffnungen setzen? Auf seinen Freund, den falschen Doktor? Eher nicht, denn der hat ihn ja erst in diesen Schlamassel gebracht, ohne dessen Unterstützung hätte er seinen blöden Plan garnicht umsetzen können. Nein, der andere Doktor, der richtige, Professor Philippus wird ihm helfen. Beaky kann sich nicht erinnern, dass er sich schon einmal so ängstlich und verloren gefühlt hat, als ob er in einen alles vernichtenden Strudel gezogen würde. Mit solchen Gedanken schläft er ein und träumt wirres Zeug.

– wird fortgesetzt –

*Als pièce de résistance (/pjɛs də re zi stɑ̃s/, französisch, eigentlich „Stück, das Widerstand leistet“ im Sinne von feste, schwere Speise) wird in der klassischen Menüfolge das Hauptgericht bezeichnet, üblicherweise ein Stück Fleisch wie Braten oder auch Geflügel. Eine andere Bezeichnung ist grosse pièce.
Im übertragenen Sinne wird pièce de résistance auch im Sinne von „Kern, Herzstück, Hauptsache“ oder für eine herausragende Leistung (vergleichbar dem „Meisterstück“ oder „Aushängeschild“) gebraucht; daneben verzeichnet Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1911 auch eine abwertende Konnotation.Eine Sache die zu mächtig ist, zu groß um sie zu schlucken, und die daher liegenbleibt.

Die Illustrationen hat Rainer Jacob gezeichnet.

“Dear Doctor”:
http://en.wikipedia.org/wiki/Dear_Doctor_%28song%29

“Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Begebenheiten, die ich mit Erfundenem vermischt habe. Im Ergebnis ist “Die Legende von Xanadu” eine fiktive Geschichte. Um Persönlichkeitsrrechte zu schützen habe ich außerdem Namen und Details verändert.

Familienportrait – “Pièce de résistance” / Die Legende von Xanadu Kapitel Neun / 1973 / von Marcus Kluge

Bild

Gegen 23 Uhr hält der weiße Rolls-Royce vor der noch von Kriegsschäden gezeichneten Villa in der Fasanenstraße. Der Chauffeur springt eilfertig aus dem Wagen und hält der Dame, die der Kühle der Nacht mit einem Pelzjäckchen trotzt, den Schlag auf, salutiert und flüstert: “Hals- und Beinbruch, Schuhchen.” Die Gräfin klingelt, näselt ihren Namen in die Sprechanlage und drückt die Tür auf als es summt.
Puvogel verbeugt sich tief und gibt der Gräfin einen Handkuss, dabei bemerkt er einen auffälligen Ring mit einem Skarabäus an ihrem Zeigefinger, den sie über ihren weißen Glacé-Handschuhen trägt. Der sonstige Schmuck der Dame ist hoffentlich wertvoller, den dieser Ring ist Tinnef. Elzbieta von Rogacki läßt sich ihr Jäckchen abnehmen, aber ihre Fendi-Handtasche hält sie unter dem Arm fest, auch die Handschuhe behält sie an. Der Kunsthändler geleitet sie zu einem Barcelona-Sessel und bietet ihr eine Erfrischung an.
“Sähr gern, eine Ärrfrischung. Sie haben zufällig einen Scotch, lieber Härr Puvogel?”

Der Kunsthändler füllt zwei Whisky-Tumbler mit Chivas Regal und stellt diese auf den Glastisch vor die Gräfin.
“Chivas Regal, mein Liebes-Getränk, sie haben auch Eis, liebär Puvogel?” Sie übertreibt es etwas mit dem Akzent, das Schauspielern macht ihr Spaß, sie muss sich zusammenreißen, konzentrieren. Sofort als Puvogel den Raum verlässt, holt sie ein Fläschchen aus der Fendi-Tasche und gibt zehn Tropfen daraus in eines der Gläser. “Brutsomnol” hat ihr Freund in seiner Arzttasche gehabt, K.O.-Tropfen der zweiten Generation. Früher nahm man Barbitursäure für derartige Anschläge, aber das wirkte nur langsam und die Gefahr von tödlichen Überdosen war groß. Das konnte bei Brutsomnol nicht passieren. Etwas beängstigend findet sie es allerdings schon, dass ihr Freund “zufällig” etwas so gefährliches wie dieses Mittel bei sich trägt. Als der Kunsthändler mit den Eis zurückkommt, steht die Gräfin und bewundert die Grafiken an der Wand. Puvogel gibt ihr Eis, dann trinken sie. Die Beardsley-Drucke sind uninteressant, aber daneben entdeckt sie Ausgefalleneres. Sie muss Puvogel noch ein paar Minuten aufhalten, bis die Tropfen wirken: “Das ist ja Austin Osman Spare dieser Druck. Särr exklusiv Herr Puvogel. Ist echte Signatur?” Susanna kommt in ihrer Rolle als Gräfin zugute, dass sie vier Semester Kunstgeschichte in Krakau studiert hat.
“Ja, 100 % echt. Aus einem Nachlass. Sie kennen sich aber gut aus, Gräfin.”
“Nu ja, ich sammle selbst ein wänig.”

Der Galerist merkt eine gewisse Müdigkeit in seinen Beinen, er setzt sich und nur wenige Augenblicke später ist er eingeschlafen. Erst klappst sie ihm ein paarmal auf die Wange, um zu prüfen ob er wirklich tief schläft. Als Puvogel darauf nicht reagiert beginnt sie seine Taschen zu durchsuchen. Sie findet das Schlüsselbund mit der Marke von Scotland Yard als Schlüsselanhänger, das werden sie brauchen. Nun noch die Karte, in seiner Brieftasche wird sie fündig. Dort ist die alte Spielkarte, ein Herz-König und auf ihr die Zahlen, die sie brauchen. Sie hat ihre Rolle nun fertig gespielt, sie ist stolz auf sich. Auch der falsche Doktor in seiner Livrée lobt sie, während sie in die Uhlandstraße fahren, um den Rolls-Royce zurückzugeben, der eigentlich Rolf Eden gehört. Sie konnten ihn ausleihen, weil ein Kunde von “Doktor” in der Garage neben der S-Bahn arbeitet, wo er untergestellt wird, wenn Eden ihn nicht braucht. Zeit zum feiern haben sie noch nicht, denn der “Doktor” muss mit Beaky den letzten Teil ihres Plans ausführen, bevor Puvogel wieder erwacht und merkt, dass er über den Tisch gezogen wurde. Aber danach werden sie ihren Coup begießen.

20 Minuten später könnte ein aufmerksamer Beobachter in der Schlüterstraße zwei Gestalten sehen, die mit einem großem Koffer die Galerie Puvogel betreten. “Wo ist denn der Sparstrumpf vom Herren von und zu?”
Beaky, der seine langen Haare zusammengebunden hat und unter einem Käppi versteckt antwortet: “Der Safe ist in seinem Blaubartkabinett, hinten.”
Sie finden die Tür verschlossen, aber sie haben ja Puvogels Schlüsselbund, das Susanna in ihrer Verkörperung der Gräfin Rogacki gestohlen hat, damit verschaffen sie sich Einlass. Der kleine Raum ist nur mit einem bequemen Sessel, einem Biedermeiertischchen und einem Bücherregal ausgestattet. An der Wand hängen unzählige Fotos, die fast alle Männer mit Stricken, Schlipsen oder Schals um den Hals zeigen. Manche sind nackt und erregt, wobei sie gewürgt werden. Andere sind gänzlich angekleidet und tragen die Würgewerkzeuge als harmlose Accessoires. Auf dem Tisch verstreut liegen schwarz-weiß Abzüge und Beaky wird es siedendheiss, als er bemerkt, dass die Bilder ihn selbst zeigen. Er liegt entkleidet auf Puvogels Chaiselongue, man sieht die Hände seines Chefs, wie sie ihn mit dem Hermes-Tuch würgen, das der Kunstfreund an diesem Abend trug.

Während Beaky kein Wort herausbringt, murmelt sein Freund, der falsche Doktor: “Geschieht ihm recht, dem perversen Motherfucker, dass wir ihm seinen Notgroschen und sein pièce de résistance* klauen.”
Beaky wühlt immer noch ungläubig in den Fotos, im Gegensatz zum “Doktor” trägt er keine Handschuhe. Sein Freund legt eine Hand auf Beakys Schulter: “Reiß dich los und verrat mir wo der Tresor ist.”
Beaky schiebt den Lehnstuhl mit der hohen Lehne zur Seite, dahinter hängt ein gerahmtes Filmplakat von “Der Würgeengel”, den Luis Bunuel 1962 in Mexiko drehte. Beaky hängt das Bild ab, dahinter befindet sich der Safe. Puvogel hat Beaky leichtsinnigerweise erzählt, dass er hier für Notfälle Bargeld deponiert hat. Er hat Beaky sogar die alte Spielkarte gezeigt auf der die Kombination steht. Offensichtlich hat Puvogel Beaky keine große kriminelle Energie zugetraut. Doktor öffnet nun den kleinen Geldschrank, ihn ihm liegen Papiere, ein Schmuckkästchen und eine Umschlag, auf dem “Reptilienfonds” steht. Der falsche Mediziner öffnet das Kuvert und hält nun 10 mal 10 Hundert-Mark-Scheine und einige Pässe und Ausweise in der Hand. Die Ausweispapiere legt er zurück, den Umschlag mit den Geldscheinen steckt er ein.
Nun folgt der letzte Akt des Plans, der sperrige Koffer kommt zum Einsatz. Der Koffer hat am meisten Mühe gemacht, es hat eine Weile gedauert, bis sie bei den Trödlern einen gefunden haben, der groß genug ist, immerhin ist das Bild fast einen Meter breit. Hoffentlich hat Beaky sich beim Ausmessen nicht geirrt, ein oder zwei Zentimeter könnten schon einen Strich durch ihre Rechnung machen. Der Doc nimmt die Kopie der “Einschiffung von Kythera” von der Staffelei und sie verstauen Puvogels pièce de résistance im Koffer, es passt genau. Sie verlassen den Laden, schließen ab und wenige Augenblicke später sind sie in der Dunkelheit der Kudamm-Nebenstraße verschwunden.

Susanna, der es einen Riesenspaß gemacht hat, die Rolle der Gräfin von Rogacki zu spielen, hat eine Flasche echten Champagner gekauft um ihren Erfolg zu feiern. Der Doktor stellt das Gemälde auf einen Stuhl und die drei Freunde stoßen an. Beaky trinkt zum ersten Mal das edle Prickelwasser, aber der trockene Veuve Cliquot kommt ihm sauer vor. Das tut seiner guten Laune keinen Abbruch, Puvogels perverse Fotos von ihm haben ihn zwar geschockt, aber nun weiß er wenigstens was genau passiert ist und außerdem hat er sich gerächt. Und Rache soll ja süß sein. Die drei stellen sich Puvogels Gesicht vor, wenn er entdeckt, dass sein Lieblingsstück fehlt und auch sein Notgroschen über Nacht verschwunden ist.

Auch der Doc hat eine Überraschung, die er nun auf den Tisch stellt, ein kleines Fläschchen medizinisches Kokain. An dem weißen Kreuz auf rotem Grund erkennt man, dass es aus der Schweiz stammt. Der Doktor gibt mit seinem Wissen an: ” Die Schweizer sind die einzigen in Europa, die Kokablätter zu medizinischen Zwecken importieren dürfen. Das hier ist von Sandoz. In den USA ist übrigens Coca-Cola die Firma, die Koka verarbeiten darf. Wo wohl das ganze Koks landet? In der Brause ist ja seit 70 Jahren nicht mehr.” Beaky musste immer wieder über das Wissen des falschen Doktors staunen. Als ob der irgendwo ein Elektronengehirn hätte, mit dem er das gesamte Weltwissen abrufen könnte. Doktor formt mit Hilfe einer Rasierklinge auf einem kleinen Spiegel sechs lange, schmale Linien und Beaky prüft das Wissen seines Freundes, indem er fragt, wieso Koks in Linien von einem Spiegel genommen wird. Das lässt sich der Doc nicht zweimal fragen, er beginnt zu dozieren: “Hast du schon mal was von Narziss gehört, sein Alter war ein Flussgott, seine Mutter eine Nymphe und dieser Narziss verliebte sich in sein Spiegelbild. Kokser sind selbstverliebte Narzissten, sie wollen sich im Spiegel sehen, wenn sie teure lange Linien sniefen. Koks ist Luxus, ein Prestige-Objekt, man gibt gern damit an, wie mit einem Sportwagen. Man kann es sich leisten und man hat die Beziehungen, es zu bekommen. Außerdem ist Koks der perfekte Genuss, man wird euphorisch, aber es befriedigt nicht wie Heroin. Bei Koks kann man fast immer noch eine Line nachlegen, wenn man das bei Heroin täte, wäre man spätestens nach der dritten Runde tot. Heroin nimmt man in kleinen Häufchen, es ist für den User eine Notwendigkeit und es befriedigt sein Verlangen”, hier machte er eine kunstvolle Pause: “Es sei denn der Stoff ist Scheiße.”
Nun steht der Doc auf, er sucht in einer Schublade und kommt dann mit einem schmalen Lederfutteral zurück. Er öffnet es und nestelt aus dem bordeaux-roten Samtfutter ein silbernes Röhrchen, etwa acht Zentmeter lang, und reicht es Susanna. Die zieht jeweils eine Linie in jedes Nasenloch, wobei sie das untätige Nasenloch zuhält, anschließend nimmt sie mit der Beere ihres Zeigefingers die restlichen Krümel auf und verreibt diese auf ihren Schneidezähnen. Nun absolviert der Doc dieselbe Routine und reicht den Spiegel mit zwei übriggebliebenen Portionen Beaky.
Beaky hat noch nie Kokain genommen, er ist neugierig, schließlich ist es medizinisch rein, obwohl er mit den Drogen kürzer treten will, kann er der Versuchung nicht widerstehen. Aber er begnügt sich mit einer Linie, zieht sie hoch und bevor der Doc in stoppen kann, legt er das Röhrchen auf den Spiegel, doch da ist es schon über die letzte Portion gerollt und hat das Pulver auf der Tischplatte verteilt. Der Doc grinst und sagt: “Typischer Anfängerfehler. Merke: nie das Röhrchen auf den Spiegel legen.”
Innerhalb kurzer Zeit merkt Beaky wie ihn eine Welle von positiven Gefühlen überschwemmt. Mehrere wichtige, schöne Ideen formen sich in seinem Kopf und er weiß garnicht, welche er davon zuerst aussprechen soll. Schließlich entscheidet er sich für: ” Ich bin riesig froh, dass der Plan so gut geklappt hat, es ist toll euch als Freunde zu haben. Danke das ihr mir geholfen habt, ich würde euch am liebsten umarmen.”
Beaky ist ziemlich begeistert von dem Stoff. Zwei Lines zieht er noch, doch dann gibt ihm sein Freund nichts mehr von dem teuren Schweizer Produkt. Im Gegenteil der ungewöhnlich gesprächige Doktor gibt ihm sogar eine Art Warnung mit auf seinen Heimweg:
“Gewöhn dich nicht dran, Beaky. Koks ist nicht der richtige Stoff für dich, du bist von Natur aus nervös und aufgeregt. Koks ist für Leute die leer oder sehr müde sind. Du brauchst etwas das beruhigt und dir ein warmes, zufriedenes Gefühl gibt, wie die Milch an der Brust der Mutter den Säugling stillt. Die Mutter aller Drogen, der Schlafmohn, ist deine Droge. Opium kommt von griechisch ‘opion’, der kleine Saft. Die Muttermilch für Erwachsene, denen etwas Grundlegendes fehlt.”
Als Beaky mit dem großen Koffer die Treppe hinuntersteigt ist er immer noch euphorisch, aber auch etwas nachdenklich. Er hält ein Taxi an, der Fahrer verstaut den Koffer mit dem Gemälde im Kofferraum. Damit der Fahrer ihn nicht wegen der kurzen Fahrt anblafft, hat er ihm gleich einen Zehner in die Hand gedrückt und “Zum Bundesplatz, neben dem Kino” gemurmelt. Im Autoradio läuft Joe Cockers “With a Little Help from My Friends”.

What do I do when my love is away?
(Does it worry you to be alone?)
How do I feel by the end of the day?
(Are you sad because you’re on your own?)

No, I get by with a little help from my friends
Mm, get high with a little help from my friends
Mm, gonna try with a little help from my friends

Ja, er ist dankbar für ihre Hilfe und es scheint ihm auch ein Omen zu sein, dass sie ihm bei der Verwirklichung seines Plans geholfen haben, ein Omen dafür, dass Hanna ihn zurücknehmen wird. Er kann sich kaum vorstellen, wie sie ihn abweisen sollte, wo er doch das Heroin für sie aufgegeben hat und ihr Geschenke mitbringt.
Daheim nimmt er sich das Bändchen mit den Coleridge Gedichten, macht es sich in seinem Bett gemütlich und lässt sich in die Traumwelt des romantischen Dichters fallen. Es ist schon hell draußen, als er mit dem Buch auf der Brust einschläft.

Bild

Das Erwachen am nächsten Morgen ist unangenehm. In wenigen Augenblicken ist die Euphorie, die noch im Traum nachgewirkt hat, vergangen und das Ungewisse, Gefährliche seiner Situation wird im schlagartig bewusst. Er hat einen Einbruch begangen, viel Geld und ein Bild gestohlen, ein Mensch ist nach seinem Plan betäubt worden und Hannas Reaktion kann er, nüchtern betrachtet, überhaupt nicht einschätzen. Jetzt kommen auch die Fotos wieder in sein Gedächtnis, er wird nochmal rot, als er an die perversen schwarz-weiß-Abzüge denkt. Puvogel hat ihn richtiggehend missbraucht, wie konnte ihm das nur passieren, hätte er nicht gewarnt sein müssen. Sicher, er gab all diese merkwürdigen Stories über seinen Chef, aber die hat er nicht ernstgenommen. Wie ist er eigentlich an Puvogel geraten? Ihm fällt ein, dass sein Vater ihm den Tipp gegeben hat, sich bei dem Galeristen zu bewerben. Puvogel wäre ein Geschäftsfreund seines Vaters. Doch welche Geschäfte sollten das sein? Merkwürdig, er nimmt sich vor seine Mutter dazu zu befragen. Um sich abzulenken und den letzten Akt seines Planes einzuläuten, ruft er Hanna an.

Überraschend schnell hat Hanna eingewilligt ihn zu treffen, noch am selben Tag, wenn sie mit ihrer Schicht im Café Bleibtreu fertig ist, soll er sie besuchen. Er hat Schwierigkeiten den Tag herumzubringen, er scheint sich endlos zu dehnen. Er versucht zu lesen, doch er schafft es nicht sich zu konzentrieren. Er würde gern einen Joint rauchen, um die Langeweile zu vertreiben, aber es scheint ihm eine unpassende Idee zu sein. Für das Gespräch mit Hanna sollte er so nüchtern wie möglich sein. Ihm fällt auf, es ist oft ein Anlass für ihn etwas zu konsumieren, wenn er nicht weiß was er mit sich anzufangen soll. Das muss sich ändern, aber wie? Am frühen Nachmittag fällt ihm ein, in die Bibliothek zu gehen, er will dort einiges nachschlagen. In der Bücherei in der Brandenburgischen Straße staunen sie über seinen großen Koffer. Langsam fällt ihm das Ding auf die Nerven, aber heute abend würde er es ja los, wenn er Hanna das Bild schenkte.

Er ist zu früh vor Hannas Haus in der Düsseldorfer Straße, mit dem riesigen Koffer steht er da, wie bestellt und nicht abgeholt. Als Hanna kommt, kann sie ein Grinsen nicht unterdrücken: ” Willst du verreisen, Beaky?”
“Ne, das ist ‘ne Überraschung für dich.”
“Oh toll, ich liebe Überraschungen.”
Sie sitzen unter dem Atelierfenster, der Himmel wird von einem Sonnenuntergang blutrot gefärbt. Hanna hat Pfefferminztee gekocht und ein paar Kerzen angezündet.
“Was ist denn nun in dem Überseekoffer, Beaky?”
Er will mit einer großen Geste seiner Ex-Freundin das Gemälde aus dem Koffer holen und präsentieren, aber das Stück leistet Widerstand und kippt mit der Bildseite nach unten.
Hanna staunt: ” Ein Gemälde?”
Indem er das Bild aufrichtet, betet er das Verslein herunter, das er sich zurechtgelegt hat: “Zum Zeichen meiner Liebe schenke ich dir die “Einschiffung nach Kythera”, die hat dir doch so gut gefallen und nun gehört sie dir.”
Hanna schüttelt ihren Kopf, weniger als eine Geste der Ablehnung, es ist eher ein Zeichen, dass sie nicht wirklich versteht, was er meint. Beaky der spürt, das sein Ansinnen dabei ist zu scheitern, schickt eilig hinterher: “Und das ist nicht das Einzige. Ich will dich auch zu einer Reise nach Xanadu einladen, ich hab das Geld schon. Außerdem bin ich clean, ich habe das Heroin aufgegeben, für dich, also für uns…”
Jetzt hat er sich verheddert, er wird rot und hat einen Riesenkloß im Hals. Er setzt sich wieder. Hanna wird so langsam klar, das hier ein Missverständnis von nicht geringer Größe vorliegt und sie beginnt Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens zu ergreifen: “ich glaube es ist Zeit für einen guten Schnaps”.
Aus ihrer Pantryküche holt sie zwei Cognac-Schwenker und eine Flasche alten Brandy aus dem Hochschrank, den sie von ihrer Ibiza-Reise mitgebracht hat.
Nachdem sie angestoßen haben beginnt Hanna die Situation aufzuklären:
“Als du heute anriefst dachte ich, unsere Trennung wäre klar zwischen uns, doch ich merke, dass du es anders siehst. Also, wir hatten ein paar schöne Wochen, aber als ich begriff, dass du mich die ganze Zeit angelogen hast und heimlich Heroin genommen hast, hat das die Sache für mich entwertet. Du bist ein lieber Kerl, aber es gibt kein richtiges Leben im falschen, hat Adorno glaube ich gesagt, verstehst du was ich meine?”
Beaky machte seine kindliche Schnute und nickte langsam mit dem Kopf.
“Es hört sich für mich auch schräg an, wenn du meinst, du hättest die Droge für mich aufgegeben. Mensch Beaky, das solltest du für dich tun, nicht für jemand anderes. Erstmal musst du dich selbst lieben, bevor du jemand anderen lieben kannst.”

Sie trinkt einen Schluck von dem alten Brandy, Beaky hat es immer noch die Sprache verschlagen, er tut ihr Leid, trotzdem fügt sie an:
“Und die ganze Sache mit dem Bild, dem Geld, der Reise, also ich gehe mal davon aus, das du das nicht ehrlich erworben hast, oder?”
Beaky schüttelt den gesenkten Kopf, er traut sich nicht ihr in die Augen zu sehen.
“Mensch, Junge, du kennst mich doch. Du müsstest doch wissen, ich stehe nicht auf kriminelle Sachen. Du bist auf Bewährung, sag mal, möchtest du wieder in den Knast? Ich nehme an, es muss da drin ziemlich üben für dich gewesen sein, auch wenn du nicht darüber gesprochen hast. Das ist doch bescheuert.” Sie merkt, er ist kurz davor zusammenzubrechen, also stoppt sie hier, aber die Predigt konnte sie ihm, in seinem Interesse, nicht ersparen.
Die ganze Situation ist ihm einfach nur noch peinlich, jetzt versteht er nicht mehr, was er sich gedacht hat. Er ist so dumm gewesen. Er will so schnell wie möglich raus aus dieser Situation, er verabschiedet sich von der verduzten Hanna und rennt mit dem schweren Koffer, der jetzt nur noch ein überflüssiger Ballast ist, die Treppe runter. Auf der Straße hält er das nächste Taxi an, wieder gibt er dem Chauffeur einen Geldschein, der Koffer passt nicht in den Kofferraum des Citroen DS. Also muss Beaky vorn sitzen und das pièce de résistance nimmt die Rückbank ein.
Im seinem Zimmer legt er “Beggars Banquet” auf, eines seiner Lieblings-Stones-Alben. Wieso könnte er nicht sagen. Mit Kopfhörern, um seine Mutter nicht zu stören, legt er sich ins Bett. Bei der dritten Nummer, “Dear Doctor”, hat er sich halbwegs beruhigt und er hört auf auf den Text:

Oh help me, please doctor I’m a damaged
There’s a pain where there once was a heart
It’s sleepin, its a beatin’
Can’t ya please tear it out, and preserve it
Right there in that jar?

Auf welchen Doktor soll er seine Hoffnungen setzen? Auf seinen Freund, den falschen Doktor? Eher nicht, denn der hat ihn ja erst in diesen Schlamassel gebracht, ohne dessen Unterstützung hätte er seinen blöden Plan garnicht umsetzen können. Nein, der andere Doktor, der richtige, Professor Philippus wird ihm helfen. Beaky kann sich nicht erinnern, dass er sich schon einmal so ängstlich und verloren gefühlt hat, als ob er in einen alles vernichtenden Strudel gezogen würde. Mit solchen Gedanken schläft er ein und träumt wirres Zeug.

wird fortgesetzt –

*Als pièce de résistance (/pjɛs də re zi stɑ̃s/, französisch, eigentlich „Stück, das Widerstand leistet“ im Sinne von feste, schwere Speise) wird in der klassischen Menüfolge das Hauptgericht bezeichnet, üblicherweise ein Stück Fleisch wie Braten oder auch Geflügel. Eine andere Bezeichnung ist grosse pièce.
Im übertragenen Sinne wird pièce de résistance auch im Sinne von „Kern, Herzstück, Hauptsache“ oder für eine herausragende Leistung (vergleichbar dem „Meisterstück“ oder „Aushängeschild“) gebraucht; daneben verzeichnet Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1911 auch eine abwertende Konnotation.Eine Sache die zu mächtig ist, zu groß um sie zu schlucken, und die daher liegenbleibt.

“Dear Doctor”:
http://en.wikipedia.org/wiki/Dear_Doctor_%28song%29

“Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Ereignissen. Um Persönlichkeitsrechte zu schützen habe ich, wo es nötig war, Namen und Details der Geschichte verändert.

Familienportrait – “Einschiffung nach Kythera” / Die Legende von Xanadu Kapitel Fünf / 1973 / von Marcus Kluge

Reise

Der Antiquitätenhändler und Galerist Ingomar von Puvogel ist, was man eine schillernde Persönlichkeit nennt. Der etwa 1,70 Meter große, grauhaarige Herr trägt gern zweireihige Klubjacken, die sein Bäuchlein eher betonen als verbergen. Er selbst nennt es fast zärtlich, sein „Embonpoint“, was selbstverständlich sehr viel schicker klingt, als das in Berlin sonst gern verwendete Wort „Wampe“. Er war nicht immer Geschäftsmann, seine Kollegen erzählen gern genüsslich, dass er in den 50er Jahren für mehrere Nachrichtendienste gearbeitet haben soll, den BND, sowohl als auch die Stasi und zusätzlich die üblichen Verdächtigen wie CIA, MI5 und Mossad. Unter mysteriösen Umständen hat er Anfang der 60er Jahre den aktiven Dienst verlassen. Man munkelt von Stasi-Material über die Nazi-Vergangenheit eines hochrangigen CDU-Politikers, mit dem er einen goldenen Handschlag vom BND erpresst haben soll. Andere sprachen von Kinderpornographie, die Puvogel einem Staatssekretär untergeschoben haben sollte. Aber es liegt in der Natur der Sache, das Niemand etwas Genaues wusste. Puvogel ließ sich anschließend an sein Ausscheiden ein Clark Gable-Bärtchen wachsen und eröffnete seine „Galerie“ in der Schlüterstraße. Zusätzlich schmückt seitdem das Wörtchen „von“ seinen Namen. Von nun an gab er die Vorstellung eines bildungsbeflissenen Schöngeists, der gern seine Sprache mit französischen Vokabeln würzte und seine Vergangenheit in wenig glaubwürdigen Anekdoten schönfärbte. „C’etait incroyable“, so nannte er es selber.

Auf den ersten Blick hob sich sein Geschäft von den benachbarten Trödlern ab, doch wenn man genau hinsah, bestand sein Angebot hauptsächlich aus drittklassigen Gemälden, Jugendstil und Art Deco-Tand, sowie asiatischem Kunsthandwerk, preiswerter Dutzendware zumeist. Beaky arbeitete dennoch gern bei ihm, Puvogel war freundlich, jovial, hatte Humor und konnte tolle Geschichten erzählen. Außerdem bescheinigte ihm sein Chef, er würde 40 Stunden in der Woche bei ihm wirken, was stark übertrieben war. Sein Bewährungshelfer war einmal im Laden gewesen und Puvogel hatte ihn mühelos um den Finger gewickelt und ihm sogar ein hübsches Lackkästchen zum überhöhten Preis verkauft. Wie die meisten Besucher bestaunte der Sozialarbeiter die Kopie von „Einschiffung nach Kythera“, dem berühmten Gemälde von Jean-Antoine Watteau. Und wie bei allen kunsthistorisch Ungebildeten behauptete Puvogel, es würde sich um ein unbekanntes viertes Bild von diesem Sujet handeln, ein echter Watteau. Was natürlich blanker Unsinn war. Denn wenn es ein Orginal gewesen wäre, hätte es nicht im Schaufenster auf einer Staffelei gestanden. Stattdessen hätte man es, mit einer Alarmanlage verbunden, an die Wand gehängt, denn es wäre mindestens eine sechsstellige Summe wert gewesen. Ach was, wenn es ein echter Watteau gewesen wäre, hätte es niemals in der Antik-Klitsche von Ingomar von Puvogel gehangen. Dennoch stellte die alte, aber gut erhaltene, Kopie einen gewissen Vermögenswert da. Schon viele hatten versucht, sie dem Galeristen abzukaufen, doch Puvogel bezeichnete sie als sein “piece de resistance” und wirklich auch durch ihre herausgehobene Position, auf einer Staffelei, im Schaufenster, stellte sie soetwas wie sein Aushängeschild dar und als solches war es ihm ans Herz gewachsen.

„Einschiffung nach Kythera ist der Titel dreier spätbarocker Gemälde des französischen Meisters Jean-Antoine Watteau. Eines davon hing damals in Dahlem, wo ich es gesehen hatte. Das Gemälde zeigt ein paar junge Leute, die am Ufer auf ihr Boot warten, um zur Insel Kythera übergesetzt zu werden. Rechts steht eine Statue der Liebesgöttin Venus. Im Hintergrund sieht man die Insel Kythera, den Ort an dem Venus der Sage nach aus dem Schaum des Meeres an Land gestiegen sein soll. Die Insel Kythera galt im 18. Jahrhundert als ein Reich der Liebe, fern aller Konflikte. Mit diesen sogenannten „Fêtes galantes“-Gemälden schuf Watteau eine neue Bildtradition, bei denen Rubens und dabei insbesondere dessen Gemälde Liebesgarten das Vorbild waren.“

Es war an einem Freitag nachmittag, als ich Beaky in der Galerie Puvogel aufsuchte. Er hatte mich angerufen und mir erzählt, er habe vor sein Leben zu ändern. Mit dem Speed habe er Schluss gemacht, ich freute mich, dass er auf mich gehört hatte und ich war gespannt, was er mir sonst berichten wollte. Sein Chef gestattete ihm neuerdings, allein den Laden zu hüten, während er, Puvogel, seine tägliche Siesta im Hinterzimmer der Kunsthandlung hielt.

Ich bewunderte die recht ordentliche Watteau-Kopie im Fenster, wobei ich Beaky im Ladeninneren erspähte. Er trug zu seinen dunkelblauen Levis ein besticktes Seidenhemd, wahrscheinlich auch ein Asienimport des Galeristen. Seine langen, rotblonden Haare waren frisch gewaschen und ich war froh keine Anzeichen des Konsums harter Drogen zu erkennen.
„Na, Beaky, wie läuft dein Geschäft?“
Er erwiderte mit leicht gedämpfter Stimme, „Ich wollte, es wäre meins, Marcus. Und nenn mich bitte Frieder, der Chef mag meinen anderen Namen nicht.“
„Wo ist er denn, der Graf von und zu Piepvogel?“
Beaky wurde rot, jetzt flüsterte er fast: „Er ist hinten in seinem geheimen Blaubart-Kabinett. Ich glaube er raucht Thai-Sticks und was er noch treibt, da gibt es verschiedene Vermutungen, ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, vielleicht schläft er wirklich.“
Puvogel importierte versteckt im Kunsthandwerk Marihuana, sogenannte Thai-Sticks, die besonders bei Künstlern und Intellektuellen sehr beliebt waren. Man sagte, sie gingen nicht in die Beine, sondern direkt in den Kopf, machten wach und gesprächig. Viele Antiquitätenhändler in den Kudamm-Nebenstraßen verkauften das teure Zeug als willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Die Kunden gehörten entweder zur Schickeria oder sie hätten gern zu ihr gehört. Auf jeden Fall rekrutierte sich die Klientel aus den „besseren Kreisen“, die bereit waren etwas mehr für den illegalen Drogen-Kick zu zahlen.
Was das „nochtreiben“ anging, wucherten in der Tat die unterschiedlichsten Vermutungen. Der falsche Adlige selbst behauptete, erotisch ein Neutrum zu sein, seitdem der sowjetische NKWD ihn im Zweiten Weltkrieg mehrere Tage gefoltert hatte. Da er diese wilde Geschichte mit sehr viel Humor und Gusto zelebrierte, war er selbst schuld, dass sie als nicht sehr glaubwürdig aufgenommen wurde. Also sprach man von kleinen Mädchen, kleinen Jungen, kleinen oder eher mittelgroßen Haustieren, sowie von allen denkbaren materiellen Fetischen, die angeblich sein erotisches Interesse ausmachen sollten.
„Gott zum Gruße, junge Herrschaften“, tönte es leicht effeminiert aus dem rückwärtigen Geschäft. Der Besitzer hatte seine Siesta beendet und gab uns eine Exklusiv-Vorstellung seiner Darstellung eines intellektuellen Schöngeistes . Mir war die Puvogels sexuelle Orientierung überhaupt nicht unklar, ich hielt ihn für schwul. Und als ob er meinen Gedanken bestätigen wollte, turnte der Galerist um mich herum und bewunderte mich von allen Seiten. Beaky hatte meinen Besuch wohl angekündigt, denn unverzüglich schmeichelte Puvogel mich an: „Das kann doch nur der kluge Herr Kluge sein und dabei ist er auch noch ein so schöner Mensch. Wie hält man das aus?“ Nach kurzer Sammlung parierte ich den Ästhetik-Liebhaber: „Normalerweise ganz gut, Herr Puvogel“. Ich drängelte ein bißchen, um möglichst schnell Puvogels Dunstkreis zu entgehen. Es war nicht so, dass ich wie viele Männer grundsätzlich Probleme mit Schwulen hatte. Ich hatte sogar selbst eine kurze Beziehung zu einem Mann gehabt und die Schwulenszene kennengelernt. Deshalb kannte ich auch das Gefühl von älteren Schwulen angemacht zu werden und sowas machte mich normalerweise nicht verlegen. Aber dieser Vogel war mir unangenehm, seine aufdringliche, süßliche Art. Ich verstand nicht, wie Beaky für ihn arbeiten konnte und dessen Nähe ertragen konnte. Nach meinen Eindruck hatte dieser Galerist hatte nur einen Gedanken in seinem Kopf und der war schmutzig. Glücklicherweise schien es Beaky selbst peinlich zu sein, wie sein Chef mich anbaggerte und er unterstützte meinen geordneten Rückzug aus der Galerie.

Anschließend liefen Frieder und ich die Schlüterstraße in Richtung Kudamm. Wir überquerten erst die Kant- und dann die Niebuhrstraße, und endlich drückte mich mein Begleiter in eine ziemlich normale Berliner Kneipe, sie hieß „Zum Schotten“. Auf den ersten Blick schottisch war, dass man bei Licht und Einrichtung offensichtlich gespart hatte. Die finstere Kaschemme war nur mit wenigen Gartenmöbeln und einem heruntergekommenen Billardtisch möbliert. Ganz und garnicht nach meinem Geschmack . Der einzige Lichtblick war ein schönes altes Canada Dry-Schild, das über der Theke hing.
Bei dem Kellner mit Schmalzlocke bestellte ich also ein Canada Dry, ungeöffnet in der Flasche, was mit verhaltenem Unmut quittiert wurde. Kaffee oder Tee würde ich in diesem Laden nicht anrühren. Beaky war da nicht so heikel, er trank schwarzen Kaffee, den der Kellner aus einer Thermoskanne eingoss.
Mir fiel ein, dass ich schon mal in diesem Laden war. Schon Ende der 60er Jahre traf sich hier eine Mischung von linken Studenten und denen, die sie gern als Genossen gehabt hätten, nämlich die Angehörigen der ansässigen Arbeiterklasse. Kiffen war dort verpönt, doch handelte man mit Tabletten, Captagon, An1 und anderen Helfern fürs Examen oder die Frühschicht im E-Werk oder in der Gipsformerei. Ich war dort 1969, in einer Ecke stand ein Fernseher und die Gäste verfolgten mit skeptischer, berlinischer Abgeklärtheit die Live-Übertragung der ersten Mondlandung. Vielleicht war hier der Ort gewesen, wo zum erstem Mal behauptet wurde, dass es sich bei diesen Bildern von der Mondlandung um eine Fälschung handelte, stellte ich mir vor. Man kann den Berlinern viel vorwerfen, Leichtgläugibkeit gehört nicht dazu. Im Gegenteil, zum Wesen des Berliners gehören Misstrauen und Zweifel, wie die Molle zum Korn.

Bild

Ich öffnete die Flasche, genoss einen ersten Schluck Ginger Ale aus der Flasche, das schmierige Glas rührte ich nicht an, dann eröffnete ich das Gespräch: „Du scheinst meine Gardinenpredigt ernst genommen zu haben, oder hattest du andere Gründe deine Performance aufzupolieren?“ Seit ich den Nicolas Roeg Film mit Mick Jagger gesehen hatte, war „Performance“ eines meines Lieblingswörter.
Ich beobachtete wie Beaky mit Worten rang und einen Einstieg suchte. „Na ja, weißt du, letzte Woche im Café Bleibtreu. Du hast mir erzählt, wie glücklich du mit deiner Freundin Ilona bist und mir ist klar geworden, dass ich auch so eine Beziehung suche.“ Ich nickte verständnisvoll und ließ ihm Zeit zu formulieren. „Da habe ich mich entschlossen mit dem Scheiß-Pulver aufzuhören. Also, mit dem Speed habe ich das schon geschafft, ein bißchen H sniefe ich aber noch.“ Das H sprach er englisch aus, wie es in der Berliner Drogenszene üblich war, es hörte sich wie „Ehtsch“ an. „Sniefen“ war wohl auch ein Wort das es nur in dieser Subkultur gab. „Damit ist aber auch bald Schluss“, fuhr er fort, „Sag mal, im Bleibtreu war doch diese Hanna, die Kellnerin. Kennst du die gut?“ „Nö, ist eigentlich mehr Ilonas Freundin. Aber ich hatte mir schon gedacht, dass du mich nach ihr fragst. Die hat dir gefallen, ne?“ Beaky nickte, aber zog die Stirn kraus. Er war sich unsicher und er wusste nicht, wie er sie ansprechen sollte und bat mich um Hilfe.

Wahrscheinlich war ich der einzige Mensch der wusste, dass Beaky noch Jungfrau war. Außer einer Knutscherei im Anne-Frank-Haus hatte er keine sexuellen Erfahrungen mit irgendeinem weiblichen Wesen. Die Tatsache war ihm peinlich, aber weil er mich für so etwas wie seinen Beichtvater hielt, hatte er es mir erzählt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Nun legte er mir nahe für ihn den Liebesboten Amor zu spielen. Im Grunde hatte ich sowas erwartet. Beim Verkuppeln hatte ich zwar keinerlei Routine, doch wie so häufig im Leben bemühte ich mich die Aufgabe als Schauspielpraxis zu betrachten.

Ich lud also Hanna zu einem Picknick ein. Am Samstagmittag liefen wir, Ilona und ich, zum Zooeingang gegenüber vom Bahnhof, das war der vereinbarte Treffpunkt. Meine Freundin und ich hatten eine Kleinigkeit zu essen vorbereitet und bei Ullrich kauften wir noch ein Fläschchen Rotwein, kurz bevor um 13 Uhr der Laden zumachte.
Hanna kam zuerst, überpünktlich und Beaky verspätete sich etwas, er wirkte aber frisch und clean. Wir liefen los, ließen rechts von uns den Zoo, wir überquerten die Schleuse und waren bald im Tiergarten. Dort an einem See kannte ich eine seichte Stelle. Wenn man Füße und Waden freimachte, konnte man dort durchs Wasser waten. Belohnt wurde man durch eine kleine, menschenleere Insel. Die Idee kam mir, als ich in Puvogels Schaufenster „Einschiffung nach Kythera“ gesehen hatte.
Auch ohne Schiff hatte der Nachmittag etwas Romantisches, Hanna lachte über Beakys Scherze, auch über die unbeholfenen. Als wir uns am frühen Abend verabschiedeten, beschloss Beaky Hanna noch nach Hause zu begleiten. Dann hörte und sah ich von den Beiden für längere Zeit nichts, was ich als gutes Zeichen wertete.

Hanna wohnte in einer winzigen Mansarden-Wohnung in der Düsseldorfer Straße. Wie in vielen Nebenstraßen des Kudamms hatte man dort kleine Dachgeschosswohnungen mit Atelierfenstern geschaffen. Es war billig damals und romantisch, nur im Winter zog es ziemlich. Beaky hatte ja nun Hannas Adresse und er beschloss um sie zu werben. Das tat er zunächst mit mehreren Postkarten, auf die er Zeilen aus Popsongs schrieb. Nichts Kitschiges, eher coole Zitate. Er hatte keine Erfahrung in solchen Dingen, er tat es auf seine Art. Folglich hatte es mit Musik zu tun. Auf diesem Gebiet kannte er sich aus und er war sich auch ziemlich sicher, dass Hanna einen Nerv für Texte von Bob Dylan, Janis Joplin und Jimi Hendrix hatte, die er für sie aussuchte. Nach einer Woche beschloss er aufs Ganze zu gehen. Er steckte ihr ein Mixtape in ihren Briefkasten, zusammen mit dem Vorschlag sich zu treffen und seiner Telefonnummer. 1973 war ein Mix-Tape ganz weit vorne, die Avantgarde der zeitgenössischen Liebeswerbung sozusagen.

Bild

„Won’t you come with me baby?
I’ll take you where you wanna go.
And if it don’t work out,
You’ll be the first to know.
I’m pledging my time to you,
Hopin’ you’ll come through, too.“
(„Pledging my Time“, Bob Dylan aus dem Album „Blonde on Blonde“, 1966)

Und wirklich ruft Hanna Beaky an, seine Liebeswerbung hat sie amüsiert und sie mag den langhaarigen, etwas unbeholfenen Jungen gern. Also treffen sie sich am Olivaer Platz, an der Einser-Haltestelle. Er besteht darauf, sie zum Essen einzuladen.
Sie laufen den Kudamm in Richtung Halensee und Hanna fragt, halb besorgt, halb scherzhaft:“Du willst mich aber nicht in den Athenergrill ausführen?“ Er schüttelt den Kopf, tatsächlich ist ihm die Frage peinlich, er wird sogar ein wenig rot. Wenige Meter hinter dem Athenergrill, hält er ihr eine Tür auf. Ins “Ciao” lädt er sie ein. Einen schicken Italiener, wo man manchmal sogar Schauspieler oder andere Prominente sieht. Schon ist der Kellner da, wieselt um die Beiden, radebrecht, „Einen Tisch, a due?“ Beaky nickt und der Kellner will sie ganz hinten im Lokal platzieren, Hanna stoppt ihn souverän. Sie will am Fenster sitzen, was auch kein Problem ist, der Laden ist fast leer.
Hanna hat nur eine rosafarbene Weste und nichts zum Ablegen an, Beakys Fransenlederjacke will ihm der Kellner abnehmen, es gibt etwas Gezerre und Beaky gewinnt das Match. Einen Freund haben sie in ihrem Kellner nicht gewonnen mit diesem Entrée.
Jetzt bringt der Kellner Beaky die Weinkarte, davon lässt er sich nicht irritieren, man hat ihn vorgewarnt. Weltmännisch sucht er einen bezahlbaren Wein aus, auch das probieren und freundlich Nicken bekommt er hin. Aber er fühlt sich überhaupt nicht wohl und schließlich gesteht er sein Missempfinden Hanna, die sieht es ähnlich. Als sie Beaky darauf hinweist, dass der Kellner einen ganz anderen, teureren Wein gebracht hat, kommt Beaky eine spontane Eingebung, Er bedeutet Hanna ihr Glas auf Ex zu trinken, dann zerrt er sie hoch, greift seine Jacke, schleust sie durch den Eingang auf den Gehsteig. Sie rennen los, er hat sich vorher versichert, das sie keine Absätze trägt. So jagen sie den Kudamm hoch zurück in Richtung Leibnizstraße und kichern. Als sie an der Ecke Eisenzahnstraße sind, blicken sie zurück und sehen den gestikulierenden Kellner, worauf sie einen erneuten Lachanfall bekommen. Sie halten sich die Bäuche und lachen bis es wehtut.

Sie haben einen großartigen Abend, Beaky hat nicht nur Hoffnung, er ist sich fast sicher, dass Hanna ihn auch gern mag. Doch als sie spät in Richtung Düsseldorfer Straße spazieren, wird Hanna auf einmal ernst. Sie will keinen Freund, für den Drogen wichtiger sind als sie. Er wäre ja wohl auf Speed gewesen, beim ersten Sehen im Bleibtreu, und Speed ginge nun garnicht. Genauso wenig wie Heroin. Abends oder am Wochenende mal kiffen sei aber kein Problem. Beaky beichtet seine Drogenkarriere, nun ja, vielleicht beschönigt er ein wenig, aber im Großen und Ganzen ist er ehrlich, bis auf eine Ausnahme und wegen dieser wird es Ärger geben. Die Frage ist nur wann.
Zunächts endet der Abend mit einem Küsschen, das Hanna Beaky auf die Wange gibt. Was Beaky nicht unrecht ist, er fürchtet sich vor dem „ersten Mal“. Seinem ersten Mal, seiner Unerfahrenheit, die Hanna merken könnte. Auch bei diesem Thema hat er nicht ganz die Wahrheit gesagt. Aber was ihn die halbe Nacht wachhält und immer wieder durch sein Hirn kreist ist der Gedanke, dass nur das Heroin ihn so cool und schlagfertig gemacht hätte, an diesem Tag mit Hanna. Das er ohne das Sniefen unsicher gewesen wäre, gestottert hätte und rot geworden wäre. Und das sie ihn nicht mehr wollen würde, wenn sie das mit dem Heroin wüsste. Er ist in einem Dilemma. Immer wieder dreht sich die Kausalkette in seinem müden Hirn und erst gegen Morgen schläft er ein. Es ist ein tiefer, traumloser Schlaf.

Fortsetzung folgt

Der Roman ist als Buch erschienen. Bestellung unter:

marcusklugeberlin@yahoo.de

Mit einer Illustration von Rainer Jacob. Um die Illu groß anzusehen, einfach daraufklicken.

Einschiffung nach Kythera:
http://de.wikipedia.org/wiki/Einschiffung_nach_Kythera

Pledging my Time:
http://www.bobdylan.com/de/node/25804

“Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Begebenheiten, die ich mit Erfundenem vermischt habe. Im Ergebnis ist “Die Legende von Xanadu” eine fiktive Geschichte. Um Persönlichkeitsrrechte zu schützen habe ich außerdem Namen und Details verändert.

Familienportrait – “Pop” / Die Legende von Xanadu Kapitel Eins / 1968-69 / von Marcus Kluge

Bild

Um halb acht kam die Schwester und gab ihm eine Spritze. “Die ist gegen Angst vor der O.P.” O.P. stand für Operation und Angst hatte er sowieso nicht, er war ja schon zwölf. Aber hier im Krankenhaus behandelten sie ihn wie ein kleines Kind.
Er blätterte in der Bravo, die ihm sein Vater mitgebracht hatte. Normalerweise interessierten ihn die Klatschgeschichten nicht die darin standen, aber am diesem Morgen war es anders. Nun fand er es spannend über Popmusik, Bands und Schauspieler zu lesen. Er stellte sich vor, wie er als Erwachsener berühmt und reich werden würde. Es war wie ein Rausch und das erste Mal überhaupt, dass er sich auf seine Zukunft freute. Kurz nach neun kam ein gutgelaunter Pfleger und schob ihn mit dem Bett aus der Station in den Park der Auguste-Viktoria-Klinik ein paar hundert Meter weit durch ein Schneegestöber, zum Haus mit den Operationsälen. Einzelne Schneeflocken landeten auf seinem Gesicht und berührten ihn auf eine kühlende, belebende Weise. Nein, er hatte keine Angst, ganz im Gegenteil, er fühlte sich sicher und geborgen und er hoffte dieses Gefühl würde für immer anhalten.

Er hieß Frieder, doch das war in seinen Ohren ein völlig unmöglicher Name für einen Jungen. Deshalb hatte er sich den Spitznamen Beaky zugelegt. Einerseits weil er ein großer Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich Fan war und andererseits weil seine Eltern ihn als Kleinkind Schnute genannt hatten. Es hatte die Angewohnheit, wenn er überrascht war oder nicht wusste was er sagen sollte, seine Lippen zu einem Schmollmund zu verformen. Da Schnute sich eher wie ein Tiername im Zoo anhörte, wählte er sich das englische “Beaky” aus. Es dauerte eine Weile bis er tatsächlich auch so genannt wurde. Erst waren es nur ein paar befreundete Mitschüler, dann fast alle die ihn kannten. Seine Eltern wollten sich partout nicht daran gewöhnen. Da waren sie sich einig, erstaunlich, wo sie fast immer unterschiedlicher Meinung waren.
Mir fiel Frieder zuallererst auf, weil er diese auffälligen Hosen mit verschiedenfarbigen Hosenbeinen trug. Er war überhaupt der Einzige, den ich je in Berlin sah, der sich mit diesem Look als Fan der britischen Popgruppe Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich zu erkennen gab. Außerdem hatte er, neben Burkhardt Seiler und mir, die längsten Haare von allen Schülern. Es waren helle rotblonde Haare. Er war kein hübscher Junge mit seiner sehr hellen Haut und den Sommersprossen, eher so jemand wie Boris Becker mit einem Schmollmund. Schlagfertig war er auch nicht, aber ein netter Kerl wenn man ihn näher kannte.

Bild

Er lebte bei seiner Mutter, die Verkäuferin war und sah seinen Vater meistens Sonntags, dann ging dieser mit ihm in den Zoo oder ins Kino. Er mochte seinen Vater gern, auch wenn dieser meist schweigsam war. Als er zwölf oder dreizehn wurde, begann er in der Kneipe seines Vaters zu arbeiten. Er bekam keinen großen Stundenlohn, doch wenn er die Stammgäste bediente, steckten die ihm Trinkgeld zu. Natürlich trank er nicht, er war sehr gesundheitsbewusst und lehnte Alkohol und Tabak ab. Wahrscheinlich hatte er durch die Kneipe genug Anschauungsmaterial, was Alkohol so anrichten konnte. Es war auch das Einzige, was ihn bei seinem Alten störte, dass der als Wirt jeden Abend mit seinen Kunden trank. Wir beneideten Frieder, er hatte immer Geld in der Tasche, eine tolle Anlage und konnte sich Platten und Klamotten kaufen. Mit Geld schien er umgehen zu können.

Bild

Am 20. Februar 1968 erscheint die Single “The Legend of Xanadu” von Frieders Lieblingsband Dave Dee & Co. Er holt sich die Scheibe bei Musicland in der Uhlandstraße. Noch etwas passiert an diesem Tag. In der Teestube am Ludwig-Kirch-Platz kauft er für fünf Mark einen Trip, daheim nimmt er zum ersten Mal LSD. Die Popgruppe vermutet Xanadu in Mexiko. Frieder ist begeistert von den Mariachi-Trompeten und dem Peitschenknall, der den Refrain aufpeppt. Das Halluzinogen erzeugt immer neue Bilderfluten, die sich in Frieders Bewusstsein übertrumpfen, es ist ein fast religiöses Erlebnis für den materialistisch geprägten jungen Mann. Die Erfahrung verändert ihn.
Er liest Timothy Leary und wird Anhänger von dessen populärer, psychedelischer “Neu-Programmierung” nach dem Slogan: “Turn on, tune in and drop out.” In der Folge fängt Frieder an, Haschisch zu rauchen. Allerdings nur pur, Tabak lehnt er weiter ab. Doch Trips und Haschisch hält er für förderlich für die Gesundheit, für die geistige allemal und für die körperliche auf jeden Fall für nicht schädlich. In dieser Zeit beginnt wohl seine Transformation zu Beaky. Er taucht in die Drogenszene ein und wird selber zum Kleindealer. Dort auf der “Szene”, die Berliner sagen “Szien” mit scharfem Ess-Zett vorne, akzeptiert man auch seinen selbstgewählten Spitznamen. Nun trägt er nicht mehr die knallbunten Dave Dee-Klamotten, er bevorzugt nun Cord und Samt in Farben wie purpur, lila oder flaschengrün. Dazu hat er oft eine Wildlederjacke mit Fransen an, wie Dennis Hopper in “Easy Rider”.

Bald weiß man, dass Beaky gute Trips und guten “Shit” hat. Am Nachmittag ist er in der kleinen Teestube am Ludwig-Kirch-Platz oder im Danys Pan in der Fasanenstraße. Abends treten dort Liedermacher auf, am früheren Tage jedoch gehört der Laden den Dealern und ihren Kunden. Anfänglich findet der Handel vor der Tür statt, doch dann gibt es das Gerücht, aus dem gegenüber liegenden Kempinski-Hotel würde das Rauschgift-Dezernat, von den Szenegängern RD genannt, die Straße vor dem Pan überwachen. Also verlagert sich der Handel nach innen. Er verlagert sich auf die Toiletten, aber Beaky macht seine Geschäfte direkt am Tisch, wo er seine Grapita trinkt, eine Grapefruit-Limo. Die Kellner sind sehr freundlich zu ihm und keiner scheint etwas gegen sein Geschäft einzuwenden haben. Im nachhinein kommt es mir fast so vor, als ob der Drogenhandel Schutzengel gehabt hätte in diesen Jahren, als bei einer Generation, die eben noch revoltierte, weiche und später harte Drogen populär wurden. Im Danys Pan jedenfalls, das in der Fasanenstraße in einer Villa residierte, wurde die Dealerei geduldet, solange es sich nicht um harte Drogen handelte.
Abends geht Beaky ins Park am westlichen Kudamm, wo eine 2000 Watt Dynacord-Gigant Anlage die Tänzer antreibt, die sich bis zur Erschöpfung auspowern. Der im Untergeschoss gelegene Tanzschuppen ist über eine freistehende Treppe erreichbar. Eines Abends steht Beaky auf jener Treppe, als ein stark blutender Mann, von einem Angreifer mit Messer verfolgt, am ihm vorbeihastet und ihn mit Blut bespritzt.
Nach diesem Erlebnis zieht er abends das Black Korner vor, ein kleine Disco, in dessen Räumen später Franz de Byl seinen Jazz-Klub Flöz betreiben wird. Dort trifft er nicht so viele Kunden, aber der Geschäftsführer macht ihm ein Angebot, das er kaum abschlagen kann. Er darf die Kasse übernehmen, verkauft Verzehrbons und kassiert am Wochenende Eintritt. Gleichzeitig verkauft er Shit und Trips im kleinen Kassenhäuschen. Um 1 oder um 2 verlässt er das Black Korner. Er braucht nur durch den Volkspark zu laufen und ist fast zu Hause, in der Wohnung seiner Mutter am Bundesplatz. Morgens schleppt er sich zur Schule, wenn er garnicht hochkommt, schreibt ihm seine Mutter Entschuldigungsbriefe.

Bild

Beakys Mutter merkt natürlich, dass etwas mit ihrem Sohn passiert. Etwas gegen das sie nichts ausrichten kann. Sie will wenigstens wissen, wo er hingeht und was er treibt, sie beginnt nachzufragen. Beaky hat ein enges Verhältnis zu seiner Mutter, also zieht er sie ins Vertrauen, macht ihr deutlich, das Hasch längst nicht so ungesund ist wie Alkohol. Bald steckt er der Mutter regelmäßig Geld zu, die mit ihrem schmalen Verkäuferinnenlohn notorisch klamm ist. Sie kann nicht umhin, sich über die grünen, braunen und blauen Scheine zu freuen. Es entlastet sie und die Gefahr, dass Frieder erwischt wird beim Dealen, ist hypothetisch und fern. Es ist ihr sogar lieb, wenn ihr Sohn daheim Kunden empfängt, draußen ist das Risiko größer. Sie hilft ihm auch bei der Aufbewahrung und versteckt größere Mengen im Keller einer Freundin.
1969 lernt unser Held im Zodiac Free Arts Lab den Junkie “Doktor” kennen. Doktor ist eine Berühmtheit in der “Szien”. Der schmale, untersetzte Dunkelhaarige ist Ende 20, sieht aber deutlich älter aus. Die Haare lichten sich bereits, dafür hat er lange Koteletten und immer trägt er eine alte Arzttasche mit sich. Darin befinden sich diverse illegale Drogen, aber auch Medikamente, frei erhältliche, rezeptpflichtige und Betäubungsmittel. Der gebildete Ältere, der tatsächlich einige Semester Medizin studiert hat, macht großen Eindruck auf Beaky. Er kann sich ausdrücken, ist schlagfertig und hat auch Erfolg beim schönen Geschlecht. In seinem berlinisch angehauchten Idiom hat er meist einen coolen Spruch drauf. “Unbehagen? Doktor fragen.” oder “Am Morgen ein Joint und der Tag ist dein Freund.”
Da Doktor keine eigene Bleibe hat, lässt ihn Beaky bei sich übernachten. Dabei lernt er die Arbeitsweise des Docs kennen, schon lange hatte er gegrübelt, wie der Ältere immer so gut versorgt sein kann. In später Nacht zieht der Doc los, in der obligatorischen Arzttasche hat er lediglich Einbruchswerkzeug verstaut. Dann steuert er zu Fuß Apotheken an, die er am Tage zuvor ausbaldowert hat. Damals sind Apotheken noch nicht so gut gesichert wie heute und entscheidender, es gibt noch “Giftschränke”. Dort werden todbringende Mittel, wie E 605, das sogenannte “Schwiegermuttergift” verwahrt, aber auch Betäubungsmittel wie Morphium und Aufputschmittel.
Wenn der Doktor sich überzeugt hat, dass die Gegend zur Ruhe gekommen ist, knackt er Schlösser, manchmal verbiegt er auch ein paar Gitterstäbe. Er ist kräftig, obwohl er die Statur eines Kindes hat. Einmal drin im Schlaraffenland lässt er sein Werkzeug zurück und stopft die Tasche voll, mit allem was schwindlig macht oder sich verkaufen lässt. Neben BTM lässt er Valium mitgehen, ein populäres Beruhigungsmittel, das in der Szene als Antidot gegen schlechte Trips benutzt wird oder Cappies und AN1, Tabletten die Studenten als chemische Lernhilfe dienen. Nach wenigen Minuten ist seine Tasche voll und er kann den Tatort verlassen. Manchmal bricht er auf dem Rückweg noch in einer Kneipe ein, um Zigaretten zu klauen oder ein paar Langnese-Eistüten. Auch zum Frühstück bringt er was zu Beaky mit. In der Mainzer Straße ist eine Bolle-Filiale, nachts wird dort Milch und Joghurt angeliefert. Verstaut werden diese Waren in einer Holzkiste, die nur mit einem kleinen Bügelschloss gesichert ist und für den Doktor kein Hinderniss darstellt. Als Beaky mir von den Aktionen des Doktors erzählt, bekomme ich große Augen angesichts solcher Dreistigkeit. Da merke ich, dass ich doch sehr behütet und mit einem Glauben an Moral aufgewachsen bin. Ich tue mich schon schwer, bei Rot über die Straße zu gehen. Ich bin 14, Beaky zwei Jahre älter.

Bild

Beaky erzählt mir oft von seinen und des Doktors Abenteuern, während wir die große Pause in der Raucherecke verbringen. Ich finde seine Berichte aus der Drogenszene zwar spannend, aber ich befrage ihn nicht. Er scheint das Bedürfnis zu haben, sich bei mir auszusprechen. Ein wenig komme ich mir vor, wie ein Priester, der die Beichte abnimmt und indem ich zuhöre und nicke, gebe ich ihm eine Absolution.
An einem Montag im Herbst stehe ich wieder in der Raucherecke und ich drehe mir mit Drum eine filterlose Zigarette. Beaky steht ein paar Meter weg mit einem Mädchen und einem Jungen aus der Oberstufe. Die Drei rauchen eine Purpfeife. Irgendetwas geht vor, ich kann es nur noch nicht einordnen. Im rechten Augenwinkel sehe ich zwei Lehrer, ich blicke nach links, von dort nähern sich auch einige Lehrer. Als die Glocke die Pause beendet, hindern die Pauker mich, Beaky und sechs weitere Schüler, die Raucherecke zu verlassen. Als wir die Pädagogen fragen, was das soll, bekommen wir keine Antwort. Sie haben wohl Funkstille vereinbart. Die anderen Schüler hängen aus den Fenstern und glotzen. Als nach einer knappen Viertelstunde Polizisten den Schulhof betreten, bin ich nicht wirklich erstaunt.

Wir acht werden also wie Verbrecher abgeführt, die restlichen Zöglinge in den Fenstern johlen und pfeifen. Wofür oder wogegen sich diese Akklamation richtet ist nicht völlig klar. Meiner Einschätzung nach richtet sich der lautstarke Protest gegen unsere polizeiliche Festnahme. Wir, die Delinquenten, finden uns in einer Arrestzelle in der Polizeiwache Rudolstätter Straße wieder. Wir werden erstmal in Ruhe gelassen, man wartet wohl auf Spezialisten aus dem Rauschgiftdezernat. Beaky hat noch die Pfeife und ein klelnes Stück Haschisch dabei. Die Fenster sind zwar vergittert, aber man kann sie öffnen und Beaky kann die Konterbande in einer Regenrinne verstecken, so das niemand von uns etwas Belastendes bei sich trägt.
Meine Mutter ärgert sich, dass sie mich abholen muss, aber vor allem weil sie das Vorgehen der Schule für völlig überzogen hält.

Das tun die Schüler auch, zumindest die meisten. Es gibt ein paar Junge Unionler, die auf Law and Order pochen, oder was sie dafür halten. Später werde ich auch JU-Mitglieder kennenlernen, die für die Freigabe von Cannabis sind und kiffen, aber damals waren die Fronten klar. Zusammen mit Schülern von der Schüler-Selbst-Verantwortung bildet sich ein Arbeitskreis, der die Handlungsweise der Schule kritisch beleuchten will. Einige Lehrer versuchen mit gruseligen, unsachlichen Behauptungen das “gefährliche Rauschgift” Cannabis zu verteufeln. So in der Art, “einmal Haschisch spritzen reicht, um lebenslang süchtig zu werden”. Besonders die Pauker mit einer abgeschlossenen nationalsozialistischen Werteordnung tun sich da groß.
Der Arbeitskreis bittet mich um Mithilfe, weil ich mich doch so gut ausdrücken könne. Natürlich mache ich mit. Ein Flugblatt soll die Schüler und Lehrer aufklären, wie der Stand der Wissenschaft Cannabis einschätzt. Ich schreibe den Text, zitiere diverse Studien, die in Fachzeitschriften wie Lancet erschienen sind und den berühmten La Guadia-Report. Eine umfangreiche Untersuchung, die der legendäre New Yorker Bürgermeister in Auftrag gegeben hat und die zum Ergebnis kommt, dass Haschisch und Marijuana deutlich weniger schädlich sind als Alkohol und Tabak. Natürlich vergesse ich nicht zu erwähnen, dass Cannabis in Deutschland illegal ist, seit die Nazis 1936 das BTM-Gesetz verschärften.
Wir kopieren die mehrblättrige Flugschrift beim republikanischen Klub in der Schlüterstraße und wir “bumsen” sie dort auch. So nennt man damals das Zusammenheften mit Heftklammern in Revoluzzerkreisen. Am nächsten Morgen verteilen wir die Flugblätter vor der Schule, drinnen dürfen wir nicht. Die Resonanz der Schüler ist sehr positiv. Womit wir nicht gerechnet haben ist die Springer-Presse. Wir landen auf der Titelseite der Berliner Bild-Ausgabe. “Schüler werben für Rauschgift” steht da in riesigen Lettern.

Fortsetzung folgt

Update 20. April 2015:

Z.Z. suchen wir Unterstützer für die Buchausgabe von Xanadu. Bücher, Illus und Fanzines kann man hier bestellen:

https://www.startnext.com/xanadu-west-berlin-buch

Illustration: Rainer Jacob

Das nächste Kapitel trägt den Namen “Osterspaziergang”, es beschreibt wie der Einfluss von “Doktor” Beaky verändert und in gefährliche Situationen bringt. Natürlich kommt auch ein Pudel vor.

“Die Legende von Xanadu” beruht auf wahren Begebenheiten, die ich mit Erfundenem vermischt habe. Im Ergebnis ist “Die Legende von Xanadu” eine fiktive Geschichte. Um Persönlichkeitsrrechte zu schützen habe ich außerdem Namen und Details verändert.

Familienportrait –„Einschiffung nach Kythera“ / Die Legende von Xanadu Kapitel Fünf / 1973

Bild

Etwa eine Woche nach unserem merkwürdigen Rencontre im Café Bleibtreu rief Beaky mich an. Ja, merkwürdig fand ich jene Begegnung und auch denkwürdig. Jedenfalls dachte ich mehrfach daran, wie an jenem Vormittag meine morgendliche Schwere und Langsamkeit mit Beakys hektischem, drogeninduziertem Auftreten zusammenstieß. Als der mittelbar Aufgeputschte mir die gesamte Jugendkultur und den Protest der 60er Jahre als reaktionäre Verschwörung vorstellen wollte und der dann noch sein Lieblingsthema Xanadu völlig herzlos abschrieb, oder vielmehr abredete. Auch das da offensichtlich etwas hin und herflog zwischen meiner Bekannten, der Kellnerin Hanna und dem ehemaligen Schulfreund kam mir mehr als einmal in den Sinn. Nun war Frieder am Telefon. Frieder, der lieber Beaky genannt werden wollte und es war mein Eindruck, dass er nicht aufgeputscht war. Er hörte sich eher kleinlaut an. Er wolle etwas mit mir besprechen, er hätte sich meine Worte zu Herzen genommen und das Speed abgesetzt. Er sei dabei sein Leben zu ändern, privat und bei der Arbeit. Er durfte nun sogar allein die Galerie hüten, was sein Chef Puvogel bisher für „indiscutable“ gehalten hatte. Also verabredeten wir, das ich ihn von der Arbeit abholen sollte.

Der Antiquitätenhändler und Galerist Ingomar von Puvogel ist was man eine schillernde Persönlichkeit nennt. Der etwa 1,70 Meter große, grauhaarige Herr trägt gern zweireihige Klubjacken, die sein Bäuchlein eher betonen als verbergen. Er selbst nennt es fast zärtlich, sein „Embonpoint“, was selbstverständlich sehr viel schicker klingt, als das in Berlin sonst gern verwendete Wort „Wampe“. Er war nicht immer Geschäftsmann, seine Kollegen erzählen gern genüsslich, dass er in den 50er Jahren für mehrere Nachrichtendienste gearbeitet haben soll, den BND sowohl als auch die Stasi und zusätzlich die üblichen Verdächtigen wie CIA, MI5 und Mossad. Unter mysteriösen Umständen hat er Anfang der 60er Jahre den aktiven Dienst verlassen. Man munkelt von Stasi-Material über die Nazi-Vergangenheit eines hochrangigen CDU-Politikers, mit dem er einen goldenen Handschlag vom BND erpresst haben soll. Andere sprachen von Kinderpornographie, die Puvogel einem Staatssekretär untergeschoben haben sollte. Aber es liegt in der Natur der Sache, das Niemand etwas Genaues wusste. Puvogel ließ sich anschließend an sein Ausscheiden ein Clark Gable-Bärtchen wachsen und eröffnete seine „Galerie“ in der Schlüterstraße. Zusätzlich schmückt seitdem das Wörtchen „von“ seinen Namen. Von nun an gab er die Vorstellung eines bildungsbeflissenen Schöngeists, der gern seine Sprache mit französischen Vokabeln würzte und seine Vergangenheit in wenig glaubwürdigen Anekdoten schönfärbte. „C’etait incroyable“, so nannte er es selber.
Auf den ersten Blick hob sich sein Geschäft von den benachbarten Trödlern ab, doch wenn man genau hinsah, bestand sein Angebot hauptsächlich aus drittklassigen Gemälden, Jugendstil und Art Deco-Tand, sowie asiatischem Kunsthandwerk, preiswerter Dutzendware zumeist. Beaky arbeitete dennoch gern bei ihm, Puvogel war freundlich, jovial, hatte Humor und konnte tolle Geschichten erzählen. Außerdem bescheinigte ihm sein Chef, er würde 40 Stunden in der Woche bei ihm wirken, was stark übertrieben war. Sein Bewährungshelfer war einmal im Laden gewesen und Puvogel hatte ihn mühelos um den Finger gewickelt und ihm sogar ein hübsches Lackkästchen zu einem überhöhten Preis verkauft. Wie die meisten Besucher bestaunte der Sozialarbeiter die Kopie von „Einschiffung nach Kythera“, dem berühmten Gemälde von Jean-Antoine Watteau. Und wie bei allen kunsthistorisch Ungebildeten behauptete Puvogel, es würde sich um ein unbekanntes viertes Bild von diesem Sujet handeln, ein echter Watteau. Was natürlich blanker Unsinn war. Denn wenn es ein Orginal gewesen wäre, hätte es nicht im Schaufenster auf einer Staffelei gestanden. Stattdessen hätte man es, mit einer Alarmanlage verbunden, an die Wand gehängt, denn es wäre mindestens eine sechsstellige Summe wert gewesen. Ach was, wenn es ein echter Watteau gewesen wäre, hätte es niemals in der Antik-Klitsche von Ingomar von Puvogel gehangen.

(„Einschiffung nach Kythera ist der Titel dreier spätbarocker Gemälde des französischen Meisters Jean-Antoine Watteau. Eines davon hing damals in Dahlem, wo ich es gesehen hatte. Das Gemälde zeigt ein paar junge Leute, die am Ufer auf ihr Boot warten, um zur Insel Kythera übergesetzt zu werden. Rechts steht eine Statue der Liebesgöttin Venus. Im Hintergrund sieht man die Insel Kythera, den Ort an dem Venus der Sage nach aus dem Schaum des Meeres an Land gestiegen sein soll. Die Insel Kythera galt im 18. Jahrhundert als ein Reich der Liebe, fern aller Konflikte. Mit diesen sogenannten „Fêtes galantes“-Gemälden schuf Watteau eine neue Bildtradition, bei denen Rubens und dabei insbesondere dessen Gemälde Liebesgarten das Vorbild waren.“)

Es war an einem Freitag nachmittag, als ich Beaky in der Galerie Puvogel aufsuchte. Ich bewunderte die recht ordentliche Watteau-Kopie im Fenster, wobei ich Beaky im Ladeninneren erspähte. Er trug zu seinen dunkelblauen Levis ein besticktes Seidenhemd, wahrscheinlich auch ein Asienimport des Galeristen. Seine langen, rotblonden Haare waren frisch gewaschen und ich war froh keine Anzeichen des Konsums harter Drogen zu erkennen.
„Na, Beaky, wie läuft dein Geschäft?“
Er erwiderte mit leicht gedämpfter Stimme, „Ich wollte, es wäre meins, Marcus. Und nenn mich bitte Frieder, der Chef mag meinen anderen Namen nicht.“
„Wo ist er denn, der Graf von und zu Piepvogel?“
Beaky wurde rot, jetzt flüsterte er fast: „Er ist hinten in seinem geheimen Blaubart-Kabinett und macht Siesta. Ich glaube er raucht was von seinen Thai-Sticks und was er noch treibt, da gibt es verschiedene Vermutungen.“
Puvogel importierte versteckt im Kunsthandwerk Marihuana, sogenannte Thai-Sticks, die besonders bei Künstlern und Intellektuellen sehr beliebt waren. Man sagte, sie gingen nicht in die Beine, sondern direkt in den Kopf, machten wach und gesprächig. Viele Antiquitätenhändler in den Kudamm-Nebenstraßen verkauften das teure Zeug als willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Die Kunden gehörten entweder zur Schickeria oder sie hätten gern dazu gehört. Auf jeden Fall rekrutierte sich die Clientel aus den „besseren Kreisen“, die bereit waren etwas mehr für den illegalen Drogen-Kick zu zahlen.
Was das „nochtreiben“ angeht, wucherten in der Tat die unterschiedlichsten Vermutungen. Der falsche Adlige selbst behauptete, erotisch ein Neutrum zu sein seitdem der sowjetische NKWD ihn im Zweiten Weltkrieg mehrere Tage gefoltert hatte. Da er diese wilde Geschichte mit sehr viel Humor und Gusto zelebrierte, war er selbst schuld, dass sie als nicht sehr glaubwürdig aufgenommen wurde. Also sprach man von kleinen Mädchen, kleinen Jungen, kleinen oder eher mittelgroßen Haustieren, sowie von allen denkbaren materiellen Fetischen, die angeblich sein erotisches Interesse ausmachen sollten.

„Gott zum Gruße, junges Volk“, tönte es leicht effeminiert aus dem rückwärtigen Geschäft. Der Besitzer hatte seine Siesta beendet und gab uns eine Exklusiv-Vorstellung seiner Darstellung eines intellektuellen Scheingeistes . Mir war die Puvogels sexuelle Orientierung überhaupt nicht unklar, ich hielt ihn für schwul. Und als ob er meinen Gedanken bestätigen wollte, turnte der Galerist um mich herum und bewunderte mich von allen Seiten. Beaky hatte meinen Besuch wohl angekündigt, denn unverzüglich schmeichelte Puvogel mich an: „Das kann doch nur der kluge Herr Kluge sein und dabei ist er auch noch ein so schöner Mensch. Wie hält man das aus?“ Nach kurzer Sammlung parierte ich den Ästhetik-Liebhaber: „Normalerweise ganz gut, Herr Puvogel“. Ich drängelte ein bißchen, um möglichst schnell Puvogels Dunstkreis zu entgehen. Es war nicht so, dass ich wie viele Männer grundsätzlich Probleme mit Schwulen hatte. Ich hatte sogar selbst eine kurze Beziehung zu einem Mann gehabt und die Schwulenszene kennengelernt. Deshalb kannte ich auch das Gefühl von älteren Schwulen angemacht zu werden und sowas machte mich normalerweise nicht verlegen. Aber dieser Vogel war mir unangenehm, seine aufdringliche, süßliche Art. Ich verstand nicht, wie Beaky für ihn arbeiten konnte und dessen Nähe ertragen konnte. Nach meinen Eindruck hatte dieser Galerist hatte nur einen Gedanken in seinem Kopf und der war schmutzig. Glücklicherweise schien es Beaky selbst peinlich zu sein, wie sein Chef mich anbaggerte und er unterstützte meinen geordneten Rückzug aus der Galerie.
Anschließend liefen Frieder und ich die Schlüterstraße in Richtung Kudamm Wir überquerten erst die Kant- und dann die Niebuhrstraße, und endlich drückte mich mein Begleiter in eine ziemlich normale Berliner Kneipe, sie hieß „Zum Schotten“. Auf den ersten Blick schottisch war, dass man bei Licht und Einrichtung offensichtlich gespart hatte. Die finstere Kaschemme war nur mit wenigen Gartenmöbeln und einem heruntergekommenen Billardtisch möbliert. Ganz und garnicht meine Tasse Tee. Der einzige Lichtblick war ein schönes altes Canada Dry-Schild, das über der Theke hing.
Bei dem Kellner mit Schmalzlocke bestellte ich also ein Canada Dry, ungeöffnet in der Flasche, was mit verhaltenem Unmut quittiert wurde. Kaffee oder Tee würde ich in diesem Laden nicht anrühren. Beaky war da nicht so heikel, er trank schwarzen Kaffee, den der Kellner aus einer Thermoskanne eingoss.
Mir fiel ein, dass ich schonmal in diesem Laden war. Schon Ende der 60er Jahre traf sich hier eine Mischung von linken Studenten und denen, die sie gern als Genossen gehabt hätten, nämlich die Angehörigen der ansässigen Arbeiterklasse. Kiffen war dort verpönt, doch handelte man mit Tabletten, Catagon, An1 und anderen Helfern fürs Examen oder die Frühschicht im E-Werk oder in der Gipsformerei. Ich war dort 1969, in einer Ecke stand ein Fernseher und die Gäste verfolgten mit skeptischer, berlinischer Abgeklärtheit die Live-Übertragung der ersten Mondlandung. Vielleich war hier der Ort gewesen, wo zum erstem Mal behauptet wurde, dass es sich bei diesen Bildern von der Mondlandung um eine Fälschung handelte, stellte ich mir vor.

Bild
Ich öffnete die Flasche, genoss einen ersten Schluck Ginger Ale und eröffnete das Gespräch: „Du scheinst meine Gardinenpredigt ernst genommen zu haben, oder hattest du andere Gründe deine Performance aufzupolieren?“ Seit ich den Nicolas Roeg Film mit Mick Jagger gesehen hatte, war „Performance“ eines meines Lieblingswörter. Ich beobachtete wie Beaky mit Worten rang und einen Einstieg suchte. „Na ja, weißt du, letzte Woche im Café Bleibtreu. Du hast mir erzählt, wie glücklich du mit deiner Freundin Ilona bist und mir ist klar geworden, dass ich auch so eine Beziehung suche.“ Ich nickte verständnisvoll und ließ ihm Zeit zu formulieren. „Da habe ich mich entschlossen mit dem Scheiß-Pulver aufzuhören. Also, mit dem Speed habe ich das schon geschafft, ein bißchen H sniefe ich aber noch.“ Das H sprach er englisch aus, wie es in der Berliner Drogenszene üblich war, es hörte sich wie „Ähtsch“ an. „Sniefen“ war wohl auch ein Wort das es nur in dieser Subkultur gab. „Damit ist aber auch bald Schluss“, fuhr er fort, „Sag mal, im Bleibtreu war doch diese Hanna, die Kellnerin. Kennst du die gut?“ „Nö, ist eigentlich mehr Ilonas Freundin. Aber ich hatte mir schon gedacht, dass du mich nach ihr fragst. Die hat dir gefallen, ne?“ Beaky nickte, aber zog die Stirn kraus. Er war sich unsicher und er wusste nicht, wie er sie ansprechen sollte und bat mich um Hilfe.

„Well, early in the mornin’
’Til late at night
I got a poison headache
But I feel all right
I’m pledging my time to you
Hopin’ you’ll come through, too“

Wahrscheinlich war ich der einzige Mensch der wusste, dass Beaky noch Jungfrau war. Außer einer Knutscherei im Anne-Frank-Haus hatte er keine sexuellen Erfahrungen mit irgendeinem weiblichen Wesen. Die Tatsache war ihm peinlich, aber weil er mich für so etwas wie seinen Beichtvater hielt, hatte er es mir erzählt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Nun legte er mir nahe für ihn Amor zu spielen. Im Grunde hatte ich sowas erwartet. Beim Verkuppeln hatte ich zwar keinerlei Routine, doch wie so häufig im Leben bemühte ich mich die Aufgabe als Schauspielpraxis zu betrachten.
Ich lud also Hanna zu einem Picknick ein. Am Samstagmittag liefen wir, Ilona und ich, zum Zooeingang gegenüber vom Bahnhof, das war der vereinbarte Treffpunkt. Meine Freundin und ich hatten eine Kleinigkeit zu essen vorbereitet und bei Ullrich kauften wir noch ein Fläschchen Rotwein, kurz bevor um 13 Uhr der Laden zumachte. Hanna kam zuerst, überpünktlich und Beaky verspätete sich etwas, er wirkte aber frisch und clean. Wir liefen los, ließen rechts von uns den Zoo, wir überquerten die Schleuse und waren bald im Tiergarten. Dort an einem See kannte ich eine seichte Stelle. Wenn man Füße und Waden freimachte, konnte man dort durchs Wasser waten. Belohnt wurde man durch eine kleine, menschenleere Insel. Die Idee kam mir, als ich in Puvogels Schaufenster „Einschiffung nach Kythera“ gesehen hatte. Auch ohne Schiff hatte der Nachmittag etwas Romantisches, Hanna lachte über Beakys Scherze, auch über die unbeholfenen. Als wir uns am frühen Abend verabschiedeten, beschloss Beaky Hanna noch nach Hause zu begleiten. Dann hörte und sah ich von den Beiden für längere Zeit nichts, was ich als gutes Zeichen wertete.

Hanna wohnte in einer winzigen Mansarden-Wohnung in der Düsseldorfer Straße. Wie in vielen Nebenstraßen des Kudamms hatte man dort kleine Dachgeschosswohnungen mit Atelierfenstern geschaffen. Es war billig damals und romantisch, nur im Winter zog es ziemlich. Beaky hatte ja nun Hannas Adresse und er beschloss um sie zu werben. Das tat er zunächst mit mehreren Postkarten, auf die er Zeilen aus Popsongs schrieb. Nichts Kitschiges, eher coole Zitate. Er hatte keine Erfahrung in solchen Dingen, er tat es auf seine Art. Folglich hatte es mit Musik zu tun. Auf diesem Gebiet kannte er sich aus und er war sich auch ziemlich sicher, dass Hanna einen Nerv für Texte von Bob Dylan, Janis Joplin und Jimi Hendrix hatte, die er für sie aussuchte. Nach einer Woche beschloss er aufs Ganze zu gehen. Er steckte ihr ein Mixtape in ihren Briefkasten, zusammen mit dem Vorschlag sich zu treffen und seiner Telefonnummer. 1973 war ein Mix-Tape ganz weit vorne, die Avantgarde der zeitgenössischen Liebeswerbung sozusagen.

Bild

„Won’t you come with me baby?
I’ll take you where you wanna go.
And if it don’t work out,
You’ll be the first to know.
I’m pledging my time to you,
Hopin’ you’ll come through, too.“

(„Pledging my Time“, Bob Dylan aus dem Album „Blonde on Blonde“, 1966)

Und wirklich ruft Hanna Beaky an, seine Liebeswerbung hat sie amüsiert und sie mag den langhaarigen, etwas unbeholfenen Jungen gern. Also treffen sie sich am Olivaer Platz, an der Einser-Haltestelle. Er besteht darauf, sie zum Essen einzuladen. Sie laufen den Kudamm in Richtung Halensee und Hanna fragt, halb besorgt, halb scherzhaft:“Du willst mich aber nicht in den Athenergrill ausführen?“ Er schüttelt den Kopf, tatsächlich ist ihm die Frage peinlich, er wird sogar ein wenig rot. Wenige Meter hinter dem Athenergrill, hält er ihr eine Tür auf. Ins Ciao lädt er sie ein. Einen schicken Italiener, wo man manchmal sogar Schauspieler oder andere Prominente sieht. Schon ist der Kellner da, wieselt um die Beiden, radebrecht, „Einen Tisch, a due?“ Beaky nickt und der Kellner will sie ganz hinten im Lokal platzieren, Hanna stoppt ihn souverän. Sie will am Fenster sitzen, was auch kein Problem ist, der Laden ist fast leer.
Hanna hat nur eine rosafarbene Weste und nichts zum Ablegen an, Beakys Fransenlederjacke will ihm der Kellner abnehmen, es gibt etwas Gezerre und Beaky gewinnt das Match. Einen Freund haben sie in ihrem Kellner nicht gewonnen mit diesem Entrée.
Jetzt bringt der Kellner Beaky die Weinkarte, davon lässt er sich nicht irritieren, man hat ihn vorgewarnt. Weltmännisch sucht er einen bezahlbaren Wein aus, auch das Probieren und freundlich Nicken bekommt er hin. Aber er fühlt sich überhaupt nicht wohl und schließlich gesteht er sein Missempfinden Hanna, die sieht es ähnlich. Als sie Beaky darauf hinweist, dass der Kellner einen ganz anderen, teureren Wein gebracht hat, kommt Beaky eine spontane Eingebung, Er bedeutet Hanna ihr Glas auf Ex zu trinken, dann zerrt er sie hoch, greift seine Jacke, schleust sie durch den Eingang auf den Gehsteig. Sie rennen los, er hat sich vorher versichert, das sie keine Absätze trägt. So jagen sie den Kudamm hoch zurück in Richtung Leibnizstraße und kichern. Als sie an der Ecke Seesener Straße sind, blicken sie zurück und sehen den gestikulierenden Kellner, worauf sie einen erneuten Lachanfall bekommen. Sie halten sich die Bäuche und lachen bis es wehtut.
Sie haben einen großartigen Abend, Beaky hat nicht nur Hoffnung, er ist sich fast sicher, dass Hanna ihn auch gern mag. Doch als sie spät in Richtung Düsseldorfer Straße spazieren, wird Hanna auf einmal ernst. Sie will keinen Freund, für den Drogen wichtiger sind als sie. Er wäre ja wohl auf Speed gewesen, beim ersten Sehen im Bleibtreu, und Speed ginge nun garnicht. Genauso wenig wie Heroin. Abends oder am Wochenende mal kiffen sei aber kein Problem. Beaky beichtet seine Drogenkarriere, nun ja, vielleicht beschönigt er ein wenig, aber im Großen und Ganzen ist er ehrlich, bis auf eine Ausnahme und wegen dieser wird es Ärger geben. Die Frage ist nur wann.
Zunächts endet der Abend mit einem Küsschen, das Hanna Beaky auf die Wange gibt. Was Beaky nicht unrecht ist, er fürchtet sich vor dem „ersten Mal“. Seinem ersten Mal, seiner Unerfahrenheit, die Hanna merken könnte. Auch bei diesem Thema hat er nicht ganz die Wahrheit gesagt. Aber was ihn die halbe Nacht wachhält und immer wieder durch sein Hirn kreist ist der Gedanke, dass nur das Heroin ihn so cool und schlagfertig gemacht hätte, an diesem Tag mit Hanna. Das er ohne das Sniefen unsicher gewesen wäre, gestottert hätte und rot geworden wäre. Und das sie ihn nicht mehr wollen würde, wenn sie das mit dem Heroin wüsste. Er ist in einem Dilemma. Immer wieder dreht sich die Kausalkette in seinem müden Hirn und erst gegen Morgen schläft er ein. Es ist ein tiefer, traumloser Schlaf.

Fortsetzung folgt

Einschiffung nach Kythera:
http://de.wikipedia.org/wiki/Einschiffung_nach_Kythera

Pledging my Time:
http://www.bobdylan.com/de/node/25804

 

Familienportrait – „A Saucerful of Löschpapier“ / Audi Max der TU 13. März 1970

Wir freuten uns schon seit Wochen auf das Konzert. Unsere Lieblingsband war in Deutschland und den USA noch nahezu unbekannt, selbst in England blieb ein Platz sechs in den Charts schon ihr größter Erfolg, doch für uns sind sie die Größten. Aber ein Geheimtipp, eine Band für Kunststudenten und sie treten auch meist in Unis auf. Dass sie eines Tages mit bombastischen Arrangements Stadien füllen würden, hätten wir uns nicht vorstellen können.

Image Schon am Nachmittag treffen wir uns vor dem Audi Max der TU an der Straße des 17. Juni. Andi (Foto oben), Richard, Frieder und ich überlegen, wie wir umsonst hereinkommen können. Karten gibt es nicht mehr, wir haben auch kein Geld, um welche zu kaufen. Einlass und Backstagebereich sind abgeriegelt, da geht nichts.

Wir gehen wieder auf die Straße und sehen einen Truck, der dort parkt. Roadies beginnen Equipment auszuladen. An der Halle wird ein Seiteneingang neben der Bühne geöffnet, damit man die Anlage nicht weit tragen muss. Ein Roadie hat uns beobachtet, er sagt etwas auf Englisch, das wir nicht verstehen. Ruhig und freundlich zeigt er auf die WEM-Boxen und Verstärker und bedeutet uns, wir sollen uns was davon schnappen und in die Halle tragen. Im Vergleich zu den Marshall und Orange-PAs, die wir sonst kennen sind die WEM-Komponenten klein, aber leistungsstark, wie wir merken werden. Ein paarmal machen wir den Weg von draussen nach drinnen und zurück, dann ist der Truck leer und wir bleiben im Saal.

IMG_20130820_0001

Oben: Richard. Unten: Marcus, beides 1970.

13876621_10201640060279467_3862631643089864482_n

1185111_3220400405055_1131222846_n

Oben: Andi im Tiergarten, 1970.

Image

So etwas wie Security gibt es hier nicht, nur ein paar Studis vom AStA rennen genervt herum, ihnen wächst die Sache über den Kopf, der Druck auf die noch geschlossenen Saaleingänge muss gigantisch sein. Es ist normal, dass ein paar Leute stürmen und umsonst reinkommen. Aber der Asta der TU ist nicht das Stones-Management, Hells Angels oder ähnliche Kräfte hat man nicht engagiert. So schaffen es mindestens 200 Zuschauer ohne Karten hereinzukommen.

Wir setzen uns auf den rechten Bühnenrand, der nette Roadie kommt noch einmal und holt eine Plastiktüte aus seinen Jeans. Darin ist eine Handvoll Löschpapier, jemand hat runde Löcher ausgestanzt und von dem was übrig bleibt schenkt er uns eine ordentliche Menge, warnt uns aber, wir sollten nicht zuviel davon essen. Ich höre auf ihn, Richard, Andi und Frieder nicht. Ich denke an Alice im Wunderland und nehme nur wenig.

Image

Ich habe Pink Floyd noch weitere dreimal zwischen 72 und 84 gesehen, nie waren sie annähernd so gut wie in diesem fast intimen Rahmen, ohne zentralen Mischer, ohne Bühnenlicht und ohne Monitoranlage. Waters und Gilmour mit kleinen WEM-Verstärkern, Rick Wright an der Orgel, Nick Mason mit winzigem Drumset, rechts und links noch ein paar Boxen, das war es schon.

Trotz des grellen Saallichts kommt schon bei “Astronomy Domine” psychedelische Atmosphäre auf. Der Saal ist überfüllt, ich sitze immer noch rechts auf dem Bühnenrand, woanders hin könnte ich sowieso nicht, es ist unglaublich voll. Einen Meter von mir entfernt steht David Gilmour und macht die seltsamsten Dinge mit seiner Gitarre, klopft, zirrpt, mit einem Handgriff könnte ich ihm sein Wah Wah-Pedal klauen, er benutzt es kaum.

Bei “A Saucerful of Secrets” beginne ich Farben zu sehen. Nicht nur das, ich sehe die gehörten Töne bunt und wie durch ein Kaleidoskop, das ich durch ein Kaleidoskop betrachte. Die Halluzinationen kommen in Wellen. Um ehrlich zu sein, ich kann nicht wirklich beschreiben, was ich damals sah und empfand.

Image Die Zuschauer sind mucksmäuschenstill, bei den leisen Passagen kann ich Gilmours Gitarre unverstärkt hören. Drei Stunden dauert die Messe. An “Set The Controls for The Heart of The Sun” kann ich mich noch deutlich erinnern, die gehauchten Vocals, ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Als letzte Nummer bekommt das aufmerksame Auditorium einen 20 Minuten langen Blues. Wie Andi und ich in unserer Band “Spoilt Saturn”, haben auch Pink Floyd als Blues-Musiker angefangen und sich dann in den Weiten des psychedelischen Universums verloren.

Richard, Andi  und Frieder sind total abgedreht. Um Frieder mache ich mir etwas Sorgen, es geht ihm nicht wirklich gut. Andi und Richard sind gute Freunde, Frieder hat etwas Unnahbares. Zuerst war er mir zwei Jahre früher aufgefallen, weil er als großer “Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich”-Fan, Hosen mit unterschiedlich farbigen Hosenbeinen trug. Überhaupt konnte er viel Geld für Klamotten und Platten ausgeben. Er arbeitete bei seinem alten Herrn, der hatte wohl eine Kneipe. Mit seinen Sachen war er ziemlich pingelig, während Andi und ich ständig LPs und Kleidung tauschten, verborgte Frieder nie etwas. Aber er hatte eine tolle Anlage, seine Mutter war selten da, so besuchten wir ihn oft, um Musik zu hören.

Nach dem Konzert leert sich das Audi Max nur langsam. Andi und Richard sind wieder halbwegs klar, wir beschließen den wirr redenden Frieder nach Haus zu bringen. Wir fahren mit der neuen U-Bahn-Linie 9 vom Zoo zum Bundesplatz, ich habe den Eindruck in einem Raumschiff aus Kubricks “2001” herumzuschweben. Der Verkehr am Bundesplatz holt mich zurück auf den Boden. Bis zur Frieders Wohnung ist es glücklicherweise nicht weit, wir sind heilfroh in seinem Zimmer, neben dem Bundesplatz-Kino, anzukommen.

Wir hören die Ummagumma-Doppel-LP, wenn ich die Augen schließe, sehe ich wieder bunte Farbspiele. In meiner Grundschule hing in jedem Klassenraum eine Karte von Europa. Das Deutschland in den Grenzen von 1937 erhob sich daraus, dreidimensional dargestellt, wie eine unregelmäßige Torte in drei Stücken, die Bundesrepublik, die DDR und oben rechts Ostpreußen. Darüber stand der Spruch: “Deutschland: dreigeteilt? Niemals!”

Nun, 1970, sehe ich, in ähnlicher grafischer Darstellung, Ost- und West-Berlin, und wie sich die beiden Teile langsam voneinander entfernen. Als ich in meinem halluzinogenen Raumschiff näherfliege, sehe ich wie Menschen am Rand der riesigen Stadthälften mit großen, weißen Taschentüchern, den sich entfernenden Brüdern und Schwestern auf der anderen Seite, traurig Abschied zuwinken. Auch ich werde traurig.

Frieder hatte etwas Labiles, sein Vater war vom Krieg traumatisiert und hat irgendetwas davon auf den Sohn übertragen. Als ich ihn kennenlernte, achtete er noch sehr auf seine Gesundheit, er rauchte noch nicht einmal. Nachdem ich von der Schule flog, sah ich ihn nur noch sporadisch. Er hat später angefangen zu fixen. Seine Unfähigkeit, sich mit uns anzufreunden, war wohl nur das Symptom einer tieferliegenden Einsamkeit. Als er das erste Mal im Knast war, hat er dann auch begonnen zu rauchen. Seine ganze Geschichte erzählte ich 2014, in meinem ersten Roman “Xanadu ’73”, der inzwischen erschienen ist:

„Xanadu ’73” – Das Buch

Andi blieb ein guter Freund, leider starb er Ende der 1990er Jahre, jäh und unerwartet an einer Lungenkrankheit. Auch mit Richard blieb ich in freundschaftlichem Kontakt, bis wir uns um 2000 aus den Augen verlieren. Mein zweiter Roman, “Helden ’81”, spielt vor der Kulisse West-Berlins auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerbewegung, acht Jahre nach “Xanadu ’73”. Der Held Roberto beruht auf Person und Biografie meines Freundes Richard. So war es logisch, dass ich in den Weiten des Webs begann ihn zu suchen. Schnell wurde ich fündig, wir freuten uns beide, unsere Freundschaft erneuern zu können und Richard konnte Vieles zum Roman beitragen. 15 von 18 Kapiteln sind fertig, ich hoffe “Helden ’81” im Frühjahr 2017 zu veröffentlichen.

Marcus Kluge

—-

Setlist
Astronomy Domine
Careful With That Axe Eugene
Cymbaline
A Saucerful Of Secrets
The Embryo
Interstellar Overdrive
Set The Controls for the Heart of the Sun
Rick, Richard, Richard, are you ready?
Atom Heart Mother
Blues

 

Hörbeispiel “Interstellar Overdrive” vom 13.3.1970:

http://www.youtube.com/watch?v=h9MZeKwJfA8

LSD: http://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Hofmann

WEM: http://www.wemwatkins.co.uk/history.htm

 

Drei Tage später treten Pink Floyd in Nürnberg auf. Auch wenn der Artikel dazu Fehler enthält, dokumentiere ich ihn. Er zeigt sehr deutlich und unterhaltend, wie überfordert Musikjournalisten 1970 mit dem Phänomen Pink Floyd waren.

Image

—-

“Die Tiefe der Erinnerung” / Interview mit Marcus Kluge / aus “Achte Reise zur Blechluft”

Anfang 2015 bat mich Günter Sahler um ein Interview. Für “Achte Reise zur Blechluft” befragte er mich zu meinem Blog und der Entstehung meines ersten Romans “Xanadu’73”. Hier dokumentiere ich das Gespräch für die Leserinnen und Leser meines Blogs.

Günter Sahler: In den 80er Jahren hast Du das Fanzine „Assasin“ gemacht und warst auch in der Berliner Musikszene aktiv. Als damaliger Fanzine- und Kassettenmacher dürftest Du mit Deinen Erfahrungen mit Druckereien und Selbstvertrieb beim heutigen Selfpublishing Vorteile haben. Wie siehst Du das?

Marcus Kluge: Was wir damals mit Fanzines und Kassetten probiert haben, entstand aus dem Bedürfnis sich selbst auszudrücken und eine Art Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Foto-Kopieren, drucken, Kassetten kopieren und alles in West-Berlin zu verteilen, war natürlich viel aufwändiger als heutige Distributionsformen wie das Internet. Über Berlin hinaus lief ja alles über die Post. Da ist das Internet traumhaft im Vergleich. Wichtigste Erfahrung, war: das Selbermachen und somit die Kontrolle zu behalten. Deshalb haben wir uns auch für eine kleine Berliner Druckerei entschieden und gegen eine Internet-Firma, jetzt beim ersten Buch. Vertreiben werde ich das Buch auch wieder selbst, übers Netz und hier in Berlin.

img_20140126_0007 Fanzine “Assasin” 1984

G.S.: Im Herbst 2013 hast mit dem Bloggen von Familiengeschichten angefangen. Wie hat sich das ergeben und wie bist Du dann dazu gekommen mit deinem ersten Roman zu starten?

M.K.: Nachdem ich fast 20 Jahre für die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gearbeitet habe und dort die Fernsehprojekte von Laien produziert hatte, war mir meine Kreativität verloren gegangen. Selbst als ich Rentner wurde, gelang es mir nicht mehr eigene Texte zu schreiben. Es war eine handfeste Schreibblockade und ich beschloss einen Umweg zu gehen. Ich gründete die “Blinden Passagiere”, eine Selbsthilfegruppe, in der ich mit traumatisch belasteten Menschen gearbeitet habe. Ich wollte den Fokus nicht nur auf mich, sondern auch auf andere richten und das hat wohl funktioniert. Ostern 2013 bin in den Keller gegangen und kam mit einer Kiste voller Fotos, Briefe und Dokumente zurück. Ich war fasziniert von den Geschichten, die ich da fand und habe kurz danach angefangen diese aufzuschreiben. Sicher hat auch eine Rolle gespielt, dass ich im Sommer 2013 Opa wurde. Eine Freundin empfahl mir ein Blog zu machen, ab dem 13. September 2013 habe ich auf wordpress “Familienportraits” veröffentlicht. In den ersten sechs Monaten wurde 12 000 mal auf Beiträge zugegriffen, eine Reichweite höher, als die Auflage von acht Assasin-Heften. Besonders die Stücke über West-Berlin kamen gut an, weshalb ich die Rubriken Berlinische Leben und Berlinische Räume eröffnet habe. Die “Leben” berichten hauptsächlich biografisch über Berliner und die “Räume” fokussieren auf Institutionen, Klubs und allgemein die Wohnsituation in der Mauerstadt. Zusätzlich habe ich auch Gastautoren gebeten über diese Themen zu schreiben, um den Blickwinkel zu erweitern. Ich möchte möglichst viel aus diesen Jahren dokumentieren, bevor die Zeitzeugen nicht mehr da sind. Siegfried Cracauer hat mal über den Film gesagt, er könne ein Stück Realität für die Nachwelt retten. So etwas versuche ich mit den Mitteln des Internets, ob es mir gelingt müssen andere entscheiden.

IMG_20150323_0001

Illu aus Blechluft

G.S.: In Geschichte „Die Legende von Xanadu“ geht es um den Heroinsüchtigen Beaky. Handlungszeitraum sind die 70er Jahre. Was wird auf dem Klappentext des Buchs stehen?

M.K.: Was auf dem Klappentext stehen wird, verrate ich noch nicht*, aber ich erzähle worum es geht. In den 70er Jahren starb ein ehemaliger Schulfreund an einer Heroinüberdosis und schon damals wollte ich darüber schreiben und habe recherchiert. Doch ich merkte, mir fehlte einfach das Handwerkszeug, das Leben von Beaky in seiner Komplexität darzustellen, ihm gerecht zu werden. Erst 35 Jahre später, Anfang 2014, schrieb ich einen kleinen Text über ein Pink Floyd Konzert 1970, bei dem Beaky vorkam und mir fiel sein kurzes, heftiges Leben wieder ein. Also beschloss ich, sein Leben in drei oder vier Kapiteln zu erzählen, an einen Roman hätte ich mich nicht herangetraut. Erst nach und nach gab ich Beaky mehr Raum und schließlich hatte ich einen kleinen Roman von ca. 140 Druckseiten fertig, zu meinem eigenen, größten Erstaunen. Ich hatte mir das nicht zugetraut. “Xanadu” ist eine Erinnerung an das West-Berlin der frühen 1970er Jahre, Liebe, Rausch und Rock’n’Roll sind die Themen. Es war mir auch wichtig, eine Art “Gegendarstellung” zu “Wir Kinder von Bahnhof Zoo” zu schreiben, ohne diese spekulative Gossenromantik des Bestsellers, der wahrscheinlich mehr Leute zum Heroin gebracht hat, als davor abgeschreckt. Mein Gegenentwurf ist Beaky, der aus einer bürgerlichen Familie kommt, der gebildet ist, Thomas Mann liest und den trotzdem eine Leere und Verlorenheit zu den Drogen treibt und dessen scheinbar dramatischer Tod in Wirklichkeit ein banaler Unfall ist.

IMG_20150323_0002

Illu aus Blechluft

G.S.: Die Geschichten orientieren sich an der Wirklichkeit und Du schreibst über Dinge aus Deinem Erfahrungsraum. Wie sammelst Du darüber hinaus Material und wie recherchierst Du?

M.K.: Im Wesentlichen hielt ich mich an die goldene Regel und schrieb über das, was ich kenne. Ich habe ein merkwürdig ausuferndes Gedächtnis, besonders an Dinge, die keinen besonderen Nutzen oder Sinn haben, erinnere ich mich perfekt, egal wie lange das Erlebte her ist. Und wen ich mich hinsetze und zu schreiben anfange, setzt das einen zusätzlichen Prozess in Gang und die Erinnerung wird tiefer, komplexer. Mit Ausnahme der Romane schreibe ich Wirklichkeit auf, ohne sie zu verändern. Bis auf die “Erfindung”, die der Prozess der Erinnerung und des Bewusstseins, an sich eben darstellt. Erst mit dem Xanadu-Roman fließt auch fiktives ein, doch das Meiste ist nicht erfunden, ich ordne und verdichte die Dinge nur. In meinem zweiten Roman, “Ein Hügel voller Narren” ist dann auch Neu-Schöpfung eingearbeitet. Das hat sich ganz langsam, organisch entwickelt. Selbst dieses Erfundene scheint mir schon dagewesen zu sein, es fühlt sich an, als ob ich es wiederfinde und aufschreibe, das ist ziemlich merkwürdig, es hat sich ergeben, ohne das ich es forciert habe. Ich muss da an einen Begriff aus der Filmsatire “Brazil” denken, da heißt der Geheimdienst “Information Wiederbeschaffung”. So bezeichne ich den Prozess scherzhaft bei mir selbst.
Neben der Erinnerung benutze ich meine reichhaltige Bibliothek und das Internet zum recherchieren. Im Internet finde ich nicht nur Fakten, sondern auch Zeitzeugen, die ich befragen kann. Das tue ich dann in der Regel per Mail oder Telefon.

12687780_10200986269695111_595421101207345024_n 2014, Foto: Geoff Pugh, Daily Telegraph

G.S.: Du hast derzeit einen guten Output, fast täglich erscheinen neue Texte auf Deine Webseite marcuskluge.wordpress.com. Wie kann ich mir Deinen Arbeitsalltag als Blogger mit WordPress, Facebook und Twitter vorstellen?

M.K.: Ich versuche einmal in der Woche einen neuen, längeren Text zu veröffentlichen. Reblogs, Bilderstrecken und Gastautoren ergänzen den Output. Wenn ich das Blog nicht bespiele, nimmt das Interesse ab, dann habe ich nur noch 40-50 Aufrufe statt 100 bis 200 täglich. Wahrscheinlich fließt es bei mir auch deshalb i.M. so gut, weil ich solange einen Schreibblock hatte und in jener Zeit sind Dinge gereift.
Eine Trennung von Privatleben und Arbeit gibt es nicht mehr. Ich schreibe morgens 500 Wörter in zwei Stunden etwa, alles andere, wie recherchieren, promoten, Kontakte pflegen, empfinde ich nicht als Arbeit. Aus gesundheitlichen Gründen muss ich aufpassen, mich nicht zu überlasten. Ich mache eine Siesta mittags und oft noch eine zweite am frühen Abend. Weil die Arbeit Spaß macht, überlaste ich mich manchmal, dann muss ich Auszeiten nehmen. Ich gehe selten weg, weil mich das ziemlich anstrengt und die Technik ermöglicht, dass ich fast alles von daheim machen kann. Ich empfinde diese Möglichkeiten als Segen. Auf der anderen Seite sind mir die Gefahren durch staatliche Dienste wie die NSA, oder private wie Google, sehr bewusst. Ich fürchte die beschworene Dystopie hat bereits begonnen und wird noch sehr böse Folgen haben. Aber auf Google und Facebook zu verzichten ist unrealistisch. Ein “Grundwiderspruch” hätten die 68er gesagt. 😉

G.S.: Rainer Jacob, der auch schon das „Assasin“ gestaltet hat und dort auch Comics gezeichnet hat, zeichnet nun wieder für deine Romane „Die Legende von Xanadu“ und “Ein Hügel voller Narren” Illustrationen. Wie kann man sich die inhaltliche und technische Zusammenarbeit zwischen Dir als Autor und Webmaster und Rainer Jacob als Zeichner vorstellen? Hättest Du auch ohne die Rainer Jacob an Illustrationen zu den Geschichten gedacht?

12654215_10153561472262982_3892196464954072360_nIllu: Rainer Jacob

M.K.: Rainer und ich sind seit über 40 Jahren Freunde. Obwohl, oder vielleicht auch, weil wir oft unterschiedliche Meinungen haben, respektieren wir den Anderen. Das gilt besonders für das Handwerk des Anderen, er redet mir nicht herein und ich ihm auch nicht. Natürlich gebe ich ihm Themen vor, oder sage z.B., die Figur Ghobadi stelle ich mir optisch so ähnlich vor wie Moshe Dayan. Mehr ist es nicht, welche Szene und welche anderen Figuren und Attribute er zeichnet, entscheidet er selber. Wir haben da eine fast schon intuitive Ebene des Verstehens. Manchmal zeichnet er Dinge, die im Text gar nicht vorkommen und ich greife das auf und schreibe es, oder stelle fest, dass die Sache später eine Rolle spielen wird.
Schon bevor wir, im Frühjahr 2014, unsere alte Zusammenarbeit wieder aufgenommen haben, habe ich meine Texte mit Originalfotos, Briefen, Dokumenten und anderem illustriert. Ich verfüge über ein Archiv von etwa 2000 Fotos, an denen ich die Rechte habe. Eigene, Familienfotos und Fotos, die ich in Auftrag gegeben habe aus der Assasin-Zeit. Nur zeichnen kann ich nicht. Ich hätte ohne Rainer die Romane mit Oldschool-Kollagen illustriert, hergestellt wie zu Fanzine-Zeiten, mit Cutter und Fixogum. Gibts eigentlich noch Fixogum?
Ich habe eine Lust an illustrativen Bildern, die einen in Stimmung versetzen, ohne die eigene Fantasie zu zerstören. An meinem neunten Geburtstag bekam ich “Bambi” von Felix Salten in einer wunderschönen Ausgabe geschenkt, Leinen, Fadenheftung usw. Sie hatte nur einen Fehler, sie enthielt keine Bilder. Bambi ohne Bilder? Ich habe nie Felix Salten gelesen.
Ich sehe meine Romane auch als unterhaltsame Fortsetzungsgeschichten, vielleicht eine Art Edel-Pulp, da gehört die Illustration einfach dazu.

G.S.: Du planst jetzt den Roman „Die Legende von Xanadu“ nicht nur über das Internet zu veröffentlichen, sondern auch als gedrucktes Buch. Finanzieren willst du über Crowdfunding. Wie wird das ablaufen? Wie wirst du dafür Werbung machen?

M.K.: Im Frühjahr werden wir in die Bewerbungsphase gehen, da muss man mindestens 25 Fans nachweisen, das wird kein Problem. Dann loben wir Präsente aus für alle, die uns unterstützen. Z.B. jemand der 12 Euro dazugibt bekommt ein signiertes Buch, für 20 ein schönes T-Shirt, oder auch ein Button für drei Euro. Alles natürlich im Stil der 1970er Jahre. Besonders freue ich mich auf ein “Fan-Heft”, das werden wir als Reminiszenz an das alte Assasin gestalten. In der Finanzierungsphase muss man halt viel in den sozialen Netzwerken aktiv werden und Multiplikatoren um Unterstützung bitten. Wenn das Geld zusammenkommt, wird gedruckt, die anderen Dankeschöns werden hergestellt und anschließend an die Unterstützer versandt. Den Rest der Auflage haben wir zu unserer Verfügung und können unsere Arbeit damit ein wenig bezahlt bekommen. Viele Bücher will ich auch zur Promotion verschenken. Dann könnten wir das darauf folgende Buch, also den “Narrenhügel” schon in einer größeren Auflage drucken. Mal sehen, wie’s läuft. Ich spekuliere nicht gern.

11009871_983143975063930_7128229095041179162_n Buch und Fanheft

G.S.: Um ein Buch im Eigenverlag zu veröffentlichen, hat man heute zahlreiche Möglichkeiten. Seit einigen Jahren propagieren Books-on-demand-Firmen das Publizieren für jedermann. Man schickt seine Daten per Internet an diese Firmen und je nach Wunsch muss man die gedruckten Bücher selber verkaufen oder die Firma kümmert sich vollständig darum. Andererseits gibt es immer noch genügend klassische Druckereien, die die Buchherstellung übernehmen. Welche Erfahrungen hast du in dem Bereich in der letzten Zeit gemacht?

M.K.: Ich habe den Eindruck, die Net-Druckereien sind teuer, so als ob die ein Kartell bilden. Außerdem habe ich keine Kontrolle bei der Produktion, das ist mir zu anonym. Deshalb drucken wir in Berlin in einer kleinen Druckerei. Ich hätte gern ein Hardcover mit Fadenheftung gehabt, musst aber einsehen, dass das Buch damit sehr teuer geworden wäre. Inzwischen denke ich auch seriell, eine Reihe von bezahlbaren Taschenbüchern, könnte ich mir vorstellen. “Xanadu” ist ja Teil einer Trilogie, der zweite Band ist fast fertig und die Familienportraits sollten ja auch mal gedruckt werden.
Es war auch klar, das erste Buch im Selbstverlag herauszubringen. Als Anfänger hätte ich sonst Kompromisse eingehen müssen und möglicherweise nicht die Rechte behalten. Ich habe ja den Vorteil, durch eine kleine Rente unabhängig zu sein. Ich muss vom Schreiben nicht leben. Trotzdem würde ich nicht als Schreiber für die Huff oder andere Medien kostenlos arbeiten. Grundsätzlich ist Schreiben ein Beruf, der auch bezahlt werden muss.

11295933_10153054905407982_2900396548150652592_n Lesung im Pinguin-Club

G.S.: Ohne die Unterstützung eines Verlages, willst Du nicht nur das Buch vertreiben, sondern auch Lesungen durchführen. Wie viel Spaß hast Du am „[fast] alles selber machen“?

M.K.: Es gibt wenig, das mir keinen Spaß macht. Kalkulationen sind nicht so meins und ich bin kein großer Kontakter. Ich muss akzeptieren, dass ich nur langsam vorankomme, das ist manchmal lästig, aber die Gesundheit geht vor. Auf die Lesungen freue ich mich schon, damals als ich noch vor der Kamera stand, hat mir das Auftreten immer Freude gemacht. Das ist das Schauspielerblut meines Vaters nehme ich an. Deshalb drehe ich jetzt auch Video-Lesungen und stelle die auf youtube. Ich selbst lese lieber Bücher, aber viele Menschen mögen sich auch gern was vorlesen lassen.
Weil ich viel allein mache, versuche ich immer wieder mit Freunden und Lesern im Gespräch zu bleiben und mir auch Kritik anzuhören. Letztlich tut man was man für richtig hält, aber man sollte vermeiden abzuheben oder sich im Wolkenkuckucksheim zu isolieren.

2015 erschien die Printausgabe von “Xanadu ’73 – Liebe, Rausch und Rock’n’Roll in West-Berlin”, in der Edition Assassin. Das Buch hat 148 Seiten und enthält 13 Illustrationen von Rainer Jacob. Jedem Kapitel steht ein klassischer Rocksong als musikalisches Motto zur Seite. Xanadu beschreibt eine Subkultur, die sich Anfang der 70er Jahre in den Kudammnebenstraßen gebildet hatte. Bevor dieses Stück Mauerstadtgeschichte gänzlich in Vergessenheit gerät, haben wir mit einem schönen, illustrierten Buch daran erinnert.

  • Das Buch kostet 13 Euro (inkl. Versand) und kann hier bestellt werden: marcusklugeberlin@yahoo.deEbenfalls bestellbar ist ein “Xanadu-Fanheft”, dass an die Assasin-Fanzines anknüpft, die ich Anfang der 80er Jahre mit Freunden herausgegeben habe.  Das neue, von Rainer Jacob gestaltete Heft, vereinigt Texte, Fotos und Materialien, die das Umfeld des Xanadu-Romans beleuchten und von Kindheit und Jugend in der Mauerstadt der 60er Jahre erzählen. Außerdem enthält es Geschichten wie “A Saucerful of Löschpapier”, “Halber Mensch” und “Bela Rattay’s Dead”. Es ist im DIN A4 Format erschienen, hat 28 Seiten und ist vom Autor signiert. Den Spaß kann man für 6.20€, inkl. Porto bestellen.

*Das steht auf dem Buchrücken:

  • Das kurze und heftige Leben des West-Berliners Beaky, der zehn ist als die Mauer gebaut wird und achtzehn, als er seinen ersten Trip nimmt. Er hat einen Plan, wird er funktionieren? Auf jeden Fall hat er zwei Helfer, die schöne Ungarin Susanna und den Dealer mit der Arzttasche, den alle nur den „Doktor“ nennen. Auch Professor Philippus, der Star-Therapeuten der 68er Generation wird zu seinem Unterstützer. Das Leben hat ihn aus der Bahn geworfen, doch nun steht er wieder auf und kämpft um eine bessere Zukunft. Er versucht von den Drogen loszukommen, er arbeitet beim Galeristen Puvogel, um etwas aus sich zu machen und er verliebt sich. Doch die Liebe hält nicht lange, als seine Geliebte ihn beim Heroin schnupfen erwischt, beendet sie die Beziehung. Als er auch noch Opfer der perversen Lüste seines Chefs wird, schmiedet er einen Plan, um sich an Puvogel zu rächen, seine Geliebte zurückzugewinnen und sich seinen Lebenstraum zu erfüllen. Doch dann passiert ein Unglücksfall, der wie ein Verbrechen aussieht und Beaky gerät ins Visier der Kriminalpolizei… –

Günters Website:

Das Interview und die Illus aus dem Buch erscheinen mit freundlicher Genehmigung von Günter Sahler.

Foto: Marcus Kluge mit Blechkanister, ca. 1970 (©M.K.)

Edit

Kluge-Interview

“Information Wiederbeschaffung” / Interview mit Marcus Kluge / aus “Achte Reise zur Blechluft”

IMG_20130717_0001

Anfang 2015 bat mich Günter Sahler um ein Interview. Für “Achte Reise zur Blechluft” befragte er mich zu meinem Blog und der Entstehung meines ersten Romans. Das schön illustrierte Buch erschien kürzlich, nun dokumentiere ich das Gespräch für die Leserinnen und Leser meines Blogs.

Neben Interviews von Autoren, Musikern, Graphic Novel-Machern und Fotografen führt eine fiktive Rahmenhandlung in die Geschichten der portraitierten Künstler. Sahlers Protagonist Gierlich reist in einer Art Punk Fantasy in die realen oder erfundenen Welten seiner Interview-Partner. Beispielsweise fährt Gierlich mit einem beigefarbenen Citroen DS direkt in die Handlung meines Xanadu-Romans. Er besucht die Galerie Puvogel in der Schlüterstraße des Jahres 1973, lernt meinen Helden Beaky kennen und versucht die im Roman wichtige Watteau-Kopie zu kaufen. Offenbar hat er ein Geheimnis über das Gemälde erfahren, dass noch nicht einmal ich, der das Bild erfunden hat, kennt. Er lässt erst von seinem Vorhaben ab, als er begreift, dass der Watteau noch für meinen Roman gebraucht wird.

Das Interview:

Günter Sahler: In den 80er Jahren hast Du das Fanzine „Assasin“ gemacht und warst auch in der Berliner Musikszene aktiv. Als damaliger Fanzine- und Kassettenmacher dürftest Du mit Deinen Erfahrungen mit Druckereien und Selbstvertrieb beim heutigen Selfpublishing Vorteile haben. Wie siehst Du das?

Marcus Kluge: Was wir damals mit Fanzines und Kassetten probiert haben, entstand aus dem Bedürfnis sich selbst auszudrücken und eine Art Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Foto-Kopieren, drucken, Kassetten kopieren und alles in West-Berlin zu verteilen, war natürlich viel aufwändiger als heutige Distributionsformen wie das Internet. Über Berlin hinaus lief ja alles über die Post. Da ist das Internet traumhaft im Vergleich. Wichtigste Erfahrung, war: das Selbermachen und somit die Kontrolle zu behalten. Deshalb haben wir uns auch für eine kleine Berliner Druckerei entschieden und gegen eine Internet-Firma, jetzt beim ersten Buch. Vertreiben werde ich das Buch auch wieder selbst, übers Netz und hier in Berlin.

G.S.: Im Herbst 2013 hast mit dem Bloggen von Familiengeschichten angefangen. Wie hat sich das ergeben und wie bist Du dann dazu gekommen mit deinem ersten Roman zu starten?

M.K.: Nachdem ich fast 20 Jahre für die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gearbeitet habe und dort die Fernsehprojekte von Laien produziert hatte, war mir meine Kreativität verloren gegangen. Selbst als ich Rentner wurde, gelang es mir nicht mehr eigene Texte zu schreiben. Es war eine handfeste Schreibblockade und ich beschloss einen Umweg zu gehen. Ich gründete die “Blinden Passagiere”, eine Selbsthilfegruppe, in der ich mit traumatisch belasteten Menschen gearbeitet habe. Ich wollte den Fokus nicht nur auf mich, sondern auch auf andere richten und das hat wohl funktioniert. Ostern 2013 bin in den Keller gegangen und kam mit einer Kiste voller Fotos, Briefe und Dokumente zurück. Ich war fasziniert von den Geschichten, die ich da fand und habe kurz danach angefangen diese aufzuschreiben. Sicher hat auch eine Rolle gespielt, dass ich im Sommer 2013 Opa wurde. Eine Freundin empfahl mir ein Blog zu machen, ab dem 13. September 2013 habe ich auf wordpress “Familienportraits” veröffentlicht. In den ersten sechs Monaten wurde 12 000 mal auf Beiträge zugegriffen, eine Reichweite höher, als die Auflage von acht Assasin-Heften. Besonders die Stücke über West-Berlin kamen gut an, weshalb ich die Rubriken Berlinische Leben und Berlinische Räume eröffnet habe. Die “Leben” berichten hauptsächlich biografisch über Berliner und die “Räume” fokussieren auf Institutionen, Klubs und allgemein die Wohnsituation in der Mauerstadt. Zusätzlich habe ich auch Gastautoren gebeten über diese Themen zu schreiben, um den Blickwinkel zu erweitern. Ich möchte möglichst viel aus diesen Jahren dokumentieren, bevor die Zeitzeugen nicht mehr da sind. Siegfried Cracauer hat mal über den Film gesagt, er könne ein Stück Realität für die Nachwelt retten. Soetwas versuche ich mit den Mitteln des Internets, ob es mir gelingt müssen andere entscheiden.

IMG_20150323_0001

G.S.: In Geschichte „Die Legende von Xanadu“ geht es um den Heroinsüchtigen Beaky. Handlungszeitraum sind die 70er Jahre. Was wird auf dem Klappentext des Buchs stehen?

M.K.: Was auf dem Klappentext stehen wird, verrate ich noch nicht, aber ich erzähle worum es geht. In den 70er Jahren starb ein ehemaliger Schulfreund an einer Heroinüberdosis und schon damals wollte ich darüber schreiben und habe recherchiert. Doch ich merkte, mir fehlte einfach das Handwerkszeug, das Leben von Beaky in seiner Komplexität darzustellen, ihm gerecht zu werden. Erst 35 Jahre später, Anfang 2014, schrieb ich einen kleinen Text über ein Pink Floyd Konzert 1970, bei dem Beaky vorkam und mir fiel sein kurzes, heftiges Leben wieder ein. Also beschloss ich, sein Leben in drei oder vier Kapiteln zu erzählen, an einen Roman hätte ich mich nicht herangetraut. Erst nach und nach gab ich Beaky mehr Raum und schließlich hatte ich einen kleinen Roman von ca. 140 Druckseiten fertig, zu meinem eigenen, größten Erstaunen. Ich hatte mir das nicht zugetraut. “Xanadu” ist eine Erinnerung an das West-Berlin der frühen 1970er Jahre, Liebe, Rausch und Rock’n’Roll sind die Themen. Es war mir auch wichtig, eine Art “Gegendarstellung” zu “Wir Kinder von Bahnhof Zoo” zu schreiben, ohne diese spekulative Gossenromantik des Bestsellers, der wahrscheinlich mehr Leute zum Heroin gebracht hat, als davor abgeschreckt. Mein Gegenentwurf ist Beaky, der aus einer bürgerlichen Familie kommt, der gebildet ist, Thomas Mann liest und den trotzdem eine Leere und Verlorenheit zu den Drogen treibt und dessen scheinbar dramatischer Tod in Wirklichkeit ein banaler Unfall ist.

IMG_20150323_0002

G.S.: Die Geschichten orientieren sich an der Wirklichkeit und Du schreibst über Dinge aus Deinem Erfahrungsraum. Wie sammelst Du darüber hinaus Material und wie recherchierst Du?

M.K.: Im Wesentlichen hielt ich mich an die goldene Regel und schrieb über das, was ich kenne. Ich habe ein merkwürdig ausuferndes Gedächtnis, besonders an Dinge, die keinen besonderen Nutzen oder Sinn haben, erinnere ich mich perfekt, egal wie lange das Erlebte her ist. Und wen ich mich hinsetze und zu schreiben anfange, setzt das einen zusätzlichen Prozess in Gang und die Erinnerung wird tiefer, komplexer. Mit Ausnahme der Romane schreibe ich Wirklichkeit auf, ohne sie zu verändern. Bis auf die “Erfindung”, die der Prozess der Erinnerung und des Bewusstseins, an sich eben darstellt. Erst mit dem Xanadu-Roman fließt auch fiktives ein, doch das Meiste ist nicht erfunden, ich ordne und verdichte die Dinge nur. In meinem zweiten Roman, “Ein Hügel voller Narren” ist dann auch Neu-Schöpfung eingearbeitet. Das hat sich ganz langsam, organisch entwickelt. Selbst dieses Erfundene scheint mir schon dagewesen zu sein, es fühlt sich an, als ob ich es wiederfinde und aufschreibe, das ist ziemlich merkwürdig, es hat sich ergeben, ohne das ich es forciert habe. Ich muss da an einen Begriff aus der Filmsatire “Brazil” denken, da heißt der Geheimdienst “Information Wiederbeschaffung”. So bezeichne ich den Prozess scherzhaft bei mir selbst.
Neben der Erinnerung benutze ich meine reichhaltige Bibliothek und das Internet zum recherchieren. Im Internet finde ich nicht nur Fakten, sondern auch Zeitzeugen, die ich befragen kann. Das tue ich dann in der Regel per Mail oder Telefon.

G.S.: Du hast derzeit einen guten Output, fast täglich erscheinen neue Texte auf Deine Webseite marcuskluge.wordpress.com. Wie kann ich mir Deinen Arbeitsalltag als Blogger mit WordPress, Facebook und Twitter vorstellen?

M.K.: Ich versuche einmal in der Woche einen neuen, längeren Text zu veröffentlichen. Reblogs, Bilderstrecken und Gastautoren ergänzen den Output. Wenn ich das Blog nicht bespiele, nimmt das Interesse ab, dann habe ich nur noch 40-50 Aufrufe statt 100 bis 200 täglich. Wahrscheinlich fließt es bei mir auch deshalb i.M. so gut, weil ich solange einen Schreibblock hatte und in jener Zeit sind Dinge gereift.
Eine Trennung von Privatleben und Arbeit gibt es nicht mehr. Ich schreibe morgens 500 Wörter in zwei Stunden etwa, alles andere, wie recherchieren, promoten, Kontakte pflegen, empfinde ich nicht als Arbeit. Aus gesundheitlichen Gründen muss ich aufpassen, mich nicht zu überlasten. Ich mache eine Siesta mittags und oft noch eine zweite am frühen Abend. Weil die Arbeit Spaß macht, überlaste ich mich manchmal, dann muss ich Auszeiten nehmen. Ich gehe selten weg, weil mich das ziemlich anstrengt und die Technik ermöglicht, dass ich fast alles von daheim machen kann. Ich empfinde diese Möglichkeiten als Segen. Auf der anderen Seite sind mir die Gefahren durch staatliche Dienste wie die NSA, oder private wie Google, sehr bewusst. Ich fürchte die beschworene Dystopie hat bereits begonnen und wird noch sehr böse Folgen haben. Aber auf Google und Facebook zu verzichten ist unrealistisch. Ein “Grundwiderspruch” hätten die 68er gesagt. 😉

G.S.: Rainer Jacob, der auch schon das „Assasin“ gestaltet hat und dort auch Comics gezeichnet hat, zeichnet nun wieder für deine Romane „Die Legende von Xanadu“ und “Ein Hügel voller Narren” Illustrationen. Wie kann man sich die inhaltliche und technische Zusammenarbeit zwischen Dir als Autor und Webmaster und Rainer Jacob als Zeichner vorstellen? Hättest Du auch ohne die Rainer Jacob an Illustrationen zu den Geschichten gedacht?

M.K.: Rainer und ich sind seit über 40 Jahren Freunde. Obwohl, oder vielleicht auch, weil wir oft unterschiedliche Meinungen haben, respektieren wir den Anderen. Das gilt besonders für das Handwerk des Anderen, er redet mir nicht herein und ich ihm auch nicht. Natürlich gebe ich ihm Themen vor, oder sage z.B., die Figur Ghobadi stelle ich mir optisch so ähnlich vor wie Moshe Dayan. Mehr ist es nicht, welche Szene und welche anderen Figuren und Attribute er zeichnet, entscheidet er selber. Wir haben da eine fast schon intuitive Ebene des Verstehens. Manchmal zeichnet er Dinge, die im Text gar nicht vorkommen und ich greife das auf und schreibe es, oder stelle fest, dass die Sache später eine Rolle spielen wird.
Schon bevor wir, im Frühjahr 2014, unsere alte Zusammenarbeit wieder aufgenommen haben, habe ich meine Texte mit Originalfotos, Briefen, Dokumenten und anderem illustriert. Ich verfüge über ein Archiv von etwa 2000 Fotos, an denen ich die Rechte habe. Eigene, Familienfotos und Fotos, die ich in Auftrag gegeben habe aus der Assasin-Zeit. Nur zeichnen kann ich nicht. Ich hätte ohne Rainer die Romane mit Oldschool-Kollagen illustriert, hergestellt wie zu Fanzine-Zeiten, mit Cutter und Fixogum. Gibts eigentlich noch Fixogum?
Ich habe eine Lust an illustrativen Bildern, die einen in Stimmung versetzen, ohne die eigene Fantasie zu zerstören. An meinem neunten Geburtstag bekam ich “Bambi” von Felix Salten in einer wunderschönen Ausgabe geschenkt, Leinen, Fadenheftung usw. Sie hatte nur einen Fehler, sie enthielt keine Bilder. Bambi ohne Bilder? Ich habe nie Felix Salten gelesen.
Ich sehe meine Romane auch als unterhaltsame Fortsetzungsgeschichten, vielleicht eine Art Edel-Pulp, da gehört die Illustration einfach dazu.

G.S.: Du planst jetzt den Roman „Die Legende von Xanadu“ nicht nur über das Internet zu veröffentlichen, sondern auch als gedrucktes Buch. Finanzieren willst du über Crowdfunding. Wie wird das ablaufen? Wie wirst du dafür Werbung machen?

M.K.: Im Frühjahr werden wir in die Bewerbungsphase gehen, da muss man mindestens 25 Fans nachweisen, das wird kein Problem. Dann loben wir Präsente aus für alle, die uns unterstützen. Z.B. jemand der 12 Euro dazugibt bekommt ein signiertes Buch, für 20 ein schönes T-Shirt, oder auch ein Button für drei Euro. Alles natürlich im Stil der 1970er Jahre. Besonders freue ich mich auf ein “Fan-Heft”, das werden wir als Reminiszenz an das alte Assasin gestalten. In der Finanzierungsphase muss man halt viel in den sozialen Netzwerken aktiv werden und Multiplikatoren um Unterstützung bitten. Wenn das Geld zusammenkommt, wird gedruckt, die anderen Dankeschöns werden hergestellt und anschließend an die Unterstützer versandt. Den Rest der Auflage haben wir zu unserer Verfügung und können unsere Arbeit damit ein wenig bezahlt bekommen. Viele Bücher will ich auch zur Promotion verschenken. Dann könnten wir das darauf folgende Buch, also den “Narrenhügel” schon in einer größeren Auflage drucken. Mal sehen, wie’s läuft. Ich spekuliere nicht gern.

G.S.: Um ein Buch im Eigenverlag zu veröffentlichen, hat man heute zahlreiche Möglichkeiten. Seit einigen Jahren propagieren Books-on-demand-Firmen das Publizieren für jedermann. Man schickt seine Daten per Internet an diese Firmen und je nach Wunsch muss man die gedruckten Bücher selber verkaufen oder die Firma kümmert sich vollständig darum. Andererseits gibt es immer noch genügend klassische Druckereien, die die Buchherstellung übernehmen. Welche Erfahrungen hast du in dem Bereich in der letzten Zeit gemacht?

M.K.: Ich habe den Eindruck, die Net-Druckereien sind teuer, so als ob die ein Kartell bilden. Außerdem habe ich keine Kontrolle bei der Produktion, das ist mir zu anonym. Deshalb drucken wir in Berlin in einer kleinen Druckerei. Ich hätte gern ein Hardcover mit Fadenheftung gehabt, musst aber einsehen, dass das Buch damit sehr teuer geworden wäre. Inzwischen denke ich auch seriell, eine Reihe von bezahlbaren Taschenbüchern, könnte ich mir vorstellen. “Xanadu” ist ja Teil einer Trilogie, der zweite Band ist fast fertig und die Familienportraits sollten ja auch mal gedruckt werden.
Es war auch klar, das erste Buch im Selbstverlag herauszubringen. Als Anfänger hätte ich sonst Kompromisse eingehen müssen und möglicherweise nicht die Rechte behalten. Ich habe ja den Vorteil, durch eine kleine Rente unabhängig zu sein. Ich muss vom Schreiben nicht leben. Trotzdem würde ich nicht als Schreiber für die Huff oder andere Medien kostenlos arbeiten. Grundsätzlich ist Schreiben ein Beruf, der auch bezahlt werden muss.

G.S.: Ohne die Unterstützung eines Verlages, willst Du nicht nur das Buch vertreiben, sondern auch Lesungen durchführen. Wie viel Spaß hast Du am „[fast] alles selber machen“?

M.K.: Es gibt wenig, das mir keinen Spaß macht. Kalkulationen sind nicht so meins und ich bin kein großer Kontakter. Ich muss akzeptieren, dass ich nur langsam vorankomme, das ist manchmal lästig, aber die Gesundheit geht vor. Auf die Lesungen freue ich mich schon, damals als ich noch vor der Kamera stand, hat mir das Auftreten immer Freude gemacht. Das ist das Schauspielerblut meines Vaters nehme ich an. Deshalb drehe ich jetzt auch Video-Lesungen und stelle die auf youtube. Ich selbst lese lieber Bücher, aber viele Menschen mögen sich auch gern was vorlesen lassen.
Weil ich viel allein mache, versuche ich immer wieder mit Freunden und Lesern im Gespräch zu bleiben und mir auch Kritik anzuhören. Letztlich tut man was man für richtig hält, aber man sollte vermeiden abzuheben oder sich im Wolkenkuckucksheim zu isolieren.


Günters Website:
http://www.guentersahler.de/

Das Interview und die Illus aus dem Buch erscheinen mit freundlicher Genehmigung von Günter Sahler.

Foto: Marcus Kluge mit Blechkanister, ca. 1970 (©M.K.)

Editorial – “Information Wiederbeschaffung” / Interview mit Marcus Kluge / aus “Achte Reise zur Blechluft”

IMG_20130717_0001

Anfang dieses Jahres bat mich Günter Sahler um ein Interview. Für “Achte Reise zur Blechluft” befragte er mich zu meinem Blog und der Entstehung meines ersten Romans. Das schön illustrierte Buch erschien kürzlich, nun dokumentiere ich das Gespräch für die Leserinnen und Leser meines Blogs.

Neben Interviews von Autoren, Musikern, Graphic Novel-Machern und Fotografen führt eine fiktive Rahmenhandlung in die Geschichten der portraitierten Künstler. Sahlers Protagonist Gierlich reist in einer Art Punk Fantasy in die realen oder erfundenen Welten seiner Interview-Partner. Beispielsweise fährt Gierlich mit einem beigefarbenen Citroen DS direkt in die Handlung meines Xanadu-Romans. Er besucht die Galerie Puvogel in der Schlüterstraße des Jahres 1973, lernt meinen Helden Beaky kennen und versucht die im Roman wichtige Watteau-Kopie zu kaufen. Offenbar hat er ein Geheimnis über das Gemälde erfahren, dass noch nicht einmal ich, der das Bild erfunden hat, kennt. Er lässt erst von seinem Vorhaben ab, als er begreift, dass der Watteau noch für meinen Roman gebraucht wird.

IMG_20150327_0002

Das Interview:

Günter Sahler: In den 80er Jahren hast Du das Fanzine „Assasin“ gemacht und warst auch in der Berliner Musikszene aktiv. Als damaliger Fanzine- und Kassettenmacher dürftest Du mit Deinen Erfahrungen mit Druckereien und Selbstvertrieb beim heutigen Selfpublishing Vorteile haben. Wie siehst Du das?

Marcus Kluge: Was wir damals mit Fanzines und Kassetten probiert haben, entstand aus dem Bedürfnis sich selbst auszudrücken und eine Art Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Foto-Kopieren, drucken, Kassetten kopieren und alles in West-Berlin zu verteilen, war natürlich viel aufwändiger als heutige Distributionsformen wie das Internet. Über Berlin hinaus lief ja alles über die Post. Da ist das Internet traumhaft im Vergleich. Wichtigste Erfahrung, war: das Selbermachen und somit die Kontrolle zu behalten. Deshalb haben wir uns auch für eine kleine Berliner Druckerei entschieden und gegen eine Internet-Firma, jetzt beim ersten Buch. Vertreiben werde ich das Buch auch wieder selbst, übers Netz und hier in Berlin.

G.S.: Im Herbst 2013 hast mit dem Bloggen von Familiengeschichten angefangen. Wie hat sich das ergeben und wie bist Du dann dazu gekommen mit deinem ersten Roman zu starten?

M.K.: Nachdem ich fast 20 Jahre für die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gearbeitet habe und dort die Fernsehprojekte von Laien produziert hatte, war mir meine Kreativität verloren gegangen. Selbst als ich Rentner wurde, gelang es mir nicht mehr eigene Texte zu schreiben. Es war eine handfeste Schreibblockade und ich beschloss einen Umweg zu gehen. Ich gründete die “Blinden Passagiere”, eine Selbsthilfegruppe, in der ich mit traumatisch belasteten Menschen gearbeitet habe. Ich wollte den Fokus nicht nur auf mich, sondern auch auf andere richten und das hat wohl funktioniert. Ostern 2013 bin in den Keller gegangen und kam mit einer Kiste voller Fotos, Briefe und Dokumente zurück. Ich war fasziniert von den Geschichten, die ich da fand und habe kurz danach angefangen diese aufzuschreiben. Sicher hat auch eine Rolle gespielt, dass ich im Sommer 2013 Opa wurde. Eine Freundin empfahl mir ein Blog zu machen, ab dem 13. September 2013 habe ich auf wordpress “Familienportraits” veröffentlicht. In den ersten sechs Monaten wurde 12 000 mal auf Beiträge zugegriffen, eine Reichweite höher, als die Auflage von acht Assasin-Heften. Besonders die Stücke über West-Berlin kamen gut an, weshalb ich die Rubriken Berlinische Leben und Berlinische Räume eröffnet habe. Die “Leben” berichten hauptsächlich biografisch über Berliner und die “Räume” fokussieren auf Institutionen, Klubs und allgemein die Wohnsituation in der Mauerstadt. Zusätzlich habe ich auch Gastautoren gebeten über diese Themen zu schreiben, um den Blickwinkel zu erweitern. Ich möchte möglichst viel aus diesen Jahren dokumentieren, bevor die Zeitzeugen nicht mehr da sind. Siegfried Cracauer hat mal über den Film gesagt, er könne ein Stück Realität für die Nachwelt retten. Soetwas versuche ich mit den Mitteln des Internets, ob es mir gelingt müssen andere entscheiden.

IMG_20150323_0001

G.S.: In Geschichte „Die Legende von Xanadu“ geht es um den Heroinsüchtigen Beaky. Handlungszeitraum sind die 70er Jahre. Was wird auf dem Klappentext des Buchs stehen?

M.K.: Was auf dem Klappentext stehen wird, verrate ich noch nicht, aber ich erzähle worum es geht. In den 70er Jahren starb ein ehemaliger Schulfreund an einer Heroinüberdosis und schon damals wollte ich darüber schreiben und habe recherchiert. Doch ich merkte, mir fehlte einfach das Handwerkszeug, das Leben von Beaky in seiner Komplexität darzustellen, ihm gerecht zu werden. Erst 35 Jahre später, Anfang 2014, schrieb ich einen kleinen Text über ein Pink Floyd Konzert 1970, bei dem Beaky vorkam und mir fiel sein kurzes, heftiges Leben wieder ein. Also beschloss ich, sein Leben in drei oder vier Kapiteln zu erzählen, an einen Roman hätte ich mich nicht herangetraut. Erst nach und nach gab ich Beaky mehr Raum und schließlich hatte ich einen kleinen Roman von ca. 140 Druckseiten fertig, zu meinem eigenen, größten Erstaunen. Ich hatte mir das nicht zugetraut. “Xanadu” ist eine Erinnerung an das West-Berlin der frühen 1970er Jahre, Liebe, Rausch und Rock’n’Roll sind die Themen. Es war mir auch wichtig, eine Art “Gegendarstellung” zu “Wir Kinder von Bahnhof Zoo” zu schreiben, ohne diese spekulative Gossenromantik des Bestsellers, der wahrscheinlich mehr Leute zum Heroin gebracht hat, als davor abgeschreckt. Mein Gegenentwurf ist Beaky, der aus einer bürgerlichen Familie kommt, der gebildet ist, Thomas Mann liest und den trotzdem eine Leere und Verlorenheit zu den Drogen treibt und dessen scheinbar dramatischer Tod in Wirklichkeit ein banaler Unfall ist.

IMG_20150323_0002

G.S.: Die Geschichten orientieren sich an der Wirklichkeit und Du schreibst über Dinge aus Deinem Erfahrungsraum. Wie sammelst Du darüber hinaus Material und wie recherchierst Du?

M.K.: Im Wesentlichen hielt ich mich an die goldene Regel und schrieb über das, was ich kenne. Ich habe ein merkwürdig ausuferndes Gedächtnis, besonders an Dinge, die keinen besonderen Nutzen oder Sinn haben, erinnere ich mich perfekt, egal wie lange das Erlebte her ist. Und wen ich mich hinsetze und zu schreiben anfange, setzt das einen zusätzlichen Prozess in Gang und die Erinnerung wird tiefer, komplexer. Mit Ausnahme der Romane schreibe ich Wirklichkeit auf, ohne sie zu verändern. Bis auf die “Erfindung”, die der Prozess der Erinnerung und des Bewusstseins, an sich eben darstellt. Erst mit dem Xanadu-Roman fließt auch fiktives ein, doch das Meiste ist nicht erfunden, ich ordne und verdichte die Dinge nur. In meinem zweiten Roman, “Ein Hügel voller Narren” ist dann auch Neu-Schöpfung eingearbeitet. Das hat sich ganz langsam, organisch entwickelt. Selbst dieses Erfundene scheint mir schon dagewesen zu sein, es fühlt sich an, als ob ich es wiederfinde und aufschreibe, das ist ziemlich merkwürdig, es hat sich ergeben, ohne das ich es forciert habe. Ich muss da an einen Begriff aus der Filmsatire “Brazil” denken, da heißt der Geheimdienst “Information Wiederbeschaffung”. So bezeichne ich den Prozess scherzhaft bei mir selbst.
Neben der Erinnerung benutze ich meine reichhaltige Bibliothek und das Internet zum recherchieren. Im Internet finde ich nicht nur Fakten, sondern auch Zeitzeugen, die ich befragen kann. Das tue ich dann in der Regel per Mail oder Telefon.

G.S.: Du hast derzeit einen guten Output, fast täglich erscheinen neue Texte auf Deine Webseite marcuskluge.wordpress.com. Wie kann ich mir Deinen Arbeitsalltag als Blogger mit WordPress, Facebook und Twitter vorstellen?

M.K.: Ich versuche einmal in der Woche einen neuen, längeren Text zu veröffentlichen. Reblogs, Bilderstrecken und Gastautoren ergänzen den Output. Wenn ich das Blog nicht bespiele, nimmt das Interesse ab, dann habe ich nur noch 40-50 Aufrufe statt 100 bis 200 täglich. Wahrscheinlich fließt es bei mir auch deshalb i.M. so gut, weil ich solange einen Schreibblock hatte und in jener Zeit sind Dinge gereift.
Eine Trennung von Privatleben und Arbeit gibt es nicht mehr. Ich schreibe morgens 500 Wörter in zwei Stunden etwa, alles andere, wie recherchieren, promoten, Kontakte pflegen, empfinde ich nicht als Arbeit. Aus gesundheitlichen Gründen muss ich aufpassen, mich nicht zu überlasten. Ich mache eine Siesta mittags und oft noch eine zweite am frühen Abend. Weil die Arbeit Spaß macht, überlaste ich mich manchmal, dann muss ich Auszeiten nehmen. Ich gehe selten weg, weil mich das ziemlich anstrengt und die Technik ermöglicht, dass ich fast alles von daheim machen kann. Ich empfinde diese Möglichkeiten als Segen. Auf der anderen Seite sind mir die Gefahren durch staatliche Dienste wie die NSA, oder private wie Google, sehr bewusst. Ich fürchte die beschworene Dystopie hat bereits begonnen und wird noch sehr böse Folgen haben. Aber auf Google und Facebook zu verzichten ist unrealistisch. Ein “Grundwiderspruch” hätten die 68er gesagt. 😉

G.S.: Rainer Jacob, der auch schon das „Assasin“ gestaltet hat und dort auch Comics gezeichnet hat, zeichnet nun wieder für deine Romane „Die Legende von Xanadu“ und “Ein Hügel voller Narren” Illustrationen. Wie kann man sich die inhaltliche und technische Zusammenarbeit zwischen Dir als Autor und Webmaster und Rainer Jacob als Zeichner vorstellen? Hättest Du auch ohne die Rainer Jacob an Illustrationen zu den Geschichten gedacht?

M.K.: Rainer und ich sind seit über 40 Jahren Freunde. Obwohl, oder vielleicht auch, weil wir oft unterschiedliche Meinungen haben, respektieren wir den Anderen. Das gilt besonders für das Handwerk des Anderen, er redet mir nicht herein und ich ihm auch nicht. Natürlich gebe ich ihm Themen vor, oder sage z.B., die Figur Ghobadi stelle ich mir optisch so ähnlich vor wie Moshe Dayan. Mehr ist es nicht, welche Szene und welche anderen Figuren und Attribute er zeichnet, entscheidet er selber. Wir haben da eine fast schon intuitive Ebene des Verstehens. Manchmal zeichnet er Dinge, die im Text gar nicht vorkommen und ich greife das auf und schreibe es, oder stelle fest, dass die Sache später eine Rolle spielen wird.
Schon bevor wir, im Frühjahr 2014, unsere alte Zusammenarbeit wieder aufgenommen haben, habe ich meine Texte mit Originalfotos, Briefen, Dokumenten und anderem illustriert. Ich verfüge über ein Archiv von etwa 2000 Fotos, an denen ich die Rechte habe. Eigene, Familienfotos und Fotos, die ich in Auftrag gegeben habe aus der Assasin-Zeit. Nur zeichnen kann ich nicht. Ich hätte ohne Rainer die Romane mit Oldschool-Kollagen illustriert, hergestellt wie zu Fanzine-Zeiten, mit Cutter und Fixogum. Gibts eigentlich noch Fixogum?
Ich habe eine Lust an illustrativen Bildern, die einen in Stimmung versetzen, ohne die eigene Fantasie zu zerstören. An meinem neunten Geburtstag bekam ich “Bambi” von Felix Salten in einer wunderschönen Ausgabe geschenkt, Leinen, Fadenheftung usw. Sie hatte nur einen Fehler, sie enthielt keine Bilder. Bambi ohne Bilder? Ich habe nie Felix Salten gelesen.
Ich sehe meine Romane auch als unterhaltsame Fortsetzungsgeschichten, vielleicht eine Art Edel-Pulp, da gehört die Illustration einfach dazu.

G.S.: Du planst jetzt den Roman „Die Legende von Xanadu“ nicht nur über das Internet zu veröffentlichen, sondern auch als gedrucktes Buch. Finanzieren willst du über Crowdfunding. Wie wird das ablaufen? Wie wirst du dafür Werbung machen?

M.K.: Im Frühjahr werden wir in die Bewerbungsphase gehen, da muss man mindestens 25 Fans nachweisen, das wird kein Problem. Dann loben wir Präsente aus für alle, die uns unterstützen. Z.B. jemand der 12 Euro dazugibt bekommt ein signiertes Buch, für 20 ein schönes T-Shirt, oder auch ein Button für drei Euro. Alles natürlich im Stil der 1970er Jahre. Besonders freue ich mich auf ein “Fan-Heft”, das werden wir als Reminiszenz an das alte Assasin gestalten. In der Finanzierungsphase muss man halt viel in den sozialen Netzwerken aktiv werden und Multiplikatoren um Unterstützung bitten. Wenn das Geld zusammenkommt, wird gedruckt, die anderen Dankeschöns werden hergestellt und anschließend an die Unterstützer versandt. Den Rest der Auflage haben wir zu unserer Verfügung und können unsere Arbeit damit ein wenig bezahlt bekommen. Viele Bücher will ich auch zur Promotion verschenken. Dann könnten wir das darauf folgende Buch, also den “Narrenhügel” schon in einer größeren Auflage drucken. Mal sehen, wie’s läuft. Ich spekuliere nicht gern.

G.S.: Um ein Buch im Eigenverlag zu veröffentlichen, hat man heute zahlreiche Möglichkeiten. Seit einigen Jahren propagieren Books-on-demand-Firmen das Publizieren für jedermann. Man schickt seine Daten per Internet an diese Firmen und je nach Wunsch muss man die gedruckten Bücher selber verkaufen oder die Firma kümmert sich vollständig darum. Andererseits gibt es immer noch genügend klassische Druckereien, die die Buchherstellung übernehmen. Welche Erfahrungen hast du in dem Bereich in der letzten Zeit gemacht?

M.K.: Ich habe den Eindruck, die Net-Druckereien sind teuer, so als ob die ein Kartell bilden. Außerdem habe ich keine Kontrolle bei der Produktion, das ist mir zu anonym. Deshalb drucken wir in Berlin in einer kleinen Druckerei. Ich hätte gern ein Hardcover mit Fadenheftung gehabt, musst aber einsehen, dass das Buch damit sehr teuer geworden wäre. Inzwischen denke ich auch seriell, eine Reihe von bezahlbaren Taschenbüchern, könnte ich mir vorstellen. “Xanadu” ist ja Teil einer Trilogie, der zweite Band ist fast fertig und die Familienportraits sollten ja auch mal gedruckt werden.
Es war auch klar, das erste Buch im Selbstverlag herauszubringen. Als Anfänger hätte ich sonst Kompromisse eingehen müssen und möglicherweise nicht die Rechte behalten. Ich habe ja den Vorteil, durch eine kleine Rente unabhängig zu sein. Ich muss vom Schreiben nicht leben. Trotzdem würde ich nicht als Schreiber für die Huff oder andere Medien kostenlos arbeiten. Grundsätzlich ist Schreiben ein Beruf, der auch bezahlt werden muss.

G.S.: Ohne die Unterstützung eines Verlages, willst Du nicht nur das Buch vertreiben, sondern auch Lesungen durchführen. Wie viel Spaß hast Du am „[fast] alles selber machen“?

M.K.: Es gibt wenig, das mir keinen Spaß macht. Kalkulationen sind nicht so meins und ich bin kein großer Kontakter. Ich muss akzeptieren, dass ich nur langsam vorankomme, das ist manchmal lästig, aber die Gesundheit geht vor. Auf die Lesungen freue ich mich schon, damals als ich noch vor der Kamera stand, hat mir das Auftreten immer Freude gemacht. Das ist das Schauspielerblut meines Vaters nehme ich an. Deshalb drehe ich jetzt auch Video-Lesungen und stelle die auf youtube. Ich selbst lese lieber Bücher, aber viele Menschen mögen sich auch gern was vorlesen lassen.
Weil ich viel allein mache, versuche ich immer wieder mit Freunden und Lesern im Gespräch zu bleiben und mir auch Kritik anzuhören. Letztlich tut man was man für richtig hält, aber man sollte vermeiden abzuheben oder sich im Wolkenkuckucksheim zu isolieren.


Günters Website:

Leben an Land erkunden

Das Interview und die Illus aus dem Buch erscheinen mit freundlicher Genehmigung von Günter Sahler.

Foto: Marcus Kluge mit Blechkanister, ca. 1970 (©M.K.)

Berlin Typography

Text and the City // Buchstaben und die Stadt

Der ganz normale Wahnsinn

Das Leben und was uns sonst noch so passiert

500 Wörter die Woche

500 Wörter, (fast) jede Woche. (Nur solange der Vorrat reicht)

Licht ist mehr als Farbe.

(Kurt Kluge - "Der Herr Kortüm")

Gabryon's Blog

Die Zeit vollendet dich...

bildbetrachten

Bilder sehen und verstehen.

Idiot Joy Showland

This is why I hate intellectuals

The Insatiable Traveler

Travel inspiration, stories, photos and advice

Marlies de Wit Fotografie

Zoektocht naar het beeld

Ein Blog von Vielen

aus dem Er_Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur auf dem Autismus-Spektrum

literaturfrey

In der Kunst spielt ja die Zeit, umgekehrt wie in der Industrie, gar keine Rolle, es gibt da keine verlorene Zeit, wenn nur am Ende das Möglichste an Intensität und Vervollkommnung erreicht wird. H. Hesse

Blackbirds.TV - Berlin fletscht seine Szene

Zur Musikszene im weltweiten Berliner Speckgürtel

Reiner "rcpffm" Peffm 's mobile blog and diary

Smile! You’re at the best **mobile** made *RWD* WordPress.com site ever

Leselebenszeichen

Buchbesprechungen von Ulrike Sokul©

Dokumentation eines Lebenswegs

Ein Blog im stetigen Wandel. Über den Wert von Familie. Krankheit, Aufarbeitung von Gewalt, Briefe an meinen Vater und meinen Sohn. Wohin wird mich alles führen?

.documenting.the.obvious

there is no "not enough light" there is only "not enough time"